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Document 62015CJ0291

Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 16. Juni 2016.
EURO 2004. Hungary Kft. gegen Nemzeti Adó- és Vámhivatal Nyugat-dunántúli Regionális Vám- és Pénzügyőri Főigazgatósága.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Gemeinsamer Zolltarif – Zollwert – Zollwertermittlung – Transaktionswert – Tatsächlich gezahlter Preis – Begründete Zweifel an der Richtigkeit des angemeldeten Preises – Unter dem im Rahmen anderer Geschäfte mit ähnlichen Waren gezahlten Preis liegender angemeldeter Preis.
Rechtssache C-291/15.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:455

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

16. Juni 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Zollunion — Gemeinsamer Zolltarif — Zollwert — Zollwertermittlung — Transaktionswert — Tatsächlich gezahlter Preis — Begründete Zweifel an der Richtigkeit des angemeldeten Preises — Unter dem im Rahmen anderer Geschäfte mit ähnlichen Waren gezahlten Preis liegender angemeldeter Preis“

In der Rechtssache C‑291/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Zalaegerszegi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Zalaegerszeg, Ungarn) mit Entscheidung vom 21. Mai 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 2015, in dem Verfahren

EURO 2004. Hungary Kft.

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Nyugat-dunántúli Regionális Vám- és Pénzügyőri Főigazgatósága

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter S. Rodin und E. Regan (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

der spanischen Regierung, vertreten durch A. Gavela Llopis als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Albenzio, avvocato dello Stato,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, N. Vitorino und M. Rebelo als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Havas und L. Grønfeldt als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 181a der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1993, L 253, S. 1, berichtigt im ABl. 1994, L 268, S. 32, und im ABl. 1996, L 180, S. 34) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom 19. Dezember 1994 (ABl. 1994, L 346, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der EURO 2004. Hungary Kft. und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Nyugat-dunántúli Regionális Vám- és Pénzügyőri Főigazgatósága (Nationale Zoll- und Finanzverwaltung, Generaldirektion der Zoll- und Finanzinspektion der Region Westtransdanubien, Ungarn, im Folgenden: Regionale Zollbehörde), in dem die Nichtigerklärung einer Entscheidung begehrt wird, den Zollwert der von der Klägerin eingeführten Waren zu berichtigen sowie Zölle und Mehrwertsteuer nachzuerheben.

Rechtlicher Rahmen

Zollkodex

3

Die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 17, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex) bestimmt in Art. 29 Abs. 1:

„Der Zollwert eingeführter Waren ist der Transaktionswert, das heißt der für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis, gegebenenfalls nach Berichtigung gemäß den Artikeln 32 und 33 und unter der Voraussetzung, dass

a)

keine Einschränkungen bezüglich der Verwendung und des Gebrauchs der Waren durch den Käufer bestehen, ausgenommen solche, die

durch das Gesetz oder von den Behörden in der Gemeinschaft auferlegt oder gefordert werden;

das Gebiet abgrenzen, innerhalb dessen die Waren weiterverkauft werden können;

sich auf den Wert der Waren nicht wesentlich auswirken;

b)

hinsichtlich des Kaufgeschäfts oder des Preises weder Bedingungen vorliegen noch Leistungen zu erbringen sind, deren Wert im Hinblick auf die zu bewertenden Waren nicht bestimmt werden kann;

c)

kein Teil des Erlöses aus späteren Weiterverkäufen, sonstigen Überlassungen oder Verwendungen der Waren durch den Käufer unmittelbar oder mittelbar dem Verkäufer zugutekommt, wenn nicht eine angemessene Berichtigung gemäß Artikel 32 erfolgen kann;

d)

der Käufer und der Verkäufer nicht miteinander verbunden sind oder, wenn sie miteinander verbunden sind, der Transaktionswert gemäß Absatz 2 für Zollzwecke anerkannt werden kann.“

4

Art. 30 Abs. 1 und 2 des Zollkodex sieht vor:

„(1)   Kann der Zollwert nicht nach Artikel 29 ermittelt werden, so ist er in der Reihenfolge des Absatzes 2 Buchstaben a) bis d) zu ermitteln …

(2)   Der nach diesem Artikel ermittelte Zollwert ist einer der folgenden Werte:

b)

der Transaktionswert gleichartiger Waren, die zur Ausfuhr in die Gemeinschaft verkauft und zu demselben oder annähernd zu demselben Zeitpunkt wie die zu bewertenden Waren ausgeführt wurden;

…“

5

Art. 78 des Zollkodex lautet:

„(1)   Die Zollbehörden können nach der Überlassung der Waren von Amts wegen oder auf Antrag des Anmelders eine Überprüfung der Anmeldung vornehmen.

(2)   Die Zollbehörden können nach der Überlassung der Waren die Geschäftsunterlagen und anderes Material, das im Zusammenhang mit den betreffenden Einfuhr- oder Ausfuhrgeschäften sowie mit späteren Geschäften mit diesen Waren steht, prüfen, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Anmeldung zu überzeugen. Diese Prüfung kann beim Anmelder, bei allen in geschäftlicher Hinsicht mittelbar oder unmittelbar beteiligten Personen oder bei allen anderen Personen durchgeführt werden, die diese Unterlagen oder dieses Material aus geschäftlichen Gründen in Besitz haben. Die Zollbehörden können auch eine Überprüfung der Waren vornehmen, sofern diese noch vorgeführt werden können.

(3)   Ergibt die nachträgliche Prüfung der Anmeldung, dass bei der Anwendung der Vorschriften über das betreffende Zollverfahren von unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen ausgegangen worden ist, so treffen die Zollbehörden unter Beachtung der gegebenenfalls erlassenen Vorschriften die erforderlichen Maßnahmen, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regeln.“

Durchführungsverordnung

6

Art. 151 der Durchführungsverordnung bestimmt:

„(1)   Zur Ermittlung des Zollwerts im Sinne des Artikels 30 Absatz 2 Buchstabe b) des Zollkodex (Transaktionswert gleichartiger Waren) ist der Transaktionswert gleichartiger Waren aus einem Kaufgeschäft auf der gleichen Handelsstufe und über im Wesentlichen gleiche Mengen wie die zu bewertenden Waren heranzuziehen. Kann ein solches Kaufgeschäft nicht festgestellt werden, so ist der Transaktionswert gleichartiger Waren heranzuziehen, die auf einer anderen Handelsstufe und/oder auch in abweichenden Mengen verkauft worden sind; dieser Transaktionswert ist hinsichtlich der Unterschiede in Bezug auf die Handelsstufe und/oder auch die Menge zu berichtigen, sofern diese Berichtigungen auf der Grundlage vorgelegter Nachweise vorgenommen werden können, welche die Richtigkeit und Genauigkeit der Berichtigung klar darlegen, unabhängig davon, ob diese zu einer Erhöhung oder Verminderung des Wertes führt.

(5)   Der Transaktionswert eingeführter gleichartiger Waren im Sinne dieses Artikels ist ein Zollwert, der bereits nach Artikel 29 des Zollkodex anerkannt worden ist und die Berichtigungen nach Absatz 1 und Absatz 2 enthält.“

7

Art. 178 Abs. 4 dieser Verordnung lautet:

„Die Abgabe einer Zollwertanmeldung nach Absatz 1 gilt unbeschadet etwaiger strafrechtlicher Vorschriften als Verpflichtung der in Absatz 2 genannten Person in Bezug auf:

die Richtigkeit und die Vollständigkeit der in der Zollwertanmeldung enthaltenen Angaben,

die Echtheit der als Nachweis zu diesen Angaben vorgelegten Unterlagen und

die Erteilung aller zusätzlichen Auskünfte und die Vorlage aller weiteren Unterlagen, die für die Ermittlung des Zollwerts der Waren erforderlich sind.“

8

Art. 181a der Durchführungsverordnung bestimmt:

„(1)   Die Zollbehörden müssen den Zollwert von eingeführten Waren nicht auf der Grundlage des Transaktionswertes ermitteln, wenn sie unter Einhaltung des in Absatz 2 genannten Verfahrens wegen begründeter Zweifel nicht überzeugt sind, dass der angemeldete Wert dem gezahlten oder zu zahlenden Preis gemäß Artikel 29 des Zollkodex entspricht.

(2)   In den Fällen, in denen die Zollbehörden Zweifel im Sinne von Absatz 1 haben, können sie gemäß Artikel 178 Absatz 4 zusätzliche Auskünfte verlangen. Bestehen die Zweifel fort, sollen die Zollbehörden der betroffenen Person vor einer endgültigen Entscheidung auf Verlangen schriftlich die Gründe für ihre Zweifel mitteilen und ihr eine angemessene Antwortfrist gewähren. Die abschließende mit Gründen versehene Entscheidung ist der betroffenen Person schriftlich mitzuteilen.“

9

Die Durchführungsverordnung enthält einen Anhang 23 mit dem Titel „Erläuternde Anmerkungen zur Ermittlung des Zollwerts“. In diesem Anhang heißt es in Nr. 1 der Anmerkungen zu Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b des Zollkodex:

„Bei der Anwendung dieses Artikels sollen die Zollbehörden nach Möglichkeit ein Kaufgeschäft über gleiche oder gleichartige Waren auf der gleichen Handelsstufe und über im Wesentlichen gleiche Mengen wie die zu bewertenden Waren heranziehen. Ist ein solches Kaufgeschäft nicht ausfindig zu machen, so kann ein Kaufgeschäft über gleiche oder gleichartige Waren herangezogen werden, das eine der nachstehenden drei Bedingungen erfüllt:

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10

EURO 2004. Hungary, eine Handelsgesellschaft mit Sitz in Ungarn, wickelte am 4. März 2014 durch eine elektronische Zollanmeldung über ihren Zollvertreter bei der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Zala Megyei Vám- és Pénzügyőri Igazgatósága (Nationale Finanz- und Zollverwaltung, Provinzialdirektion der Zoll- und Finanzinspektion von Zala, im Folgenden: Provinzialzollbehörde) die Formalitäten für die Überführung verschiedener aus China stammender Waren mit einem Bruttogewicht von 13000 kg in den zollrechtlich freien Verkehr ab. Nach einer physischen Teilkontrolle der Waren bewilligte diese Behörde ihre Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr. Später ordnete sie, gestützt auf Art. 78 des Zollkodex, eine nachträgliche Überprüfung der Zollanmeldung an.

11

Die Provinzialzollbehörde schloss die nachträgliche Überprüfung der Anmeldung mit Bescheid vom 12. Juni 2014 ab und stellte, abweichend von dem in der Zollanmeldung angegebenen Zollwert von 2589926 ungarischen Forint (HUF) (etwa 8288 Euro), den endgültigen Zollwert der eingeführten Waren mit 3023938 HUF (etwa 9676 Euro) fest. Infolge dieser Änderungen forderte sie EURO 2004. Hungary zur Zahlung von 12970 HUF (etwa 41 Euro) als Zollschuld und 47784 HUF (etwa 153 Euro) als Mehrwertsteuer auf.

12

In den Gründen des Bescheids vom 12. Juni 2014 wird ausgeführt, in der Zollanmeldung sei der Zollwert der Waren im Einklang mit Art. 29 des Zollkodex anhand des Transaktionswerts berechnet worden. Die Beschränkungen und Bedingungen von Art. 29 Abs. 1 Buchst. a bis c des Zollkodex seien bei den Waren nicht anwendbar, und es bestehe auch keine Verbindung zwischen den Parteien des Kaufvertrags im Sinne von Art. 29 Abs. 1 Buchst. d des Zollkodex.

13

Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass die Provinzialzollbehörde beim Vergleich der ihr vorgelegten Handelsrechnung mit den Buchungen und Zahlungsbelegen des Importeurs sowie mit der beigefügten Bankbescheinigung feststellte, dass die darin angegebenen Summen mit dem Inhalt der Anmeldung übereinstimmten. Sie hatte allerdings Zweifel an der Richtigkeit des Zollwerts der als „Baumwoll-Ofenhandschuhe“ bezeichneten Waren mit einem Nettogewicht von 150 kg und der als „Mikrofaser-Putzlappen, gewebt“ bezeichneten Waren mit einem Nettogewicht von 24 kg, da sie den Zollwert der eingeführten Waren je Kilo Nettogewicht als außerordentlich niedrigen Rechnungspreis im Verhältnis zum verfügbaren statistischen Mittelwert vergleichbarer Waren ansah.

14

Die Behörde forderte EURO 2004. Hungary auf, die Richtigkeit des Zollwerts nachzuweisen; wie den dem Gerichtshof vorliegenden Akten zu entnehmen ist, legte diese aber keine neuen Nachweise vor und beschränkte sich auf die Angabe, dass sie ihrem chinesischen Geschäftspartner den in der Rechnung ausgewiesenen Preis gezahlt habe.

15

Da die Provinzialzollbehörde nach wie vor Zweifel an der Richtigkeit des Zollwerts hatte, untersuchte sie unter Heranziehung statistischer Daten, zu welchem Preis je Einheit ungarische Importeure derartige Produkte gekauft hatten, und bestimmte den Zollwert anhand des „Transaktionswerts gleichartiger Waren“ im Sinne von Art. 30 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex.

16

Auf den von EURO 2004. Hungary eingelegten administrativen Rechtsbehelf bestätigte die Regionale Zollbehörde den Bescheid der Provinzialzollbehörde vom 12. Juni 2014 und führte aus, dieser sei im Einklang mit dem in Art. 181a der Durchführungsverordnung festgelegten Verfahren rechtmäßig ergangen, die Zweifel der Provinzialzollbehörde an der Richtigkeit des bei der Anmeldung angegebenen Werts der betreffenden Waren seien nachvollziehbar, und die Berechnung ihres Zollwerts sei auf der Grundlage aktualisierter statistischer Daten erfolgt.

17

EURO 2004. Hungary erhob gegen den Bescheid der Regionalen Zollbehörde beim vorlegenden Gericht Klage im Verwaltungsrechtsweg. Sie machte geltend, die Provinzialzollbehörde habe den angegebenen Zollwert der betreffenden Waren nur deshalb beanstandet, weil es ihr allein aufgrund ihrer guten Geschäftsverbindungen gelungen sei, den Kauf zu einem niedrigeren Preis abzuschließen, was aber nicht als Begründung dienen könne, um den Zollwert in Frage zu stellen.

18

Die Regionale Zollbehörde hielt an der Begründung ihres Bescheids fest und machte geltend, EURO 2004. Hungary habe nicht erläutert, weshalb der Preis der betreffenden Waren im Verhältnis zu vergleichbaren statistischen Werten ungewöhnlich niedrig sei.

19

Das vorlegende Gericht hält eine Auslegung von Art. 181a der Durchführungsverordnung für erforderlich, um zu klären, ob eine Zollbehörde auf der Grundlage dieser Vorschrift bei der Bestimmung des Zollwerts der eingeführten Waren von der Anwendung der auf ihrem Transaktionswert beruhenden Methode abweichen kann.

20

Hierzu vertritt das vorlegende Gericht die Auffassung, dass als Grundregel der Transaktionswert das vorrangige Kriterium zur Feststellung des Zollwerts der eingeführten Waren sei. Wenn keine Zweifel an der Echtheit der zum Nachweis des Transaktionswerts der eingeführten Waren vorgelegten Dokumente oder am tatsächlichen Inhalt des Geschäfts bestünden und kein anderer konkreter Grund bestehe, den Transaktionswert dieser Waren nicht heranzuziehen, seien die Zollbehörden verpflichtet, ihren nachgewiesenen Transaktionswert als Zollwert zu akzeptieren, da diese Praxis die Feststellung willkürlicher Zollwerte verhindere und so für die Funktionsfähigkeit eines neutralen Zollsystems sorge. Diese Auslegung ergebe sich aus den Rn. 52 bis 60 des Urteils vom 28. Februar 2008, Carboni e derivati (C‑263/06, EU:C:2008:128), wobei der Sachverhalt dieses Urteils allerdings beträchtliche Unterschiede zum Sachverhalt des Ausgangsverfahrens aufweise und dort auch nicht untersucht worden sei, welche Grundlage die in Art. 181a der Durchführungsverordnung erwähnten Zweifel haben könnten.

21

Unter diesen Umständen hat das Zalaegerszegi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Zalaegerszeg, Ungarn) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 181a der Durchführungsverordnung dahin auszulegen, dass er einer juristischen Praxis eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der der Zollwert anhand des „Transaktionswerts gleichartiger Waren“ bestimmt wird, wenn der angegebene Transaktionswert als im Vergleich zum statistischen Mittel der bei der Einfuhr gleichartiger Waren festgestellten Kaufpreise ungewöhnlich niedrig und folglich unzutreffend angesehen wird, obwohl die Zollbehörde die Echtheit der Rechnung oder der Überweisungsbestätigung, die zum Nachweis des für die eingeführten Waren tatsächlich gezahlten Preises vorgelegt wurde, weder bestreitet noch sonst in Frage stellt, wobei der Importeur keine zusätzlichen Belege zum Nachweis des Transaktionswerts vorgelegt hat?

Zur Vorlagefrage

22

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 181a der Durchführungsverordnung dahin auszulegen ist, dass er einer zollbehördlichen Praxis wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die darin besteht, den Zollwert der eingeführten Waren anhand des Transaktionswerts gleichartiger Waren nach der in Art. 30 des Zollkodex angeführten Methode zu bestimmen, wenn der angegebene Transaktionswert als im Vergleich zum statistischen Mittel der bei der Einfuhr gleichartiger Waren festgestellten Kaufpreise ungewöhnlich niedrig angesehen wird, obwohl die Zollbehörden die Echtheit der Rechnung oder der Überweisungsbestätigung, die zum Nachweis des für die eingeführten Waren tatsächlich gezahlten Preises vorgelegt wurde, weder bestritten noch sonst in Frage gestellt haben, wobei der Importeur der Zollbehörde auf Nachfrage keine zusätzlichen Belege oder Informationen zum Nachweis der Richtigkeit des angemeldeten Transaktionswerts dieser Waren vorgelegt hat.

23

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung mit der Zollwertregelung der Europäischen Union ein gerechtes, einheitliches und neutrales System errichtet werden soll, das die Anwendung willkürlicher oder fiktiver Zollwerte ausschließt (Urteil vom 15. Juli 2010, Gaston Schul, C‑354/09, EU:C:2010:439, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Insbesondere wird, wie aus Rn. 38 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Christodoulou u. a. (C‑116/12, EU:C:2013:825), hervorgeht, nach Art. 29 des Zollkodex der Zollwert eingeführter Waren durch ihren Transaktionswert gebildet, d. h. durch den für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Union tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis, vorbehaltlich jedoch der gemäß den Art. 32 und 33 des Zollkodex vorzunehmenden Berichtigungen.

25

Hierzu hat der Gerichtshof klargestellt, dass der für die Waren tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis, auch wenn er grundsätzlich die Grundlage der Zollwertermittlung bildet, ein Faktor ist, der gegebenenfalls Berichtigungen unterliegt, wenn dies erforderlich ist, um die Ermittlung eines willkürlichen oder fiktiven Zollwerts zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Christodoulou u. a., C‑116/12, EU:C:2013:825, Rn. 39 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Der Transaktionswert muss nämlich den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert einer eingeführten Ware widerspiegeln und alle Elemente dieser Ware, die einen wirtschaftlichen Wert haben, berücksichtigen (Urteil vom 12. Dezember 2013, Christodoulou u. a., C‑116/12, EU:C:2013:825, Rn. 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Kann der Zollwert jedoch nicht gemäß Art. 29 des Zollkodex anhand des Transaktionswerts der eingeführten Waren ermittelt werden, so erfolgt die Zollwertermittlung nach Art. 30 des Zollkodex, indem nacheinander die in seinem Abs. 2 Buchst. a bis d vorgesehenen Methoden angewandt werden (Urteil vom 12. Dezember 2013, Christodoulou u. a., C‑116/12, EU:C:2013:825, Rn. 41).

28

Falls der Zollwert der eingeführten Waren auch nicht auf der Grundlage von Art. 30 des Zollkodex ermittelt werden kann, richtet sich die Zollwertermittlung nach Art. 31 des Zollkodex (Urteil vom 12. Dezember 2013, Christodoulou u. a., C‑116/12, EU:C:2013:825, Rn. 42).

29

Folglich ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Art. 29 bis 31 des Zollkodex als auch aus der Reihenfolge, in der die Kriterien für die Ermittlung des Zollwerts nach diesen Artikeln anzuwenden sind, dass diese Bestimmungen im Verhältnis der Subsidiarität zueinander stehen. Denn erst wenn der Zollwert nicht durch Anwendung einer bestimmten Vorschrift ermittelt werden kann, ist die in der festgelegten Reihenfolge unmittelbar nach ihr kommende Vorschrift heranzuziehen (Urteil vom 12. Dezember 2013, Christodoulou u. a., C‑116/12, EU:C:2013:825, Rn. 43).

30

Da für die Zollwertermittlung gemäß Art. 29 des Zollkodex dem Transaktionswert Vorrang gegeben wird, dürfte diese Methode zur Bestimmung des Zollwerts die am besten geeignete und am häufigsten verwendete sein (Urteil vom 12. Dezember 2013, Christodoulou u. a., C‑116/12, EU:C:2013:825, Rn. 44).

31

Was zum einen die Frage betrifft, über welche Befugnisse die Zollbehörden verfügen, wenn sie Zweifel an einer ihnen vorgelegten Anmeldung hegen, sieht Art. 181a der Durchführungsverordnung vor, dass die Zollbehörden, wenn sie begründete Zweifel daran haben, dass der angemeldete Wert der eingeführten Waren dem für sie gezahlten oder zu zahlenden Preis entspricht, ihren Zollwert nicht auf der Grundlage des Transaktionswerts ermitteln müssen. Sie können daher vom angemeldeten Preis abweichen, sofern die Zweifel fortbestehen, nachdem sie gegebenenfalls zusätzliche Informationen oder Dokumente verlangt und der betroffenen Person in angemessener Weise Gelegenheit gegeben haben, zu den Gründen, auf denen die Zweifel beruhen, Stellung zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2008, Carboni e derivati, C‑263/06, EU:C:2008:128, Rn. 52).

32

Zum anderen hat der Gerichtshof in Bezug auf den an die Stelle des Transaktionswerts tretenden Werts bereits festgestellt, dass sich Art. 181a der Durchführungsverordnung auf die Aussage beschränkt, dass die Zollbehörden „den Zollwert … nicht auf der Grundlage des Transaktionswerts ermitteln [müssen]“, aber nicht bestimmt, welcher andere Wert in diesem Fall an die Stelle des Transaktionswerts treten muss (Urteil vom 28. Februar 2008, Carboni e derivati, C‑263/06, EU:C:2008:128, Rn. 55).

33

Dabei ist nach den Art. 30 und 31 des Zollkodex der Zollwert der eingeführten Waren, wenn er nicht gemäß Art. 29 des Zollkodex ermittelt werden kann, erst nach Art. 30 und dann nach Art. 31 zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2008, Carboni e derivati, C‑263/06, EU:C:2008:128, Rn. 56).

34

Überdies geht u. a. hinsichtlich der Anwendung von Art. 30 des Zollkodex aus Nr. 1 der Anmerkungen zu Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b in Anhang 23 der Durchführungsverordnung hervor, dass die Zollbehörden nach Möglichkeit ein Kaufgeschäft über gleiche oder gleichartige Waren auf der gleichen Handelsstufe und über im Wesentlichen gleiche Mengen wie die zu bewertenden Waren heranziehen sollen.

35

Daraus ergibt sich, dass die Zollbehörden bei der Bestimmung des Zollwerts den angemeldeten Preis der eingeführten Waren unberücksichtigt lassen und auf die in den Art. 30 und 31 des Zollkodex vorgesehenen nachrangigen Methoden der Zollwertbestimmung der eingeführten Waren und insbesondere auf den Kaufpreis gleichartiger Waren zurückgreifen können, wenn ihre Zweifel am Transaktionswert der Waren fortbestehen, nachdem sie zusätzliche Informationen oder Dokumente verlangt und der betroffenen Person angemessen Gelegenheit gegeben haben, zu den Gründen, auf denen diese Zweifel beruhen, Stellung zu nehmen.

36

Es obliegt jedoch dem vorlegenden Gericht, das allein über unmittelbare Kenntnis des ihm unterbreiteten Rechtsstreits verfügt, zu bestimmen, ob die Zweifel der Zollbehörde im Ausgangsverfahren es rechtfertigten, auf die genannten nachrangigen Methoden zurückzugreifen, und ob diese Behörde der betroffenen Person angemessen Gelegenheit gegeben hat, zu den Gründen, auf denen die Zweifel beruhen, Stellung zu nehmen.

37

Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist hinsichtlich der dem Gerichtshof in Bezug auf das Ausgangsverfahren bekannten Gesichtspunkte Folgendes hinzuzufügen.

38

Insoweit ist erstens, vor allem hinsichtlich der Begründetheit der fraglichen Zweifel, darauf hinzuweisen, dass aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervorgeht, dass die Zollbehörde im Ausgangsverfahren den angemeldeten Transaktionswert der eingeführten Waren als im Vergleich zum statistischen Mittelwert bei der Einfuhr vergleichbarer Waren ungewöhnlich niedrig eingestuft hat. Bei bestimmten Erzeugnissen, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, lag der angemeldete Preis offenbar, wie die Europäische Kommission hervorhebt, um mehr als 50 % unter dem statistischen Durchschnittspreis.

39

Unter solchen Umständen erscheint eine Preisdifferenz wie die hier festgestellte ausreichend, um die von der Zollbehörde gehegten Zweifel und ihre Zurückweisung des angemeldeten Zollwerts der fraglichen Waren zu rechtfertigen.

40

Darüber hinaus steht fest, dass sich die Zweifel, die die Zollbehörde im Ausgangsverfahren zur Anwendung von Art. 181a der Durchführungsverordnung veranlassten, nicht auf die Echtheit der Handelsrechnung bezogen, sondern auf die Richtigkeit des Zollwerts der eingeführten Waren.

41

Bei der Anwendung von Art. 181a der Durchführungsverordnung stellt die Echtheit der den Transaktionswert der eingeführten Waren attestierenden Unterlagen jedoch nicht das entscheidende Kriterium dar, sondern ist einer unter mehreren von den Zollbehörden zu berücksichtigenden Faktoren. Sie können nämlich trotz der Echtheit dieser Unterlagen Zweifel an der Richtigkeit des Zollwerts der eingeführten Waren haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2008, Carboni e derivati, C‑263/06, EU:C:2008:128, Rn. 64).

42

Zweitens geht in Bezug auf die Frage, ob die Zollbehörde im Ausgangsverfahren der betroffenen Person angemessen Gelegenheit gegeben hat, zu den Gründen, auf denen die Zweifel beruhten, Stellung zu nehmen, aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass die Provinzialzollbehörde EURO 2004. Hungary aufforderte, die Richtigkeit des Zollwerts der eingeführten Waren nachzuweisen. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass diese Behörde der genannten Gesellschaft angemessen Gelegenheit gab, zu den betreffenden Zweifeln Stellung zu nehmen.

43

Jedenfalls geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass diese Gesellschaft den Zollbehörden auf deren Nachfrage keine neuen Nachweise vorlegte und angab, ihrem Vertragspartner den in der Rechnung ausgewiesenen Preis gezahlt zu haben.

44

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 181a der Durchführungsverordnung dahin auszulegen ist, dass er einer zollbehördlichen Praxis wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die darin besteht, den Zollwert der eingeführten Waren anhand des Transaktionswerts gleichartiger Waren nach der in Art. 30 des Zollkodex angeführten Methode zu bestimmen, wenn der angegebene Transaktionswert als im Vergleich zum statistischen Mittel der bei der Einfuhr gleichartiger Waren festgestellten Kaufpreise ungewöhnlich niedrig angesehen wird, obwohl die Zollbehörden die Echtheit der Rechnung oder der Überweisungsbestätigung, die zum Nachweis des für die eingeführten Waren tatsächlich gezahlten Preises vorgelegt wurde, weder bestritten noch sonst in Frage gestellt haben, wobei der Importeur der Zollbehörde auf Nachfrage keine zusätzlichen Belege oder Informationen zum Nachweis der Richtigkeit des angemeldeten Transaktionswerts dieser Waren vorgelegt hat.

Kosten

45

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 181a der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom 19. Dezember 1994 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer zollbehördlichen Praxis wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die darin besteht, den Zollwert der eingeführten Waren anhand des Transaktionswerts gleichartiger Waren nach der in Art. 30 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 geänderten Fassung angeführten Methode zu bestimmen, wenn der angegebene Transaktionswert als im Vergleich zum statistischen Mittel der bei der Einfuhr gleichartiger Waren festgestellten Kaufpreise ungewöhnlich niedrig angesehen wird, obwohl die Zollbehörden die Echtheit der Rechnung oder der Überweisungsbestätigung, die zum Nachweis des für die eingeführten Waren tatsächlich gezahlten Preises vorgelegt wurde, weder bestritten noch sonst in Frage gestellt haben, wobei der Importeur der Zollbehörde auf Nachfrage keine zusätzlichen Belege oder Informationen zum Nachweis der Richtigkeit des angemeldeten Transaktionswerts dieser Waren vorgelegt hat.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.

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