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Document 62009CJ0049

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 28. Oktober 2010.
Europäische Kommission gegen Republik Polen.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Mehrwertsteuer - Richtlinie 2006/112/EG - Späterer Beitritt von Mitgliedstaaten - Übergangsbestimmungen - Zeitliche Geltung - Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes - Säuglingsbekleidung, Bekleidungszubehör für Säuglinge und Kinderschuhe.
Rechtssache C-49/09.

European Court Reports 2010 I-10619

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:644

Rechtssache C‑49/09

Europäische Kommission

gegen

Republik Polen

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Späterer Beitritt von Mitgliedstaaten – Übergangsbestimmungen – Zeitliche Geltung – Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes – Säuglingsbekleidung, Bekleidungszubehör für Säuglinge und Kinderschuhe“

Leitsätze des Urteils

Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Befugnis der Mitgliedstaaten, während einer Übergangszeit einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden

(Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 98, Art. 115 und Anhang III)

Ein Mitgliedstaat, der den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % auf die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Säuglingskleidung, Bekleidungszubehör für Säuglinge und Kinderschuhen anwendet, obwohl er am 1. Januar 1991 weder eine Mehrwertsteuer im Sinne der Richtlinie 2006/112 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem noch ein Besteuerungssystem mit den wesentlichen Merkmalen der Mehrwertsteuer anwandte und die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 115 dieser Richtlinie daher nicht vorlagen, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 98 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2006/112.

Die in Art. 115 vorgesehene abweichende Regelung greift nämlich nur, wenn zwei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind. Erstens musste der betreffende Mitgliedstaat am 1. Januar 1991 eine Mehrwertsteuer im Sinne der Richtlinie 2006/112 oder wenigstens eine Besteuerungsregelung mit den gleichen Merkmalen wie das gemeinsame Mehrwertsteuersystem anwenden. Zweitens musste im Rahmen dieser Besteuerung für die von diesem Artikel erfassten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen am 1. Januar 1991 ein ermäßigter Satz gelten.

(vgl. Randnrn. 42, 54, 57 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

28. Oktober 2010(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Späterer Beitritt von Mitgliedstaaten – Übergangsbestimmungen – Zeitliche Geltung – Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes – Säuglingsbekleidung, Bekleidungszubehör für Säuglinge und Kinderschuhe“

In der Rechtssache C‑49/09

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 2. Februar 2009,

Europäische Kommission, vertreten durch D. Triantafyllou und K. Herrmann als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Republik Polen, vertreten durch M. Szpunar, M. Dowgielewicz, M. Jarosz und A. Rutkowska als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und J. Malenovský,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 2010,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. Juni 2010

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 98 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) verstoßen hat, dass sie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % auf die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Säuglingskleidung, Bekleidungszubehör für Säuglinge und Kinderschuhen angewandt hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

2        Durch die Richtlinie 2006/112 ist die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) mit Wirkung zum 1. Januar 2007 aufgehoben und ersetzt worden.

3        Art. 96 der Richtlinie 2006/112, der Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie entspricht, lautet:

„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“

4        Art. 97 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2010 muss der Normalsatz mindestens 15 % betragen.“

5        In Art. 98 Abs. 1 und 2 der Richtlinie heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.

(2)      Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.

…“

6        Gemäß Art. 99 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 werden die ermäßigten Steuersätze als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festgesetzt, der mindestens 5 % betragen muss.

7        Die Art. 109 ff. der Richtlinie 2006/112 regeln die Bedingungen, unter denen bestimmte Mitgliedstaaten bis zur Einführung einer endgültigen Mehrwertsteuerregelung verschiedene Maßnahmen im Bereich der ermäßigten Steuersätze anwenden können. Diese Maßnahmen betreffen die Anwendung ermäßigter Steuersätze von weniger als 5 %, die Beibehaltung ermäßigter Steuersätze auf andere als die in Anhang III der Richtlinie 2006/112 aufgeführten Gegenstände und Dienstleistungen oder auch die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes von mindestens 12 %.

8        Art. 114 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Mitgliedstaaten, die am 1. Januar 1993 verpflichtet waren, den von ihnen am 1. Januar 1991 angewandten Normalsatz um mehr als 2 % heraufzusetzen, können auf die Lieferungen von Gegenständen und auf Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien einen ermäßigten Satz anwenden, der unter dem in Artikel 99 festgelegten Mindestsatz liegt.

Ferner können die in Unterabsatz 1 genannten Mitgliedstaaten einen solchen Satz auf Dienstleistungen im Gaststättengewerbe, auf Kinderbekleidung und Kinderschuhe sowie auf Wohnungen anwenden.“

9        Art. 115 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Mitgliedstaaten, die am 1. Januar 1991 auf Dienstleistungen im Gaststättengewerbe, auf Kinderbekleidung und Kinderschuhe sowie auf Wohnungen einen ermäßigten Satz angewandt haben, können diesen Satz weiter anwenden.“

10      Unter Titel VIII („Befristete Bestimmungen“) der Richtlinie 2006/112 enthält Kapitel 5 in den Art. 123 bis 130 Regelungen, die bestimmten, am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetretenen Mitgliedstaaten die Gewährung einer Steuerbefreiung mit Recht auf Vorsteuerabzug auf die Lieferung bestimmter Gegenstände sowie die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf bestimmte Gegenstände gestatten.

11      Was die Republik Polen angeht, bestimmt Art. 128 der Richtlinie 2006/112:

„(1)      Polen darf bis zum 31. Dezember 2007 eine Steuerbefreiung mit Recht auf Vorsteuerabzug auf die Lieferungen von bestimmten Büchern und Fachzeitschriften beibehalten.

(2)      Polen darf bis zum 31. Dezember 2007 bzw. bis zur Einführung der in Artikel 402 genannten endgültigen Regelung – je nachdem, welcher Zeitpunkt der frühere ist – einen ermäßigten Satz von mindestens 7 % auf Leistungen im Gaststättengewerbe beibehalten.

(3)      Polen darf bis zum 30. April 2008 einen ermäßigten Satz von mindestens 3 % auf die in Anhang III Nummer 1 genannte Lieferung von Nahrungsmitteln beibehalten.

(4)      Polen darf bis zum 30. April 2008 einen ermäßigten Satz von mindestens 3 % auf die in Anhang III Nummer 11 genannte Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden, beibehalten.

(5)      Polen darf bis zum 31. Dezember 2007 einen ermäßigten Satz von mindestens 7 % auf die Erbringung von Dienstleistungen für die Errichtung, die Renovierung und den Umbau von Wohnungen in einem nicht sozialpolitischen Kontext, ausgenommen Baumaterial, und auf die Lieferung der in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a genannten Wohngebäude oder Teile von Wohngebäuden, die vor dem Erstbezug geliefert werden, beibehalten.“

12      Diese Abweichungen wurden im Rahmen der Verhandlungen festgelegt, die der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2003, L 236, S. 33, im Folgenden: Beitrittsakte) vorausgingen. Sie befinden sich in Kapitel 9 Nr. 1 Buchst. a bis c des Anhangs XII der Beitrittsakte.

13      Art. 24 der Beitrittsakte lautet:

„Die in den Anhängen V, VI, VII, VIII, IX, X, XI, XII, XIII und XIV zu dieser Akte aufgeführten Maßnahmen finden auf die neuen Mitgliedstaaten unter den in diesen Anhängen festgelegten Bedingungen Anwendung.“

14      Anhang XII der Beitrittsakte trägt die Überschrift „Liste nach Artikel 24 der Beitrittsakte: Polen“. Nach Kapitel 9 („Steuerwesen“) Nr. 1 dieses Anhangs sind die Regelungen über das Gemeinsame Mehrwertsteuersystem wie folgt anwendbar:

„31977 L 0388: Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145 …, S. 1), zuletzt geändert durch:

–        32002 L 0038: Richtlinie 2002/38/EG des Rates vom 7.5.2002 (ABl. L 128 …, S. 41).

a)      Abweichend von Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 77/388/EWG kann Polen i) bis zum 31. Dezember 2007 eine Steuerbefreiung mit Erstattung der auf der vorangegangenen Stufe entrichteten Steuern auf die Lieferung von bestimmten Büchern und Fachzeitschriften und ii) einen ermäßigten MWSt-Satz von nicht weniger als 7 % auf Leistungen im Gaststättengewerbe bis zum 31. Dezember 2007 bzw. bis zum Ende der in Artikel 28 l der Richtlinie erwähnten Übergangszeit beibehalten, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist.

b)      Abweichend von Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 77/388/EWG kann Polen folgende Steuersätze beibehalten: i) bis zum 30. April 2008 einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz von mindestens 3 % auf Nahrungsmittel (einschließlich Getränken, jedoch ohne alkoholische Getränke) und Futtermittel; lebende Tiere, Samen, Pflanzen und Zutaten, die in der Regel zur Zubereitung von Nahrungsmitteln bestimmt sind; Erzeugnisse, die in der Regel zur Ergänzung oder zum Ersatz von Nahrungsmitteln bestimmt sind; auf die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden gemäß Anhang H Nummern 1 und 10 der Richtlinie; ii) bis zum 31. Dezember 2007 einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz von mindestens 7 % auf die Erbringung von Dienstleistungen für die Errichtung, die Renovierung und den Umbau von Wohnungen, mit Ausnahme von Baumaterial, die nicht im Rahmen sozialpolitischer Maßnahmen erfolgt, und für Wohngebäude oder Teile von Wohngebäuden, die vor dem Erstbezug im Sinne des Artikels 4 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie geliefert werden.

c)      Bei der Anwendung von Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 77/388/EWG kann Polen eine Mehrwertsteuerbefreiung für den internationalen Personenverkehr gemäß Anhang F Nummer 17 der Richtlinie beibehalten, solange dieselbe Befreiung in einem der derzeitigen Mitgliedstaaten angewandt wird oder, falls dies früher eintritt, bis die Bedingung gemäß Artikel 28 Absatz 4 der Richtlinie erfüllt ist.“

 Nationales Recht

15      Gemäß Art. 41 des Mehrwertsteuergesetzes vom 11. März 2004 (Dz. U. 2004, Nr. 54, Pos. 535) in geänderter Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) beträgt der normale Mehrwertsteuersatz 22 %, von dem jedoch abgewichen werden kann. Dementsprechend sieht Art. 41 Abs. 2 des Mehrwertsteuergesetzes einen ermäßigten Steuersatz von 7 % für die in Anhang III genannten Gegenstände und Dienstleistungen vor.

16      Anhang III des Mehrwertsteuergesetzes führt unter Nr. 45 „Säuglingsbekleidung und Bekleidungszubehör für Säuglinge“ auf sowie unter Nr. 47 „Kinderschuhe“.

 Vorverfahren

17      Die Kommission ist der Ansicht, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von 7 % auf die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Säuglingsbekleidung, Bekleidungszubehör für Säuglinge und Kinderschuhen gegen Art. 98 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2006/112 verstößt, und hat deshalb beschlossen, das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG einzuleiten. Mit Schreiben vom 23. März 2007 forderte sie die Republik Polen zur Stellungnahme auf.

18      In ihrer Antwort vom 22. Mai 2007 machte die Republik Polen geltend, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die betreffenden Gegenstände zu den Maßnahmen gehöre, mit denen Familien unterstützt und die Geburtenrate in Polen erhöht werden sollten und die sich in die Ziele der „Lissabon‑Strategie“ einfügten. Sie verwies außerdem auf die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf dieselben Gegenstände in Irland, Luxemburg und dem Vereinigten Königreich. Schließlich vertrat sie die Auffassung, dass im Hinblick auf die zeitlich begrenzte Anwendung des streitigen ermäßigten Satzes keine Wettbewerbsverzerrung vorliege.

19      Da die Kommission diese Antwort nicht für überzeugend hielt, richtete sie am 1. Februar 2008 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Polen, in der sie diese aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrem Eingang nachzukommen.

20      Mit Schreiben vom 31. Mai 2008 wiederholte die Republik Polen ihren Standpunkt.

21      Da die Kommission von den Argumenten der Republik Polen nicht überzeugt war, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

 Zur Klage

 Vorbringen der Parteien

22      Die Kommission wirft der Republik Polen vor, unter Verstoß gegen Art. 98 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2006/112 einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % auf die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Säuglingsbekleidung, Bekleidungszubehör für Säuglinge und Kinderschuhen anzuwenden.

23      Die Kommission weist darauf hin, dass das Ziel der Richtlinie 2006/112 eine Harmonisierung der Mehrwertsteuer sei. Da der ermäßigte Mehrwertsteuersatz eine Ausnahme von der Regel darstelle, müsse seine Anwendung auf die in der Richtlinie ausdrücklich erwähnten konkreten und spezifischen Fälle beschränkt werden.

24      Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 bestimme unmissverständlich, dass die ermäßigten Steuersätze nur auf die Lieferungen von Gegenständen der in Anhang III der Richtlinie genannten Kategorien anwendbar seien; weder „Säuglingsbekleidung und Bekleidungszubehör für Säuglinge“ noch „Kinderschuhe“ seien dort erwähnt.

25      Der Umstand, dass bestimmte Mitgliedstaaten aufgrund der Art. 114 und 115 der Richtlinie 2006/112 einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für die betreffenden Waren beibehalten hätten, wenn sie ihn am 1. Januar 1991 angewandt hätten, könne nicht herangezogen werden, um auch der Republik Polen die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die genannten Gegenstände zu gestatten.

26      Art. 115 der Richtlinie 2006/112, der Art. 28 Abs. 2 Buchst. d der Sechsten Richtlinie in der durch die Richtlinie 92/77/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 (ABl. L 316, S. 1) geänderten Fassung entspreche, richte sich nach seiner ratio legis nur an diejenigen Mitgliedstaaten, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie 92/77 zur Europäischen Gemeinschaft gehört hätten, und gestatte diesen, abweichend die ermäßigten Mehrwertsteuersätze beizubehalten, sofern diese Sätze in den betreffenden Mitgliedstaaten am 1. Januar 1991 angewandt worden seien (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2001, Adam, C‑267/99, Slg. 2001, I‑7467, Randnr. 34).

27      Die Republik Polen habe zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie 92/77 nicht zu den Mitgliedstaaten gehört, und die Beitrittsakte bestimme nicht, dass ihr die Übergangsbestimmungen der Art. 114 und 115 der Richtlinie 2006/112 zugutekommen könnten (vgl. entsprechend Urteil vom 7. März 2002, Kommission/Finnland, C‑169/00, Slg. 2002, I‑2433, Randnr. 30).

28      Hilfsweise trägt die Kommission vor, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 115 der Richtlinie 2006/112 jedenfalls nicht erfüllt seien.

29      Zum einen handele es sich bei der Steuer, die mit dem Gesetz vom 16. Dezember 1972 über die Umsatzsteuer (Einheitlicher Text: Dz. U. 1983, Nr. 43, Pos. 191) in geänderter Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 16. Dezember 1972) eingeführt worden sei, nicht um eine Mehrwertsteuer im Sinne von Art. 115 der Richtlinie 2006/112.

30      Zum anderen habe die Republik Polen am 1. Januar 1991 keinen ermäßigten Steuersatz auf die betreffenden Waren angewandt.

31      Die Republik Polen führt aus, dass sie nach dem Unionsrecht und insbesondere Art. 115 der Richtlinie 2006/112 berechtigt sei, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf die fraglichen Waren anzuwenden, und dass diese Befugnis durch soziale Erwägungen gestärkt werde, die mit den allgemeinen Zielen der Union in Einklang stünden.

32      Zwar könne die politische Lage, in der sich ein Mitgliedstaat im Laufe der Verhandlungen über die Bedingungen seines Beitritts befinde, diesen Staat veranlassen, im Beitrittsvertrag ausdrücklich die Befreiungstatbestände anzugeben, die unter sozialen Gesichtspunkten besonders sensibel seien oder vor dem Beitritt erhebliche Diskussionen auslösten; das stütze aber nicht die These, dass ein Mitgliedstaat, der ihren Inhalt nicht in die Bestimmungen der Beitrittsakte habe aufnehmen lassen, nicht befugt sei, Art. 115 der Richtlinie 2006/112 anzuwenden.

33      In Polen sei am 1. Januar 1991 nach dem Gesetz vom 16. Dezember 1972 ein ermäßigter Steuersatz für den Verkauf von Gegenständen, darunter Kinderbekleidung und Kinderschuhe, angewandt worden. Der Mechanismus der Mehrwertsteuer in Polen, der anschließend mit Inkrafttreten des Gesetzes vom 8. Januar 1993 über die Steuer auf Waren und Dienstleistungen (Dz. U. 1993, Nr. 11, Pos. 50) in geänderter Fassung eingeführt worden sei, stehe dem der Union sehr nahe, da er diesem nachgebildet worden sei. Die Republik Polen habe demnach immer einen ermäßigten Steuersatz von 7 % auf diese Gegenstände angewandt. Somit erfülle sie die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 28 Abs. 2 Buchst. d der Sechsten Richtlinie und folglich von Art. 115 der Richtlinie 2006/112, auch wenn die betreffende Bestimmung nicht in die Beitrittsakte übernommen worden sei.

34      Soweit die Kommission vorbringe, dass die Beitrittsakte keine Bestimmungen für die fraglichen Gegenstände enthalte, die Art. 115 der Richtlinie 2006/112 entsprächen, während sich dort Bestimmungen in diesem Sinne fänden, was die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf Leistungen im Gaststättengewerbe und auf Wohnungen angehe, handele es sich um ein unzulässiges argumentum e contrario. Daraus, dass bestimmte Vorschriften, in denen Gegenstände und Dienstleistungen erwähnt seien, für die aufgrund von Abweichungen von den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gelte, in die Beitrittsakte übernommen worden seien, könne nicht geschlossen werden, dass andere Gegenstände und Dienstleistungen, die ausschließlich in den Bestimmungen des abgeleiteten Rechts erwähnt würden, nicht diesem Satz unterworfen werden könnten. Die Übernahme von Bestimmungen des abgeleiteten Rechts in die Beitrittsakte könne nur deklaratorischen Wert haben.

35      Würde den „neuen“ Mitgliedstaaten die Befugnis verweigert, Art. 115 der Richtlinie 2006/112 anzuwenden, hätte dies eine Vorzugsbehandlung der „alten“ Mitgliedstaaten zur Folge. Erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Höhe der Besteuerung – in der Größenordnung von 10 Prozentpunkten des Mehrwertsteuersatzes – führten zu Preisabweichungen unter denselben Waren in den einzelnen Mitgliedstaaten, was nach den Erwägungsgründen 4 und 7 der Richtlinie den innergemeinschaftlichen Wettbewerb verfälschen würde.

36      Die Beibehaltung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes müsse aus sozialen Gründen zugelassen werden; diese stimmten mit den Zielen der Union überein, zu denen nicht nur das Wirtschaftswachstum, sondern auch der soziale Fortschritt gehörten.

37      Ziel der Abweichungen von den Bestimmungen der Richtlinie 2006/112 sei es, wie aus ihrem sechsten Erwägungsgrund und der Rechtsprechung hervorgehe, die nachteiligen Folgen einer zu strikten Harmonisierung auf Wirtschaft und Gesellschaft so weit wie möglich zu mindern (vgl. entsprechend Urteile vom 6. Juli 2006, Talacre Beach Caravan Sales, C‑251/05, Slg. 2006, I‑6269, Randnr. 22, und vom 10. April 2008, Marks & Spencer, C‑309/06, Slg. 2008, I‑2283, Randnr. 24).

38      Insoweit erinnert die Republik Polen daran, dass sie schon im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen habe, dass die Beibehaltung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die betreffenden Waren unter dem Gesichtspunkt ihres Wirtschaftswachstums, vor allem aber im Hinblick auf Maßnahmen zur wirksamen Erhöhung der Geburtenrate in Polen äußerst wichtig sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

39      Es steht fest, dass die Republik Polen bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % auf die fraglichen Gegenstände anwandte und diese nicht zu den in Anhang III der Richtlinie 2006/112 genannten Kategorien von Gegenständen und Dienstleistungen gehören, auf die nach Art. 98 der Richtlinie die ermäßigten Steuersätze ausschließlich anwendbar sind. Fest steht außerdem, dass die Beitrittsakte insoweit keine Abweichung vorsieht.

40      Die Republik Polen macht jedoch geltend, dass diese Besteuerung zu einem ermäßigten Satz nach Art. 115 der Richtlinie 2006/112 zulässig sei. Die Kommission trägt vor, dass diese Bestimmung nur für diejenigen Mitgliedstaaten gelte, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie 92/77 der Gemeinschaft angehört hätten, und führt hilfsweise aus, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 115 hier nicht vorlägen.

41      Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 115 der Richtlinie 2006/112 eine ursprünglich mit der Richtlinie 92/77 als Art. 28 Abs. 2 Buchst. d in die Sechste Richtlinie eingefügte Übergangsbestimmung ist, die es den Mitgliedstaaten, die zur Anpassung ihres Mehrwertsteuersystems hinsichtlich der Anzahl und der Höhe der harmonisierten Sätze verpflichtet waren, ausnahmsweise gestattet, die ermäßigten Mehrwertsteuersätze beizubehalten, die sie auf bestimmte Waren und Dienstleistungen anwandten, sofern diese Sätze in den betreffenden Mitgliedstaaten am 1. Januar 1991 angewandt wurden. Da es sich um eine abweichende Regelung mit Übergangscharakter handelt, muss Art. 115 der Richtlinie 2006/112 eng ausgelegt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Juni 2008, Kommission/Portugal, C‑462/05, Slg. 2008, I‑4183, Randnr. 54).

42      Hierzu genügt die Feststellung, dass die in Art. 115 vorgesehene abweichende Regelung nur greift, wenn zwei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind. Erstens musste der betreffende Mitgliedstaat am 1. Januar 1991 eine Mehrwertsteuer im Sinne der Richtlinie 2006/112 oder wenigstens eine Besteuerungsregelung mit den gleichen Merkmalen wie das gemeinsame Mehrwertsteuersystem anwenden. Zweitens musste im Rahmen dieser Besteuerung für die von diesem Artikel erfassten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen am 1. Januar 1991 ein ermäßigter Satz gelten.

43      Zur ersten Voraussetzung hat die Republik Polen angegeben, dass sie das gemeinsame Mehrwertsteuersystem erst mit dem Mehrwertsteuergesetz in ihre nationalen Rechtsvorschriften übernommen habe. Daher ist zu prüfen, ob die polnische Steuer, die im Gesetz vom 16. Dezember 1972 in seiner am 1. Januar 1991 geltenden Fassung vorgesehen war, zumindest als eine der Mehrwertsteuer entsprechende Abgabe angesehen werden kann.

44      Insoweit ist zu beachten, dass das gemeinsame Mehrwertsteuersystem auf dem Grundsatz beruht, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen bis zur Einzelhandelsstufe einschließlich, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist. Jedoch wird bei allen Umsätzen die Mehrwertsteuer nur abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat. Der Mechanismus des Vorsteuerabzugs ist so ausgestaltet, dass die Steuerpflichtigen befugt sind, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, mit der die Gegenstände oder Dienstleistungen auf der Vorstufe belastet worden sind, und dass diese Steuer auf jeder Stufe nur den Mehrwert besteuert und letztlich vom Endverbraucher getragen wird (vgl. Urteil vom 3. Oktober 2006, Banca popolare di Cremona, C‑475/03, Slg. 2006, I‑9373, Randnrn. 21 und 22).

45      Der Gerichtshof hat im Einzelnen erläutert, welches die wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer sind. Ungeachtet einiger redaktioneller Unterschiede ergeben sich aus seiner Rechtsprechung vier solche Merkmale: allgemeine Geltung der Steuer für alle sich auf Gegenstände oder Dienstleistungen beziehenden Geschäfte; Festsetzung ihrer Höhe proportional zum Preis, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für die Gegenstände und Dienstleistungen erhält; Erhebung der Steuer auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe einschließlich der Einzelhandelsstufe, ungeachtet der Zahl der vorher bewirkten Umsätze; Abzug der auf den vorhergehenden Stufen bereits entrichteten Beträge von der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Steuer, so dass sich die Steuer auf einer bestimmten Stufe nur auf den auf dieser Stufe hinzugefügten Mehrwert bezieht und die Belastung letztlich vom Verbraucher getragen wird (vgl. Urteile Banca popolare di Cremona, Randnr. 28, und vom 11. Oktober 2007, KÖGÁZ u. a., C‑283/06 und C‑312/06, Slg. 2007, I‑8463, Randnr. 37).

46      Fehlt es einer Steuer auch nur an einem dieser wesentlichen Merkmale, kann sie nicht als der Mehrwertsteuer entsprechend angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 5. Februar 2009, UAB Mechel Nemunas, C‑119/08, Randnr. 37).

47      Im vorliegenden Fall ist im Hinblick auf das zweite wesentliche Merkmal der Mehrwertsteuer festzustellen, dass im Gegensatz zur Mehrwertsteuer, die für jeden einzelnen Umsatz auf der Absatzstufe erhoben wird und deren Höhe proportional zum Preis der gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sein muss (vgl. Urteil KÖGÁZ u. a., Randnr. 39), den Art. 4 und 5 des Gesetzes vom 16. Dezember 1972 zu entnehmen ist, dass sich die am 1. Januar 1991 erhobene polnische Steuer nach dem Bruttoumsatz bemaß, den der Steuerpflichtige im Laufe eines bestimmten Zeitraums erzielte.

48      Da die polnische Steuer somit nach dem Umsatz in einem bestimmten Zeitraum berechnet wurde, ließ sich der Betrag dieser bei jedem einzelnen Verkauf einer Ware eventuell auf den Kunden abgewälzten Steuer nicht genau bestimmen, so dass die Voraussetzung der Proportionalität dieses Betrags zu den Preisen, die der Steuerpflichtige als Gegenleistung erhält, nicht erfüllt ist (vgl. Urteil KÖGÁZ u. a., Randnr. 40).

49      Sodann ist in Bezug auf das vierte wesentliche Merkmal der Mehrwertsteuer festzustellen, dass der Mechanismus der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuer den Abzug der geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer für Gegenstände oder Dienstleistungen vorsieht, die für Zwecke der besteuerten Umsätze verwendet werden, damit die Steuer nur den auf einer bestimmten Produktions‑ oder Vertriebsstufe vorhandenen Mehrwert besteuert, dass den Angaben der Parteien in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofs und der Erörterung in der mündlichen Verhandlung aber zu entnehmen ist, dass das Gesetz vom 16. Dezember 1972 kein Recht auf Vorsteuerabzug vorsah, sondern nur dazu berechtigte, von der allgemeinen Steuer auf die nachgelagerten Umsätze die Steuern abzuziehen, die zuvor auf bestimmte Materialien oder Grundstoffe erhoben worden waren. Die betreffende Steuer wurde somit nicht auf den Mehrwert der Gegenstände oder Dienstleistungen angewandt, sondern auf den Gesamtbetrag der erzielten Einkünfte.

50      Die Republik Polen macht jedoch geltend, dass nach Art. 9 der Verordnung des Ministers der Finanzen vom 17. April 1990 (Dz. U. 1990, Nr. 27, Pos. 156) der Verkauf von Versorgungs‑ und Investitionsgütern sowie Vorprodukten grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit gewesen sei.

51      Zwar trifft es zu, dass das Bestehen von Unterschieden bei der Berechnungsmethode für den Abzug der bereits entrichteten Steuer einer Steuer kein wesentliches Merkmal der Mehrwertsteuer nimmt, wenn solche Unterschiede eher technischer Art und kein Hinderungsgrund dafür sind, dass die betreffende Steuer im Wesentlichen wie die Mehrwertsteuer funktioniert, doch gilt dies nicht für eine Steuer, die die Produktionstätigkeiten in einer Weise belastet, dass nicht sicher ist, dass sie wie eine Verbrauchsteuer von der Art der Mehrwertsteuer letztlich vom Endverbraucher getragen wird (Urteil Banca Popolare di Cremona, Randnr. 31).

52      Insbesondere aufgrund der unklaren Wirkungsweise der verschiedenen aufeinanderfolgenden Befreiungen und Besteuerungen ist hier jedoch weder sicher, dass die polnische Umsatzsteuer letztlich in einer für eine Verbrauchsteuer von der Art der Mehrwertsteuer charakteristischen Weise vom Endverbraucher getragen wurde, noch, dass sie zu demselben Ergebnis wie diese führte.

53      Folglich erfüllte die am 1. Januar 1991 in Polen geltende Umsatzsteuer nicht die wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer.

54      Da die Republik Polen am 1. Januar 1991 weder eine Mehrwertsteuer im Sinne der Richtlinie 2006/112 noch ein Besteuerungssystem mit den wesentlichen Merkmalen der Mehrwertsteuer anwandte, liegen die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 115 der Richtlinie 2006/112 nicht vor.

55      Demnach hätte die Republik Polen den Mehrwertsteuer‑Normalsatz auf die fraglichen Gegenstände anwenden müssen.

56      Soweit die Republik Polen schließlich ein selbständiges Verteidigungsmittel dahin geltend macht, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die betreffenden Gegenstände die Geburtenrate in Polen steigern solle und dazu beitrage, im Geist der Lissabon‑Strategie das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen, genügt die Feststellung, dass derartige gesellschaftspolitische Erwägungen zwar möglicherweise die Gewährung einer abweichenden Regelung im Wege einer Änderung der Richtlinie 2006/112 durch den Rat der Europäischen Union rechtfertigen, aber in rechtlicher Hinsicht im Rahmen der vorliegenden Vertragsverletzungsklage keinen Verstoß dieses Mitgliedstaats gegen Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 rechtfertigen können.

57      Daher ist festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 98 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2006/112 verstoßen hat, dass sie den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % auf die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Säuglingskleidung, Bekleidungszubehör für Säuglinge und Kinderschuhen angewandt hat.

 Kosten

58      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Republik Polen mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 98 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verstoßen, dass sie den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % auf die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Säuglingskleidung, Bekleidungszubehör für Säuglinge und Kinderschuhen angewandt hat.

2.      Die Republik Polen trägt die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Polnisch.

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