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Document 62008CJ0363

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 26. November 2009.
Romana Slanina gegen Unabhängiger Finanzsenat, Außenstelle Wien.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgerichtshof - Österreich.
Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Familienbeihilfe - Versagung - Inländerin, die mit ihrem Kind in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, während der Vater des Kindes im Inland arbeitet.
Rechtssache C-363/08.

European Court Reports 2009 I-11111

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:732

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C‑363/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 25. Juni 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 7. August 2008, in dem Verfahren

Romana Slanina

gegen

Unabhängiger Finanzsenat, Außenstelle Wien

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer J.‑C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Richterin C. Toader sowie der Richter C. W. A. Timmermans, K. Schiemann (Berichterstatter) und P. Kūris,

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von Frau Slanina, vertreten durch Rechtsanwalt M. Tröthandl,

– des Unabhängigen Finanzsenats, Außenstelle Wien, vertreten durch W. Pavlik als Bevollmächtigten,

– der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und M. Winkler als Bevollmächtigte,

– der griechischen Regierung, vertreten durch S. Vodina und O. Patsopoulou als Bevollmächtigte,

– der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz als Bevollmächtigten,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Slanina, einer geschiedenen österreichischen Staatsangehörigen, die ihren Wohnsitz nach Griechenland verlegt hat, und dem Unabhängigen Finanzsenat, Außenstelle Wien, wegen der Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag, die sie in Österreich für ihre Tochter erhalten hatte.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3. In Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 wird der Begriff „Familienangehöriger“ definiert als

„jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, … als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird. …“

4. Gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung Nr. 1408/71

„für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind …, sowie für deren Familienangehöriger und Hinterbliebene“.

5. Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

„(1) Vorbehaltlich des Artikels 14c unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:

a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt …

…“

6. Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 („Arbeitnehmer oder Selbständige, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnen“) lautet:

„Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.“

7. Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 („Prioritätsregeln für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen gemäß den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates und den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Familienangehörigen wohnen“) bestimmt:

„Sind für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen, so ruht der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls gemäß Artikel 73 bzw. 74 geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag.“

8. In dem im Ausgangsrechtsstreit maßgebenden Zeitraum erfolgte Änderungen der Verordnung Nr. 1408/71 sind ohne Bedeutung für die Entscheidung dieses Rechtsstreits.

Nationales Recht

9. Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes betreffend den Familienlastenausgleich durch Beihilfen (Familienlastenausgleichsgesetz) von 1967 (im Folgenden: FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe.

10. § 2 Abs. 2 FLAG bestimmt, dass die Person Anspruch auf Familienbeihilfe hat, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach § 2 Abs. 2 Satz 1 FLAG anspruchsberechtigt ist.

11. Nach § 2 Abs. 8 FLAG haben Personen, die sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland einen Wohnsitz haben, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben und sich die Kinder ständig im Bundesgebiet aufhalten. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

12. § 26 Abs. 1 FLAG bestimmt:

„Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen …“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13. Der Vorlageentscheidung zufolge ist Frau Slanina Mutter einer 1991 geborenen Tochter, Nina. Zu Beginn der Zahlung der Familienbeihilfe an Frau Slanina waren die Voraussetzungen für ihre Gewährung gegeben.

14. Seit Sommer 1997 wohnt Frau Slanina in Griechenland, wo Nina seit Herbst desselben Jahres die Schule besucht. Ninas Vater, der frühere Ehemann von Frau Slanina und österreichischer Staatsangehöriger, wohnt in Österreich und ist dort berufstätig. Der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens kommt allein die Personenobsorge für ihre Tochter zu. Der Vater des Kindes ist zum Unterhalt verpflichtet, zahlt diesen jedoch nicht.

15. Frau Slanina wurde in Österreich im Zeitraum vom 1. Jänner 1998 bis zum 31. Oktober 2003 Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag für ihre Tochter Nina in einer Gesamthöhe von 10 884,95 Euro (7 824,79 Euro Familienbeihilfe und 3 060,16 Euro Kinderabsetzbetrag) gewährt. Diese Beträge wurden mit Bescheid des Finanzamts von Mödling (Österreich) vom 22. Oktober 2003 von ihr zurückgefordert, weil sie sich mit ihrer Tochter seit 1997 ständig in Griechenland aufhalte. Damit sei eine der Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe im Sinne von § 2 Abs. 8 FLAG, nämlich die des Mittelpunkts der Lebensinteressen in Österreich und des ständigen Aufenthalts des Kindes in Österreich, nicht erfüllt.

16. Vor 2001 stand Frau Slanina in Griechenland weder in einem Beschäftigungsverhältnis, noch war sie arbeitslos gemeldet. Sie bestritt ihren Lebensunterhalt durch Zuwendungen von Verwandten und aus Ersparnissen. Seit 2001 geht sie von Mai bis Anfang Oktober jeden Jahres einer saisonalen Beschäftigung als Reiseleiterin bei einem griechischen Unternehmen nach.

17. Die von Frau Slanina gegen den Bescheid des Finanzamts vom 22. Oktober 2003 erhobene Berufung wurde vom selben Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom 9. Dezember 2004 und anschließend mit Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenats, Außenstelle Wien, vom 30. Juni 2005 abgewiesen. Die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens rief daraufhin das vorlegende Gericht an. Sie trug im Wesentlichen vor, sie habe zwar nach österreichischem Recht keinen Anspruch auf Familienbeihilfe, doch sei die Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar. Da der Vater von Nina, ihr früherer Ehemann, in Österreich lebe und arbeite, stehe ihr, Frau Slanina, nach Art. 73 dieser Verordnung die Familienbeihilfe zu, obwohl sie in Griechenland wohne.

18. Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ergibt sich aus der Verordnung Nr. 1408/71, dass die nicht berufstätige geschiedene Ehefrau eines in Österreich wohnhaften und nichtselbständig tätigen Mannes ihren Anspruch auf Familienbeihilfe (für ein Kind) gegenüber Österreich beibehält, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat einen Wohnsitz begründet und dorthin den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen verlegt und wenn sie dort weiterhin nicht berufstätig ist?

2 Kommt für die Beantwortung der Frage 1 dem Umstand Bedeutung zu, dass Österreich, wo der geschiedene Ehemann verbleibt und er ausschließlich wohnhaft und berufstätig ist, diesem Mann unter bestimmten Voraussetzungen den Anspruch auf Familienbeihilfe (für das Kind) einräumt, wenn der Anspruch der geschiedenen Ehefrau nicht mehr besteht?

3. Ergibt sich aus der Verordnung Nr. 1408/71 ein Anspruch der geschiedenen Ehefrau auf Familienbeihilfe (für das Kind) gegenüber Österreich, wo der geschiedene Mann und Kindesvater wohnhaft und berufstätig ist, wenn gegenüber den in der Frage 1 angegebenen Verhältnissen dadurch eine Änderung eintritt, dass die Ehefrau im neuen Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit aufnimmt?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

19. Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass eine geschiedene Person, die von dem zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in dem sie gewohnt hat und in dem ihr früherer Ehegatte weiterhin lebt und arbeitet, Familienbeihilfe erhalten hat, den Anspruch auf diese Beihilfe beibehält, obwohl sie diesen Staat verlässt, um sich mit ihrem Kind in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, in dem sie nicht berufstätig ist, und obwohl der frühere Ehegatte, der Vater des Kindes ist, die betreffende Beihilfe in seinem Wohnstaat beziehen könnte.

20. Aus den Akten ergibt sich, dass Frau Slanina die frühere Ehefrau eines Arbeitnehmers ist, der in dem im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitraum nach Art. 13 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften der Republik Österreich unterlag, des Mitgliedstaats, in dem er eine Erwerbstätigkeit ausübte.

21. Nach Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 hat ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

22. Der Zweck dieses Art. 73 besteht darin, zugunsten der Familienangehörigen eines den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegenden Arbeitnehmers, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, sicherzustellen, dass ihnen die in den anwendbaren Rechtsvorschriften des ersten Staates vorgesehenen Familienleistungen gewährt werden (vgl. Urteile vom 10. Oktober 1996, Hoever und Zachow, C‑245/94 und C‑312/94, Slg. 1996, I‑4895, Randnr. 32, und vom 5. Februar 2002, Humer, C‑255/99, Slg. 2002, I‑1205, Randnr. 39).

23. Auch wenn das vorlegende Gericht den Gerichtshof hierzu nicht befragt hat, ist darauf hinzuweisen, dass der Anspruch auf – entweder an Frau Slanina oder an ihren früheren Ehemann zu zahlende – Familienleistungen auf der Grundlage von Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 tatsächlich unter der Bedingung stand, dass das Kind in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt. Dieser ist in Art. 2 der betreffenden Verordnung definiert. So gilt diese Verordnung nach Art. 2 Abs. 1 u. a. „für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind …, sowie für deren Familienangehöriger und Hinterbliebene“.

24. Der Begriff „Familienangehöriger“ ist in Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 definiert als „jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, … als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen oder dem Studierenden in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird. …“

25. Somit verweist diese Bestimmung in einem ersten Schritt ausdrücklich auf die nationalen Rechtsvorschriften, indem sie als „Familienangehörigen“ jede Person bezeichnet, „die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden“ – im Ausgangsverfahren also in den Vorschriften des FLAG –, „… als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist“.

26. In einem zweiten Schritt führt Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 das Korrektiv ein, dass, sofern „nach diesen [nationalen] Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen [wird], wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen in häuslicher Gemeinschaft lebt, … diese Voraussetzung als erfüllt [gilt], wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird. …“

27. Es ist daher Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die in Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 aufgestellte Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt ist, ob also das Kind, obwohl es in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum nicht bei seinem Vater gelebt hat, im Sinne des nationalen Rechts als „Familienangehöriger“ seines Vaters angesehen werden konnte und, wenn nein, ob sein „Unterhalt … überwiegend“ von seinem Vater „bestritten“ wurde.

28. Aus den Akten, die dem Gerichtshof vorgelegt worden sind, geht hervor, dass der frühere Ehemann von Frau Slanina tatsächlich zur Zahlung von Unterhalt an seine Tochter Nina verpflichtet ist. Dass er ihn nicht gezahlt hat, ist für die Frage, ob das Kind sein Familienangehöriger ist, ohne Bedeutung.

29. Falls das vorlegende Gericht aufgrund seiner Feststellungen zu dem Schluss kommt, dass der Fall, um den es im Ausgangsverfahren geht, in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fiel, stellt sich die Frage, ob sich eine Person in der Lage von Frau Slanina auf Art. 73 dieser Verordnung stützen kann. Das nationale Gericht fragt außerdem, ob sich der Umstand, dass der geschiedene Ehemann in Österreich verblieben ist, wo er berufstätig ist und nach nationalem Recht Anspruch auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistungen hätte, auf den Anspruch einer Person in der Lage von Frau Slanina auf Weiterbezug dieser Leistungen auswirkt.

30. Insoweit ist zunächst hervorzuheben, dass dem Umstand, dass Frau Slanina und ihr früherer Ehemann geschieden sind, keine Bedeutung zukommt. So hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass zwar Familiensituationen nach einer Scheidung von der Verordnung Nr. 1408/71 nicht ausdrücklich erfasst werden, es sich jedoch nicht rechtfertigen lässt, derartige Situationen vom Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen. Die Scheidung hat nämlich regelmäßig zur Folge, dass die Kindesobsorge einem der beiden Elternteile übertragen wird, bei dem das Kind dann seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Es kann jedoch aus unterschiedlichen Gründen, wie etwa als Folge der Scheidung, dazu kommen, dass der Elternteil, dem die Kindesobsorge zukommt, seinen Herkunftsmitgliedstaat verlässt und sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlässt, um dort, wie in der Rechtssache Humer, zu arbeiten oder, wie im Ausgangsverfahren, erst einige Jahre nach Begründung eines Wohnsitzes eine Erwerbstätigkeit auszuüben. In einem solchen Fall wird auch der gewöhnliche Aufenthalt des minderjährigen Kindes in diesen anderen Mitgliedstaat verlegt (vgl. Urteil Humer, Randnrn. 42 und 43).

31. Familienleistungen können schon aufgrund ihrer Natur nicht als Ansprüche betrachtet werden, die einem Einzelnen unabhängig von seiner familiären Situation zustehen. Folglich kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem Leistungsberechtigten um Frau Slanina oder den Arbeitnehmer selbst, nämlich ihren früheren Ehemann, handelt (vgl. Urteil Humer, Randnr. 50).

32. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die ersten beiden Fragen zu antworten, dass Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass eine geschiedene Person, die von dem zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in dem sie gewohnt hat und in dem ihr früherer Ehegatte weiterhin lebt und arbeitet, Familienbeihilfe erhalten hat, für ihr Kind, sofern es als Familienangehöriger des früheren Ehegatten im Sinne von Art. 1 Buchst. f Ziff. i dieser Verordnung anerkannt ist, den Anspruch auf diese Beihilfe beibehält, obwohl sie diesen Staat verlässt, um sich mit ihrem Kind in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, in dem sie nicht berufstätig ist, und obwohl der frühere Ehegatte die betreffende Beihilfe in seinem Wohnmitgliedstaat beziehen könnte.

Zur dritten Frage

33. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich der Umstand, dass Frau Slanina in Griechenland eine Berufstätigkeit aufgenommen hat, auf ihren Anspruch auf Familienbeihilfe in Österreich ausgewirkt hat.

34. Falls sich herausstellt, dass die Ausübung der betreffenden Berufstätigkeit tatsächlich in Griechenland einen Anspruch auf Familienleistungen begründet hat, die den in Österreich gewährten gleichwertig sind, müsste diese Frage bejaht werden.

35. Den Erklärungen der griechischen Regierung und der Kommission ist zu entnehmen, dass nach den griechischen Rechtsvorschriften nur bestimmten Arbeitnehmern Familienleistungen gewährt werden. Ihre Zahlung ist also immer an ein Arbeitsverhältnis geknüpft; ein Wohnsitz in Griechenland reicht als solcher nicht aus. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob Frau Slanina dadurch, dass sie in der Hellenischen Republik berufstätig war, einen Anspruch auf Familienleistungen in diesem Mitgliedstaat erworben hat.

36. Sollte sich herausstellen, dass dies der Fall war, wäre die in Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehene „Antikumulierungs“‑Regel anzuwenden. Diese Bestimmung soll den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen regeln, die nach Art. 73 dieser Verordnung und nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Wohnstaats der Familienangehörigen, die den Anspruch auf Familienleistungen wegen Ausübung einer Erwerbstätigkeit begründen, geschuldet werden (vgl. Urteil vom 7. Juni 2005, Dodl und Oberhollenzer, C‑543/03, Slg. 2005, I‑5049, Randnr. 53).

37. Nach Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 wäre daher vorrangig die Hellenische Republik als Mitgliedstaat des Wohnsitzes von Nina und ihrer Mutter zur Gewährung von Familienleistungen verpflichtet gewesen. Der Anspruch auf die österreichischen Familienleistungen aufgrund von Art. 73 dieser Verordnung hätte daher in Höhe des von den griechischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags geruht.

38. Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass, wenn eine Person, die sich in einer Situation wie derjenigen der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens befindet, im Mitgliedstaat ihres Wohnsitzes eine Berufstätigkeit ausübt, die tatsächlich einen Anspruch auf Familienleistungen begründet, gemäß Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem ihr früherer Ehegatte berufstätig ist, geschuldeten Familienleistungen bis zur Höhe des in den Rechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Betrags ruht.

Kosten

39. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine geschiedene Person, die von dem zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in dem sie gewohnt hat und in dem ihr früherer Ehegatte weiterhin lebt und arbeitet, Familienbeihilfe erhalten hat, für ihr Kind, sofern es als Familienangehöriger des früheren Ehegatten im Sinne von Art. 1 Buchst. f Ziff. i dieser Verordnung anerkannt ist, den Anspruch auf diese Beihilfe beibehält, obwohl sie diesen Staat verlässt, um sich mit ihrem Kind in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, in dem sie nicht berufstätig ist, und obwohl der frühere Ehegatte die betreffende Beihilfe in seinem Wohnmitgliedstaat beziehen könnte.

2. Übt eine Person, die sich in einer Situation wie derjenigen der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens befindet, im Mitgliedstaat ihres Wohnsitzes eine Berufstätigkeit aus, die tatsächlich einen Anspruch auf Familienleistungen begründet, so ruht gemäß Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem ihr früherer Ehegatte berufstätig ist, geschuldeten Familienleistungen bis zur Höhe des in den Rechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Betrags.

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