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Document 61993CJ0459

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 1. Juni 1995.
Hauptzollamt Hamburg-St. Annen gegen Thyssen Haniel Logistic GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland.
Gemeinsamer Zolltarif - Verordnung (EWG) Nr. 3618/86 des Rates - Tarifnummern 21.07 und 30.03 - Mischungen von Aminosäuren für die Herstellung von Infusionslösungen.
Rechtssache C-459/93.

European Court Reports 1995 I-01381

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1995:160

61993J0459

URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 1. JUNI 1995. - HAUPTZOLLAMT HAMBURG-ST. ANNEN GEGEN THYSSEN HANIEL LOGISTIC GMBH. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESFINANZHOF - DEUTSCHLAND. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - VERORDNUNG (EWG) NR. 3618/86 DES RATES - TARIFNUMMERN 21.07 UND 30.03 - MISCHUNGEN VON AMINOSAEUREN FUER DIE HERSTELLUNG VON INFUSIONSLOESUNGEN. - RECHTSSACHE C-459/93.

Sammlung der Rechtsprechung 1995 Seite I-01381


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

Gemeinsamer Zolltarif ° Tarifpositionen ° Mischungen von Aminosäuren für die Herstellung von Infusionslösungen ° Ihrer Natur nach zu medizinischer Verwendung bestimmte Ware ° Tarifierung nach Tarifnummer 30.03 (Tarifstelle 30.03 A II b)

Leitsätze


Der Gemeinsame Zolltarif in der Fassung der Verordnung Nr. 3618/86 des Rates vom 24. November 1986 zur Änderung der Verordnung Nr. 3331/85 zur Änderung der Verordnung Nr. 950/68 ist dahin auszulegen, daß ein steriles Pulver für die Herstellung von Infusionslösungen, das aus in einem genau festgelegten Verhältnis miteinander vermischten Aminosäuren besteht, unter die Tarifnummer 30.03 (Tarifstelle 30.03 A II b) fällt. Da die Verwendung dieser Ware zur menschlichen Ernährung durch den Mund eine rein theoretische Möglichkeit darstellt, ist sie nämlich wegen ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften ° Sterilität, Pyrogenfreiheit, weitgehende Reinheit und genaue Dosierung der verschiedenen Aminosäuren ° ihrer Natur nach zu medizinischer Verwendung, genauer: zur Herstellung von Infusionslösungen durch Zusetzung von Wasser, bestimmt. Angesichts dieses Verwendungszwecks und unter Berücksichtigung der Erläuterung A 4 zu Tarifnummer 30.03 der Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens gehört sie daher zu den Arzneiwaren.

Entscheidungsgründe


1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 19. Oktober 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Dezember 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Tarifnummern 21.07 und 30.03 des Gemeinsamen Zolltarifs (im folgenden: GZT) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3618/86 des Rates vom 24. November 1986 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3331/85 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 345, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Hauptzollamt Hamburg-St. Annen (im folgenden: Hauptzollamt) und der Thyssen Haniel Logistic GmbH (im folgenden: Thyssen) über die Tarifierung von als "Amino Acid AA Mixture Peco" bezeichneten Waren, bei denen es sich um dosierte, pulverförmige, sterile Mischungen verschiedener Aminosäuren für die Herstellung von Infusionslösungen handelt.

3 Thyssen meldete im März 1987 solche Waren als "andere Arzneiwaren, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf" der Tarifstelle 30.03 A II b GZT an. Das Hauptzollamt wertete die Waren jedoch als "andere Lebensmittelzubereitungen" der Tarifnummer 21.07 und erhob dafür Zoll nach.

4 Thyssen erhob dagegen Klage beim Finanzgericht Hamburg. Dieses gab der Klage statt, da die streitigen Waren seiner Ansicht nach unter die Tarifstelle 30.03 A II b GZT fielen.

5 Das Hauptzollamt legte dagegen Revision beim Bundesfinanzhof ein. Es machte geltend, im maßgebenden Zeitpunkt habe noch kein Fertigerzeugnis zur parenteralen künstlichen Ernährung vorgelegen. Die Waren könnten auch nicht als unfertige Infusionslösungen angesehen werden, weil auch eine andere Verarbeitung möglich sei. Nach ihrer Beschaffenheit handele es sich um Lebensmittelzubereitungen, die nur peroral zugeführt werden könnten.

6 Der Bundesfinanzhof hat, da es seiner Ansicht nach für die Entscheidung des Rechtsstreits der Auslegung des GZT bedarf, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Ist der Gemeinsame Zolltarif dahin auszulegen, daß die Tarifnummer 30.03 (hier: Tarifstelle 30.03 A II b) als "Arzneiwaren" Erzeugnisse wie dosierte, pulverförmige, sterile Mischungen verschiedener Aminosäuren für die Herstellung von Infusionslösungen erfasst?

2) Verneinendenfalls: Ist der Gemeinsame Zolltarif dahin auszulegen, daß Waren der in Frage 1 bezeichneten Art als "andere Lebensmittelzubereitungen" von der Tarifnummer 21.07 erfasst werden?

7 Die in Betracht kommenden Tarifnummern und Tarifstellen des GZT, die zu dem im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitpunkt galten, lauteten:

° Tarifnummer 21.07:

"Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen:

A. Getreide in Körnern oder Kolben, vorgekocht oder anders zubereitet:

...

G. andere:

..."

° Tarifnummer 30.03:

"Arzneiwaren, auch für die Veterinärmedizin:

A. nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf:

I. Jod oder Jodverbindungen enthaltend

II. andere:

a) Penicillin ... enthaltend

...

b) andere

B. in Aufmachungen für den Einzelverkauf:

..."

8 Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Tarifpositionen des Gemeinsamen Zolltarifs und der Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (siehe insbesondere Urteil vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-395/93, Neckermann Versand, Slg. 1994, I-4027, Randnr. 5). Es ist weiter ständige Rechtsprechung, daß bei der Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs sowohl die Vorschriften zu den Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs als auch die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens wichtige Hilfsmittel sind, um eine einheitliche Anwendung des Zolltarifs zu gewährleisten, und deshalb als wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs angesehen werden können (ebenda).

9 Nach der Vorschrift 1 a zu Kapitel 30 GZT sind "Arzneiwaren" im Sinne der Tarifnummer 30.03 u. a. Erzeugnisse, die zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gemischt worden sind.

10 In derselben Vorschrift heisst es, daß diese Bestimmung nicht für Lebensmittel oder Getränke (z. B. diätetische Lebensmittel, angereicherte Lebensmittel, Lebensmittel für Diabetiker, "tonische" Getränke, Mineralwasser) gilt. Jedoch gehören nach der Erläuterung A 4 zu Tarifnummer 30.03 der Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens zu den Arzneiwaren "Nährstoff-Zubereitungen zur Verabreichung auf anderem Wege als durch den Mund". Dies erklärt sich daraus, daß derartige Nährstoffzubereitungen noch im Rahmen medizinischer Behandlungen verwendet werden.

11 Aminosäuren können, da sie Bausteine der Eiweisse sind, als Nährstoffe angesehen werden. Nach den Erläuterungen zu Tarifnummer 30.03 der Nomenklatur des Rates auf dem Gebiete des Zollwesens gehören nämlich Eiweißstoffe zu den wichtigsten in Lebensmitteln vorkommenden Nährstoffen.

12 Da dem so ist, ist zu prüfen, ob die streitige Mischung von Aminosäuren eine Nährstoffzubereitung zur Verabreichung auf anderem Weg als durch den Mund ist.

13 In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein kann, sofern er der Ware innewohnt; ob letzteres zutrifft, muß sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen (Urteil vom 23. März 1972 in der Rechtssache 36/71, Henck, Slg. 1972, 187, Randnr. 4).

14 Daher ist die streitige Mischung in die Tarifnummer 30.03 einzuordnen, wenn sie aufgrund des ihren besonderen Merkmalen innewohnenden Verwendungszwecks zur Herstellung von Infusionslösungen für die parenterale künstliche Ernährung bestimmt war.

15 Aus den Akten ergibt sich, daß es sich bei der Ware "Amino Acid AA Mixture Peco" um ein steriles, pyrogenfreies Pulver aus mehreren dosierten Aminosäuren handelt. Der Begriff der Dosierung hat, so wie ihn der Bundesfinanzhof hier verwendet, nicht dieselbe Bedeutung wie im GZT und in der Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens. Nach der Vorschrift B a zu dieser Nomenklatur sind Waren "dosiert", wenn sie gleichmässig in denjenigen Mengen geteilt sind, in denen sie zu therapeutischen und prophylaktischen Zwecken gebraucht werden sollen. Sie liegen meist als Ampullen, Kapseln, Kügelchen, Pastillen oder Tabletten oder auch als Falzkapseln vor, wenn es sich um Pulver handelt. Der Bundesfinanzhof hat dagegen lediglich festhalten wollen, daß die die Mischung bildenden Aminosäuren in einem genau festgelegten Mischungsverhältnis vorliegen.

16 Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof und dem Inhalt des von Thyssen vor den nationalen Gerichten vorgelegten Gutachtens, auf das sich sowohl Thyssen als auch die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen berufen haben und dem das Hauptzollamt nicht widersprochen hat, ist eine Verwendung der fraglichen Mischung von Aminosäuren im Lebensmittelbereich zwar denkbar, aber wirtschaftlich in hohem Maß unwahrscheinlich, weil die mit hohem Aufwand erzielte weitgehende mikrobiologische und chemische Reinheit sowie die Pyrogenfreiheit der Ware deren Verwendung in diesem Bereich praktisch verbieten. Hierfür gäbe es billigere Möglichkeiten.

17 Da die Verwendung der streitigen Ware zur menschlichen Ernährung durch den Mund eine rein theoretische Möglichkeit darstellt, steht somit fest, daß die fragliche Ware wegen ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften ° Sterilität, Pyrogenfreiheit, weitgehende Reinheit und genaue Dosierung der verschiedenen Aminosäuren ° ihrer Natur nach zu medizinischer Verwendung, genauer: zur Herstellung von Infusionslösungen durch Zusetzung von Wasser, bestimmt ist.

18 Daher ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß der GZT in der Fassung der Verordnung Nr. 3618/86 dahin auszulegen ist, daß ein steriles Pulver für die Herstellung von Infusionslösungen, das aus in einem genau festgelegten Verhältnis miteinander vermischten Aminosäuren besteht, unter die Tarifnummer 30.03 (Tarifstelle 30.03 A II b) fällt.

Kostenentscheidung


Kosten

19 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 19. Oktober 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Der Gemeinsame Zolltarif in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3618/86 des Rates vom 24. November 1986 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3331/85 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif ist dahin auszulegen, daß ein steriles Pulver für die Herstellung von Infusionslösungen, das aus in einem genau festgelegten Verhältnis miteinander vermischten Aminosäuren besteht, unter die Tarifnummer 30.03 (Tarifstelle 30.03 A II b) fällt.

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