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Document 62009CJ0234

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 15. Juli 2010.
Skatteministeriet gegen DSV Road A/S.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Vestre Landsret - Dänemark.
Zollkodex der Gemeinschaften - Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 - Art. 204 Abs. 1 Buchst. a - Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 - Art. 859 - Externes Versandverfahren - Zugelassener Versender - Entstehung einer Zollschuld - Versanddokument für nicht vorhandene Waren.
Rechtssache C-234/09.

European Court Reports 2010 I-07333

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:435

Rechtssache C-234/09

Skatteministeriet

gegen

DSV Road A/S

(Vorabentscheidungsersuchen des Vestre Landsret)

„Zollkodex der Gemeinschaften – Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 – Art. 204 Abs. 1 Buchst. a – Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 – Art. 859 – Externes Versandverfahren – Zugelassener Versender – Entstehung einer Zollschuld – Versanddokument für nicht vorhandene Waren“

Leitsätze des Urteils

Zollunion – Externes Versandverfahren

(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Art. 204 Abs. 1 Buchst. a)

Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung Nr. 648/2005 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nicht auf einen Fall anwendbar ist, in dem ein zugelassener Versender aufgrund eines Fehlers zwei externe Versandverfahren für ein und dieselbe Ware in Gang gesetzt hat, da das überzählige Versandverfahren, weil es eine nicht vorhandene Ware betrifft, nicht geeignet ist, zur Entstehung einer Zollschuld nach dieser Bestimmung zu führen.

Ein Fehler, der in der Einleitung zweier externer Versandverfahren für ein und dieselbe Ware besteht, ist nämlich seiner Art nach nicht geeignet, die mit Art. 204 des Zollkodex verfolgten Ziele zu beeinträchtigen und damit die Entstehung einer Zollschuld zu rechtfertigen. Was erstens das Ziel angeht, die Gefahr zu vermeiden, dass Nichtgemeinschaftswaren unverzollt in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen, besteht im Fall eines externen Versandverfahrens, das für eine nicht vorhandene Ware in Gang gesetzt wird, kein Risiko, dass derartige Waren unverzollt in den Wirtschaftskreislauf gelangen und so zu unlauterem Wettbewerb und zur Gefahr finanzieller Verluste führen können. Zweitens kann das Ziel, die sorgfältige Anwendung der Vorschriften des Zollverfahrens zu gewährleisten, nicht erreicht werden, wenn ein externes Versandverfahren keine vorhandene Ware betrifft. Es ist nämlich nicht möglich, ein solches Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen, wenn es auf eine nicht vorhandene Ware angewandt wird. Dies gilt umso mehr, als dem Hauptverpflichteten mit der Verpflichtung, die Waren der Bestimmungszollstelle zu gestellen, entgegen dem Grundsatz ultra posse nemo obligatur eine Vorgabe gemacht würde, die er nicht erfüllen kann, wenn die Waren, die von dem aufgrund eines Fehlers in Gang gesetzten externen Versandverfahren erfasst werden, nicht vorhanden sind.

(vgl. Randnrn. 32-34, 37-38 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

15. Juli 2010(*)

„Zollkodex der Gemeinschaften – Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 – Art. 204 Abs. 1 Buchst. a – Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 – Art. 859 – Externes Versandverfahren – Zugelassener Versender – Entstehung einer Zollschuld – Versanddokument für nicht vorhandene Waren“

In der Rechtssache C‑234/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Vestre Landsret (Dänemark) mit Entscheidung vom 24. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2009, in dem Verfahren

Skatteministeriet

gegen

DSV Road A/S

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis, J. Malenovský und T. von Danwitz (Berichterstatter),

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der DSV Road A/S, vertreten durch A. Hedetoft und L. Kjær, advokater,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch R. Holdgaard als Bevollmächtigten im Beistand von P. Biering, advokat,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hornstrup Bengtsson, B.‑R. Killmann und H. Støvlbæk als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 648/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 (ABl. L 117, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Skatteministeriet (Ministerium für Steuern) und der DSV Road A/S (im Folgenden: DSV) über die Folgen der Einleitung zweier externer Versandverfahren für ein und dieselbe Ware.

 Rechtlicher Rahmen

3        Art. 1 des Zollkodex bestimmt:

„Dieser Kodex und die auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene dazu erlassenen Durchführungsvorschriften stellen das Zollrecht dar. Der Kodex gilt unbeschadet besonderer, auf anderen Gebieten bestehender Vorschriften

–      im Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und Drittländern;

–      für Waren, die unter den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, unter den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft oder unter den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft fallen.“

4        Art. 4 Nrn. 9 und 10 des Zollkodex bestimmt:

„Im Sinne dieses Zollkodex ist oder sind

9.      Zollschuld: die Verpflichtung einer Person, die für eine bestimmte Ware im geltenden Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Einfuhrabgaben (Einfuhrzollschuld) oder Ausfuhrabgaben (Ausfuhrzollschuld) zu entrichten;

10.      Einfuhrabgaben:

–        Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Waren;

–        bei der Einfuhr erhobene Abgaben, die im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik oder aufgrund der für bestimmte landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse geltenden Sonderregelungen vorgesehen sind“.

5        Art. 91 Abs. 1 des Zollkodex lautet:

„Im externen Versandverfahren können folgende Waren zwischen zwei innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft gelegenen Orten befördert werden:

a)      Nichtgemeinschaftswaren, ohne dass diese Waren Einfuhrabgaben, anderen Abgaben oder handelspolitischen Maßnahmen unterliegen;

…“

6        Art. 92 des Zollkodex sieht vor:

„(1)      Das externe Versandverfahren endet und die Verpflichtungen des Inhabers des Verfahrens sind erfüllt, wenn die in dem Verfahren befindlichen Waren und die erforderlichen Dokumente entsprechend den Bestimmungen des betreffenden Verfahrens am Bestimmungsort der dortigen Zollstelle gestellt werden.

(2)      Die Zollbehörden erledigen das externe Versandverfahren, wenn für sie auf der Grundlage eines Vergleichs der der Abgangszollstelle zur Verfügung stehenden Angaben mit den der Bestimmungszollstelle zur Verfügung stehenden Angaben ersichtlich ist, dass das Verfahren ordnungsgemäß beendet ist.“

7        Art. 96 Abs. 1 des Zollkodex lautet:

„Der Hauptverpflichtete ist der Inhaber des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens. Er hat

a)      die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen;

b)      die Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren einzuhalten.

…“

8        Art. 204 Abs. 1 des Zollkodex bestimmt:

„Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den in Artikel 203 genannten Fällen

a)      eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, oder

…,

es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.

…“

9        Art. 859 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2286/2003 der Kommission vom 18. Dezember 2003 (ABl. L 343, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung) bestimmt:

„Folgende Verfehlungen gelten im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex als Verfehlungen, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben, sofern

–        es sich nicht um den Versuch handelt, die Waren der zollamtlichen Überwachung zu entziehen;

–        keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt;

–        alle notwendigen Förmlichkeiten erfüllt werden, um die Situation der Waren zu bereinigen:

1.      …

2.      im Fall von in ein Versandverfahren überführten Waren, die Nichteinhaltung einer der aus der Inanspruchnahme des Verfahrens erwachsenen Verpflichtungen, sofern die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      Die in das Verfahren überführten Waren sind der Bestimmungsstelle tatsächlich unverändert gestellt worden;

b)      die Bestimmungsstelle hat festgestellt, dass diese Waren nach Beendigung des Versandverfahrens eine zollrechtliche Bestimmung erhalten haben oder sich in der vorübergehenden Verwahrung befinden, und

c)      die gemäß Artikel 356 festgelegte Frist wurde zwar überschritten und Artikel 356 Absatz 3 findet keine Anwendung, aber die Waren wurden der Bestimmungsstelle dennoch innerhalb eines vertretbaren Zeitraums gestellt;

…“

10      Nach Art. 860 der Durchführungsverordnung „[betrachten die] Zollbehörden … eine Zollschuld als im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex entstanden, es sei denn, der vermutliche Zollschuldner weist nach, dass die Voraussetzungen des Artikels 859 erfüllt sind“.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      DSV ist ein dänisches Transport- und Logistikunternehmen, das den Status eines zugelassenen Versenders im Sinne von Art. 372 Abs. 1 Buchst. e der Durchführungsverordnung hat.

12      Als zugelassener Versender kann DSV ein vereinfachtes Verfahren anwenden, wenn sie Waren im externen Versandverfahren versendet. Der zugelassene Versender braucht die Waren nicht körperlich der Abgangszollstelle zu gestellen. Er muss lediglich vor der Versendung der Waren das gemeinschaftliche Versandverfahren elektronisch über das neue EDV-gestützte Versandsystem (New Computerised Transit System, im Folgenden: NCTS), ein elektronisches System zur Verarbeitung von Daten betreffend den Versand von Waren zwischen Mitgliedstaaten, beim regionalen Finanzamt anmelden.

13      Nach den Angaben der Europäischen Kommission besteht das vereinfachte Verfahren für zugelassene Versender aus folgenden Abschnitten: Nach der Annahme der elektronischen Anmeldung des zugelassenen Versenders, die zur Überlassung der Waren führt, weist das NCTS dem Versender eine spezielle Registriernummer, die Versandbezugsnummer (Movement Reference Number [MRN]), zu. Daraufhin werden die Waren in das Transitverfahren übergeführt. Über das NCTS wird das Begleitdokument für den Versand ausgedruckt, das mit den Waren mitzuführen und allen Durchgangszollstellen sowie der Bestimmungszollstelle vorzulegen ist. Wenn die Abgangszollstelle dieses Dokument ausdruckt, sendet sie zugleich der Bestimmungszollstelle eine Vorabankunftsanzeige, die Daten aus der Anmeldung enthält, so dass diese Stelle die Waren bei ihrer Ankunft überprüfen kann. Wird die Versandbezugsnummer eingegeben, zeigt das System automatisch die zu dem Vorgang gehörende Vorab-Ankunftsanzeige, auf deren Grundlage etwaige Maßnahmen oder Überprüfungen beschlossen werden, und sendet der Abgangszollstelle eine Ankunftsanzeige. Nach Durchführung der entsprechenden Kontrollen unterrichtet die Bestimmungsstelle die Abgangszollstelle über die Ergebnisse der Kontrollen und festgestellte Unregelmäßigkeiten. Diese Kontrollergebnisnachricht ist Voraussetzung für die Beendigung des Versandverfahrens.

14      DSV versandte 2005 im externen Versandverfahren zwei Partien Waren nach Russland. Aufgrund eines Fehlers setzte sie über das NCTS für jede dieser beiden Partien zwei Versandverfahren in Gang. Für die erste Partie wurden beide Versandverfahren am selben Tag, dem 12. August 2005, eingeleitet, für die zweite Partie wurde das zweite Versandverfahren drei Tage nach dem ersten Verfahren in Gang gesetzt, und zwar am 10. Oktober 2005.

15      Für die Versendung dieser beiden Partien vorhandener Waren wurde jeweils das letzte vom NCTS generierte Versanddokument verwendet. Die Waren wurden der Bestimmungszollstelle gemäß den Vorschriften über das externe Versandverfahren gestellt, und diese beiden Versandverfahren wurden folglich ordnungsgemäß beendet.

16      Die beiden überzähligen Versandverfahren, die DSV aufgrund eines Fehlers in Gang gesetzt hatte, konnten hingegen nicht ordnungsgemäß beendet werden, weil es keine Waren gab, die der Bestimmungszollstelle hätten gestellt werden können. Nachdem die dänischen Stellen DSV ohne Erfolg aufgefordert hatten, einen anderen Beweis für die Beendigung des Versands vorzulegen, stellten sie mit Bescheiden fest, dass DSV Zoll und Mehrwertsteuer für diesen Versandvorgang schulde. In den Bescheiden heißt es, dass für jedes der Verfahren eine Zollschuld nach Art. 204 des Zollkodex entstanden sei.

17      DSV focht diese Bescheide beim Landsskatteret (Steuerbehörde) an. Dieses bestätigte die Bescheide mit Entscheidungen vom 11. Juni 2007 mit der Begründung, das Zollrecht enthalte keine Rechtsgrundlage, die es erlaube, ein Versanddokument zu annullieren, so dass die Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex entstanden sei.

18      DSV erhob gegen diese Entscheidungen Klage beim Byretten i Horsens (Gericht erster Instanz Horsens). Dieses ordnete mit Urteil vom 9. Mai 2008 die Erstattung des Zolls und der Mehrwertsteuer an. Im Urteil wird festgestellt, dass keine Zollschuld nach Art. 204 des Zollkodex entstanden sei, weil unter den oben genannten Umständen kein Warenversand im Sinne dieses Kodex erfolgt sei.

19      Das Skatteministeriet rief daraufhin das Vestre Landsret (Regionalobergericht West) an. Dieses hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 204 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit den Art. 92 und 96 sowie in Verbindung mit Art. 1 und Art. 4 Nrn. 9 und 10 des Zollkodex dahin auszulegen,

a)      dass eine Zollschuld entsteht, wenn ein Versandverfahren für Waren, die nicht körperlich existieren, von einem zugelassenen Versender durch einen Fehler im NCTS-System eingeleitet wird und wenn das Versandverfahren infolgedessen danach nicht ordnungsgemäß beendet werden kann, oder dahin,

b)      dass keine Zollschuld entsteht, da das Versandverfahren nur auf körperlich existierende Waren anzuwenden ist, so dass die fehlerhafte Generierung eines Versandvorgangs im NCTS-System für Waren, die nicht körperlich existieren, nicht zur Erhebung von Zöllen führt?

2.      Falls Frage 1a bejaht wird, sind dann die Begriffe „Einfuhr von Waren“ in Art. 4 Nr. 10 und „Waren“ in Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex so auszulegen, dass der Begriff sowohl körperlich existierende Waren als auch Waren umfasst, die nicht körperlich existieren?

 Zu den Vorlagefragen

20      Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die Tatsache, dass ein zugelassener Versender aufgrund eines Fehlers zwei externe Versandverfahren für ein und dieselbe Ware in Gang gesetzt hat, hinsichtlich des überzähligen Versandverfahrens, das eine nicht vorhandene Ware betrifft, zur Entstehung einer Zollschuld nach dieser Bestimmung führt.

21      Nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, es sei denn, dass sich diese Verfehlung nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat.

22      Nach Auffassung der dänischen Stellen ist im vorliegenden Fall eine Zollschuld nach Art. 204 des Zollkodex entstanden.

23      Zum einen liege die Voraussetzung, die das Entstehen einer Zollschuld auslöse, also die Nichterfüllung einer mit dem externen Versandverfahren verbundenen Verpflichtung, vor, weil DSV die von diesem Versandverfahren erfassten Waren nicht der Bestimmungszollstelle gestellt und dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 96 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex verstoßen habe.

24      Zum anderen sei die negative Voraussetzung gemäß Art. 859 der Durchführungsverordnung, wonach das Entstehen einer Zollschuld ausgeschlossen sei, wenn sich die Verfehlung auf die ordnungsgemäße Abwicklung des externen Versandverfahrens nicht wirklich ausgewirkt habe, im Ausgangsverfahren nicht erfüllt.

25      Zwar ist vorab festzustellen, dass ein Fall wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende von den Vorschriften des Zollkodex erfasst wird, doch ist hinsichtlich der Auslegung dieser Bestimmungen durch die dänischen Zollbehörden darauf hinzuweisen, dass Art. 859 der Durchführungsverordnung in Verbindung mit deren Art. 860 eine abschließende Regelung von zehn Verfehlungen im Sinne des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex ist, die „sich … auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben“ (vgl. Urteil vom 11. November 1999, Söhl & Söhlke, C‑48/98, Slg. 1999, I‑7877, Randnr. 43).

26      Die Umstände des Ausgangsverfahrens erfüllen unzweifelhaft nicht den Tatbestand einer der zehn in Art. 859 der Durchführungsverordnung genannten Verfehlungen. Nr. 2 Buchst. a dieses Artikels, der die Verfehlungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme eines Versandverfahrens regelt, sieht nämlich vor, dass die in das Versandverfahren übergeführten Waren der Bestimmungsstelle tatsächlich gestellt werden müssen. Diese Bestimmung enthält also eine Voraussetzung, die der Verpflichtung aus Art. 96 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex entspricht und die DSV nicht erfüllen konnte. Denn aus dem von DSV begangenen Fehler folgt zwangsläufig, dass in einem der beiden für ein und dieselbe Ware in Gang gesetzten Versandverfahren keine Ware vorhanden ist, die der Bestimmungszollstelle gestellt werden könnte. 

27      Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex macht allerdings die Entstehung der Zollschuld davon abhängig, dass eine Verfehlung in Bezug auf eine „einfuhrabgabenpflichtige Ware“ begangen wird. Zu prüfen ist daher, ob im Rahmen dieser Bestimmung die Faktoren berücksichtigt werden können, die den besonderen Fall des Ausgangsverfahrens kennzeichnen, nämlich die Tatsache, dass für ein und dieselbe Ware zwei Versandverfahren in Gang gesetzt wurden.

28      In diesem Zusammenhang ist zum einen zu unterstreichen, dass Art. 204 des Zollkodex bereits nach seinem Wortlaut auf den Fall abzielt, dass eine „Ware“ in ein Zollverfahren übergeführt und eine mit diesem Verfahren verbundene Verpflichtung nicht erfüllt worden ist.

29      Im Ausgangsverfahren, in dem feststeht, dass aufgrund eines Fehlers zwei Versandverfahren für ein und dieselbe Ware in Gang gesetzt wurden, war in einem der beiden von DSV eingeleiteten Verfahren aber keine „Ware“ vorhanden, hinsichtlich deren die mit dem externen Versandverfahren verbundenen Verpflichtungen hätten erfüllt werden können.

30      Zum anderen ist festzustellen, dass Art. 204 des Zollkodex eine ordnungsgemäße Anwendung des Zollrechts gewährleisten soll. Nach den Art. 96 Abs. 1 und 204 Abs. 1 des Zollkodex ist nämlich der Hauptverpflichtete als Inhaber des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens Schuldner der sich aus der Nichteinhaltung der Bestimmungen dieser Regelung ergebenden Zollschuld. Durch die dem Hauptverpflichteten damit auferlegte Haftung sollen im Interesse des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten die sorgfältige und einheitliche Anwendung der Bestimmungen dieser Regelung sowie der ordnungsgemäße Ablauf der Versandverfahren gewährleistet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. April 2008, Militzer & Münch, C‑230/06, Slg. 2008, I‑1895, Randnr. 48).

31      Außerdem birgt das Vorhandensein von Nichtgemeinschaftswaren im Zollgebiet der Union die Gefahr, dass diese Waren letztlich unverzollt in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten gelangen (vgl. entsprechend Urteil vom 2. April 2009, Elshani, C‑459/07, Slg. 2009, I‑2759, Randnr. 32), eine Gefahr, zu deren Vermeidung Art. 204 des Zollkodex beiträgt, wie die Kommission ausführt.

32      Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem feststeht, dass aufgrund eines Fehlers zweimal je zwei externe Versandverfahren für ein und dieselbe Ware eingeleitet wurden, sind diese beiden Art. 204 des Zollkodex zugrunde liegenden Ziele, die die Entstehung einer Zollschuld rechtfertigen, eindeutig nicht berührt.

33      Was erstens das Ziel angeht, die Gefahr zu vermeiden, dass Nichtgemeinschaftswaren unverzollt in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen, besteht im Fall eines externen Versandverfahrens, das für eine nicht vorhandene Ware in Gang gesetzt wird, kein Risiko, dass derartige Waren unverzollt in den Wirtschaftskreislauf gelangen und so zu unlauterem Wettbewerb und zur Gefahr finanzieller Verluste führen können.

34      Zweitens kann das Ziel, die sorgfältige Anwendung der Vorschriften des Zollverfahrens zu gewährleisten, nicht erreicht werden, wenn ein externes Versandverfahren keine vorhandene Ware betrifft. Es ist nämlich nicht möglich, ein solches Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen, wenn es auf eine nicht vorhandene Ware angewandt wird. Dies gilt umso mehr, als dem Hauptverpflichteten mit der Verpflichtung, die Waren der Bestimmungszollstelle zu gestellen, entgegen dem Grundsatz ultra posse nemo obligatur eine Vorgabe gemacht würde, die er nicht erfüllen kann, wenn die Waren, die von dem aufgrund eines Fehlers in Gang gesetzten externen Versandverfahren erfasst werden, nicht vorhanden sind.

35      Folgte man einer Auslegung wie der von der dänischen Regierung befürworteten, hätte die Anwendung von Art. 204 des Zollkodex allein zum Ergebnis, dass dem Hauptverpflichteten wegen des Fehlers, den er durch die Einleitung der externen Versandverfahren begangen hat, und nicht wegen der Nichterfüllung seiner mit diesem Verfahren verbundenen Verpflichtungen eine Sanktion auferlegt wird.

36      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt somit, dass der Fehler, der in der Einleitung zweier externer Versandverfahren für ein und dieselbe Ware besteht, seiner Art nach nicht geeignet ist, die mit Art. 204 des Zollkodex verfolgten Ziele zu beeinträchtigen und damit die Entstehung einer Zollschuld zu rechtfertigen. Es ist auch nicht erforderlich, einen solchen Fehler dadurch zu ahnden, dass dem Hauptverpflichteten eine Zollschuld auferlegt wird. Wie die Kommission ausgeführt hat, kann ein solcher Fehler zwar eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ob dem Versender der Status des zugelassenen Versenders zu entziehen ist, er kann aber nicht zur Folge haben, dass dieser zum Zollschuldner wird.

37      Folglich ist Art. 204 des Zollkodex auf Umstände wie die des Ausgangsverfahrens nicht anzuwenden.

38      Nach alledem ist auf die Fragen zu antworten, dass Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass er auf einen Fall wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht anwendbar ist, in dem ein zugelassener Versender aufgrund eines Fehlers zwei externe Versandverfahren für ein und dieselbe Ware in Gang gesetzt hat, da das überzählige Versandverfahren, weil es eine nicht vorhandene Ware betrifft, nicht geeignet ist, zur Entstehung einer Zollschuld nach dieser Bestimmung zu führen.

 Kosten

39      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 648/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er auf einen Fall wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht anwendbar ist, in dem ein zugelassener Versender aufgrund eines Fehlers zwei externe Versandverfahren für ein und dieselbe Ware in Gang gesetzt hat, da das überzählige Versandverfahren, weil es eine nicht vorhandene Ware betrifft, nicht geeignet ist, zur Entstehung einer Zollschuld nach dieser Bestimmung zu führen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Dänisch.

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