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Document 62010CJ0152

Urteil des Gerichtshofes (Siebte Kammer) vom 16. Juni 2011.
Unomedical A/S gegen Skatteministeriet.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Højesteret - Dänemark.
Gemeinsamer Zolltarif - Tarifierung - Kombinierte Nomenklatur - Dialysesammelbeutel aus Kunststoff, die ausschließlich für Dialysegeräte (künstliche Nieren) bestimmt sind - Urinsammelbeutel aus Kunststoff, die ausschließlich für Katheter bestimmt sind - Positionen 9018 und 3926 - Begriff ‚Teile‘ und ‚Zubehör‘ - Andere Waren aus Kunststoffen.
Rechtssache C-152/10.

Sammlung der Rechtsprechung 2011 I-05433

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:402

Rechtssache C–152/10

Unomedical A/S

gegen

Skatteministeriet

(Vorabentscheidungsersuchen des Højesteret)

„Gemeinsamer Zolltarif – Tarifierung – Kombinierte Nomenklatur – Dialysesammelbeutel aus Kunststoff, die ausschließlich für Dialysegeräte (künstliche Nieren) bestimmt sind – Urinsammelbeutel aus Kunststoff, die ausschließlich für Katheter bestimmt sind – Positionen 9018 und 3926 – Begriff ‚Teile‘ und ‚Zubehör‘ – Andere Waren aus Kunststoffen“

Leitsätze des Urteils

1.        Gemeinsamer Zolltarif – Tarifpositionen – Dialysesammelbeutel aus Kunststoff, der ausschließlich in Verbindung mit einem Dialysegerät (künstliche Niere) verwendet wird – Urinsammelbeutel, der aus Kunststoffen hergestellt und nur zusammen mit einem Katheter verwendet wird

(Verordnung des Rates Nr. 2658/87, Anhang I)

2.        Gemeinsamer Zolltarif – Tarifpositionen – Auslegung – Heranziehung der Tarifavise des Ausschusses für den Zollkodex und der Weltzollorganisation


1.        Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif ist dahin auszulegen, dass ein aus Kunststoffen hergestellter Dialysebeutel, der speziell für die Verwendung zusammen mit einem Dialysegerät (künstliche Niere) konzipiert worden ist und nur in dieser Weise verwendet werden kann, von Mai 2001 bis Dezember 2003 als „Kunststoffe oder Ware daraus“ in Unterposition 3926 90 99 dieser Nomenklatur einzureihen war und dass ein Urinsammelbeutel, der aus Kunststoffen hergestellt und speziell für die Benutzung zusammen mit einem Katheter konzipiert worden ist und daher nur in dieser Weise verwendet werden kann, in demselben Zeitraum als „Kunststoffe oder Waren daraus“ in Unterposition 3926 90 99 dieser Nomenklatur einzureihen war. Keine dieser Waren kann als „Teil“ oder „Zubehör“ eines Katheters (Unterposition 9018 39 00) oder eines Dialysegeräts (künstliche Niere) (Unterposition 9018 90 30) eingestuft werden, da zum einen weder der Urinsammelbeutel für Katheter noch der Sammelbeutel für Dialysegeräte für die Funktion solcher Instrumente oder Geräte unabdingbar ist und es zum anderen diese Beutel nicht erlauben, die erwähnten Instrumente und Geräte für die Ausführung einer bestimmten Arbeit geeignet zu machen, ihre Verwendungsmöglichkeiten nicht erweitern und nicht dazu führen, dass mit ihrer Hilfe eine im Zusammenhang mit deren Hauptfunktion stehende Sonderarbeit ausgeführt werden.

(vgl. Randnrn. 35-36, 38, 43 und Tenor)


2.        Die Tarifavise des Ausschusses für den Zollkodex und die Avise der Weltzollorganisation über die Einreihung der Waren jeweils in die Kombinierte Nomenklatur und das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren, die nicht zum Erlass einer Verordnung geführt haben, können in den vor dem Ergehen dieser Stellungnahmen entstandenen und begründeten Rechtsbeziehungen herangezogen werden.

(vgl. Randnr. 42)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

16. Juni 2011(*)

„Gemeinsamer Zolltarif – Tarifierung – Kombinierte Nomenklatur – Dialysesammelbeutel aus Kunststoff, die ausschließlich für Dialysegeräte (künstliche Nieren) bestimmt sind – Urinsammelbeutel aus Kunststoff, die ausschließlich für Katheter bestimmt sind – Positionen 9018 und 3926 – Begriff ‚Teile‘ und ‚Zubehör‘ – Andere Waren aus Kunststoffen“

In der Rechtssache C‑152/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Højesteret (Dänemark) mit Entscheidung vom 8. März 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 31. März 2010, in dem Verfahren

Unomedical A/S

gegen

Skatteministeriet

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Šváby sowie der Richter G. Arestis (Berichterstatter) und J. Malenovský,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Unomedical A/S, vertreten durch A. Hedetoft und M. Andersen, advokater,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch B. Weis Fogh als Bevollmächtigte im Beistand von K. Lundgaard Hansen, advokat,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Bouyon als Bevollmächtigte im Beistand von Professor N. Fenger,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in ihren auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassungen (im Folgenden: KN) und insbesondere die Frage, welcher Sinn den Begriffen „Teile“ und „Zubehör“ in Kapitel 90 der KN beizumessen ist.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Unomedical A/S (im Folgenden: Unomedical) gegen das Skatteministeriet (dänisches Ministerium für Steuern), in dem es um die Tarifierung von Urinsammelbeuteln für Katheter und Sammelbeuteln für Dialysegeräte geht.

 Rechtlicher Rahmen

 Die KN

3        Die KN beruht auf dem Harmonisierten System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS), erarbeitet durch den Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens, jetzt Weltzollorganisation, das durch das Internationale Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren, geschlossen in Brüssel am 14. Juni 1983 (im Folgenden: HS‑Übereinkommen), und mit dem dazugehörenden Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. L 198, S. 1) genehmigt worden ist.

4        Die Allgemeinen Regeln zur Auslegung der KN sind in deren Teil I Titel I Abschnitt A enthalten. Sie sind identisch in allen auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassungen und bestimmen insbesondere:

„Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

1.      Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

6.      Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und – sinngemäß – die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften. Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.“

5        Teil II Abschnitt VII Kapitel 39 der KN betrifft die Einreihung von „Kunststoffen und Waren daraus“.

6        Zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, also von Mai 2001 bis Dezember 2003, umfasste Kapitel 39 u. a. folgende Positionen und Unterpositionen:

„3926 Andere Waren aus Kunststoffen …

3926 90       – andere: …

3926 90 99      – – andere“.

7        Insbesondere geht aus Anmerkung 2 Buchst. r zu Kapitel 39 der KN hervor, dass zu diesem Kapitel nicht „Waren des Kapitels 90 (optische Elemente, Brillenfassungen, Zeicheninstrumente)“ gehören.

8        Teil II Abschnitt XVIII Kapitel 90 der KN betrifft insbesondere die Tarifierung der Erzeugnisse „medizinische und chirurgische Instrumente, Apparate und Geräte; Teile und Zubehör für diese Instrumente“.

9        Insbesondere bestimmte in Bezug auf Position 9018 die KN zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens:

„9018      Medizinische, chirurgische, zahnärztliche oder tierärztliche Instrumente, Apparate und Geräte, einschließlich Szintigrafen und andere elektromedizinische Apparate und Geräte, sowie Apparate und Geräte zum Prüfen der Sehschärfe:

9018 20 00       – …

                  – Spritzen, Nadeln, Katheter, Kanülen und dergleichen:

9018 39 00      – – andere

9018 90      − andere Instrumente, Apparate und Geräte:

9018 90 30      – – künstliche Nieren“.

10      Die Anmerkungen zu Kapitel 90 der KN enthalten insbesondere die folgenden Ausführungen in Bezug auf Teile und Zubehör der zu diesem Kapitel gehörenden Waren:

„2.      Vorbehaltlich der vorstehenden Anmerkung 1 sind Teile und Zubehör für Maschinen, Apparate, Geräte, Instrumente oder andere Waren des Kapitels 90 nach folgenden Regeln einzureihen:

a)      Teile und Zubehör, die sich als Waren einer Position des Kapitels 90 oder des Kapitels 84, 85 oder 91 (ausgenommen der Position 8485, 8548 oder 9033) darstellen, sind dieser Position zuzuweisen, ohne Rücksicht darauf, für welche Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente sie bestimmt sind;

b)      andere Teile und anderes Zubehör sind, wenn zu erkennen ist, dass sie ausschließlich oder hauptsächlich für eine bestimmte Maschine, einen bestimmten Apparat oder ein bestimmtes Gerät oder Instrument oder für mehrere Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente der gleichen Position (auch der Position 9010, 9013 oder 9031) bestimmt sind, der Position für diese Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente zuzuweisen;

c)      alle übrigen Teile und alles übrige Zubehör sind nach Position 9033 einzureihen.“

 Die Erläuterungen zum HS zu Position 8473

11      Nach Art. 6 Nr. 1 des HS‑Übereinkommens wurde ein als „Ausschuss für das Harmonisierte System“ bezeichneter Ausschuss im Rahmen des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens eingesetzt. Seine Aufgabe besteht insbesondere darin, Änderungen dieses Übereinkommens vorzuschlagen und Erläuterungen, Einreihungsavise und sonstige Stellungnahmen zur Auslegung des HS auszuarbeiten.

12      Nach Art. 3 Nr. 1 dieses Übereinkommens verpflichtet sich jede Vertragspartei, ihre Tarif- und Statistiknomenklaturen mit dem HS in Übereinstimmung zu bringen, alle Positionen und Unterpositionen des HS sowie die dazugehörigen Codenummern zu verwenden, ohne etwas hinzuzufügen oder zu ändern, und die Nummernfolge des HS sowie alle Abschnitt-, Kapitel- und Unterpositionen‑Anmerkungen des HS anzuwenden und deren Geltungsbereich nicht zu verändern.

13      In den Erläuterungen zum HS betreffend Position 8473 heißt es:

„Das hierher gehörende Zubehör kann entweder aus auswechselbaren Ausrüstungsgegenständen bestehen, welche die Maschinen oder Apparate, an denen sie angebracht werden, für die Ausführung einer bestimmten Arbeit geeignet machen, oder aus Vorrichtungen, die ihre Verwendungsmöglichkeiten erweitern oder mit deren Hilfe eine im Zusammenhang mit der Hauptfunktion der Maschinen oder Apparate stehende Sonderarbeit ausgeführt werden kann.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14      Unomedical führte von Mai 2001 bis Dezember 2003 Urinsammelbeutel für Katheter und Sammelbeutel für Dialysegeräte nach Dänemark ein.

15      Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts sind die Urinsammelbeutel für Katheter Beutel mit einem Inhalt von zwei Litern, die für bettlägerige Patienten bestimmt sind. Sie werden aus Kunststofffolien und spritzgegossenen Kunststoffkomponenten hergestellt. Sie sind so konzipiert, dass sie zusammen mit einem Standard‑Ballonkatheter funktionieren, werden jedoch ohne Katheter importiert und verkauft. Ihre Funktion besteht in der Sammlung von Urin, wobei sie gleichzeitig die Umgebung des Katheters steril halten und auch die Beobachtung, die Messung und die Entnahme von Proben des abgeleiteten Urins ermöglichen.

16      Das Oberteil dieser Beutel ist mit einem Schlauchstück ausgestattet, an das ein Schlauch angeklebt ist, der so dimensioniert ist, dass er auf den Durchfluss von Urin abgestimmt ist. Ein Ende des Schlauchs ist mit einem Konnektor versehen, der so konzipiert ist, dass er mit einem Standard‑Ballonkatheter verbunden werden kann und ebenfalls die Entnahme von Urinproben ermöglicht. Ferner ist bei diesen Beuteln ein Rückfluss‑Sperrventil vorgesehen, das dazu dient, den Rückfluss des Urins in die Blase des Patienten zu verhindern. Die Beutel sind an der Unterseite auch mit einem Schlauchstück versehen, mit dem ein Ablassventil verschweißt ist, das zur Leerung des Inhalts bestimmt ist. Diese Beutel werden regelmäßig geleert und grundsätzlich mindestens einmal wöchentlich ausgewechselt.

17      Die Sammelbeutel für Dialysegeräte sind nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts Hämodialysebeutel, die speziell für die Verwendung zusammen mit Dialysegeräten konzipiert sind; die Funktion des Dialysegeräts besteht darin, das Blut des Patienten zu reinigen und flüssige Abfallstoffe auszufiltern, wenn die Nieren des Patienten nicht mehr dazu in der Lage sind. Diese Kunststoffbeutel mit einem Fassungsvermögen von zwei Litern dienen der Sammlung der vom Dialysegerät ausgefilterten flüssigen Abfallstoffe. Die Beutel werden während des Gebrauchs an einem Haken unten am Dialysegerät aufgehängt und sind mit einem Schlauchstück versehen, das mit einem Konnektor verbunden ist, der für die Verbindung des Beutels mit dem Gerät selbst verwendet wird.

18      Die Dialysegeräte sind allgemein mit einem Mechanismus versehen, der bei einer in dem geschlossenen System eintretenden Unterbrechung in Form undichter Verbindungsstücke oder von Luft in den Schläuchen die Dialyse elektronisch unterbricht. Ferner sind die Dialysegeräte so konzipiert, dass sie bei überfüllten Dialysebeuteln oder einem Fehler bei der Anbringung dieser Beutel ein Alarmsignal abgeben.

19      Bei der Einfuhr dieser Waren vom 1. Mai 2001 bis 31. Dezember 2003 war die Zoll- und Abgabenverwaltung Nordsjælland, Region Helsingør (Told-Skat Nordsjælland, Region Helsingør), der Ansicht, dass die Beutel als „Kunststoffe oder Waren daraus“ in Unterposition 3926 90 99 der KN einzureihen seien, und erhob gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 17, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex) Zoll zum Satz von 6,5 %.

20      Unomedical erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Landskatteret; sie ist der Ansicht, dass die eingeführten Beutel in Unterposition 9018 39 00 der KN, was die für Katheter hergestellten Urinsammelbeutel angehe, und in 9018 90 30 der KN, was die für Dialysegeräte bestimmten Sammelbeutel angehe, als „Teile“ und/oder „Zubehör“ eines Katheters oder eines Dialysegeräts im Sinne von Kapitel 90 der Nomenklatur einzureihen und damit von Zoll befreit seien. Das Landskatteret bestätigte mit Beschluss vom 15. November 2005 die Entscheidung der Told‑Skat Nordsjælland, Region Helsingør.

21      Unomedical legte sodann Rechtsmittel beim Østre Landsret ein, das dieses mit Urteil vom 19. Dezember 2007 zurückwies. In seiner Entscheidung nahm dieses Gericht insbesondere Bezug auf das Urteil des Gerichtshofs vom 7. Februar 2002, Turbon International (C‑276/00, Slg. 2002, I‑1389), mit dem der Gerichtshof die Begriffe „Teile“ und „Zubehör“ im Hinblick auf Tarifposition 8473 der KN definiert hat, und vertrat die Ansicht, es gebe keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Übertragung der Definitionen dieser Begriffe auf andere Tarifpositionen.

22      Allerdings führte das Østre Landsret aus, dass die Funktion eines Katheters nicht davon abhänge, ob ein Urinsammelbeutel der im Ausgangsverfahren fraglichen Art angeschlossen sei, und schloss daraus, dass diese Art Beutel nicht als „Zubehör“ eines Katheters betrachtet werden könne. In Bezug auf die Dialysebeutel vertrat dieses Gericht die Ansicht, sie trügen nicht zum eigentlichen Dialyseverfahren bei und könnten daher keinen „Teil“ der Dialysegeräte darstellen. Infolgedessen seien beide Arten von Beuteln als „Kunststoffe oder Waren daraus“ in Kapitel 39 der KN einzureihen. Unomedical legte daraufhin Rechtsmittel zum Højesteret ein.

23      Das Højesteret ist der Ansicht, dass die Tarifierung der im Ausgangsverfahren fraglichen Beutel von der Auslegung der Begriffe „Teile“ und „Zubehör“ in Kapitel 90 der KN abhängt. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist ein aus Kunststoffen hergestellter Dialysebeutel, der speziell für ein Dialysegerät konzipiert ist und nur in Verbindung mit einem solchen verwendet werden kann, in

–        Kapitel 90 der KN, Position 9018 90 30, als „Teil“ und/oder „Zubehör“ eines Dialysegeräts im Sinne von Anmerkung 2 Buchst. b zu Kapitel 90 des Gemeinsamen Zolltarifs

oder

–        Kapitel 39 der KN, Position 3926 90 99, als „Kunststoffe“ oder „Ware daraus“ einzureihen?

2.      Ist ein aus Kunststoffen hergestellter Urinbeutel, der speziell für Katheter konzipiert ist und daher nur in Verbindung mit solchen verwendet werden kann und faktisch auch ausschließlich so verwendet wird, in

–        Kapitel 90 der KN, Position 9018 39 00, als „Teil“ und/oder „Zubehör“ eines Katheters im Sinne von Anmerkung 2 Buchst. b zu Kapitel 90 des Gemeinsamen Zolltarifs

oder

–        Kapitel 39 der KN, Position 3926 90 99, als „Kunststoffe“ oder „Ware daraus“ einzureihen?

 Zu den Vorlagefragen

24      Mit seinen beiden Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in der Zeit vom 1. Mai 2001 bis 31. Dezember 2003 Sammelbeutel aus Kunststoff als „Teile“ und/oder „Zubehör“ eines Katheters oder eines Dialysegeräts zu betrachten sind und daher in Position 9018 der KN einzureihen sind oder ob diese Beutel als „Waren aus Kunststoffen“ in Position 3926 der KN einzureihen sind.

25      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. insbesondere Urteile vom 18. Juli 2007, Olicom, C‑142/06, Slg. 2007, I‑6675, Randnr. 16, vom 19. Februar 2009, Kamino International Logistics, C‑376/07, Slg. 2009, I‑1167, Randnr. 31, und vom 14. April 2011, British Sky Broadcasting Group und Pace, C‑288/09 und C‑289/09, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 60).

26      Im vorliegenden Fall sind die im Ausgangsverfahren fraglichen Sammelbeutel aus Kunststoff wegen ihrer physischen Merkmale grundsätzlich in Kapitel 39 der KN einzureihen. Allerdings umfasst Kapitel 39 der KN gemäß Anmerkung 2 Buchst. r zu diesem Kapitel nicht Waren des Kapitels 90 der KN. Daher ist zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren fraglichen Waren in Kapitel 90 und insbesondere in Position 9018 der KN eingereiht werden können.

27      Mit den Parteien des Ausgangsverfahrens ist festzustellen, dass Katheter und Dialysegeräte als „medizinische Instrumente und Geräte“ in Position 9018 der KN einzureihen sind. Die Einreihung der Urinsammelbeutel für Katheter und der Sammelbeutel für Dialysegeräte in Position 9018 der KN ist daher nur dann möglich, wenn diese Beutel als „Teile“ oder „Zubehör“ eines Katheters bzw. eines Dialysegeräts angesehen werden können.

28      In diesem Sinne heißt es in Anmerkung 2 Buchst. b zu Kapitel 90 der KN, dass „Teile und … Zubehör …, wenn zu erkennen ist, dass sie ausschließlich oder hauptsächlich für eine bestimmte Maschine, einen bestimmten Apparat oder ein bestimmtes Gerät oder Instrument oder für mehrere Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente der gleichen Position … bestimmt sind, der Position für diese Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente zuzuweisen [sind]“.

29      Mit dem vorlegenden Gericht ist hierzu festzustellen, dass die Verordnung Nr. 2658/87 in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung die Begriffe „Teile“ und „Zubehör“ im Sinne von Kapitel 90 der KN nicht definiert. Der Gerichtshof hat jedoch zur Bedeutung dieser Begriffe im Zusammenhang mit Position 8473 der KN für die Einreihung von Tintenkartuschen für Drucker festgestellt, dass der Begriff „Teil“ voraussetzt, dass es ein Ganzes gibt, für dessen Funktion dieses Teil unabdingbar ist, und dass der Begriff „Zubehör“ bedeutet, dass es sich um eine auswechselbare Vorrichtung handelt, die ein Gerät für die Ausführung einer bestimmten Arbeit geeignet macht, seine Verwendungsmöglichkeiten erweitert oder es in die Lage versetzt, eine im Zusammenhang mit seiner Hauptfunktion stehende Sonderarbeit auszuführen (vgl. Urteil Turbon International, Randnrn. 30 und 32).

30      Im vorliegenden Fall erlaubt nichts den Schluss, dass den erwähnten Begriffen im Rahmen der Positionen 8473 und 9018 der KN nicht dieselbe Definition gegeben werden kann. Zudem gewährleistet die Anwendung derselben Definitionen für beide Positionen eine zusammenhängende und einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs.

31      In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Gerichtshof den Begriff „Teil“ bereits im Urteil vom 15. Februar 2007, RUMA (C‑183/06, Slg. 2007, I‑1559, Randnr. 31), in dem im Urteil Turbon International für Position 8473 der KN definierten Sinne im Rahmen einer Frage herangezogen hat, die die Einreihung einer Ware in eine der verschiedenen Unterpositionen des Kapitels 85 der KN betraf.

32      Was den Begriff „Zubehör“ betrifft, bezieht sich der Gerichtshof im Urteil Turbon International für dessen Definition auf den Wortlaut der Erläuterungen zum HS für Position 8473 der KN.

33      Nach ständiger Rechtsprechung sind sowohl die Anmerkungen zu den Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs als auch die Erläuterungen zum HS wichtige Hilfsmittel dafür, eine einheitliche Anwendung des Zolltarifs zu gewährleisten, und stellen deshalb wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs dar (vgl. Urteile vom 20. November 1997, Wiener SI, C‑338/95, Slg. 1997, I‑6495, Randnr. 11, und Turbon International, Randnr. 22). Daher ist in Ermangelung entgegenstehender Faktoren die Definition des Begriffs „Zubehör“ im Urteil Turbon International, die auf eine Erläuterung des HS zu Position 8473 gestützt ist, auf Position 9018 der KN anzuwenden.

34      Zudem bezieht sich Anmerkung 2 Buchst. a zu Kapitel 90 der KN auf die Begriffe „Teile“ und „Zubehör“ unter Angabe der Kapitel 84, 85, 90 und 91 der KN und erlaubt damit den Schluss, dass diese Begriffe in diesen Kapiteln dieselbe Bedeutung haben.

35      In Bezug auf die im Ausgangsverfahren fraglichen Waren ist festzustellen, dass keine von ihnen als „Teil“ oder „Zubehör“ eines Katheters (Unterposition 9018 39 00) oder eines Dialysegeräts (künstliche Niere) (Unterposition 9018 90 30) eingestuft werden kann.

36      Weder der Urinsammelbeutel für Katheter noch der Sammelbeutel für Dialysegeräte ist für die Funktion solcher Instrumente oder Geräte unabdingbar. Die Funktion eines Katheters hängt nämlich ersichtlich nicht vom Vorhandensein eines Urinsammelbehälters ab, und ebenso wenig setzt die Funktion eines Dialysegeräts voraus, dass ein Dialysebeutel angeschlossen ist, da das Verfahren der Reinigung des Blutes zum Zeitpunkt der Verwendung dieses Beutels abgeschlossen ist, der nur dazu dient, die ausgeschiedenen Flüssigkeiten zu sammeln (vgl. entsprechend Urteile vom 19. Oktober 2000, Peacock, C‑339/98, Slg. 2000, I‑8947, Randnr. 21, und Turbon International, Randnr. 30).

37      Die letztgenannte Feststellung kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass das Dialysegerät nur funktioniert, wenn ein solcher Beutel angeschlossen ist. Hierzu genügt die Feststellung, dass, wie die Europäische Kommission ausführt, ohne den Sicherheitsmechanismus, mit dem dieses Gerät ausgerüstet ist, das Dialyseverfahren ohne diesen Beutel durchgeführt werden könnte, da dieser Sicherheitsmechanismus lediglich eine Verbindung zwischen diesem Gerät und diesem Beutel herstellt (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Oktober 2006, Turbon International, C-250/05, Slg. 2006, I‑10351, Randnr. 23).

38      Ebenso erlauben es diese Beutel nicht, die erwähnten Instrumente und Geräte für die Ausführung einer bestimmten Arbeit geeignet zu machen, erweitern nicht ihre Verwendungsmöglichkeiten und führen nicht dazu, dass mit ihrer Hilfe eine im Zusammenhang mit deren Hauptfunktion stehende Sonderarbeit ausgeführt werden kann. Ein Sammelbeutel, der mit einem Katheter verbunden ist, soll nur die ausgeschiedenen Flüssigkeiten sammeln, nachdem der Katheter seinerseits seine eigene Funktion erfüllt hat, die darin besteht, den in der Blase vorhandenen Urin abzuleiten. Was den für ein Dialysegerät bestimmten Sammelbeutel angeht, so erlaubt er es diesem Gerät nicht, andere Funktionen auszuüben als die, für die es bestimmt ist, nämlich die Reinigung des Blutes.

39      Nach allem können Waren der im Ausgangsverfahren fraglichen Art nicht in Kapitel 90 der KN eingereiht werden. Sie sind daher als „Waren aus Kunststoffen“ der Position 3926 der KN, und zwar der Unterposition 3926 90 99 der KN, zuzuweisen.

40      Diese Tarifierung wird im Übrigen durch die Tarifavise des Ausschusses für den Zollkodex und des Ausschusses für das HS bestätigt, die Beutel der im Ausgangsverfahren fraglichen Art in Position 3926 der KN einreihen.

41      Hierzu geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Stellungnahmen dieser beiden Ausschüsse zwar rechtlich nicht verbindlich sind, dass sie aber wichtige Hilfsmittel darstellen, um eine einheitliche Auslegung des Zollkodex durch die Zollbehörden der Mitgliedstaaten zu gewährleisten, und deshalb als wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Zollkodex angesehen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Dezember 2007, Van Landeghem, C‑486/06, Slg. 2007, I‑10661, Randnr. 25, und vom 22. Mai 2008, Ecco Sko, C‑165/07, Slg. 2008, I‑4037, Randnr. 47).

42      Zudem können entgegen dem Vorbringen von Unomedical diese Stellungnahmen zur Auslegung, die nicht zum Erlass einer Verordnung geführt haben, in den vor dem Ergehen dieser Stellungnahmen entstandenen und begründeten Rechtsbeziehungen herangezogen werden können.

43      Daher ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die KN dahin auszulegen ist, dass ein aus Kunststoffen hergestellter Dialysebeutel, der speziell für die Verwendung zusammen mit einem Dialysegerät (künstliche Niere) konzipiert worden ist und nur in dieser Weise verwendet werden kann, von Mai 2001 bis Dezember 2003 als „Kunststoffe oder Ware daraus“ in Unterposition 3926 90 99 dieser Nomenklatur einzureihen war und dass ein Urinsammelbeutel, der aus Kunststoffen hergestellt und speziell für die Benutzung zusammen mit einem Katheter konzipiert worden ist und daher nur in dieser Weise verwendet werden kann, in demselben Zeitraum als „Kunststoffe oder Waren daraus“ in Unterposition 3926 90 99 dieser Nomenklatur einzureihen war.

 Kosten

44      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif ist so auszulegen, dass ein aus Kunststoffen hergestellter Dialysebeutel, der speziell für die Verwendung zusammen mit einem Dialysegerät (künstliche Niere) konzipiert worden ist und nur in dieser Weise verwendet werden kann, von Mai 2001 bis Dezember 2003 als „Kunststoffe oder Ware daraus“ in Unterposition 3926 90 99 dieser Nomenklatur einzureihen war und dass ein Urinsammelbeutel, der aus Kunststoffen hergestellt und speziell für die Benutzung zusammen mit einem Katheter konzipiert worden ist und daher nur in dieser Weise verwendet werden kann, in demselben Zeitraum als „Kunststoffe oder Waren daraus“ in Unterposition 3926 90 99 dieser Nomenklatur einzureihen war.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Dänisch.

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