Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss des BFG vom 03.10.2022, RV/3100515/2022
Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages (versäumte Verhandlung)

Rechtssätze

Stammrechtssatz

Ein berufsmäßiger Parteienvertreter handelt auffallend sorglos, wenn er vier Werktage vor dem Termin der mündlichen Beschwerdeverhandlung deren Verlegung fordert, ohne sich weiter darum zu kümmern, ob das Bundesfinanzgericht dieser Forderung nachkommt.

Beschluss

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf-Adr***, vertreten durch X Steuerberatungs GmbH, über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der am 5.7.2022 versäumten mündlichen Beschwerdeverhandlung über die Beschwerde gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2011 beschlossen:

Der Antrag wird abgewiesen.

Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz nicht zulässig.

Begründung

Der Beschwerdeführer brachte - vertreten durch seine steuerliche Vertretung - am 2.9.2022 im Wege von FinanzOnline einen an das "Finanzamt Landeck" gerichteten "Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer u. Umsatzsteuer 2011 - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Steuernummer ***BF1StNr1*** - BFG: Geschäftszahl: RV/3100524/2019" beim Finanzamt Österreich ein. Das Finanzamt leitete den Schriftsatz am 19.9.2022 an das Bundesfinanzgericht weiter.

Der Schriftsatz lautet auszugsweise wie folgt: "…zur mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2022: Im Zusammenhang mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 5. Juli 2022 wird in der Beilage der in diesem Zusammenhang stehende Schriftverkehr übermittelt:

Mail mit dem Ersuchen um Verlegung der mündlichen Verhandlung datiert vom 27. Juni 2022, 9.37 Uhr…

Mail mit der Ablehnung der Terminverschiebung vom 27. Juni 2022, 17.40 Uhr…

Mail mit dem nochmaligen Ersuchen um Verschiebung des Verhandlungstermins und unter ausdrücklichen Hinweis darauf, dass anlässlich der Beschwerde neue maßgebliche und entscheidungsrelevante Sachverhalte und Urkunden beigebracht werden, datiert vom 29. Juni 2022, 11.25 Uhr…

Weiters wird mit diesem E-Mail … ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wichtige und relevante Sachverhalte beigebracht werden. In diesem Mail wurde auch höflich ersucht bis längsten 30. Juni 2022 17.00 Uhr bekannt zu geben, ob die Verhandlung verschoben wird oder nicht. Dies deswegen, da Herr Mag. X ab Freitag grundsätzlich nicht mehr anwesend sein kann.

E-Mail ***Bf1*** an [die Berichterstatterin], datiert vom 4. Juli 2022, 17.44 in dem er seine Verhandlungsunfähigkeit bekannt gibt…

Nachdem die Kanzlei X keine Information erhalten hat wurde davon ausgegangen (und konnte auch davon ausgegangen werden), dass die Verhandlung verschoben wird und ein neuer Verhandlungstermin bekannt gegeben wird. Hätte die Kanzlei X eine Information erhalten, dass das neuerliche und begründete Ersuchen um Terminverschiebung wiederum abgewiesen wird, wäre es tatsächlich notwendig gewesen, den bereits geplanten und bezahlten Urlaub abzusagen und die damit zusammenhängenden finanziellen Nachteile zu akzeptieren um bei der Beschwerdeverhandlung anwesend sein zu können! Insbesondere deswegen, weil im angeführten Mail ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass noch entscheidungsrelevante Sachverhalte vorgebracht und erörtert werden, wurde davon ausgegangen, dass das Ersuchen um Information, ob die Verhandlung nunmehr am 5. Juli 2022 stattfindet oder nicht auch via Mail beantwortet wird. Nachdem die Kanzlei X jedoch dieses Mail nicht erhalten hat, wurde davon ausgegangen, dass dem begründeten Ansuchen auf Terminverschiebung stattgegeben wurde.

Folgende Anmerkung sei gestattet: Ein Mail bestehend aus 5 Worten und einem Datum ("die Verhandlung findet am 5.7.2022 statt) zu verfassen dauert 3 bis 5 Minuten! Unseres Erachten[s] wäre es der Behörde zumutbar gewesen, diesen Zeitaufwand zu tätigen und damit zu einem ordentlichen Verfahren beizutragen…

Gemäß § 115 Abs. 2 haben die Abgabenbehörden den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihre[r] Rechte zu gewähren. Dabei ist den Parteien einen angemessene Äußerungsfrist zu gewähren… Diese Frist wurde nicht gewährt: Die Beschwerdeverhandlung wurde (unüblicherweise) sehr kurzfristig ausgeschrieben. Das begründetes Ansuchen um Terminverschiebung (insbesondere wegen des noch darzulegenden Sachverhaltes) wurde ohne Begründung abgewiesen. [Der Beschwerdeführer] war aus gesundheitlichen Gründen nicht verhandlungsfähig und die entsprechende Bestätigung wurde ebenfalls ignoriert… Im E-Mail vom 29. Juni 2022 (11.25) habe ich klar und deutlich darauf hingewiesen, dass [ich] anlässlich der mündlichen Senatsverhandlung noch entscheidungsrelevante Sachverhalte vorbringen werde. In diesem E-Mail wurde auch ersucht uns bis zum 30. Juni 2022 17.00 Uhr darüber zu informieren, ob nunmehr dem Ansuchen auf Verlegung der Verhandlung stattgegeben wird oder nicht. Meines Erachtens wäre es ein Akt der Höflichkeit, aber auch insbesondere ein Akt der ordentlichen Verfahrensabwicklung gewesen, einen Zeitaufwand von max. 5 Minuten zu investieren und darüber zu informieren, dass die Verhandlung trotz des begründeten Ersuchens um Fristverlegung stattfindet…

Zusätzlich wird der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO gestellt. Hinsichtlich der Begründung wird auf die vorigen Ausführungen verwiesen."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 308 Abs 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Verschuldens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Partei den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen. Dabei hat die Partei selbst einwandfrei und unter Ausschluss jeden Zweifels das Vorliegen all jener Umstände darzulegen, auf die eine solche Wiedereinsetzung gestützt werden kann. Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptung des Wiedereinsetzungswerbers gedeckt ist (vgl VwGH 29.9.2020, Ra 2020/16/0139 mwN).

Der Beschwerdeführer wurde im Beschwerdeverfahren betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2011 durch die X Steuerberatungs GmbH vertreten. Weder der Beschwerdeführer noch ein Organ oder Mitarbeiter der X Steuerberatungs GmbH sind zur mündlichen Verhandlung in diesem Beschwerdeverfahren am 5.7.2022 erschienen. Da der Beschwerdeführer seine eigene Erkrankung am Vortag der mündlichen Beschwerdeverhandlung und seine dadurch bedingte Verhinderung an der Teilnahme nicht als Wiedereinsetzungsgrund angeführt hat, war darauf nicht weiter einzugehen.

Ein Ereignis im Sinn des § 308 kann ein Vorgang in der Außenwelt ebenso wie ein psychischer Vorgang wie Vergessen, Verschreiben, sich Irren sein (Ritz/Koran, BAO, 7.A., Rz 8 zu § 308). Der Beschwerdeführer bringt dazu vor, er sei davon ausgegangen, dass die Verhandlung über Intervention seiner steuerlichen Vertretung verschoben würde. Er führt einen Irrtum über den Zeitpunkt der Durchführung der mündlichen Verhandlung ins Treffen.

Der Beschwerdeführer bzw. seine steuerliche Vertretung gründen diesen Irrtum auf die nachfolgend wiedergegebene Abfolge von Ereignissen:

  1. Am 15.6.2022 erging die Ladung des Beschwerdeführers zur mündlichen Verhandlung am 5.7.2022. Dem Beschwerdeführer wurde die Ladung ausweislich des Zustellnachweises am 21.6.2022 zugestellt.
  2. E-Mail eines Mitarbeiters der steuerlichen Vertretung an die Berichterstatterin vom 27.6.2022, 9.37 Uhr: "Sehr geehrte [Berichterstatterin], am Freitag, den 24. Juni 2022 wurde ich von [dem Beschwerdeführer] informiert, dass für den 5. Juli 2022 eine mündliche Verhandlung ausgeschrieben ist. Ich ersuche höflich, diesen Termin auf den Zeitraum nach Juli 2022 zu verschieben. Dies deswegen, weil ich im Monat Juli 2022 nicht vor Ort bin und daher an der Verhandlung nicht teilnehmen kann…"
  3. E-Mail der Berichterstatterin an den Mitarbeiter der steuerlichen Vertretung vom 27.6.2022, 17.40 Uhr: "Sehr geehrter Herr…, eine Verschiebung der beantragten mündlichen Senatsverhandlung kommt nicht in Betracht. Der Verhandlungstermin am 5.7.2022 um 10.00 Uhr bleibt aufrecht…"
  4. E-Mail des Mitarbeiters der steuerlichen Vertretung an die Berichterstatterin vom 29.6.2022, 11.25 Uhr: "Sehr geehrte [Berichterstatterin], mit Mail vom 27.6.2022 … teilen Sie mir mit, dass Sie meinem schriftlichen Ersuchen auf Verlegung der Verhandlung weil ich urlaubsbedingt am 5.7.2022 nicht vor Ort bin mit, dass diesem Ersuchen nicht statt gegeben wird und dass die Verhandlung am 5. Juli 2022 statt findet. Zu diesem Sachverhalt ersuche ich sie zur Kenntnis zu nehmen: Die Ladung wurde am 15. Juni 2022 ausgestellt. Lt. [dem Beschwerdeführer] wurde die Ladung am Mo, den 20. Juni 2022 zugestellt. Am Freitag, den 24. Juni hat mich [der Beschwerdeführer] in unseren Kanzleiräumlichkeiten über den Verhandlungstermin 5.7.2022 informiert und mir die Ladung übergeben. Am Montag, den 27. Juni … habe ich via mail um Terminverschiebung mit Begründung ersucht. Nunmehr lehnen Sie mein Ansuchen auf Terminverschiebung unbegründet ab. Nach meiner nunmehr doch 40-jährigen Berufserfahrung werden üblicherweise Senatsverhandlungen nicht so kurzfristig ausgeschrieben, insbesondere in der "Urlaubszeit". Auch werden begründete Ansuchen von Parteienvertretern üblicherweise berücksichtigt, insbesondere dann, wenn keine unmittelbare Notwendigkeit die Verhandlung genau zum vorgegebenen Termin abzuhalten, gegeben ist.
    Insbesondere ersuche ich zur Kenntnis zu nehmen: Anl. der mündlichen Verhandlung werden noch entscheidungswesentliche Sachverhalte vorgebracht und beigebracht werden. Dies ist verständlicherweise unmittelbar und in Form eines Schriftsatzes nicht möglich, weil ich ab 1. Juli 2022 nicht mehr in der Kanzlei anwesend bin. Im Sinn des traditionellen und verständnisvollen Einvernehmen[s] zwischen der Behörde und den Berufsvertretern Ich ersuche Sie daher dringend, Ihre Entscheidung, mein Ansuchen auf Terminverschiebung abzulehnen, nochmals zu überdenken und mich Von Ihrer Entscheidung via mail bis längstens Donnerstag, den 30. Juni, 17.00 Uhr zu informieren. (Ab Freitag, den 1. Juli 2022 bin ich urlaubsbedingt nicht mehr in der Kanzlei anwesend)…"

Zum Tatbestandsmerkmal der Unabwendbarkeit bzw. Unvorhersehbarkeit des Irrtums ist schon aus dem dargestellten Ablauf erkennbar, dass der Irrtum über den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder unvorhersehbar noch unabwendbar war. Der steuerlichen Vertretung musste aufgrund des E-Mails der Berichterstatterin vom 27.6.2022 ("Der Verhandlungstermin am 5.7.2022 um 10.00 Uhr bleibt aufrecht.") bewusst sein, dass die Verhandlung am 5.7.2022 stattfinden würde. Dieses Verständnis spricht auch aus dem E-Mail des Mitarbeiters der steuerlichen Vertretung vom 29.6.2022 ("…teilen Sie mir mit, … dass die Verhandlung am 5. Juli 2022 statt findet…"). Eine telefonische Nachfrage an einem der folgenden Werktage (30.6., 1. bzw. 4.7.2022) in der Geschäftsstelle des Bundesfinanzgerichts hätte der steuerlichen Vertretung abschließende Gewissheit darüber verschaffen können, dass der Verhandlungstermin am 5.7.2022 aufrecht ist. Dadurch wäre der Irrtum abwendbar gewesen.

Voraussetzung für die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch, dass dem Wiedereinsetzungswerber ein bloß minderer Grad des Versehens vorwerfbar ist. Der Begriff des minderen Grads des Versehens wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als leichte Fahrlässigkeit verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber bzw der Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (VwGH 30.04.2019, Ra 2019/15/0042).

Von einem berufsmäßigen Parteienvertreter, namentlich von der den Beschwerdeführer vertretenden Steuerberatungskanzlei, die in der Rechtsform einer GmbH organisiert ist und über mehrere Mitarbeiter verfügt, kann erwartet werden, ein Ersuchen um Verlegung einer anberaumten mündlichen Beschwerdeverhandlung so lange zu verfolgen, bis abschließende Gewissheit über dessen Schicksal erlangt wird. Es ist lebensfremd, davon auszugehen, dass die Berichterstatterin in einem Beschwerdeverfahren über eine (neuerliche) Aufforderung, die vier Werktage später anberaumte mündliche Beschwerdeverhandlung zu verlegen, diese jedenfalls entsprechend den Wünschen des Mitarbeiters der steuerlichen Vertretung verlegen werde.

Bei einem berufsmäßigen Parteienvertreter kann im Übrigen die Kenntnis relevanter Verfahrensvorschriften (etwa des § 274 Abs. 4 BAO, demzufolge der Senatsvorsitzende - und nicht die beisitzende Richterin - den Ort und den Zeitpunkt der Verhandlung zu bestimmen hat) vorausgesetzt werden. Bei einem berufsmäßigen Parteienvertreter kann auch das Wissen darum vorausgesetzt werden, dass das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht (und nicht vor einer "Behörde") abgeführt wird.

Insgesamt erweist sich das Verhalten der steuerlichen Vertretung des Beschwerdeführers in Bezug auf die kurzfristig verlangte Verlegung der anberaumten mündlichen Beschwerdeverhandlung als auffallend sorglos. Das Verschulden des Vertreters ist nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung dem Verschulden des vertretenen Wiedereinsetzungswerbers gleichzusetzen.

Da die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen, war der Antrag mit Beschluss (§ 33 Abs 4 VwGVG und § 46 Abs 4 VwGG per analogiam; vgl BFG 9.1.2019, RV/2101311/2018) abzuweisen.

Zur Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Dies ist - insbesondere im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung - nicht der Fall.

Innsbruck, am 3. Oktober 2022

Zusatzinformationen

in Findok veröffentlicht am:22.11.2022
Materie:
  • Steuer
betroffene Normen:
Verweise:
ECLI:
  • ECLI:AT:BFG:2022:RV.3100515.2022
Systemdaten: Findok-Nr: 138512.1
aufgenommen am: 22.11.2022 15:35:06
zuletzt geändert am: 05.06.2025
Dokument-ID: 206b1f95-f26e-44d3-8972-5cb43973c997
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