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Document 62014CJ0277

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 22. Oktober 2015.
PPUH Stehcemp sp. j Florian Stefanek, Janina Stefanek, Jaroslaw Stefanek gegen Dyrektor Izby Skarbowej w Łodzi.
Vorabentscheidungsersuchen des Naczelny Sąd Administracyjny.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Sechste Richtlinie – Recht auf Vorsteuerabzug – Versagung – Verkauf, der von einer als nicht existent angesehenen Einrichtung durchgeführt wird.
Rechtssache C-277/14.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:719

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

22. Oktober 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Steuerrecht — Mehrwertsteuer — Sechste Richtlinie — Recht auf Vorsteuerabzug — Versagung — Verkauf, der von einer als nicht existent angesehenen Einrichtung durchgeführt wird“

In der Rechtssache C‑277/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen) mit Entscheidung vom 6. März 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Juni 2014, in dem Verfahren

PPUH Stehcemp sp. j. Florian Stefanek, Janina Stefanek, Jarosław Stefanek

gegen

Dyrektor Izby Skarbowej w Łodzi

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Prädsidenten der Vierten Kammer T. von Danwitz (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter D. Šváby, A. Rosas, E. Juhász und C. Vajda,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Dyrektor Izby Skarbowej w Łodzi, vertreten durch P. Szczerbiak und T. Szymański als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2002/38/EG des Rates vom 7. Mai 2002 (ABl. L 128, S. 41) (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der PPUH Stehcemp sp. j. Florian Stefanek, Janina Stefanek, Jarosław Stefanek (im Folgenden: PPUH Stehcemp) und dem Dyrektor Izby Skarbowej w Łodzi (Direktor der Finanzkammer Łódź), weil dieser PPUH Stehcemp das Recht auf Abzug von Vorsteuer versagt hat, die sie für als verdächtig angesehene Umsätze entrichtet hatte.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“.

4

Art. 4 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2)   Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.“

5

Nach Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie gilt als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

6

In Art. 10 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie heißt es:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

a)

Steuertatbestand: der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden;

b)

Steueranspruch: der Anspruch, den der Fiskus nach dem Gesetz gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt ab auf die Zahlung der Steuer geltend machen kann, selbst wenn Zahlungsaufschub gewährt werden kann.

(2)   Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird …“

7

Nach Art. 17 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie „[entsteht] das Recht auf Vorsteuerabzug …, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht“.

8

Art. 17 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28f Nr. 1 bestimmt:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)

die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden“.

9

Nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28f Nr. 2 muss der Steuerpflichtige eine gemäß Art. 22 Abs. 3 dieser Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen, um das Recht auf Vorsteuerabzug gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie ausüben zu können.

10

Dieser Art. 22, der in Abschnitt XIII („Pflichten der Steuerschuldner“) der Sechsten Richtlinie enthalten ist, bestimmt in seinem Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 Buchst. b, Abs. 4 Buchst. a und Abs. 5 in der Fassung ihres Art. 28h:

a)

Jeder Steuerpflichtige hat die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen. Die Mitgliedstaaten legen fest, unter welchen Bedingungen der Steuerpflichtige diese Erklärungen auf elektronischem Wege abgeben darf, und können die Übermittlung auf elektronischem Wege auch vorschreiben.

(3)   …

b)

Unbeschadet der in dieser Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß Buchstabe a) Unterabsätze 1, 2 und 3 ausgestellte Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke nur die folgenden Angaben enthalten:

das Ausstellungsdatum,

eine fortlaufende Nummer mit einer oder mehreren Zahlenreihen, die zur Identifizierung der Rechnung einmalig vergeben wird,

die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nach Absatz 1 Buchstabe c), unter der der Steuerpflichtige die Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistungen bewirkt hat,

die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Kunden nach Absatz 1 Buchstabe c), unter der er eine Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistungen, für die er Steuerschuldner ist, oder eine Lieferung von Gegenständen gemäß Artikel 28c Teil A erhalten hat,

den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen und seines Kunden,

die Menge und die Art der gelieferten Gegenstände oder den Umfang und die Art der erbrachten Dienstleistungen,

das Datum, an dem die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt bzw. abgeschlossen wird, oder das Datum, an dem die Vorauszahlung nach Buchstabe a) Unterabsatz 2 geleistet wird, sofern dieses Datum feststeht und nicht mit dem Ausstellungsdatum der Rechnung identisch ist,

die Besteuerungsgrundlage für jeden Steuersatz oder [jede] Befreiung, den Preis je Einheit ohne Steuer sowie jede Preisminderung oder Rückerstattung, sofern sie nicht im Preis je Einheit enthalten sind,

den anzuwendenden Steuersatz,

den zu zahlenden Steuerbetrag, außer bei Anwendung einer speziellen Regelung, bei der nach dieser Richtlinie eine solche Angabe ausgeschlossen wird,

a)

Jeder Steuerpflichtige hat innerhalb eines Zeitraums, der von den einzelnen Mitgliedstaaten festzulegen ist, eine Steuererklärung abzugeben. Dieser Zeitraum darf zwei Monate nach Ende jedes einzelnen Steuerzeitraums nicht überschreiten. Der Steuerzeitraum kann von den Mitgliedstaaten auf einen, zwei oder drei Monate festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch andere Zeiträume festlegen, sofern diese ein Jahr nicht überschreiten. Die Mitgliedstaaten legen fest, unter welchen Bedingungen der Steuerpflichtige diese Steuererklärungen auf elektronischem Wege abgeben darf, und können die Übermittlung auf elektronischem Wege auch vorschreiben.

(5)   Jeder Steuerpflichtige hat bei der Abgabe der periodischen Steuererklärung den sich nach Vornahme des Vorsteuerabzugs ergebenden Mehrwertsteuerbetrag zu entrichten. Die Mitgliedstaaten können jedoch einen anderen Termin für die Zahlung dieses Betrags festsetzen oder vorläufige Vorauszahlungen erheben.“

Polnisches Recht

11

Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 11. März 2004 über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen (Ustawa r. o podatku od towarów i usług, Dz. U. 2004, Nr. 54, Pos. 535, im Folgenden: Umsatzsteuergesetz) bestimmt, dass die entgeltliche Lieferung von Gegenständen und die entgeltliche Erbringung von Dienstleistungen im Inland der Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen unterliegen.

12

Nach Art. 7 Abs. 1 dieses Gesetzes gilt als „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne des genannten Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über Gegenstände zu verfügen.

13

Art. 15 Abs. 1 und 2 dieses Gesetzes lautet:

„(1)   Steuerpflichtige sind juristische Personen, nichtrechtsfähige Organisationseinheiten und natürliche Personen, die selbständig eine in Abs. 2 genannte wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, ungeachtet des Zwecks oder des Ergebnisses einer solchen Tätigkeit.

(2)   Als wirtschaftliche Tätigkeit gelten alle Tätigkeiten der Erzeuger, Händler oder Dienstleistungserbringer einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe, auch dann, wenn eine Handlung einmalig unter Umständen vorgenommen wurde, die auf die Absicht hinweisen, entsprechende Handlungen häufig vorzunehmen. Als wirtschaftliche Tätigkeit gelten auch Handlungen, die in der nachhaltigen Nutzung von Gegenständen oder immateriellen Vermögenswerten zu Erwerbszwecken bestehen.“

14

Nach Art. 19 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes entsteht die Steuerschuld zum Zeitpunkt der Übergabe des Gegenstands oder der Erbringung der Dienstleistung.

15

Gemäß Art. 86 Abs. 1 dieses Gesetzes sind, soweit Gegenstände und Dienstleistungen zur Ausführung besteuerter Umsätze verwendet werden, die in Art. 15 dieses Gesetzes genannten Steuerpflichtigen berechtigt, den Betrag der Vorsteuer vom Betrag der geschuldeten Steuer abzuziehen. Art. 86 Abs. 2 dieses Gesetzes bestimmt, dass sich der Vorsteuerbetrag aus der Summe der Steuerbeträge zusammensetzt, die in den Rechnungen ausgewiesen sind, die dem Steuerpflichtigen für den Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen gestellt wurden.

16

Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung des Ministers der Finanzen vom 27. April 2004 zur Durchführung einiger Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (Dz. U. 2004, Nr. 97, Pos. 970) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Verordnung vom 27. April 2004) sieht vor, dass für den Fall, dass über einen Verkauf von Gegenständen oder Dienstleistungen eine Rechnung bzw. eine berichtigte Rechnung von einem nicht existenten oder zur Rechnungserteilung bzw. Rechnungsberichtigung nicht berechtigten Wirtschaftsteilnehmer (im Folgenden: nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer) erteilt werden, diese Rechnungen und die Zollpapiere nicht zum Abzug der Vorsteuer, zur Erstattung der Steuerdifferenz oder zur Erstattung der Vorsteuer berechtigen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17

Im Jahr 2004 tätigte PPUH Stehcemp mehrere Einkäufe von Dieselkraftstoff, den sie im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit verwendete. Die Rechnungen über diese Kraftstoffeinkäufe wurden durch die Finnet sp. z o.o. (im Folgenden: Finnet) ausgestellt. PPUH Stehcemp führte für diese Kraftstoffeinkäufe den Vorsteuerabzug durch.

18

Nach einer Steuerprüfung versagte ihr die Finanzverwaltung mit Bescheid vom 5. April 2012 das Recht auf diesen Vorsteuerabzug, weil die Rechnungen über die Kraftstoffeinkäufe von einem nicht existenten Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt worden seien.

19

Mit Bescheid vom 29. Mai 2012 bestätigte der Direktor der Finanzkammer Łódź diesen Bescheid, da Finnet nach den in der Verordnung vom 27. April 2004 festgelegten Kriterien als nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer anzusehen sei, der keine Lieferungen von Gegenständen vornehmen könne. Die Feststellung, dass Finnet nicht existent sei, war auf eine Reihe von Gesichtspunkten gestützt, insbesondere auf den Umstand, dass diese Gesellschaft nicht für mehrwertsteuerliche Zwecke registriert sei, keine Steuererklärung abgebe und keine Steuern entrichte. Außerdem veröffentliche diese Gesellschaft ihre Jahresabschlüsse nicht und verfüge nicht über eine Konzession zum Verkauf von Flüssigkraftstoffen. Das im Handelsregister als Gesellschaftssitz angegebene Gebäude sei in einem heruntergekommenen Zustand, der jegliche wirtschaftliche Tätigkeit unmöglich mache. Schließlich seien alle Versuche, mit Finnet oder mit der als ihr Geschäftsführer im Handelsregister eingetragenen Person Kontakt aufzunehmen, erfolglos gewesen.

20

Gegen den Bescheid des Direktors der Finanzkammer Łódź vom 29. Mai 2012 erhob PPUH Stehcemp Klage beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Łodzi (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Łódź). Diese Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass Finnet ein Wirtschaftsteilnehmer sei, der zum Zeitpunkt der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze nicht existent gewesen sei, und dass PPUH Stehcemp keine angemessene Sorgfalt angewandt habe, da sie nicht überprüft habe, ob diese Umsätze in Zusammenhang mit der Begehung einer Straftat stünden.

21

PPUH Stehcemp legte Kassationsbeschwerde zum Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen) ein, mit der sie einen Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes in Verbindung mit Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie rügte.

22

Zur Stützung ihrer Kassationsbeschwerde macht PPUH Stehcemp geltend, dass es zum Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer im Widerspruch stehe, einem gutgläubigen Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen. Sie habe nämlich von Finnet Unterlagen über deren Eintragung erhalten, die belegten, dass diese Gesellschaft ein ihre Tätigkeiten legal ausübender Wirtschaftsteilnehmer sei, nämlich einen Auszug aus dem Handelsregister, die Zuteilung einer Steueridentifikationsnummer und eine Bescheinigung über die Zuteilung einer statistischen Identifikationsnummer.

23

Das vorlegende Gericht wirft die Frage nach der Bedeutung auf, die die Rechtsprechung des Gerichtshofs dem guten Glauben des Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit dem Recht auf Vorsteuerabzug zuerkennt (vgl. u. a. Urteile Optigen u. a., C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, EU:C:2006:16, Kittel und Recolta Recycling, C‑439/04 und C‑440/04, EU:C:2006:446, Mahagében und Dávid, C‑80/11 und C‑142/11, EU:C:2012:373, Tóth, C‑324/11, EU:C:2012:549, sowie Beschlüsse Forvards V, C‑563/11, EU:C:2013:125, und Jagiełło, C‑33/13, EU:C:2014:184). Seiner Ansicht nach kann der gute Glaube des Steuerpflichtigen das Recht zum Vorsteuerabzug nicht eröffnen, wenn die materiellen Voraussetzungen dieses Rechts nicht erfüllt sind. Insbesondere stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob ein Erwerb von Gegenständen als Lieferung von Gegenständen eingestuft werden kann, wenn die Rechnungen über diesen Umsatz einen nicht existenten Wirtschaftsteilnehmer ausweisen und es unmöglich ist, die Identität des tatsächlichen Lieferers der in Rede stehenden Gegenstände zu bestimmen. Ein nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer könne nämlich weder die Befugnis übertragen, über die Waren wie ein Eigentümer zu verfügen, noch eine Zahlung entgegennehmen. Unter diesen Umständen verfügten die Finanzbehörden auch nicht über eine fällige Steuerforderung, so dass keine geschuldete Steuer vorliege.

24

Angesichts dieser Erwägungen hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 2 Nr. 1, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 5 Abs. 1 sowie Art. 10 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass es sich bei einem Umsatz, der unter Umständen bewirkt wurde, wie sie in der bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtssache in Rede stehen, in der weder der Steuerpflichtige noch die Steuerbehörden imstande sind, die Identität des tatsächlichen Lieferers eines Gegenstands zu bestimmen, um eine Lieferung von Gegenständen handelt?

2.

Im Fall einer Bejahung der ersten Frage: Sind Art. 17 Abs. 2 Buchst. a, Art. 18 Abs. 1 Buchst. a sowie Art. 22 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, nach denen – unter Umständen, wie sie in der bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtssache in Rede stehen – der Steuerpflichtige die Vorsteuer deshalb nicht abziehen kann, weil die Rechnung von einer Person ausgestellt wurde, bei der es sich nicht um den tatsächlichen Lieferer des Gegenstands handelt, und es nicht möglich ist, die Identität des tatsächlichen Lieferers des Gegenstands zu bestimmen und ihn zu verpflichten, die Steuer zu entrichten, oder die Person zu benennen, die dazu auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie wegen der Ausstellung der Rechnung verpflichtet ist?

Zu den Vorlagefragen

25

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens entgegenstehen, die einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die für Gegenstände, die ihm geliefert wurden, geschuldet ist oder entrichtet wurde, mit der Begründung versagt, dass die Rechnung von einem Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt wurde, der nach den in dieser Regelung festgelegten Kriterien als ein nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer anzusehen ist, und dass es unmöglich ist, die Identität des tatsächlichen Lieferers der Gegenstände festzustellen.

26

Nach gefestigter Rechtsprechung ist das in den Art. 17 ff. der Sechsten Richtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, das grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann und das für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Mahagében und Dávid, C‑80/11 und C‑142/11, EU:C:2012:373, Rn. 37 und 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, Bonik, C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 25 und 26, sowie Petroma Transports u. a., C‑271/12, EU:C:2013:297, Rn. 22).

27

Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet auf diese Weise die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. Urteile Dankowski, C‑438/09, EU:C:2010:818, Rn. 24, Tóth, C‑324/11, EU:C:2012:549, Rn. 25, sowie Beschlüsse Forvards V, C‑563/11, EU:C:2013:125, Rn. 27, und Jagiełło, C‑33/13, EU:C:2014:184, Rn. 25).

28

Zu den für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts erforderlichen materiellen Voraussetzungen geht aus dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie hervor, dass, um dieses Recht geltend machen zu können, zum einen erforderlich ist, dass der Betroffene Steuerpflichtiger im Sinne dieser Richtlinie ist, und zum anderen, dass die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und dass diese Gegenstände oder Dienstleistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteile Centralan Property, C‑63/04, EU:C:2005:773, Rn. 52, Tóth, C‑324/11, EU:C:2012:549, Rn. 26, und Bonik, C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 29, sowie Beschluss Jagiełło, C‑33/13, EU:C:2014:184, Rn. 27).

29

Im Hinblick auf die formellen Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug sieht Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie vor, dass der Steuerpflichtige eine nach Art. 22 Abs. 3 dieser Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen muss. Gemäß diesem Art. 22 Abs. 3 Buchst. b muss die Rechnung insbesondere die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gesondert ausweisen, unter der der Steuerpflichtige die Lieferung bewirkt hat, seinen vollständigen Namen und seine vollständige Anschrift sowie die Menge und die Art der gelieferten Gegenstände.

30

Hinsichtlich des Ausgangsverfahrens ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass PPUH Stehcemp, die das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen im Sinne der Sechsten Richtlinie innehat, dass sie die betreffenden Gegenstände, nämlich Kraftstoff, die auf den von Finnet ausgestellten Rechnungen ausgewiesen waren, tatsächlich erhalten und bezahlt hat und dass sie diese Gegenstände auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke ihrer besteuerten Umsätze verwendet hat.

31

Das vorlegende Gericht geht jedoch von der Prämisse aus, dass der auf der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechnung ausgewiesene Umsatz das Recht zum Vorsteuerabzug nicht eröffnen kann, da Finnet, selbst wenn diese Gesellschaft im Handelsregister eingetragen wäre, nach den Kriterien der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung als ein zum Zeitpunkt der Kraftstofflieferungen nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer anzusehen sei. Dass Finnet nicht existent sei, ergebe sich insbesondere daraus, dass diese Gesellschaft nicht für mehrwertsteuerliche Zwecke registriert sei, keine Steuererklärung abgebe, keine Steuern entrichte und nicht über eine Konzession zum Verkauf von Flüssigkraftstoffen verfüge. Außerdem mache der heruntergekommene Zustand des im Handelsregister als Gesellschaftssitz bezeichneten Gebäudes jegliche wirtschaftliche Tätigkeit unmöglich.

32

Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass ein solcher nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer weder eine Lieferung von Gegenständen bewirken noch eine Rechnung über eine solche Lieferung nach den maßgeblichen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie ausstellen könne, und kommt zu dem Schluss, dass keine Lieferung von Gegenständen im Sinne dieser Richtlinie vorliege, da auch der tatsächliche Lieferer dieser Gegenstände nicht habe identifiziert werden können.

33

In diesem Zusammenhang ist, erstens, darauf hinzuweisen, dass das Kriterium der Existenz des Lieferers der Gegenstände oder seiner Berechtigung zur Ausstellung von Rechnungen, wie es sich aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung in der Auslegung des nationalen Gerichts ergibt, nicht zu den in den Rn. 28 und 29 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug gehört. Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie bestimmt vielmehr, dass der Lieferer Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sein muss. Daher dürfen die Kriterien, denen die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung in der Auslegung des nationalen Gerichts die Existenz des Lieferers oder seine Berechtigung zur Ausstellung von Rechnungen unterwirft, den Anforderungen, die sich aus der Eigenschaft des Steuerpflichtigen im Sinne dieser Bestimmungen ergeben, nicht zuwiderlaufen.

34

Nach Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer wirtschaftliche Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden selbständig ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Daraus folgt, dass der Begriff „Steuerpflichtiger“ weit gefasst ist und sich auf tatsächliche Gegebenheiten stützt (vgl. Urteil Tóth, C‑324/11, EU:C:2012:549, Rn. 30).

35

In Bezug auf Finnet erscheint eine solche wirtschaftliche Tätigkeit nicht angesichts der Umstände der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kraftstofflieferungen ausgeschlossen. Diese Schlussfolgerung wird durch den vom vorlegenden Gericht hervorgehobenen Umstand, wonach der heruntergekommene Zustand des Gebäudes, in dem sich der Gesellschaftssitz von Finnet befinde, keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit gestatte, nicht in Frage gestellt, da eine solche Feststellung nicht ausschließt, dass diese Tätigkeit an anderen Orten als dem Gesellschaftssitz ausgeführt wurde. Insbesondere wenn die in Rede stehende wirtschaftliche Tätigkeit aus Lieferungen von Gegenständen besteht, die im Rahmen mehrerer aufeinanderfolgender Verkäufe bewirkt werden, kann sich der erste Erwerber und Weiterverkäufer dieser Gegenstände darauf beschränken, dem ersten Verkäufer die Anweisung zu geben, die betreffenden Gegenstände direkt zum zweiten Erwerber zu transportieren (vgl. Beschlüsse Forvards V, C‑563/11, EU:C:2013:125, Rn. 34, und Jagiełło, C‑33/13, EU:C:2014:184, Rn. 32), ohne notwendigerweise selbst über die Mittel zur Lagerung und zum Transport zu verfügen, die unabdingbar sind, um die Lieferung der fraglichen Gegenstände zu bewirken.

36

Auch kann aus der etwaigen Unmöglichkeit, im Rahmen von Verwaltungsverfahren mit Finnet oder der als ihr Geschäftsführer im Handelsregister eingetragenen Person Kontakt aufzunehmen, nicht automatisch der Schluss gezogen werden, dass zum Zeitpunkt dieser Lieferungen keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, da diese Versuche der Kontaktaufnahme in einem Zeitraum stattfanden, der den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Lieferungen vor- oder nachgelagert war.

37

Außerdem geht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie nicht hervor, dass die Eigenschaft als Steuerpflichtiger von einer von der Verwaltung zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit erteilten Genehmigung oder Lizenz abhängt (vgl. in diesem Sinne Urteil Tóth, C‑324/11, EU:C:2012:549, Rn. 30).

38

Zwar hat nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie jeder Steuerpflichtige die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen. Ungeachtet der Bedeutung einer solchen Erklärung für das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems kann diese jedoch keine zusätzliche, für die Zuerkennung der Eigenschaft als Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 4 dieser Richtlinie erforderliche Voraussetzung darstellen, da Art. 22 zu Titel XIII („Pflichten der Steuerschuldner“) der Richtlinie gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil Tóth, C‑324/11, EU:C:2012:549, Rn. 31).

39

Folglich kann diese Eigenschaft auch nicht von der Beachtung der sich aus Art. 22 Abs. 4 und 5 der Richtlinie ergebenden Pflichten des Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Steuererklärung und zur Entrichtung der Mehrwertsteuer abhängen. Die Zuerkennung der Eigenschaft des Steuerpflichtigen kann erst recht nicht der Pflicht zur Veröffentlichung des Jahresabschlusses oder der Verfügung über eine Konzession zum Kraftstoffverkauf unterliegen, da diese Pflichten in der Sechsten Richtlinie nicht vorgesehen sind.

40

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof zudem entschieden, dass ein etwaiger Verstoß des Lieferers der Gegenstände gegen die Pflicht, die Aufnahme seiner steuerbaren Tätigkeit anzuzeigen, das Abzugsrecht des Empfängers der gelieferten Gegenstände in Bezug auf die dafür entrichtete Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen kann. Selbst wenn der Lieferer der Gegenstände ein Steuerpflichtiger ist, der nicht für mehrwertsteuerliche Zwecke registriert ist, steht dem Empfänger daher das Recht zum Vorsteuerabzug zu, wenn die Rechnungen über die gelieferten Gegenstände alle nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie vorgeschriebenen Angaben enthalten, insbesondere diejenigen, die zur Bestimmung des Ausstellers der Rechnungen und der Art der Gegenstände erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Dankowski, C‑438/09, EU:C:2010:818, Rn. 33, 36 und 38, sowie Tóth, C‑324/11, EU:C:2012:549, Rn. 32).

41

Hieraus hat der Gerichtshof den Schluss gezogen, dass die Steuerbehörden das Recht auf Vorsteuerabzug nicht mit der Begründung versagen dürfen, dass der Aussteller der Rechnung nicht mehr über eine Einzelunternehmerlizenz verfüge und deshalb nicht mehr berechtigt sei, seine Steueridentifikationsnummer zu verwenden, wenn die Rechnung alle in dem genannten Art. 22 Abs. 3 Buchst. b aufgeführten Informationen enthält (vgl. in diesem Sinne Urteil Tóth, C‑324/11, EU:C:2012:549, Rn. 33).

42

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten, dass die Rechnungen über die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze gemäß der genannten Bestimmung u. a. die Art der gelieferten Gegenstände und den Betrag der geschuldeten Mehrwertsteuer auswiesen wie auch den Namen von Finnet, ihre Steueridentifikationsnummer und die Anschrift ihres Gesellschaftssitzes. Daher kann aufgrund der vom vorlegenden Gericht aufgezeigten Umstände, die in Rn. 31 des vorliegenden Urteils zusammengefasst werden, weder der Schluss gezogen werden, dass Finnet nicht die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen aufweist, noch PPUH Stehcemp infolgedessen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt werden.

43

Zweitens ist hinzuzufügen, dass hinsichtlich der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kraftstofflieferungen die anderen materiellen, in Rn. 28 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug ungeachtet der etwaigen Nichtexistenz von Finnet nach der Verordnung vom 27. April 2004 ebenfalls erfüllt waren.

44

Da sich nämlich der Begriff „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie nicht auf die Eigentumsübertragung in den im anwendbaren nationalen Recht vorgesehenen Formen bezieht, sondern jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei umfasst, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (vgl. u. a. Urteile Shipping and Forwarding Enterprise Safe, C‑320/88, EU:C:1990:61, Rn. 7, sowie Dixons Retail, C‑494/12, EU:C:2013:758, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung), kann das etwaige Fehlen der Befähigung von Finnet, über die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gegenstände rechtlich zu verfügen, eine Lieferung dieser Gegenstände im Sinne dieser Bestimmung nicht ausschließen, da diese Gegenstände tatsächlich an PPUH Stehcemp übergeben worden sind, die sie für die Zwecke ihrer besteuerten Umsätze verwendet hat.

45

Außerdem war die Mehrwertsteuer, die PPUH Stehcemp tatsächlich für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kraftstofflieferungen entrichtet hat, nach den Angaben in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten auch im Sinne von Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie „geschuldet oder entrichtet“. Nach ständiger Rechtsprechung wird nämlich die Mehrwertsteuer auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben, abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet worden sind (vgl. u. a. Urteile Optigen u. a., C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, EU:C:2006:16, Rn. 54, Kittel und Recolta Recycling, C‑439/04 und C‑440/04, EU:C:2006:446, Rn. 49, sowie Bonik, C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 28). Ob die für diese Verkaufsumsätze geschuldete Mehrwertsteuer vom Lieferer der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gegenstände an den Fiskus entrichtet wurde, ist daher für das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug nicht von Bedeutung (vgl. in diesem Sinne Urteile Optigen u. a., C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, EU:C:2006:16, Rn. 54, sowie Véleclair, C‑414/10, EU:C:2012:183, Rn. 25).

46

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht jedoch hervor, dass nach Auffassung des vorlegenden Gerichts angesichts der Umstände des Ausgangsverfahrens die betreffenden Umsätze im Ausgangsverfahren nicht von Finnet, sondern von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer bewirkt worden sind, der nicht identifiziert werden könne, so dass die Steuerbehörden die Steuer im Zusammenhang mit diesen Umsätzen nicht hätten vereinnahmen können.

47

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Sechsten Richtlinie anerkannt und gefördert wird. Daher haben die nationalen Behörden und Gerichte den Vorteil des Rechts auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird (vgl. Urteile Bonik, C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 35 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und Maks Pen, C‑18/13, EU:C:2014:69, Rn. 26).

48

Dies ist nicht nur der Fall, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht, sondern auch, wenn ein Steuerpflichtiger wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war. Unter solchen Umständen ist der betreffende Steuerpflichtige für die Zwecke der Sechsten Richtlinie als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen, und zwar unabhängig davon, ob er im Rahmen seiner besteuerten Ausgangsumsätze aus dem Weiterverkauf der Gegenstände oder der Verwendung der Dienstleistungen einen Gewinn erzielt (vgl. Urteile Bonik, C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 38 und 39 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und Maks Pen, C‑18/13, EU:C:2014:69, Rn. 27).

49

Wenn hingegen die nach der Sechsten Richtlinie vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt sind, ist es mit der Vorsteuerabzugsregelung dieser Richtlinie nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung dieses Rechts zu sanktionieren (vgl. in diesem Sinne Urteile Optigen u. a., C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, EU:C:2006:16, Rn. 51, 52 und 55, Kittel und Recolta Recycling, C‑439/04 und C‑440/04, EU:C:2006:446, Rn. 44 bis 46 und 60, sowie Mahagében und Dávid, C‑80/11 und C‑142/11, EU:C:2012:373, Rn. 44, 45 und 47).

50

Es ist Sache der Steuerverwaltung, die Steuerhinterziehungen oder Unregelmäßigkeiten seitens des Ausstellers der Rechnung festgestellt hat, aufgrund objektiver Anhaltspunkte und ohne vom Rechnungsempfänger ihm nicht obliegende Überprüfungen zu fordern, darzulegen, dass der Rechnungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug geltend gemachte Umsatz in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Bonik, C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 45, und LVK – 56, C‑643/11, EU:C:2013:55, Rn. 64).

51

Welche Maßnahmen im konkreten Fall vernünftigerweise von einem Steuerpflichtigen, der sein Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen von einem Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangenen Betrug einbezogen sind, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab (vgl. Urteil Mahagében und Dávid, C‑80/11 und C‑142/11, EU:C:2012:373, Rn. 59, sowie Beschluss Jagiełło, C‑33/13, EU:C:2014:184, Rn. 37).

52

Zwar kann dieser Steuerpflichtige bei Vorliegen von Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung dazu verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen. Die Steuerverwaltung kann jedoch von diesem Steuerpflichtigen nicht generell verlangen, zum einen zu prüfen, ob der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände und Dienstleistungen, für die dieses Recht geltend gemacht wird, über die fraglichen Gegenstände verfügte und sie liefern konnte und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist, um sich zu vergewissern, dass auf der Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorhergehenden Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung vorliegen, oder zum anderen entsprechende Unterlagen vorzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile Mahagében und Dávid, C‑80/11 und C‑142/11, EU:C:2012:373, Rn. 60 und 61, Stroy trans, C‑642/11, EU:C:2013:54, Rn. 49, sowie Beschluss Jagiełło, C‑33/13, EU:C:2014:184, Rn. 38 und 39).

53

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens entgegenstehen, die einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die für Gegenstände, die ihm geliefert wurden, geschuldet ist oder entrichtet wurde, mit der Begründung versagt, dass die Rechnung von einem Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt wurde, der nach den in dieser Regelung festgelegten Kriterien als ein nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer anzusehen ist, und dass es unmöglich ist, die Identität des tatsächlichen Lieferers der Gegenstände festzustellen. Etwas anderes gilt nur, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte und ohne von dem Steuerpflichtigen ihm nicht obliegende Überprüfungen zu fordern dargelegt wird, dass dieser Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass diese Lieferung im Zusammenhang mit einer Mehrwertsteuerhinterziehung steht, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Kosten

54

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der Fassung der Richtlinie 2002/38/EG des Rates vom 7. Mai 2002 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens entgegenstehen, die einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die für Gegenstände, die ihm geliefert wurden, geschuldet ist oder entrichtet wurde, mit der Begründung versagt, dass die Rechnung von einem Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt wurde, der nach den in dieser Regelung festgelegten Kriterien als ein nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer anzusehen ist, und dass es unmöglich ist, die Identität des tatsächlichen Lieferers der Gegenstände festzustellen. Etwas anderes gilt nur, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte und ohne von dem Steuerpflichtigen ihm nicht obliegende Überprüfungen zu fordern dargelegt wird, dass dieser Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass diese Lieferung im Zusammenhang mit einer Mehrwertsteuerhinterziehung steht, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

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