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Document 62010CJ0409

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 15. Dezember 2011.
Hauptzollamt Hamburg-Hafen gegen Afasia Knits Deutschland GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland.
Gemeinsame Handelspolitik - Präferenzregelung für die Einfuhr von Waren mit Ursprung in den Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans (AKP) - Bei einer Untersuchung des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) im AKP-Ausfuhrstaat aufgedeckte Unregelmäßigkeiten - Nacherhebung von Einfuhrabgaben.
Rechtssache C-409/10.

European Court Reports 2011 -00000

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:843

Rechtssache C‑409/10

Hauptzollamt Hamburg-Hafen

gegen

Afasia Knits Deutschland GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs)

„Gemeinsame Handelspolitik – Präferenzregelung für die Einfuhr von Waren mit Ursprung in den Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans (AKP) – Bei einer Untersuchung des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) im AKP-Ausfuhrstaat aufgedeckte Unregelmäßigkeiten – Nacherhebung von Einfuhrabgaben“

Leitsätze des Urteils

1.        Völkerrechtliche Verträge – AKP–EG-Abkommen von Cotonou – Nacherhebung von Einfuhrabgaben – Nachträgliche Prüfung des Warenursprungs durch die Kommission – Ergebnisse, die in einem Protokoll festgehalten werden, das von einem Vertreter der Regierung des Ausfuhrlands mit unterzeichnet wird

(AKP–EG-Abkommen von Cotonou, Anhang V, Protokoll Nr. 1 Art. 32)

2.        Eigenmittel der Europäischen Union – Nacherhebung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2913/92, unter denen von der buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben abgesehen werden kann – Nachträgliche Prüfung, die die Angaben in der EUR.1-Bescheinigung nicht bestätigt

(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Art. 220 Abs. 2 Buchst. b)

1.        Art. 32 des Protokolls Nr. 1 in Anhang V des am 23. Juni 2000 in Cotonou unterzeichneten Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (AKP-Gruppe) einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, im Namen der Union genehmigt mit Beschluss 2003/159, ist dahin auszulegen, dass die Ergebnisse einer nachträglichen Prüfung, die sich auf die Richtigkeit des in von einem Staat der AKP-Gruppe ausgestellten Ursprungszeugnissen angegebenen Warenursprungs bezieht und die im Wesentlichen in einer von der Kommission, genauer vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), in diesem Staat und auf dessen Einladung durchgeführten Untersuchung besteht, die Behörden des Mitgliedstaats binden, in den die Waren eingeführt wurden, sofern diese Behörden ein Dokument erhalten haben, in dem unmissverständlich anerkannt wird, dass der betreffende AKP-Staat sich diese Ergebnisse zu eigen macht, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Insoweit ist es unerheblich, dass die nachträgliche Prüfung vom OLAF durchgeführt wurde. Denn eine solche Prüfung ist nicht nur dann vorzunehmen, wenn der Einfuhrmitgliedstaat dies beantragt, sondern auch, wenn nach Angaben eines der an dem Abkommen beteiligten Staaten oder der Kommission, der es obliegt, für die ordnungsgemäße Anwendung des Abkommens Sorge zu tragen, Hinweise vorliegen, die eine Unregelmäßigkeit hinsichtlich des Ursprungs der eingeführten Waren vermuten lassen. Dies ist bei einer vom OLAF durchgeführten Kontrollmission, die auf Einladung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und auswärtigen Handel des Ausfuhrstaats durchgeführt wurde, der Fall. Unter diesen Umständen kann die vom OLAF im Hoheitsgebiet dieses Staats durchgeführte Mission nicht als Einmischung in dessen innere Angelegenheiten angesehen werden und stellt somit keine Verletzung seiner Souveränität dar.

Was die Form betrifft, in der die Ergebnisse der Untersuchungen dem Einfuhrmitgliedstaat mitzuteilen sind, um dessen Behörden binden zu können, hat die Übersendung des ordnungsgemäß im Namen des AKP-Ausfuhrstaats unterzeichneten Protokolls über die Untersuchung des OLAF, in dem eindeutig festgestellt wurde, dass die EUR.1-Bescheinigungen unrichtig und somit ungültig sind, die Wirkung, dass diese Ergebnisse den genannten Behörden entgegengehalten werden können.

Was schließlich die Frage betrifft, ob die Person, die das Untersuchungsprotokoll im Namen des AKP-Ausfuhrstaats unterzeichnet hat, nach dessen Recht dazu ermächtigt war, sind die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats nur in dem Fall, dass Zweifel an der Ermächtigung dieser Person bestehen, verpflichtet, bei dem betroffenen AKP-Staat nachzuprüfen, ob die Person, die im Namen des Ausfuhrstaats ihre Unterschrift geleistet hat, tatsächlich ermächtigt war, Letzteren in diesem Bereich zu binden.

(vgl. Randnrn. 32-33, 36-38, 40, Tenor 1)

2.        Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sich der Einführer in dem Fall, in dem die zur Einfuhr von Waren in die Union ausgestellten Ursprungszeugnisse für ungültig erklärt wurden, weil es bei ihrer Ausstellung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist und der in ihnen angegebene Präferenzursprung bei einer nachträglichen Prüfung nicht bestätigt werden konnte, der Nacherhebung von Einfuhrabgaben nicht damit widersetzen kann, dass nicht auszuschließen sei, dass einige dieser Waren in Wirklichkeit den genannten Präferenzursprung hätten.

Zum einen besteht nämlich der Zweck der nachträglichen Prüfung darin, die Ursprungsangabe in der EUR.1-Bescheinigung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Wenn sich bei einer nachträglichen Überprüfung keine Bestätigung für die in der EUR.1-Bescheinigung enthaltene Angabe über den Warenursprung finden lässt, ist somit daraus zu schließen, dass die Ware unbekannten Ursprungs ist und dass die Bescheinigung demnach zu Unrecht ausgestellt und der Vorzugstarif zu Unrecht gewährt worden ist. Daraus ergibt sich, dass die Nacherhebung der bei der Einfuhr nicht gezahlten Zölle die normale Folge dessen ist, dass die nachträgliche Prüfung nicht ermöglicht, den in den EUR.1-Bescheinigungen angegebenen Warenursprung zu bestätigen.

Zum anderen kann die Ausstellung unrichtiger EUR.1-Bescheinigungen nicht als ein von den Behörden des Ausfuhrstaats selbst begangener Irrtum angesehen werden, wenn diese Behörden von den Ausführern irregeführt wurden. Fehlt es an einem solchen Irrtum, kann sich der Abgabenschuldner nicht auf Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex berufen.

(vgl. Randnrn. 43-44, 46, 54-55, Tenor 2)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

15. Dezember 2011(*)

„Gemeinsame Handelspolitik – Präferenzregelung für die Einfuhr von Waren mit Ursprung in den Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans (AKP) – Bei einer Untersuchung des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) im AKP-Ausfuhrstaat aufgedeckte Unregelmäßigkeiten – Nacherhebung von Einfuhrabgaben“

In der Rechtssache C‑409/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. Juni 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 16. August 2010, in dem Verfahren

Hauptzollamt Hamburg-Hafen

gegen

Afasia Knits Deutschland GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter M. Safjan, M. Ilešič (Berichterstatter) und E. Levits sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Afasia Knits Deutschland GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte H. von Zanthier und M. Stawska-Höbel,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Albenzio, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bordes und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. September 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 32 des Protokolls Nr. 1 in Anhang V des am 23. Juni 2000 in Cotonou unterzeichneten Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (ABl. 2000, L 317, S. 3), im Namen der Union genehmigt mit Beschluss 2003/159/EG des Rates vom 19. Dezember 2002 (ABl. 2003, L 65, S. 27) (im Folgenden: Cotonou-Abkommen), und von Art. 220 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 (ABl. L 311, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Hauptzollamt Hamburg-Hafen (im Folgenden: Hauptzollamt) und der Afasia Knits Deutschland GmbH (im Folgenden: Afasia) über Einfuhrabgaben, die diese Gesellschaft nachträglich für die Einfuhr von Textilien in die Europäische Union zu entrichten hatte.

 Rechtlicher Rahmen

 Das Cotonou-Abkommen

3        Das Cotonou-Abkommen trat am 1. April 2003 in Kraft. Gemäß dem Beschluss Nr. 1/2000 des AKP-EG-Ministerrats vom 27. Juli 2000 über Übergangsmaßnahmen für den Zeitraum zwischen dem 2. August 2000 und dem Inkrafttreten des AKP-EG-Partnerschaftsabkommens (ABl. L 195, S. 46), verlängert durch den Beschluss Nr. 1/2002 des AKP-EG-Ministerrates vom 31. Mai 2002 (ABl. L 150, S. 55), wurde dieses Abkommen jedoch ab dem 2. August 2000 vorzeitig angewandt.

4        Ein am 25. Juni 2005 in Luxemburg unterzeichnetes Änderungsabkommen trat am 1. Juli 2008 in Kraft. Am 14. Juni 2010 wurde der Beschluss 2010/648/EU des Rates über die Unterzeichnung des Abkommens zur zweiten Änderung des Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, unterzeichnet in Cotonou am 23. Juni 2000 und erstmals geändert in Luxemburg am 25. Juni 2005, im Namen der Europäischen Union (ABl. L 287, S. 1) verabschiedet. In Anbetracht des Zeitraums der maßgeblichen Ereignisse ist auf den Ausgangsrechtsstreit jedoch weiterhin das Cotonou-Abkommen in seiner ursprünglichen Fassung anwendbar.

5        Nach Art. 100 des Cotonou-Abkommens sind „[d]ie Protokolle und Anhänge … Bestandteil dieses Abkommens. …“

6        Anhang V („Handelsregelung für den Vorbereitungszeitraum nach Artikel 37 Absatz 1“) des Cotonou-Abkommens bestimmte in seinem Art. 1, dass „Waren mit Ursprung in den AKP-Staaten … frei von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung zur Einfuhr in die Gemeinschaft zugelassen [sind]. …“.

7        Das Protokoll Nr. 1 – in dem genannten Anhang V – über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in“ oder „Ursprungserzeugnisse“ und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen (im Folgenden: Protokoll Nr. 1) bestimmte in seinem Art. 2 Abs. 1:

„Für die Zwecke der Bestimmungen des Anhangs V … gelten als Ursprungserzeugnisse der AKP-Staaten:

a)      Erzeugnisse, die im Sinne des Artikels 3 in den AKP-Staaten vollständig gewonnen oder hergestellt worden sind;

b)      Erzeugnisse, die in den AKP-Staaten unter Verwendung von Vormaterialien hergestellt worden sind, die dort nicht vollständig gewonnen oder hergestellt worden sind, vorausgesetzt, dass diese Vormaterialien in den AKP-Staaten im Sinne des Artikels 4 in ausreichendem Maße be- oder verarbeitet worden sind.“

8        Titel IV („Nachweis der Ursprungseigenschaft“) des Protokolls Nr. 1 umfasste u. a. Art. 14, dessen Abs. 1 vorsah:

„Ursprungserzeugnisse der AKP-Staaten erhalten bei der Einfuhr in die Gemeinschaft die Begünstigungen des Anhangs V, sofern

a)      eine Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 [im Folgenden: EUR.1-Bescheinigung] vorgelegt wird …

…“

9        Art. 15 Abs. 1 dieses Protokolls sah vor, dass die EUR.1-Bescheinigung von den Zollbehörden des Ausfuhrlandes ausgestellt wird. Nach Art. 15 Abs. 3 hat „[d]er Ausführer, der die Ausstellung der [EUR.1-Bescheinigung] beantragt, … auf Verlangen der Zollbehörden des Ausfuhrlandes, in dem die [B]escheinigung … ausgestellt wird, jederzeit alle zweckdienlichen Unterlagen zum Nachweis der Ursprungseigenschaft der betreffenden Erzeugnisse … vorzulegen“.

10      Nach Art. 28 Abs. 1 dieses Protokolls hat der Ausführer die in Art. 15 Abs. 3 genannten Unterlagen mindestens drei Jahre lang aufzubewahren.

11      Titel V („Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen“) des Protokolls Nr. 1 umfasste u. a. die Art. 31 („Gegenseitige Amtshilfe“) und 32 („Prüfung der Ursprungsnachweise“).

12      Art. 31 sah in seinen Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 vor:

„(1)      Die AKP-Staaten übermitteln der Kommission die Musterabdrücke der verwendeten Stempel und die Anschriften der Zollbehörden, die für die Ausstellung der [EUR.1-Bescheinigungen] und für die nachträgliche Prüfung der [EUR.1-Bescheinigungen] und der Erklärungen auf der Rechnung zuständig sind.

Die [EUR.1-Bescheinigungen] und die Erklärungen auf der Rechnung werden zur Gewährung der Präferenzbehandlung ab dem Tag angenommen, an dem diese Informationen bei der Kommission eingehen.

Die Kommission leitet diese Informationen an die Zollbehörden der Mitgliedstaaten weiter.

(2)      Um die ordnungsgemäße Anwendung dieses Protokolls zu gewährleisten, leisten die Gemeinschaft … und die AKP-Staaten einander über ihre Zollverwaltungen Amtshilfe bei der Prüfung der Echtheit der [EUR.1-Bescheinigungen], der Erklärungen auf der Rechnung und der Lieferantenerklärungen sowie der Richtigkeit der in diesen Nachweisen enthaltenen Angaben.“

13      In Art. 32 des Protokolls Nr. 1 hieß es:

„(1)      Eine nachträgliche Prüfung der Ursprungsnachweise erfolgt stichprobenweise oder immer dann, wenn die Zollbehörden des Einfuhrlandes begründete Zweifel an der Echtheit des Papiers, der Ursprungseigenschaft der betreffenden Erzeugnisse oder der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen dieses Protokolls haben.

(2)      In Fällen nach Absatz 1 senden die Zollbehörden des Einfuhrlandes die [EUR.1-Bescheinigung] und die Rechnung, wenn sie vorgelegt worden ist, die Erklärung auf der Rechnung oder eine Abschrift dieser Papiere an die Zollbehörden des Ausfuhrlandes zurück, gegebenenfalls unter Angabe der Gründe, die eine Untersuchung rechtfertigen. Zur Begründung des Ersuchens um nachträgliche Prüfung übermitteln sie alle Unterlagen und teilen alle bekannten Umstände mit, die auf die Unrichtigkeit der Angaben in dem Ursprungsnachweis schließen lassen.

(3)      Die Prüfung wird von den Zollbehörden des Ausfuhrlandes durchgeführt. Sie sind berechtigt, zu diesem Zweck die Vorlage von Beweismitteln zu verlangen und jede Art von Überprüfung der Buchführung des Ausführers oder sonstige von ihnen für zweckdienlich erachtete Kontrolle durchzuführen.

(5)      Das Ergebnis dieser Prüfung ist den Zollbehörden, die um die Prüfung ersucht haben, so bald wie möglich mitzuteilen. Anhand dieses Ergebnisses muss sich eindeutig feststellen lassen, ob die Nachweise echt sind und ob die Erzeugnisse als Ursprungserzeugnisse der AKP-Staaten … angesehen werden können und die übrigen Voraussetzungen dieses Protokolls erfüllt sind.

(7)      Lassen das Prüfungsverfahren oder andere vorliegende Informationen darauf schließen, dass die Bestimmungen dieses Protokolls nicht eingehalten worden sind, so führt der AKP-Staat von sich aus oder auf Ersuchen der Gemeinschaft die erforderlichen Untersuchungen durch oder veranlasst, dass diese Untersuchungen mit der gebotenen Dringlichkeit durchgeführt werden, um solche Zuwiderhandlungen festzustellen und zu verhüten; zu diesem Zweck kann der betreffende AKP-Staat die Gemeinschaft um Mitwirkung an den Untersuchungen ersuchen.“

 Der Zollkodex

14      Der Zollkodex wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex) (ABl. L 145, S. 1), von der einige Bestimmungen ab dem 24. Juni 2008 gelten, aufgehoben. In Anbetracht des Zeitraums der im Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Ereignisse ist auf diesen jedoch weiterhin der Zollkodex anwendbar.

15      In Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung hieß es: „Ist der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nicht … buchmäßig erfasst oder mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden, so hat die buchmäßige Erfassung des zu erhebenden Betrags oder des nachzuerhebenden Restbetrags innerhalb von zwei Tagen nach dem Tag zu erfolgen, an dem die Zollbehörden diesen Umstand feststellen und in der Lage sind, den gesetzlich geschuldeten Betrag zu berechnen sowie den Zollschuldner zu bestimmen (nachträgliche buchmäßige Erfassung). …“

16      Allerdings waren in Art. 220 Abs. 2 Ausnahmen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung vorgesehen. In dieser Vorschrift hieß es:

„[Es] erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn

b)      der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat.

Wird der Präferenzstatus einer Ware im Rahmen eines Systems der administrativen Zusammenarbeit unter Beteiligung der Behörden eines Drittlands ermittelt, so gilt die Ausstellung einer Bescheinigung durch diese Behörden, falls sich diese Bescheinigung als unrichtig erweist, als ein Irrtum, der im Sinne des Unterabsatzes 1 vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte.

Die Ausstellung einer unrichtigen Bescheinigung stellt jedoch keinen Irrtum dar, wenn die Bescheinigung auf einer unrichtigen Darstellung der Fakten seitens des Ausführers beruht, außer insbesondere dann, wenn offensichtlich ist, dass die ausstellenden Behörden wussten oder hätten wissen müssen, dass die Waren die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung nicht erfüllten.

Der Abgabenschuldner kann Gutgläubigkeit geltend machen, wenn er darlegen kann, dass er sich während der Zeit des betreffenden Handelsgeschäfts mit gebotener Sorgfalt vergewissert hat, dass alle Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung erfüllt worden sind.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17      Afasia gehört zu einer Firmengruppe, die mit Textilien handelt. Der Hauptsitz dieser Firmengruppe, die u. a. auf Jamaika Unternehmen gegründet hat, befindet sich in Hongkong (China).

18      Im Jahr 2002 meldete Afasia mehrere Sendungen Textilien, die von der ARH Enterprises Ltd (im Folgenden: ARH) – einem der oben genannten jamaikanischen Unternehmen der Firmengruppe – stammten, zum freien Verkehr in der Union an.

19      Aufgrund der Angabe, dass die genannten Waren ihren Ursprung in Jamaika hätten, und der Vorlage von EUR.1-Bescheinigungen, die von den jamaikanischen Zollbehörden ausgestellt worden waren und diesen Ursprung bestätigten, wurde Afasia die Überführung in den freien Verkehr gestattet.

20      Im Rahmen einer auf Einladung des jamaikanischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und auswärtigen Handel wegen des Verdachts von Unregelmäßigkeiten im März 2005 in Jamaika durchgeführten Missionsreise der Kommission, genauer des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF), wurden die im Zeitraum 2002 bis 2004 ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen überprüft. Die Ergebnisse dieser Mission wurden in einem Protokoll vom 23. März 2005 festgehalten, das mit dem Briefkopf der Kommission erstellt wurde. Dieses Protokoll wurde von den Missionsteilnehmern und für Jamaika vom ständigen Sekretär des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und auswärtigen Handel unterzeichnet.

21      Dieses Protokoll bescheinigt, dass

–      die jamaikanischen Ausführer, darunter auch ARH, gegen die Bestimmungen des Cotonou-Abkommens verstoßen hätten, da die meisten oder alle in die Union ausgeführten Waren entweder aus Fertigteilen aus China hergestellt worden seien oder es sich dabei um aus China stammende fertige Textilien gehandelt habe;

–      zwar einige dieser ausgeführten Waren jamaikanischen Ursprungs sein könnten, die betroffenen Ausführer jedoch nicht in der Lage gewesen seien, den Ermittlern entsprechende Nachweise vorzulegen;

–      die jamaikanischen Ausführer mit ihren Anträgen auf Ausstellung der EUR.1-Bescheinigungen falsche Erklärungen über den Ursprung der Waren abgegeben hätten, was aufgrund der professionellen Weise der Verschleierung des Warenursprungs für die jamaikanischen Zollbehörden nur schwer aufzudecken gewesen sei. Diese hätten daher in gutem Glauben gehandelt;

–      die jamaikanischen Zollbehörden zu dem Ergebnis gelangt seien, dass die seit dem Jahr 2002 ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen nicht korrekt und deshalb ungültig seien.

22      In Anbetracht dessen, dass die Eigentümer der Afasia-Firmengruppe bei der Untersuchung nicht zur Zusammenarbeit bereit waren, und des Umstands, dass bei einer Inspektion in den Produktionsstätten und in den Büros von ARH keine Unterlagen gefunden werden konnten, wurden die Ergebnisse der Ermittlungen, wie sie in der vorstehenden Randnummer genannt sind, u. a. auf die Überprüfung der die ausgeführten Warensendungen betreffenden Frachtpapiere und der im Besitz der jamaikanischen Behörden befindlichen Unterlagen zu diesen Sendungen sowie auf einen Vergleich der Angaben in diesen Unterlagen mit denjenigen, die den Ermittlern von den chinesischen Zollbehörden übermittelt worden waren, gestützt. Diese Überprüfung und dieser Vergleich ergaben, dass der überwiegende Teil der zu den genannten Sendungen gehörenden Waren nicht auf Jamaika hergestellt worden sein konnte, sondern dass diese entweder aus fertigen Textilteilen aus China hergestellt wurden oder dass es sich dabei um aus China stammende fertige Textilien handelte.

23      Mit Bescheid vom 3. Mai 2005 erhob das Hauptzollamt den auf die betreffenden Textilien-Sendungen entfallenden Zoll in Höhe von 62 323,45 Euro nach.

24      Afasia focht diese Entscheidung unter Berufung darauf an, dass es unmöglich geworden sei, Nachweise für den jamaikanischen Ursprung der Waren zu erbringen, da die Produktionsstätten in Jamaika 2004 durch einen Hurrikan zerstört worden seien. Im Übrigen seien die ursprünglich von den jamaikanischen Behörden ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen nach wie vor gültig, da sie von diesen nicht widerrufen worden seien.

25      Da das Hauptzollamt seine Entscheidung aufrechterhielt, erhob Afasia beim Finanzgericht Hamburg Klage. Das Finanzgericht gab der Klage mit der Begründung statt, dass die getroffenen Feststellungen, die zur Nacherhebung der Einfuhrabgaben geführt hätten, entgegen dem Cotonou-Abkommen nicht auf einem an die jamaikanischen Zollbehörden gerichteten Nachprüfungsersuchen und auf deren Ermittlungen, sondern auf Ermittlungen von Dienststellen der Kommission beruht hätten. Die EUR.1-Bescheinigungen für die Textilien-Sendungen seien folglich nicht wirksam für ungültig erklärt worden. Außerdem stellte das Finanzgericht fest, dass sich Afasia auf Vertrauensschutz bezüglich der Rechtmäßigkeit der Einfuhr der genannten Warensendungen berufen könne.

26      Das Hauptzollamt hat gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt, der Zweifel an der Richtigkeit der Erwägungen des Finanzgerichts hegt und beschlossen hat, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Steht es in Übereinstimmung mit Art. 32 des Protokolls Nr. 1, wenn die Europäische Kommission die nachträgliche Prüfung erteilter Ursprungsnachweise im Ausfuhrland im Wesentlichen selbst, wenn auch mit Unterstützung der dortigen Behörden, vornimmt, und handelt es sich um ein Prüfungsergebnis im Sinne dieser Vorschrift, wenn die auf diese Weise gewonnenen Prüfungsergebnisse der Kommission in einem Protokoll festgehalten werden, das von einem Vertreter der Regierung des Ausfuhrlands mit unterzeichnet wird?

Falls die erste Frage zu bejahen ist:

2.      Kann in einem dem Ausgangsverfahren entsprechenden Fall, in dem in einem bestimmten Zeitraum erteilte EUR.1-Bescheinigungen vom Ausfuhrland für ungültig erklärt worden sind, weil sich der Warenursprung aufgrund einer nachträglichen Prüfung nicht hat bestätigen lassen, allerdings nicht ausgeschlossen werden kann, dass einige Ausfuhrwaren die Ursprungsvoraussetzungen erfüllten, der Abgabenschuldner unter Berufung auf Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 2 und 3 des Zollkodex Vertrauensschutz unter Hinweis darauf geltend machen, dass die in seinem Fall vorgelegten EUR.1-Bescheinigungen möglicherweise richtig waren und somit auf einer richtigen Darstellung der Fakten seitens des Ausführers beruhten?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

27      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 32 des Protokolls Nr. 1 dahin auszulegen ist, dass die Ergebnisse einer nachträglichen Prüfung von EUR.1-Bescheinigungen, die von einem AKP-Staat ausgestellt wurden, die Behörden des Mitgliedstaats binden, in den die in diesen Bescheinigungen aufgeführten Waren eingeführt wurden, wenn diese Prüfung im Wesentlichen in einer in diesem AKP-Staat von der Kommission durchgeführten Untersuchung besteht und diese Ergebnisse den genannten Behörden mittels eines Protokolls mitgeteilt werden, das von einem Vertreter dieses AKP-Staats mitunterzeichnet wurde.

28      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, beruht das System der administrativen Zusammenarbeit, das durch ein Protokoll geschaffen wurde, das als Anhang zu einem zwischen der Union und einem Drittstaat geschlossenen Abkommen Regelungen zum Warenursprung enthält, auf einem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Behörden der Einfuhrmitgliedstaaten und denen des Ausfuhrstaats (Urteile vom 9. Februar 2006, Sfakianakis, C‑23/04 bis C‑25/04, Slg. 2006, I‑1265, Randnr. 21, und vom 1. Juli 2010, Kommission/Deutschland, C‑442/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 70).

29      Was insbesondere die nachträgliche Prüfung der vom Ausfuhrstaat ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen betrifft, sind die Ergebnisse, zu denen dessen Behörden gelangt sind, für die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats verbindlich. Denn die durch ein Protokoll über den Warenursprung begründete Zusammenarbeit kann nur funktionieren, wenn der Einfuhrstaat die vom Ausfuhrstaat rechtmäßig vorgenommenen Beurteilungen anerkennt (Urteile vom 17. Juli 1997, Pascoal & Filhos, C‑97/95, Slg. 1997, I‑4209, Randnr. 33, Kommission/Deutschland, Randnrn. 72 und 73, und vom 25. Februar 2010, Brita, C‑386/08, Slg. 2010, I‑1289, Randnr. 62).

30      Was die Frage betrifft, ob die Ergebnisse einer nachträglichen Prüfung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens vom Ausfuhrmitgliedstaat rechtmäßig vorgenommene Beurteilungen darstellen und somit für die Behörden des Einfuhrstaats verbindlich sind, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine nachträgliche Prüfung der von einem AKP-Staat ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen entgegen dem Vorbringen von Afasia ohne ein Ersuchen der Behörden des Einfuhrmitgliedstaats vorgenommen werden kann.

31      Hierzu ist festzustellen, dass über die Bestimmungen in Art. 32 Abs. 1 bis 6 des Protokolls Nr. 1 hinaus Abs. 7 dieses Artikels vorsieht, dass der ausführende AKP-Staat von sich aus oder auf Ersuchen der Union die erforderlichen Untersuchungen durchführt, um Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieses Protokolls festzustellen oder zu verhüten.

32      Daraus folgt, wie die tschechische und die italienische Regierung sowie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen betont haben und wie der Generalanwalt in Nr. 23 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, dass eine nachträgliche Prüfung nicht nur dann vorzunehmen ist, wenn der Einfuhrmitgliedstaat dies beantragt, sondern auch, allgemein, wenn nach Angaben eines der an dem Abkommen beteiligten Staaten oder der Kommission, der es nach Art. 211 EG obliegt, für die ordnungsgemäße Anwendung des Abkommens Sorge zu tragen, Hinweise vorliegen, die eine Unregelmäßigkeit hinsichtlich des Ursprungs der eingeführten Waren vermuten lassen (vgl. entsprechend Urteile Sfakianakis, Randnrn. 30 und 31, sowie Kommission/Deutschland, Randnr. 82).

33      Sodann ist festzustellen, dass Art. 32 Abs. 7 des Protokolls Nr. 1 dem AKP-Ausfuhrstaat ermöglicht, die Union um Mitwirkung an den Untersuchungen zu ersuchen. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die vom OLAF durchgeführte Kontrollmission ausweislich des Protokolls über diese Mission auf Einladung des jamaikanischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und auswärtigen Handel durchgeführt wurde. Unter diesen Umständen kann entgegen dem Vorbringen von Afasia die vom OLAF im jamaikanischen Hoheitsgebiet durchgeführte Mission nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Jamaikas angesehen werden und stellt somit keine Verletzung von dessen Souveränität dar.

34      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass weder im Protokoll Nr. 1 noch in anderen Rechtsakten des Cotonou-Abkommens geregelt ist, nach welchen Modalitäten eine Beteiligung der Union an den Untersuchungen im AKP-Ausfuhrstaat erfolgen soll. Da spezifische Bestimmungen fehlen, ist in Anbetracht der Ziele einer ordnungsgemäßen Anwendung dieses Abkommens und einer guten Zusammenarbeit der Verwaltungen davon auszugehen, dass Art. 32 Abs. 7 dieses Protokolls dem AKP-Ausfuhrstaat, wenn er dies wünscht oder einen dahin gehenden Vorschlag der Union annimmt, gestattet, die Ressourcen und die Expertise des OLAF zu nutzen, indem er überwiegend dieses die vorzunehmende Untersuchung durchführen lässt. Entscheidet sich der AKP-Ausfuhrstaat für diese Vorgehensweise, genügt es für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Funktion als für die nachträgliche Prüfung verantwortliche Stelle, dass er unmissverständlich schriftlich anerkennt, dass er sich die Ergebnisse der vom OLAF durchgeführten Untersuchung zu eigen macht.

35      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 25 und 29 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist diese Anerkennung der Untersuchungsergebnisse zu datieren und im Namen des AKP-Ausfuhrstaats ordnungsgemäß zu unterzeichnen; dabei ist der Umstand, dass diese Ergebnisse in einem Dokument mit dem Briefkopf des OLAF enthalten sind, ohne Belang.

36      Da auch Art. 32 Abs. 7 des genannten Protokolls keine Vorschrift bezüglich der Form enthält, in der die Ergebnisse der Untersuchungen dem Einfuhrmitgliedstaat mitzuteilen sind, um dessen Behörden binden zu können, ist davon auszugehen, dass die Übersendung des ordnungsgemäß im Namen des AKP-Ausfuhrstaats unterzeichneten Protokolls über die Untersuchung des OLAF, in dem eindeutig festgestellt wurde, dass die EUR.1-Bescheinigungen unrichtig und somit ungültig sind, die Wirkung hat, dass diese Ergebnisse den genannten Behörden entgegengehalten werden können.

37      Was schließlich die ebenfalls von Afasia aufgeworfene Frage betrifft, ob die Person, die das Untersuchungsprotokoll im Namen des AKP-Ausfuhrstaats unterzeichnet hat, nach dessen Recht dazu ermächtigt war, ist einerseits festzustellen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich der betroffene AKP-Staat die Untersuchungsergebnisse zu eigen gemacht hat, wenn keine solche Ermächtigung vorliegt, und andererseits, dass es das gegenseitige Vertrauen, von dem die Zusammenarbeit zwischen den AKP-Ausfuhrstaaten und den Einfuhrmitgliedstaaten gekennzeichnet ist, mit sich bringt, dass Letztere nicht systematisch die Gültigkeit von Unterschriften von Personen prüfen müssen, die dem Anschein nach befugt sind, den AKP-Staat im Bereich der Ausfuhr zu binden.

38      Folglich sind die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats nur in dem Fall, dass Zweifel an der Ermächtigung dieser Person bestehen, verpflichtet, bei dem betroffenen AKP-Staat nachzuprüfen, ob die Person, die im Namen des Ausfuhrstaats ihre Unterschrift geleistet hat, tatsächlich ermächtigt war, Letzteren in diesem Bereich zu binden.

39      Das vorlegende Gericht wird zu beurteilen haben, ob das Hauptzollamt in Anbetracht der Angaben im Untersuchungsprotokoll und des Vortrags von Afasia zur angeblich fehlenden Ermächtigung des ständigen Sekretärs des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und auswärtigen Handel, dieses Dokument im Namen Jamaikas zu unterzeichnen, insoweit eine Überprüfung hätte vornehmen müssen.

40      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 32 des Protokolls Nr. 1 dahin auszulegen ist, dass die Ergebnisse einer nachträglichen Prüfung, die sich auf die Richtigkeit des in von einem AKP-Staat ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen angegebenen Warenursprungs bezieht und die im Wesentlichen in einer von der Kommission, genauer vom OLAF, in diesem Staat und auf dessen Einladung durchgeführten Untersuchung besteht, die Behörden des Mitgliedstaats binden, in den die Waren eingeführt wurden, sofern diese Behörden ein Dokument erhalten haben, in dem unmissverständlich anerkannt wird, dass der betreffende AKP-Staat sich diese Ergebnisse zu eigen macht, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 Zur zweiten Frage

41      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass sich der Einführer in dem Fall, dass die zur Einfuhr von Waren in die Union ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen für ungültig erklärt wurden, weil es bei ihrer Ausstellung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist und der in ihnen angegebene Präferenzursprung bei einer nachträglichen Prüfung nicht bestätigt werden konnte, der Nacherhebung von Einfuhrabgaben damit widersetzen kann, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass einige dieser Waren in Wirklichkeit den genannten Präferenzursprung hätten.

42      Das vorlegende Gericht fragt sich also, welche rechtlichen Folgen die Feststellungen der Ermittler, wie sie in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils erwähnt sind, haben können, wonach es möglich sei, dass einige dieser Waren jamaikanischen Ursprungs seien, die Ausführer jedoch keine entsprechenden Nachweise vorgelegt hätten.

43      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Zweck der nachträglichen Prüfung darin besteht, die Ursprungsangabe in der EUR.1-Bescheinigung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (Urteil vom 9. März 2006, Beemsterboer Coldstore Services, C‑293/04, Slg. 2006, I‑2263, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Wie der Gerichtshof in diesem Zusammenhang mehrfach entschieden hat, ist, wenn sich bei einer nachträglichen Überprüfung keine Bestätigung für die in der EUR.1-Bescheinigung enthaltene Angabe über den Warenursprung finden lässt, daraus zu schließen, dass die Ware unbekannten Ursprungs ist und dass die Bescheinigung demnach zu Unrecht ausgestellt und der Vorzugstarif zu Unrecht gewährt worden ist (Urteile vom 7. Dezember 1993, Huygen u. a., C‑12/92, Slg. 1993, I‑6381, Randnrn. 17 und 18, vom 14. Mai 1996, Faroe Seafood u. a., C‑153/94 und C‑204/94, Slg. 1996, I‑2465, Randnr. 16, sowie Beemsterboer Coldstore Services, Randnr. 34).

45      Nach dieser Rechtsprechung kann der Einführer der Nacherhebung von Einfuhrabgaben nicht unter Berufung darauf entgehen, dass der Ursprung der Waren unbekannt sei und daher nicht ausgeschlossen werden könne, dass einige der Waren den in den für ungültig erklärten EUR.1-Bescheinigungen angegebenen Präferenzursprung hätten.

46      Im Gegenteil ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die Nacherhebung der bei der Einfuhr nicht gezahlten Zölle die normale Folge dessen ist, dass die nachträgliche Prüfung nicht ermöglicht, den in den EUR.1-Bescheinigungen angegebenen Warenursprung zu bestätigen (Urteile Huygen u. a., Randnr. 19, und Faroe Seafood u. a., Randnr. 16).

47      Damit sich der Einführer mit Erfolg auf ein berechtigtes Vertrauen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex berufen und ihm somit die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme von der Nacherhebung zugutekommen kann, müssen kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sein. Voraussetzung ist zunächst, dass die nicht ordnungsgemäße Ausstellung der EUR.1-Bescheinigungen auf einem Irrtum der zuständigen Behörden selbst beruht, sodann, dass deren Irrtum so geartet ist, dass er von einem gutgläubigen Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte, und schließlich, dass Letzterer alle Bestimmungen der geltenden Regelung beachtet hat (vgl. u. a. Urteile Faroe Seafood u. a., Randnr. 83, vom 3. März 2005, Biegi Nahrungsmittel und Commonfood/Kommission, C‑499/03 P, Slg. 2005, I‑1751, Randnr. 46, sowie vom 18. Oktober 2007, Agrover, C‑173/06, Slg. 2007, I‑8783, Randnr. 30).

48      Haben die Behörden des Ausfuhrstaats wie im Ausgangsverfahren im Rahmen eines Systems der Zusammenarbeit der Verwaltungen unrichtige EUR.1-Bescheinigungen ausgestellt, ist diese Ausstellung nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 2 und 3 des Zollkodex als Irrtum dieser Behörden anzusehen, es sei denn, es stellte sich heraus, dass diese Bescheinigungen auf einer unrichtigen Darstellung der Fakten durch den Ausführer beruhen. Wurden die genannten Bescheinigungen auf der Grundlage falscher Erklärungen des Ausführers ausgestellt, ist die erste der drei oben erwähnten Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, nicht erfüllt, und folglich müssen die Einfuhrabgaben nacherhoben werden, sofern insbesondere nicht offensichtlich ist, dass die Behörden, die solche Bescheinigungen ausgestellt haben, wussten oder hätten wissen müssen, dass die Waren die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung nicht erfüllten.

49      Das vorlegende Gericht stellt im Ausgangsverfahren zwar nicht die Feststellung im Protokoll der Überprüfung in Frage, wonach die jamaikanischen Behörden nicht wussten und nicht wissen konnten, dass die von ARH ausgeführten Textilien nicht die Voraussetzungen erfüllten, um als Ursprungserzeugnisse Jamaikas gelten zu können; dafür fragt es sich, ob dem Hauptzollamt der Beweis dafür obliegt, dass die unrichtigen Bescheinigungen auf falschen Erklärungen dieser Gesellschaft beruhen, oder ob im Gegenteil Afasia zu beweisen hat, dass ARH den jamaikanischen Behörden den Sachverhalt richtig dargelegt hat.

50      Das vorlegende Gericht fragt sich insbesondere, in welcher Weise die Auslegung von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex, die der Gerichtshof im Urteil Beemsterboer Coldstore Services vorgenommen hat, auf Umstände wie die des Ausgangsverfahrens zu übertragen ist.

51      In dem genannten Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass von den Zollbehörden des Einfuhrstaats nicht der Nachweis verlangt werden kann, dass der Ausführer falsche Erklärungen gemacht hat, wenn sich herausstellt, dass er entgegen der sich aus der geltenden Regelung ergebenden Verpflichtung die Unterlagen bezüglich der betreffenden Waren nicht mindestens drei Jahre lang aufbewahrt hat. Unter diesen Umständen ist es den genannten Behörden nämlich unmöglich, zu beweisen, dass die vom Ausführer im Hinblick auf die Ausstellung von EUR.1-Bescheinigungen gemachten Angaben richtig waren oder nicht (Urteil Beemsterboer Coldstore Services, Randnr. 40).

52      Afasia vertritt die Ansicht, dass diese vom Gerichtshof im Urteil Beemsterboer Coldstore Services entwickelte Lösung nicht auf das Ausgangsverfahren übertragbar sei, da es ARH unmöglich gewesen sei, ihrer Verpflichtung nach Art. 28 des Protokolls Nr. 1, die relevanten Unterlagen mindestens drei Jahre lang aufzubewahren, nachzukommen, da ihre Produktionsstätten vor Ablauf dieses Zeitraums durch einen Hurrikan zerstört worden seien. Dieser Umstand höherer Gewalt habe zur Folge, dass die Frage, ob die EUR.1-Bescheinigungen auf falschen Erklärungen des Ausführers beruhten, nicht mehr geklärt werden könne und dass die Ausstellung unrichtiger EUR.1-Bescheinigungen somit als Irrtum der jamaikanischen Behörden zu qualifizieren sei.

53      Diese Argumentation übergeht jedoch, dass das OLAF – da die Eigentümer der Afasia-Firmengruppe nicht zur Zusammenarbeit bereit waren und in den Produktionsstätten und Büros von ARH, als diese in Zusammenarbeit mit den jamaikanischen Behörden zwangsweise überprüft wurden, keine Unterlagen vorhanden waren – seine Untersuchung auf die Frachtpapiere und die im Besitz der jamaikanischen Behörden befindlichen Unterlagen zu den ausgeführten Warensendungen gerichtet und die Angaben in diesen Unterlagen mit denjenigen verglichen hat, die von den chinesischen Zollbehörden übermittelt worden waren. Auf der Grundlage dieser Unterlagen und dieses Vergleichs von Angaben wurde festgestellt, dass die Erklärungen zum Warenursprung, die ARH und die anderen jamaikanischen Ausführer gegenüber den jamaikanischen Behörden abgegeben hatten, falsch sein mussten.

54      Wie die italienische Regierung und die Kommission zu Recht vorgetragen haben, kann die Ausstellung unrichtiger EUR.1-Bescheinigungen nicht als ein von den Behörden des Ausfuhrstaats selbst begangener Irrtum angesehen werden, wenn diese Behörden von den Ausführern irregeführt wurden. Nach ständiger Rechtsprechung begründen lediglich solche Irrtümer, die auf ein Handeln der zuständigen Behörden zurückzuführen sind, einen Anspruch darauf, dass von der Nacherhebung abgesehen wird. Fehlt es an einem solchen Irrtum, kann sich der Abgabenschuldner nicht auf Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex berufen (vgl. u. a. Urteile Faroe Seafood u. a., Randnrn. 91 und 92, sowie Agrover, Randnr. 31). Unter diesen Umständen gehen die von Afasia auf das Eintreten höherer Gewalt gestützten Argumente ins Leere.

55      Nach alledem ist die zweite Frage dahin zu beantworten, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass sich der Einführer in dem Fall, dass die zur Einfuhr von Waren in die Union ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen für ungültig erklärt wurden, weil es bei ihrer Ausstellung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist und der in ihnen angegebene Präferenzursprung bei einer nachträglichen Prüfung nicht bestätigt werden konnte, der Nacherhebung von Einfuhrabgaben nicht damit widersetzen kann, dass nicht auszuschließen sei, dass einige dieser Waren in Wirklichkeit den genannten Präferenzursprung hätten.

 Kosten

56      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 32 des Protokolls Nr. 1 in Anhang V des am 23. Juni 2000 in Cotonou unterzeichneten Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, im Namen der Union genehmigt mit Beschluss 2003/159/EG des Rates vom 19. Dezember 2002, ist dahin auszulegen, dass die Ergebnisse einer nachträglichen Prüfung, die sich auf die Richtigkeit des in von einem AKP-Staat ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen angegebenen Warenursprungs bezieht und die im Wesentlichen in einer von der Kommission, genauer vom OLAF, in diesem Staat und auf dessen Einladung durchgeführten Untersuchung besteht, die Behörden des Mitgliedstaats binden, in den die Waren eingeführt wurden, sofern diese Behörden ein Dokument erhalten haben, in dem unmissverständlich anerkannt wird, dass der betreffende AKP-Staat sich diese Ergebnisse zu eigen macht, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

2.      Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sich der Einführer in dem Fall, dass die zur Einfuhr von Waren in die Union ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen für ungültig erklärt wurden, weil es bei ihrer Ausstellung zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist und der in ihnen angegebene Präferenzursprung bei einer nachträglichen Prüfung nicht bestätigt werden konnte, der Nacherhebung von Einfuhrabgaben nicht damit widersetzen kann, dass nicht auszuschließen sei, dass einige dieser Waren in Wirklichkeit den genannten Präferenzursprung hätten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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