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Document 62019CJ0077

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 18. November 2020.
Kaplan International colleges UK Ltd gegen The Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs.
Vorabentscheidungsersuchen des First-tier Tribunal (Tax Chamber).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 132 Abs. 1 Buchst. f – Befreiung von Dienstleistungen von selbständigen Zusammenschlüssen von Personen an ihre Mitglieder – Anwendbarkeit auf Mehrwertsteuergruppen – Art. 11 – Mehrwertsteuergruppe.
Rechtssache C-77/19.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:934

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

18. November 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 132 Abs. 1 Buchst. f – Befreiung von Dienstleistungen von selbständigen Zusammenschlüssen von Personen an ihre Mitglieder – Anwendbarkeit auf Mehrwertsteuergruppen – Art. 11 – Mehrwertsteuergruppe“

In der Rechtssache C‑77/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Steuerkammer], Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 30. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Februar 2019, in dem Verfahren

Kaplan International Colleges UK Ltd

gegen

The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter A. Kumin, T. von Danwitz und P. G. Xuereb (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Kaplan International Colleges UK Ltd, vertreten durch R. Woolich und M. Murcia, Solicitors, und durch R. Hill, Barrister,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon, J. Kraehling und Z. Lavery als Bevollmächtigte im Beistand von O. Thomas, QC,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und R. Lyal als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 23. April 2020

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kaplan International Colleges UK Limited (im Folgenden: KIC) und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (Steuer- und Zollverwaltung des Vereinigten Königreichs) wegen deren Weigerung, KIC die für selbständige Zusammenschlüsse von Personen vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 25 und 35 der Richtlinie 2006/112 heißt es:

„(25)

Die Steuerbemessungsgrundlage sollte harmonisiert werden, damit die Anwendung der Mehrwertsteuer auf die steuerbaren Umsätze in allen Mitgliedstaaten zu vergleichbaren Ergebnissen führt.

(35)

Im Hinblick auf eine gleichmäßige Erhebung der Eigenmittel in allen Mitgliedstaaten sollte ein gemeinsames Verzeichnis der Steuerbefreiungen aufgestellt werden.“

4

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c)

Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.

5

Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.“

6

In Art. 11 der Richtlinie 2006/112 heißt es:

„Nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer … kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.

Ein Mitgliedstaat, der die in Absatz 1 vorgesehene Möglichkeit in Anspruch nimmt, kann die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder -umgehungen durch die Anwendung dieser Bestimmung vorzubeugen.“

7

Art. 131 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.“

8

Art. 132 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

f)

Dienstleistungen, die selbstständige Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit erbringen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern, vorausgesetzt, dass diese Befreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führt;

i)

Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;

…“

Recht des Vereinigten Königreichs

9

Schedule 9 Group 16 des Value Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz von 1994, im Folgenden: Gesetz von 1994), mit der Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde, sieht vor, dass von der Steuer befreit sind:

„…

1   Dienstleistungen, die ein selbständiger Zusammenschluss von Personen erbringt, wenn jede der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:

a)

Jede dieser Personen übt eine Tätigkeit (im Folgenden: fragliche Tätigkeit) aus, die von der Steuer befreit ist oder für die sie kein Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 9 der Richtlinie [2006/112] ist,

b)

die Dienstleistungen werden an die Mitglieder des Zusammenschlusses für unmittelbare Zwecke der Ausübung der fraglichen Tätigkeit erbracht,

c)

der Zusammenschluss fordert von seinen Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung ihres jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten, und

d)

die Befreiung führt nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung“.

10

Schedule 9 Group 6 des Gesetzes von 1994 sieht die Befreiung von Bildungsleistungen vor.

11

Section 7A („Ort der Dienstleistung“) des Gesetzes von 1994 bestimmt:

„(1)   Diese Section regelt, für die Zwecke dieses Gesetzes, die Bestimmung des Landes, in dem Dienstleistungen erbracht werden.

(2)   Eine Dienstleistung gilt als erbracht,

a)

wenn der Dienstleistungsempfänger ein relevanter Gewerbetreibender ist, in dem Land, in dem der Dienstleistungsempfänger ansässig ist, und

b)

andernfalls in dem Land, in dem der Dienstleistungserbringer ansässig ist.

(3)   Der Ort der Leistung eines Anspruchs auf Dienstleistungen ist derselbe Ort wie der Ort, an dem die Dienstleistungen als bewirkt gelten würden, wenn der Erbringer des Anspruchs sie dem Empfänger des Anspruchs erbracht hätte (gleichviel, ob der Anspruch geltend gemacht wird oder nicht); dabei schließt ein Anspruch auf Dienstleistungen alle Ansprüche, Optionen oder Vorrechte hinsichtlich der Erbringung von Dienstleistungen sowie ein aus einem Anspruch auf Dienstleistungen abgeleitetes Anrecht ein.

(4)   Für die Zwecke dieses Gesetzes ist eine Person ein relevanter Gewerbetreibender in Bezug auf eine Erbringung von Dienstleistungen, wenn sie

a)

ein Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 9 der Richtlinie [2006/112] ist,

b)

nach diesem Gesetz registriert ist,

c)

nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Vereinigten Königreichs eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalten hat …

und die Dienstleistungen von dieser Person nicht ausschließlich für private Zwecke empfangen werden.

…“

12

Section 8 des Gesetzes von 1994, die den Mechanismus der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft regelt, bestimmt:

„(1)   Werden Dienstleistungen von einer Person, die in einem anderen Land als dem Vereinigten Königreich ansässig ist, unter Umständen erbracht, unter denen diese Subsection zur Anwendung kommt, gilt dieses Gesetz, als ob (statt einer Erbringung der Dienstleistungen durch diese Person)

a)

eine Erbringung der Dienstleistungen durch den Empfänger im Vereinigten Königreich in Ausübung oder zur Förderung einer Geschäftstätigkeit des Empfängers vorliegen würde und

b)

es sich um eine steuerbare Dienstleistung handeln würde.

(2)   Subsection (1) kommt zur Anwendung, wenn

a)

der Empfänger ein im Vereinigten Königreich ansässiger relevanter Gewerbetreibender ist und

b)

sich der Ort der Erbringung der Dienstleistungen im Vereinigten Königreich befindet und, sofern es sich um eine unter eine Bestimmung von Part 1 oder 2 von Schedule 4A fallende Erbringung von Dienstleistungen handelt, der Empfänger gemäß diesem Gesetz registriert ist.

(3)   Dienstleistungen, die nach Subsection (1) als vom Empfänger erbracht gelten, dürfen bei der Berechnung des Vorsteuerabzugs nach Section 26(1) in seinem Fall nicht als von ihm erbrachte Dienstleistungen herangezogen werden.

…“

13

In Bezug auf den Begriff der Gruppe von Personen, die als ein Steuerpflichtiger behandelt werden kann (im Folgenden: Mehrwertsteuergruppe), hat das Vereinigte Königreich in Ausübung der in Art. 11 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Möglichkeit Section 43 des Gesetzes von 1994 erlassen, die wie folgt lautet:

„(1)   Werden juristische Personen [nach den Sections 43A bis 43D] als Mitglieder einer Gruppe behandelt, gilt jede Geschäftstätigkeit eines Mitglieds der Gruppe als von dem vertretungsberechtigten Mitglied ausgeübt, und

a)

jede Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistungen durch ein Mitglied der Gruppe an ein anderes Mitglied der Gruppe bleibt außer Betracht, und

b)

jede Lieferung, auf die Buchst. a keine Anwendung findet und bei der es sich um eine Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistungen durch oder an ein Mitglied der Gruppe handelt, ist als eine Lieferung durch oder an das vertretungsberechtigte Mitglied zu behandeln, und

c)

Mehrwertsteuer, die von einem Mitglied der Gruppe auf den Erwerb von Gegenständen aus einem anderen Mitgliedstaat oder auf die Einfuhr von Gegenständen aus Nicht-Mitgliedstaaten entrichtet wird oder zu entrichten ist, ist als von dem vertretungsberechtigten Mitglied entrichtet oder zu entrichten zu behandeln, und die Gegenstände sind

i)

im Fall ihres Erwerbs aus einem anderen Mitgliedstaat für die Zwecke von Section 73(7) und

ii)

im Fall ihrer Einfuhr aus Nicht-Mitgliedstaaten für diese Zwecke und für die Zwecke von Section 38

als von dem vertretungsberechtigten Mitglied erworben bzw. eingeführt zu behandeln, wobei alle Mitglieder der Gruppe als Gesamtschuldner für die von dem vertretungsberechtigten Mitglied geschuldete Mehrwertsteuer haften.“

14

Section 43(1AA) des Gesetzes von 1994 bestimmt:

„Wenn

a)

es für die Zwecke einer in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes getroffenen Bestimmung (im Folgenden: fragliche Bestimmung) darauf ankommt, ob die Person, durch oder an die eine Lieferung vorgenommen wird, oder die Person, die Gegenstände erwirbt oder einführt, eine Person mit einer bestimmten Beschreibung ist,

b)

Buchst. b oder c von Subsection (1) für eine Lieferung, einen Erwerb oder eine Einfuhr gilt und

c)

es einen für die Zwecke der fraglichen Bestimmung relevanten Unterschied gibt zwischen

i)

der für das vertretungsberechtigte Mitglied geltenden Beschreibung und

ii)

der für die juristische Person, die (abgesehen von dieser Section) für die Zwecke dieses Gesetzes als Lieferer, Erwerber oder Einführer anzusehen ist bzw. als die Person, die die Lieferung erhält, geltenden Beschreibung,

findet die fragliche Bestimmung auf diese Lieferung, diesen Erwerb oder diese Einfuhr Anwendung, als ob die allein für das vertretungsberechtigte Mitglied geltende Beschreibung die tatsächlich für diese juristische Person geltende Beschreibung wäre.“

15

Section 43(1AB) des Gesetzes von 1994 sieht vor:

„Subsection (1AA) kommt insoweit nicht zur Anwendung, als es für die Zwecke der fraglichen Bestimmung darauf ankommt, ob es sich bei einer Person um einen Steuerpflichtigen handelt.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

16

KIC ist die Holdinggesellschaft der Unternehmensgruppe Kaplan, die Bildungsleistungen und Dienstleistungen im Bereich Karriereentwicklung erbringt. Diese Gruppe umfasst neun Tochtergesellschaften, die alle im Vereinigten Königreich ansässig sind (im Folgenden: Kaplan-Colleges). Jedes Kaplan-College betreibt – im Rahmen einer Zusammenarbeit mit einer oder mehreren britischen Universitäten – ein College im Vereinigten Königreich (im Folgenden: internationale Colleges).

17

Die Kaplan-Colleges kommen für die Bildungsleistungen, die sie gegenüber Studierenden erbringen, in den Genuss der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Mehrwertsteuerbefreiung.

18

Von den internationalen Colleges stehen acht zu 100 % im Eigentum von KIC. Das letzte College, das University of York International Pathway College, wird zu 55 % von der Universität York (Vereinigtes Königreich) und zu 45 % von KIC gehalten.

19

Im Übrigen ist KIC das vertretungsberechtigte Mitglied einer Mehrwertsteuergruppe, zu der auch jedes Kaplan-College mit Ausnahme des University of York International Pathway College gehört, da dieses keine zu 100 % oder mehrheitlich von ihr gehaltene Tochtergesellschaft von KIC ist.

20

Jedes internationale College verfügt über eine eigene Geschäftsführungs- und Leitungsstruktur, die aus Vertretern des Kaplan-Colleges und der betreffenden Universität besteht.

21

Vor Oktober 2014 wurden Verträge zwischen den Rekrutierungsagenten für Kaplan-Colleges und KIC im Vereinigten Königreich geschlossen, so dass KIC unmittelbar mit diesen Agenten in Kontakt stand, um Studenten für die internationalen Colleges im Ausland zu rekrutieren. Diese Vertreter wurden von Repräsentanzen unterstützt, die ihnen operative Unterstützung gewährten und auf den wichtigsten betroffenen Märkten, nämlich China, Hongkong, Indien und Nigeria, tätig waren. Diese Repräsentanzen waren, mit Ausnahme eines Büros in Vietnam, Mitglieder der Kaplan-Gruppe und erbrachten gegen Entgelt Dienstleistungen an KIC. KIC unterlag in Bezug auf die von diesen Repräsentanzen und den Agenten erbrachten Dienstleistungen im Rahmen des Mechanismus der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft der Mehrwertsteuer im Vereinigten Königreich.

22

Im Oktober 2014 gründete die Kaplan-Gruppe die Kaplan Partner Services Hongkong Limited (im Folgenden: KPS), eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Hongkong, die zu gleichen Teilen von den neun Kaplan-Colleges als Gesellschaftern gehalten wird. KPS beschäftigt 20 Arbeitnehmer und übt ihre Tätigkeit auf der Grundlage eines Gesellschaftsvertrags aus. Von einer Ausnahme abgesehen erbringt KPS keine Dienstleistungen an Nichtgesellschafter.

23

Seit Oktober 2014 nimmt KPS die zuvor von KIC erledigten Aufgaben wahr und befasst sich zentral mit bestimmten Angelegenheiten, die vor diesem Zeitpunkt den Repräsentanzen oblagen. KPS betreut zudem das weltweite Netz von Repräsentanzen. Da dieses Netz ausgebaut wurde und sich die Beziehungen zwischen KPS und den Repräsentanzen intensiviert haben, sind diese nunmehr für das Tagesgeschäft der Betreuung der Agenten zuständig.

24

Außerdem ist KPS für die Betreuung der Agenten in Ost- und Südostasien verantwortlich, was es ihr ermöglicht, ein Servicezentrum für Agenten in der Zeitzone zu unterhalten, in der sich die Rekrutierungsmärkte der internationalen Colleges befinden. Die betreffenden Agenten stehen in keiner ausschließlichen Beziehung zu KPS und dürfen zum einen mit den Wettbewerbern der Kaplan-Colleges und zum anderen mit den betreffenden Universitäten arbeiten. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten die für KPS tätigen Agenten eine Unterstützung, mit der sie dazu bewegt werden sollen, die von den Kaplan-Colleges betriebenen internationalen Colleges zu empfehlen.

25

Die Agenten stellen ihre Dienstleistungen KPS in Rechnung, die sie unmittelbar bezahlt. Die von den Agenten an KPS, von den Repräsentanzen an KPS und von KPS erbrachten Dienstleistungen unterliegen nicht der Mehrwertsteuer. KPS stellt eine gesonderte Rechnung über die Beträge aus, die den Agenten für die Dienstleistungen geschuldet werden, die an jedes betreffende Kaplan-College erbracht werden, obwohl KIC das vertretungsberechtigte Mitglied der Mehrwertsteuergruppe ist, der diese Colleges angehören. Jedes Kaplan-College bezahlt die von KPS und die von den Repräsentanzen erbrachten Leistungen.

26

Der Ausgangsrechtsstreit betrifft drei Arten von Dienstleistungen, die nach nationalem Recht als von KPS an KIC als vertretungsberechtigtes Mitglied der Mehrwertsteuergruppe erbracht angesehen werden: erstens die von den Agenten an KPS erbrachten Dienstleistungen, zweitens die von den Repräsentanzen an KPS erbrachten Dienstleistungen und drittens Tätigkeiten wie insbesondere die Unterstützung der Agenten durch KPS.

27

Mit einer beim First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Steuerkammer], Vereinigtes Königreich) erhobenen Klage wendet sich KIC gegen zwei Entscheidungen der Steuer- und Zollverwaltung des Vereinigten Königreichs, wonach die Dienstleistungen, die als ihr von KPS erbrachte Dienstleistungen angesehen werden, nicht in den Anwendungsbereich der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Mehrwertsteuerbefreiung fallen und daher der Mehrwertsteuer unterliegen.

28

KIC macht nämlich geltend, dass diese Dienstleistungen in den Anwendungsbereich der in dieser Bestimmung vorgesehenen Befreiung fielen und sie daher nicht verpflichtet sei, als vertretungsberechtigtes Mitglied der Mehrwertsteuergruppe die im Rahmen des Mechanismus der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft angefallene Mehrwertsteuer zu entrichten. Die zuvor von den Agenten und den Repräsentanzen an KIC erbrachten und der Mehrwertsteuer unterliegenden Dienstleistungen seien nunmehr infolge der Gründung von KPS von der Mehrwertsteuer befreit.

29

Das First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Steuerkammer]) stellt klar, dass es wirtschaftliche Gründe für die Gründung von KPS in Hongkong gebe und dass nicht behauptet werde, dass es sich um ein künstliches Gebilde handele oder dass seine Gründung zu einem Rechtsmissbrauch führe.

30

Es sei unstreitig, dass KPS an ihre Gesellschafter, d. h. die Kaplan-Colleges, die Dienstleistungen für unmittelbare Zwecke der Ausübung ihrer steuerbefreiten Tätigkeiten erbringe und dass KPS von ihren Gesellschaftern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordere.

31

Der Ausgangsrechtsstreit lässt sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts aber nur durch eine Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 entscheiden.

32

Unter diesen Umständen hat das First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Steuerkammer]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Welchen räumlichen Anwendungsbereich hat die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 enthaltene Befreiung? Erstreckt sie sich insbesondere (i) auf einen Kostenteilungszusammenschluss, der seinen Sitz in einem anderen als dem Mitgliedstaat oder den Mitgliedstaaten der Mitglieder des Kostenteilungszusammenschlusses hat? Wenn ja, (ii) erstreckt sie sich auch auf einen Kostenteilungszusammenschluss mit Sitz außerhalb der Union?

2.

Falls die Befreiung von Kostenteilungszusammenschlüssen grundsätzlich für ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat als eines oder mehrere Mitglieder des Kostenteilungszusammenschlusses ansässig ist, sowie für einen Kostenteilungszusammenschluss mit Sitz außerhalb der Union gilt, wie ist dann das Kriterium anzuwenden, dass die Befreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führen sollte? Insbesondere:

a)

Gilt es für eine potenzielle Wettbewerbsverzerrung, die andere Empfänger ähnlicher Dienstleistungen, die nicht Mitglieder des Kostenteilungszusammenschlusses sind, trifft, oder gilt es nur für eine potenzielle Wettbewerbsverzerrung, die potenzielle andere Erbringer von Dienstleistungen für die Mitglieder des Kostenteilungszusammenschlusses trifft?

b)

Kann, falls es nur für andere Dienstleistungsempfänger gilt, eine realistische Möglichkeit einer Wettbewerbsverzerrung bestehen, wenn andere Empfänger, die nicht Mitglied des Kostenteilungszusammenschlusses sind, entweder den Beitritt zu dem betreffenden Kostenteilungszusammenschluss beantragen können oder ihren eigenen Kostenteilungszusammenschluss gründen können, um vergleichbare Dienstleistungen zu erlangen, oder durch andere Methoden gleichartige Steuerersparnisse erzielen können (etwa durch die Errichtung einer Niederlassung in dem betreffenden Mitgliedstaat oder Drittland)?

c)

Ist, falls es nur für andere Dienstleistungserbringer gilt, zur Beurteilung der realistischen Möglichkeit einer Wettbewerbsverzerrung zu klären, ob unabhängig von der Verfügbarkeit der Steuerbefreiung sichergestellt ist, dass die Mitglieder des Kostenteilungszusammenschlusses ihre Kunden behalten – so dass sie anhand des Zugangs anderer Dienstleistungserbringer zu dem nationalen Markt, auf dem die Mitglieder des Kostenteilungszusammenschlusses ansässig sind, zu beurteilen ist? Wenn ja, spielt es eine Rolle, ob sichergestellt ist, dass die Mitglieder des Kostenteilungszusammenschlusses ihre Kunden behalten, weil sie zu derselben Unternehmensgruppe gehören?

d)

Ist eine potenzielle Wettbewerbsverzerrung auf nationaler Ebene in Bezug auf andere Dienstleistungserbringer in dem Drittland, in dem der Kostenteilungszusammenschluss ansässig ist, zu prüfen?

e)

Trägt die Steuerbehörde in der Union, die die Richtlinie 2006/112 anwendet, die Beweislast für den Eintritt einer Wettbewerbsverzerrung?

f)

Muss die Steuerbehörde in der Union ein spezielles Sachverständigengutachten zu dem Markt des Drittlandes einholen, in dem der Kostenteilungszusammenschluss ansässig ist?

g)

Kann das Vorliegen einer realistischen Möglichkeit einer Wettbewerbsverzerrung daraus abgeleitet werden, dass das Bestehen eines Handelsmarkts in dem Drittland dargetan wird?

3.

Kann die Befreiung eines Kostenteilungszusammenschlusses unter den Umständen dieser Rechtssache zur Anwendung kommen, in der die Mitglieder des Kostenteilungszusammenschlusses durch wirtschaftliche, finanzielle oder organisatorische Beziehungen miteinander verbunden sind?

4.

Kann die Befreiung eines Kostenteilungszusammenschlusses dann zur Anwendung kommen, wenn seine Mitglieder eine Mehrwertsteuergruppe gebildet haben, der ein einziger Steuerpflichtiger ist? Macht es einen Unterschied, wenn KIC, das vertretungsberechtigte Mitglied, dem (nach nationalem Recht) die Dienstleistungen erbracht werden, kein Mitglied des Kostenteilungszusammenschlusses ist? Falls dies einen Unterschied macht, wird dieser Unterschied durch das nationale Recht beseitigt, wonach das vertretungsberechtigte Mitglied für die Zwecke der Anwendung der Befreiung des Kostenteilungszusammenschlusses die Merkmale und den Status der Mitglieder des Kostenteilungszusammenschlusses besitzt?

Zu den Vorlagefragen

Zur dritten und zur vierten Frage

33

Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen und als Erstes zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung auf Dienstleistungen anwendbar ist, die von einem selbständigen Zusammenschluss von Personen erbracht werden, dessen Mitglieder eine Mehrwertsteuergruppe im Sinne von Art. 11 dieser Richtlinie bilden, wenn die betreffenden Dienstleistungen an diese Mehrwertsteuergruppe erbracht werden. Bejahendenfalls möchte es zum einen wissen, ob sich der Umstand, dass das vertretungsberechtigte Mitglied der Mehrwertsteuergruppe nicht Mitglied dieses selbständigen Zusammenschlusses von Personen ist, auf die Anwendung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung auswirkt, und zum anderen, ob diese Auswirkung durch Bestimmungen des nationalen Rechts ausgeschlossen werden kann.

34

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass aus der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Befreiung hervorgeht, dass der selbständige Zusammenschluss von Personen ein eigener, von seinen Mitgliedern verschiedener Steuerpflichtiger ist. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung selbst ergibt sich nämlich, dass der selbständige Zusammenschluss von Personen selbständig ist und dass er daher seine Dienstleistungen selbständig im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2006/112 erbringt. Wenn es sich bei den Dienstleistungen des Zusammenschlusses nicht um Dienstleistungen handelte, die ein Steuerpflichtiger als solcher erbringt, unterlägen diese Dienstleistungen im Übrigen gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 nicht der Mehrwertsteuer. Sie könnten somit kein Gegenstand einer Befreiung wie der nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f dieser Richtlinie sein (Urteil vom 4. Mai 2017, Kommission/Luxemburg, C‑274/15, EU:C:2017:333, Rn. 61).

35

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 Dienstleistungen von der Steuer befreien, die selbständige Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit erbringen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern, vorausgesetzt, dass diese Befreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führt.

36

Insoweit ergibt sich aus den Erwägungsgründen 25 und 35 der Richtlinie 2006/112, dass diese die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer harmonisieren soll und die Befreiungen von dieser Steuer autonome Begriffe des Unionsrechts darstellen, die, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, im Gesamtzusammenhang des mit dieser Richtlinie eingeführten gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu sehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. November 2019, Infohos, C‑400/18, EU:C:2019:992, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Im Übrigen sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Begriffe, mit denen die in Art. 132 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Mehrwertsteuerbefreiungen umschrieben sind, eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Die Auslegung dieser Begriffe muss jedoch mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht. Daher entspricht es nicht dem Sinn dieser Regel einer engen Auslegung, wenn die zur Umschreibung der in Art. 132 genannten Befreiungen verwendeten Begriffe so ausgelegt werden, dass sie den Befreiungen ihre Wirkung nehmen. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat nicht zum Ziel, eine Auslegung vorzuschreiben, die diese Befreiungen praktisch unanwendbar macht (Urteil vom 4. Mai 2017, Kommission/Luxemburg, C‑274/15, EU:C:2017:333, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Was den Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 angeht, wie er in Rn. 35 des vorliegenden Urteils wiedergegeben ist, so betrifft die in dieser Bestimmung vorgesehene Befreiung die Dienstleistungen, die selbständige Zusammenschlüsse von Personen an ihre Mitglieder erbringen. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich indessen nicht, dass die Dienstleistungen, die solche Zusammenschlüsse an ihre Mitglieder erbringen, vom Anwendungsbereich der genannten Befreiung ausgenommen wären, wenn diese eine Mehrwertsteuergruppe im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2006/112 bilden. Allerdings kann schon nach dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 die Bildung einer solchen Mehrwertsteuergruppe nicht zur Folge haben, dass die Anwendung dieser Befreiung auf Dienstleistungen ausgedehnt wird, die an Einheiten erbracht werden, die nicht Mitglied des selbständigen Zusammenschlusses von Personen sind.

39

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 20. November 2019, Infohos, C‑400/18, EU:C:2019:992, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Was den Zusammenhang von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung im mit „Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“ überschriebenen Kapitel 2 von Titel IX dieser Richtlinie enthalten ist. Diese Überschrift zeigt, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung nur selbständige Zusammenschlüsse von Personen betrifft, deren Mitglieder dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten ausüben (Urteil vom 21. September 2017, Kommission/Deutschland, C‑616/15, EU:C:2017:721, Rn. 44).

41

Dieser Zusammenhang lässt jedoch nichts erkennen, was die selbständigen Zusammenschlüsse von Personen, deren Mitglieder eine Mehrwertsteuergruppe im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2006/112 bilden, von dieser Befreiung ausschlösse, allerdings unter der Voraussetzung, dass alle Mitglieder dieser Zusammenschlüsse dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten ausüben.

42

Was das Ziel von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f in der Richtlinie 2006/112 angeht, so ist auf den Zweck der Gesamtheit der Bestimmungen von Art. 132 dieser Richtlinie hinzuweisen, der darin besteht, bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer zu befreien, um den Zugang zu bestimmten Dienstleistungen und die Lieferung bestimmter Gegenstände unter Vermeidung der höheren Kosten zu erleichtern, die entstünden, wenn diese Dienstleistungen und die Lieferung dieser Gegenstände der Mehrwertsteuer unterworfen wären (Urteil vom 21. September 2017, Aviva, C‑605/15, EU:C:2017:718, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Somit fallen die Dienstleistungen eines selbständigen Zusammenschlusses von Personen unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Steuerbefreiung, wenn diese Dienstleistungen unmittelbar zur Ausübung von in Art. 132 dieser Richtlinie genannten, dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten beitragen (Urteil vom 21. September 2017, Aviva, C‑605/15, EU:C:2017:718, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Steuerbefreiung grundsätzlich Dienstleistungen fallen, die ein selbständiger Zusammenschluss von Personen an seine Mitglieder, die eine Mehrwertsteuergruppe bilden, erbringt, wenn diese Dienstleistungen unmittelbar zur Ausübung der in Art. 132 dieser Richtlinie genannten, dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten beitragen. Dagegen kann diese Befreiung nicht für Dienstleistungen gelten, die den Mitgliedern einer Mehrwertsteuergruppe zugutekommen, die nicht auch Mitglieder des selbständigen Zusammenschlusses von Personen, die solche dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten ausüben, sind.

45

Insoweit verlangt die Umsetzung der in Art. 11 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Regelung, dass die aufgrund dieser Bestimmung erlassene nationale Regelung es Personen, insbesondere Gesellschaften, zwischen denen finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Verbindungen bestehen, gestattet, nicht mehr als getrennte Mehrwertsteuerpflichtige, sondern zusammen als ein Steuerpflichtiger behandelt zu werden. Somit können, wenn ein Mitgliedstaat von dieser Bestimmung Gebrauch macht, die untergeordnete Person oder die untergeordneten Personen im Sinne dieser Vorschrift nicht als Steuerpflichtiger oder Steuerpflichtige im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112 gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Mai 2008, Ampliscientifica und Amplifin, C‑162/07, EU:C:2008:301, Rn. 19).

46

Daraus folgt, dass die Gleichstellung mit einem einzigen Steuerpflichtigen es ausschließt, dass die Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe weiterhin getrennt Mehrwertsteuererklärungen abgeben und innerhalb wie außerhalb ihrer Gruppe weiter als Steuerpflichtige angesehen werden, da nur der einzige Steuerpflichtige befugt ist, diese Erklärungen abzugeben. Folglich sind in einer solchen Situation die von einem Dritten zugunsten eines Mitglieds der Mehrwertsteuergruppe erbrachten Dienstleistungen für die Zwecke der Mehrwertsteuer nicht als zugunsten dieses Mitglieds, sondern vielmehr als zugunsten der Mehrwertsteuergruppe, der es angehört, erbracht anzusehen (Urteil vom 17. September 2014, Skandia America [USA], filial Sverige, C‑7/13, EU:C:2014:2225, Rn. 29).

47

Somit sind die von einem selbständigen Zusammenschluss von Personen an die Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe erbrachten Dienstleistungen nicht als an deren einzelne Mitglieder, sondern als an die Mehrwertsteuergruppe insgesamt erbracht anzusehen (vgl. entsprechend Urteil vom 17. September 2014, Skandia America [USA], filial Sverige, C‑7/13, EU:C:2014:2225, Rn. 30).

48

Daraus folgt, dass solche Dienstleistungen als zugunsten der betreffenden Mehrwertsteuergruppe in ihrer Gesamtheit und damit auch zugunsten der die Mehrwertsteuergruppe vertretenden Einheit erbracht gelten. Sofern die letztgenannte Einheit nicht auch Mitglied des selbständigen Zusammenschlusses von Personen sein sollte, käme die Anwendung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung demnach jemandem zugute, der nicht Mitglied des selbständigen Zusammenschlusses von Personen ist.

49

Diese Bestimmung bezieht sich jedoch ausdrücklich nur auf Dienstleistungen, die selbständige Zusammenschlüsse von Personen an ihre Mitglieder erbringen. Dies trifft nicht auf Dienstleistungen zu, die ein selbständiger Zusammenschluss von Personen an eine Mehrwertsteuergruppe erbringt, deren Mitglieder nicht alle ebenfalls Mitglieder dieses selbständigen Zusammenschlusses von Personen sind. In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts der Voraussetzungen für die Befreiung wäre jede Auslegung, die den Anwendungsbereich von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 ausdehnte, mit dem Zweck dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 1989, Stichting Uitvoering Financiële Acties, 348/87, EU:C:1989:246, Rn. 14).

50

Hierzu ist festzustellen, dass diese Schlussfolgerung in Anbetracht der Erwägungen in den Rn. 36 und 49 des vorliegenden Urteils nicht durch Bestimmungen des nationalen Rechts in Frage gestellt werden kann, die vorsehen, dass das vertretungsberechtigte Mitglied der Mehrwertsteuergruppe für die Zwecke der Anwendung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung die Merkmale und den Status der Mitglieder des betreffenden selbständigen Zusammenschlusses von Personen besitzt. Da diese Befreiung einen autonomen Begriff des Unionsrechts darstellt, setzt ihre Anwendung nämlich voraus, dass alle Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe tatsächlich Mitglieder dieses selbständigen Zusammenschlusses von Personen sind. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, können die genannten Bestimmungen des nationalen Rechts nicht zur Anwendung dieser Befreiung führen.

51

Demzufolge kann dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden selbständigen Zusammenschluss von Personen, da sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, dass er gegen Entgelt Dienstleistungen an eine Mehrwertsteuergruppe erbracht hat, die ein Mitglied hat, das nicht Mitglied dieses selbständigen Zusammenschlusses war, die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Steuerbefreiung nicht zugutekommen, und die Erbringung solcher Dienstleistungen stellt einen steuerbaren Umsatz im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dar.

52

Diese Feststellung wird nicht durch das Urteil vom 20. November 2019, Infohos (C‑400/18, EU:C:2019:992), in Frage gestellt, in dem der Gerichtshof in den Rn. 42 bis 44 im Wesentlichen entschieden hat, dass die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) – der Art. 131 und Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 entspricht – vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung nicht unter der Voraussetzung steht, dass die betreffenden Dienstleistungen ausschließlich den Mitgliedern des betreffenden selbständigen Zusammenschlusses von Personen angeboten werden. Dies bedeutet zum einen, dass nach dieser Bestimmung nur die den Mitgliedern dieses selbständigen Zusammenschlusses von Personen erbrachten Dienstleistungen von der Steuer befreit sind, da diese Dienstleistungen im Rahmen der Ziele erbracht werden, für die ein solcher Zusammenschluss errichtet wurde, und somit seinem Zweck entsprechend angeboten werden. Zum anderen können Dienstleistungen, die an Personen erbracht werden, die nicht Mitglieder des genannten selbständigen Zusammenschlusses von Personen sind, nicht in den Genuss dieser Befreiung kommen, da solche Dienstleistungen nicht in den Anwendungsbereich dieser Befreiung fallen und gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie weiterhin der Mehrwertsteuer unterliegen.

53

In der Rechtssache, in der das Urteil vom 20. November 2019, Infohos (C‑400/18, EU:C:2019:992), ergangen ist, wurden die fraglichen Dienstleistungen nämlich zum einen an die Mitglieder des betreffenden selbständigen Zusammenschlusses von Personen und zum anderen an Personen erbracht, die weder Mitglieder des selbständigen Zusammenschlusses von Personen waren noch mit den Mitgliedern dieses selbständigen Zusammenschlusses von Personen eine Mehrwertsteuergruppe im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2006/112 bildeten. In jener Rechtssache bestand keine Gefahr, den Anwendungsbereich der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der Sechsten Richtlinie 77/388 vorgesehenen Steuerbefreiung zu erweitern.

54

Da jedoch in der vorliegenden Rechtssache die von einem selbständigen Zusammenschluss von Personen zugunsten eines Mitglieds einer solchen Mehrwertsteuergruppe erbrachten Dienstleistungen für die Zwecke der Mehrwertsteuer nicht als zugunsten dieses Mitglieds, sondern als zugunsten der Mehrwertsteuergruppe, der es angehört, erbracht anzusehen sind, besteht die Gefahr, dass der Umfang der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung erweitert wird, sofern nicht alle Mitglieder dieser Mehrwertsteuergruppe auch Mitglieder des betreffenden selbständigen Zusammenschlusses von Personen sind.

55

Nach alledem ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung nicht auf Dienstleistungen anwendbar ist, die von einem selbständigen Zusammenschluss von Personen an eine Mehrwertsteuergruppe im Sinne von Art. 11 dieser Richtlinie erbracht werden, wenn nicht alle Mitglieder dieser Mehrwertsteuergruppe Mitglieder dieses selbständigen Zusammenschlusses von Personen sind. Das Bestehen von Bestimmungen des nationalen Rechts, nach denen das vertretungsberechtigte Mitglied einer solchen Mehrwertsteuergruppe für die Zwecke der Anwendung der für selbständige Zusammenschlüsse von Personen vorgesehenen Steuerbefreiung die Merkmale und den Status der Mitglieder des betreffenden selbständigen Zusammenschlusses von Personen besitzt, ist insoweit ohne Belang.

Zur ersten und zur zweiten Frage

56

Angesichts der Antwort auf die dritte und die vierte Frage sind die erste und die zweite Frage nicht zu beantworten.

Kosten

57

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung nicht auf Dienstleistungen anwendbar ist, die von einem selbständigen Zusammenschluss von Personen an eine Gruppe von Personen, die als ein Steuerpflichtiger behandelt werden kann, im Sinne von Art. 11 dieser Richtlinie erbracht werden, wenn nicht alle Mitglieder dieser Gruppe Mitglieder dieses selbständigen Zusammenschlusses von Personen sind. Das Bestehen von Bestimmungen des nationalen Rechts, nach denen das vertretungsberechtigte Mitglied einer solchen Gruppe von Personen, die als ein Steuerpflichtiger behandelt werden kann, für die Zwecke der Anwendung der für selbständige Zusammenschlüsse von Personen vorgesehenen Steuerbefreiung die Merkmale und den Status der Mitglieder des betreffenden selbständigen Zusammenschlusses von Personen besitzt, ist insoweit ohne Belang.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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