Richtlinie des BMF vom 08.08.2012, BMF-010311/0079-IV/8/2012
gültig von 08.08.2012 bis 06.02.2013
VB-0800, Arbeitsrichtlinie Abfälle

10. Strafbestimmungen

10.1. Gerichtliche Strafverfahren

(1) § 181b Abs. 2 StGB stellt ua. vorsätzliches umweltgefährdendes Verbringen von Abfällen und § 181c StGB stellt ua. fahrlässiges umweltgefährdendes Verbringen von Abfällen unter gerichtliche Strafe. Dieser Tatbestand liegt vor, wenn Abfälle, deren ordnungsgemäße Behandlung auf Grund ihrer Art, Beschaffenheit oder Menge zur Vermeidung der Gefahrwobei in beiden Fällen zwei Tatbestände unterschieden werden:

a)Gemäß § 181b Abs. 1 StGB begeht eine gerichtlich strafbare Handlung, wer Abfälle entgegen einer VerunreinigungRechtsvorschrift oder Beeinträchtigung in der Weiseeinem behördlichen Auftrag vorsätzlich, und gemäß § 181c Abs. 1 StGB begeht eine gerichtlich strafbare Handlung, wer Abfälle entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag fahrlässig so befördert, dass dadurch

1.eine Gefahr für Leibdas Leben oder Leben einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) eines anderen oder sonst für die Gesundheit oder körperliche Sicherheit einer größeren AnzahlZahl von Menschen oder,

2.eine Gefahr für den Tier- oder Pflanzenbestand in einem größeren Gebiet entstehen kannerheblichem Ausmaß, oder

b)3.einer schweren, nachhaltigen und in großem Ausmaß eintretenden Verunreinigung oder sonstigen Beeinträchtigung lange Zeit andauernde Verschlechterung des Zustands eines Gewässers, des Bodens oder der Luft, oder

4.ein Beseitigungsaufwand, der 50.000 Euro übersteigt,

entstehen kann.

b)Gemäß § 181b Abs. 3 StGB begeht eine gerichtlich strafbare Handlung, wer Abfälle entgegen Artikel 2 Nummer 35 der EG-VerbringungsVvorsätzlichin nicht unerheblicher Menge, und gemäß § 181c Abs. 3 StGB begeht eine gerichtlich strafbare Handlung, wer Abfälle entgegen Artikel 2 Nummer 35 der EG-VerbringungsVgrob fahrlässigin nicht unerheblicher Menge verbringt.

erforderlich istBei vorsätzlichem Handeln, vorsätzlich entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag in das Inland eingeführt, aus dem Inland ausgeführt oder durch das Inland durchgeführt werden. Auchist auch der Versuch einer solchen Zuwiderhandlung ist strafbar.

(2) Der Begriff "Befördern" im Sinne des § 181b Abs. 1 StGB bzw. des § 181c Abs. 1 StGB entspricht dem Begriff "Transport" in Artikel 2 Nummer 33 der EG-VerbringungsV. Danach ist unter "Befördern" bzw. "Transport" die Beförderung von Abfällen auf der Straße, der Schiene, dem Luftweg, dem Seeweg oder Binnengewässern zu verstehen. Diese Begriffe schließen eine "Verbringung" im Sinne des § 181b Abs. 3 StGB bzw. des § 181c Abs. 3 StGB ein, wobei bei der Verbringung im Wesentlichen zusätzlich ein grenzüberschreitendes Element verlangt wird (siehe Abs. 3).

(3) Der Begriff "Verbringung" im Sinne des § 181b Abs. 3 StGB bzw. des § 181c Abs. 3 StGB wird in Artikel 2 Nummer 34 der EG-VerbringungsV definiert. Danach meint "Verbringung" den Transport von zur Verwertung oder Beseitigung bestimmten Abfällen, der erfolgt oder erfolgen soll

a)zwischen zwei Staaten oder

b)zwischen einem Staat und überseeischen Ländern und Gebieten oder anderen Gebieten, die unter dem Schutz dieses Staates stehen, oder

c)zwischen einem Staat und einem Landgebiet, das völkerrechtlich keinem Staat angehört, oder

d)zwischen einem Staat und der Antarktis oder

e)aus einem Staat durch eines der oben genannten Gebiete oder

f)innerhalb eines Staates durch eines der oben genannten Gebiete und der in demselben Staat beginnt und endet, oder

g)aus einem geografischen Gebiet, das nicht der Gerichtsbarkeit eines Staates unterliegt, in einen Staat.

(4) Eine "Illegale Verbringung" im Sinne von Artikel 2 Nummer 35 der EG-VerbringungsV ist jede Verbringung von Abfällen, die

a)ohne Notifizierung an alle betroffenen zuständigen Behörden gemäß der EG-VerbringungsV erfolgt oder

b)ohne die Zustimmung der betroffenen zuständigen Behörden gemäß der EG-VerbringungsV erfolgt oder

c)mit einer durch Fälschung, falsche Angaben oder Betrug erlangten Zustimmung der betroffenen zuständigen Behörden erfolgt oder

d)in einer Weise erfolgt, die den Notifizierungs- oder Begleitformularen sachlich nicht entspricht, oder

e)in einer Weise erfolgt, die eine Verwertung oder Beseitigung unter Verletzung gemeinschaftlicher oder internationaler Bestimmungen bewirkt, oder

f)den Ausfuhrverboten der Artikel 34, 36, 39 und 40 der EG-VerbringungsV oder den Einfuhrverboten der Artikel 41 und 43 der EG-VerbringungsV widerspricht oder

g)in Bezug auf eine Verbringung von Abfällen im Sinne von

-Artikel 3 Abs. 2 der EG-VerbringungsV (Abfälle der Grünen Abfallliste, siehe Abschnitt 8.2.), die dadurch gekennzeichnet ist, dass

i)die Abfälle offensichtlich nicht in Anhang III, Anhang IIIA oder Anhang IIIB der EG-VerbringungsV aufgeführt sind - es sich also um andere Abfälle als Abfälle der Grünen Abfallliste (siehe Anlage 1) handelt - oder

ii)die Verbringung der Abfälle auf eine Weise geschieht, die dem in Anhang VII der EG-VerbringungsV aufgeführten Dokument (Nachweis für den Transport von Abfällen der Grünen Abfallliste zur Verwertung, siehe Abschnitt 8.2.5.) sachlich nicht entspricht,

oder in Bezug auf eine Verbringung von Abfällen im Sinne von

-Artikel 3 Abs. 4 der EG-VerbringungsV (Abfälle zur Untersuchung in Laboratorien, siehe Abschnitt 8.4.), die dadurch gekennzeichnet ist, dass

i)Artikel 3 Abs. 4 der EG-VerbringungsV verletzt wurde - die Abfälle also nicht zur Untersuchung in Laboratorien bestimmt sind, um ihre physikalischen oder chemischen Eigenschaften zu prüfen oder ihre Eignung für Verwertungs- oder Beseitigungsverfahren zu ermitteln (siehe Abschnitt 8.4.) - oder

ii)die Verbringung der Abfälle auf eine Weise geschieht, die dem in Anhang VII der EG-VerbringungsV aufgeführten Dokument (Nachweis für den Transport von Abfällen zur Untersuchung in Laboratorien, siehe Abschnitt 8.2.5.) sachlich nicht entspricht.

(5) Der Begriff "grobe Fahrlässigkeit" in § 181c Abs. 3 StGB wurde aus der Richtlinie 2008/99/EG über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt übernommen. Die grobe Fahrlässigkeit ist nicht nur ein Begriff aus dem Zivilrecht, sondern kommt auch in § 181e StGB (Grob fahrlässiges umweltgefährdendes Betreiben von Anlagen), § 159 StGB (Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen) und § 7 Abs. 5 Artenhandelsgesetz 2009 (siehe VB-0330 Abschnitt 7.1.1.) vor und wird auch in EU-Rechtsakten im Zusammenhang mit dem Strafrecht verwendet. In der Rechtssache C-308/06 hat der EuGH - zur vergleichbaren Regelung des Artikels 4 der Richtlinie 2005/35/EG über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen, für Verschmutzungsdelikte - etwa ausgesprochen, dass "unter grober Fahrlässigkeit ein nicht vorsätzliches Handeln oder Unterlassen zu verstehen ist, mit dem die verantwortliche Person die Sorgfaltspflicht, der sie in Anbetracht ihrer Eigenschaften, ihrer Kenntnisse, ihrer Fähigkeiten und ihrer persönlichen Lage hätte genügen können und müssen, in qualifizierter Weise verletzt".

Bei "geringfügiger Fahrlässigkeit" liegt keine Strafbarkeit als gerichtlich strafbare Handlung gemäß § 181c Abs. 3 StGB vor.

(26) EineDie Straftatbestände des § 181b Abs. 3 StGB bzw. des § 181c Abs. 3 StGB kommen nur insoweit zum Tragen, als nicht ohnehin schon bereits Strafbarkeit nach § 181b Abs. 21 StGB wirdbzw. § 181c Abs. 1 StGB gegeben ist, zumal der Begriff "Beförderung" eine "Verbringung" mit einschließt (siehe Abs. 2). Erfasst werden jene Fälle, in erster Linie insbesondere bei einer Einfuhrdenen das Verbringen zwar im vorstehenden Sinn illegal erfolgt, Ausfuhr, Durchfuhr oder innergemeinschaftlichen Verbringung vondennoch aber keine abstrakte Gefährdung (geschweige gefährlichen Abfällen entgegen den in dieser Arbeitsrichtlinie behandelten Bestimmungendenn eine tatsächliche Schädigung) im Sinne des § 181b Abs. 1 StGB der EG-VerbringungsV bzw. des AWG 2002§ 181c Abs. 1 StGB vorliegenvorliegt - sei es, weil es sich um ungefährliche Abfälle handelt, sei es, weil der Transport sicher abgewickelt wird. Sofern durch eine illegale Verbringung vonDafür verlangen die Straftatbestände des § 181b Abs. 3 StGB Abfällen keine erheblichen Gefahren im Sinne von Absbzw. 1 gegebendes § 181c Abs. 3 StGB sind oder das Verbringen einer "nicht unerheblichen Menge an Abfall". Diese Menge wird im Falle von Fahrlässigkeit liegt kein gerichtlich strafbares Delikt, sondernder (sicheren) Verbringung gefährlicher Abfälle jedenfalls bei einem Gefährdungspotential im Regelfall eine VerwaltungsübertretungSinne des § 180 Abs. 1 Z 1 bis 4 StGB vor. In diesen Fällen sowie dann,gegeben sein, also wenn eine eindeutige Beurteilung, ob ein gerichtlich strafbares Delikt vorliegt, nicht möglich ist, ist nach Abschnitt 10.2. vorzugehen.

1.eine Gefahr für das Leben oder einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) eines anderen oder sonst für die Gesundheit oder körperliche Sicherheit einer größeren Zahl von Menschen,

2.eine Gefahr für den Tier- oder Pflanzenbestand in erheblichem Ausmaß,

3.eine lange Zeit andauernde Verschlechterung des Zustands eines Gewässers, des Bodens oder der Luft oder

4.ein Beseitigungsaufwand oder sonst ein Schaden an einer fremden Sache, an einem unter Denkmalschutz stehenden Gegenstand oder an einem Naturdenkmal, der 50.000 Euro übersteigt,

besteht.

(37) Wenn Zollorgane in Ausübung ihres Dienstes, sei es im Zuge einer Abfertigung oder auch in anderen Fällen, feststellen, dass eine nach § 181b Abs. 2 StGB oder § 181c StGB strafbare illegaleumweltgefährdende Abfallverbringung vorliegt, so haben sie gemäß § 83 Abs. 3 AWG 2002 die Unterbrechung der Beförderung anzuordnen (faktische Amtshandlung). Die Zuwiderhandlung sowie die getroffenen Anordnungen sind durch Übermittlung einer Ausfertigung der Tatbeschreibung im Wege der Finanzstrafbehörde erster Instanz der Staatsanwaltschaft anzuzeigen.

(48) Solange die Anordnung der Unterbrechung der Beförderung aufrecht ist, darf das Beförderungsmittel nur nach Anordnung der Zollstelle oder deren Organen in Betrieb genommen werden. Bei drohender Zuwiderhandlung gegen die Anordnung der Unterbrechung sind die Zollstelle und deren Organe gemäß § 83 Abs. 4 AWG 2002 berechtigt, die Fortsetzung der Abfallbeförderung durch angemessene Zwangsmaßnahmen, wie Abnahme der Schlüssel des Beförderungsmittels, Absperren des Beförderungsmittels, Anlegen von technischen Sperren und Abstellen an einem geeigneten Ort, zu verhindern. Die Zwangsmaßnahmen sind aufzuheben, wenn der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist.

(59) Die Anordnung der Unterbrechung der Beförderung gilt gemäß § 83 Abs. 3 letzter Satz AWG 2002 als aufgehoben, wenn entweder die für die Fortführung der Verbringung erforderlichen Unterlagen oder ein Notifizierungs- und Begleitformular für die Rückführung gemäß Artikel 22ff der EG-VerbringungsV vorgelegt werden.

(610) Ohne Rücksicht auf Maßnahmen anderer Behörden ist erforderlichenfalls ein Finanzstrafverfahren einzuleiten.

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