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Document 61989CJ0249

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 5. Februar 1991.
Trave-Schiffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG gegen Finanzamt Kiel-Nord.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland.
Ansammlung von Kapital - Gesellschaftsteuer - Gewährung eines zinslosen Darlehens durch einen Gesellschafter.
Rechtssache C-249/89.

European Court Reports 1991 I-00257

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1991:39

61989J0249

URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 5. FEBRUAR 1991. - TRAVE SCHIFFAHRTS-GESELLSCHAFT MBH & CO KG GEGEN FINANZAMT KIEL-NORD. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESFINANZHOF - DEUTSCHLAND. - ANSAMMLUNG VON KAPITAL - GESELLSCHAFTSTEUER - GEWAEHRUNG EINES ZINSLOSEN DARLEHENS DURCH EINEN GESELLSCHAFTER. - RECHTSSACHE C-249/89.

Sammlung der Rechtsprechung 1991 Seite I-00257


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


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Steuerrecht - Harmonisierung - Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital - Gewährung eines zinslosen Darlehens durch einen Gesellschafter an seine Gesellschaft - Unterwerfung unter die Gesellschaftsteuer - Zulässigkeit - Besteuerungsgrundlage - Ersparte Zinsaufwendungen

(Richtlinie 69/335 des Rates, Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b)

Leitsätze


Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital erlaubt es den Mitgliedstaaten, ein zinsloses Darlehen, das ein Gesellschafter seiner stark überschuldeten Kapitalgesellschaft gewährt, mit dem Nutzungswert, d. h. mit den ersparten Zinsaufwendungen, deren Höhe vom nationalen Gericht festzustellen ist, der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen.

Die Gewährung eines solchen Darlehens bewirkt nämlich aufgrund der sich hieraus ergebenden Ersparnis an Zinsaufwendungen eine Erhöhung des Gesellschaftsvermögens und ist wegen der Stärkung des Wirtschaftspotentials der Gesellschaft geeignet, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen.

Entscheidungsgründe


1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 28. Juni 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 7. August 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Trave Schiffahrts-Gesellschaft mbH & Co. KG (im weiteren: "Trave GmbH") und dem Finanzamt Kiel-Nord über die Erhebung von Gesellschaftsteuer auf die Gewährung zinsloser Darlehen an diese Gesellschaft durch ihre Gesellschafter.

3 Die Trave GmbH wurde durch einen Vertrag vom 27. Juni 1975 gegründet, um die Risiken abzudecken, die einer ihrer Gesellschafter aus Anlaß eines grösseren Bauvorhabens eingegangen war. Von 1977 bis 1983 erhielt die Gesellschaft, die erhebliche Verluste erlitt, von ihren Gesellschaftern zinslose Darlehen in Höhe von 131 Millionen DM.

4 Mit Bescheid vom 7. Dezember 1984 erhob das Finanzamt Kiel-Nord von der Trave GmbH Gesellschaftsteuer in Höhe von 361 335 DM gemäß § 2 Absatz 1 Nr. 4 Buchstabe c des Kapitalverkehrsteuergesetzes. Gemäß dieser Bestimmung unterliegt die Überlassung von Gegenständen durch einen Gesellschafter an eine deutsche Kapitalgesellschaft zu einer den Wert nicht erreichenden Gegenleistung der Gesellschaftsteuer, wenn die Leistungen geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen.

5 Durch das Kapitalverkehrsteuergesetz wurde in der Bundesrepublik Deutschland Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 des Rates durchgeführt. Diese Bestimmung ermächtigt die Mitgliedstaaten, "die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen eines Gesellschafters, die keine Erhöhung des Kapitals mit sich bringen, sondern ihren Gegenwert in einer Änderung der Gesellschaftsrechte finden oder geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen", der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen.

6 Nachdem ihre Klage in der Tatsacheninstanz erfolglos geblieben war, legte die Trave GmbH Revision zum Bundesfinanzhof ein.

7 In seinem Vorlagebeschluß führt der Bundesfinanzhof aus, nach seiner ständigen Rechtsprechung sei der Erfolgsbeitrag für ein Unternehmen als eine Leistung im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 anzusehen, obwohl die Mehrung des Gesellschaftsvermögens erst mit der Nutzung der Darlehen und der damit verbundenen Ersparnis von Aufwendungen eintrete. Er weist jedoch darauf hin, daß diese Rechtsprechung von einem Teil der deutschen Lehre mit der Begründung kritisiert werde, daß die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens, die nach der betreffenden Gemeinschaftsbestimmung erforderlich sei, die Erhöhung des Reinvermögens der Gesellschaft voraussetze.

8 Da der Bundesfinanzhof die Auslegung des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 für entscheidungserheblich hält, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Erlaubt Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG den Mitgliedstaaten, ein zinsloses Darlehen, das ein Gesellschafter seiner stark überschuldeten Kapitalgesellschaft gewährt, mit dem Nutzungswert (ersparte Zinsaufwendungen) der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen?

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Mit seiner Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob die Gewährung eines zinslosen Darlehens durch einen Gesellschafter an eine stark überschuldete Kapitalgesellschaft ein Vorgang ist, der gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 der Gesellschaftsteuer unterworfen werden kann und, falls ja, ob die Besteuerungsgrundlage dieser Steuer in dem Nutzungswert dieses Darlehens, d. h. dem Betrag der ersparten Zinsaufwendungen, besteht.

11 Im Hinblick auf die Frage, ob die Gewährung eines zinslosen Darlehens einen von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 erfassten Vorgang darstellt, ist zu prüfen, ob dieser Vorgang eine Erhöhung des Gesellschaftsvermögens der begünstigten Gesellschaft bewirkt und ob er geeignet ist, den Wert ihrer Gesellschaftsanteile zu erhöhen.

12 Zu der ersten Voraussetzung - der Erhöhung des Gesellschaftsvermögens - ist festzustellen, daß die Gewährung eines zinslosen Darlehens es der Gesellschaft erlaubt, über Kapital zu verfügen, ohne die Kosten dafür tragen zu müssen. Die sich hieraus ergebende Ersparnis an Zinsaufwendungen bewirkt eine Erhöhung ihres Gesellschaftsvermögens, indem sie der Gesellschaft die Vermeidung einer Ausgabe ermöglicht, die sie sonst zu tragen gehabt hätte.

13 Zu der zweiten Voraussetzung - der Erhöhung des Werts der Gesellschaftsanteile - ist auf das Urteil vom 15. Juli 1982 in der Rechtssache 270/81 (Felicitas, Slg. 1982, 2771) zu verweisen, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, daß "nach den Grundsätzen, auf denen die harmonisierte Gesellschaftsteuer beruht, dieser Steuer nur solche Vorgänge unterworfen sein sollen, die der rechtliche Ausdruck einer Ansammlung von Kapital sind, und zwar nur insoweit, als sie zur Verstärkung des Wirtschaftspotentials der Gesellschaft beitragen", ein Entscheidungsgrund, der den Begründungserwägungen der Richtlinie 74/553/EWG des Rates vom 7. November 1974 zur Änderung von Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 303, S. 9) entnommen ist. Das entscheidende Kriterium dafür, ob ein Vorgang der Kapitalansammlung der Gesellschaftsteuer unterworfen werden kann, besteht somit in der Stärkung des Wirtschaftspotentials der Gesellschaft.

14 Unter den gegebenen Umständen ist anzunehmen, daß die Gewährung eines zinslosen Darlehens insofern, als sie es der Gesellschaft erlaubt, über Kapital zu verfügen, ohne die Kosten dafür tragen zu müssen, zur Stärkung ihres Wirtschaftspotentials beiträgt. Sie muß somit als geeignet angesehen werden, den Wert der Gesellschaftsanteile der Gesellschaft zu erhöhen.

15 Die Gewährung eines zinslosen Darlehens eines Gesellschafters an seine Gesellschaft stellt demnach einen Vorgang dar, der gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 besteuert werden kann.

16 Zur Besteuerungsgrundlage der Gesellschaftsteuer ist auf Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie zu verweisen, wonach "bei Erhöhung des Gesellschaftsvermögens gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b" die Steuer erhoben wird "auf den tatsächlichen Wert der erbrachten Leistungen abzueglich der Lasten und Verbindlichkeiten, die der Gesellschaft aus diesen Leistungen erwachsen".

17 Da der Gesellschaft keine Lasten erwachsen, ist die Gesellschaftsteuer in Anwendung dieser Bestimmung auf die von der Gesellschaft ersparten Zinsaufwendungen zu erheben, deren Höhe vom nationalen Gericht festzustellen ist.

18 Auf die Vorlagefrage ist demgemäß zu antworten, daß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 es den Mitgliedstaaten erlaubt, ein zinsloses Darlehen, das ein Gesellschafter seiner stark überschuldeten Kapitalgesellschaft gewährt, mit dem Nutzungswert, d. h. mit den ersparten Zinsaufwendungen, deren Höhe vom nationalen Gericht festzustellen ist, der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen.

Kostenentscheidung


Kosten

19 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 28. Juni 1989 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital erlaubt es den Mitgliedstaaten, ein zinsloses Darlehen, das ein Gesellschafter seiner stark überschuldeten Kapitalgesellschaft gewährt, mit dem Nutzungswert, d. h. mit den ersparten Zinsaufwendungen, deren Höhe vom nationalen Gericht festzustellen ist, der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen.

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