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Document 62008CJ0264

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 28. Januar 2010.
Belgische Staat gegen Direct Parcel Distribution Belgium NV.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Hof van Cassatie - Belgien.
Zollkodex der Gemeinschaft - Zollschuld - Abgabenbetrag - Art. 217 und 221 - Eigenmittel der Gemeinschaften - Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1150/2000 - Art. 6 - Erfordernis einer buchmäßigen Erfassung des Abgabenbetrags vor dessen Mitteilung an den Zollschuldner - Begriff ‚gesetzlich geschuldeter Betrag.
Rechtssache C-264/08.

Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-00731

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:43

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C‑264/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hof van Cassatie (Belgien) mit Entscheidung vom 22. Mai 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juni 2008, in dem Verfahren

Belgische Staat

gegen

Direct Parcel Distribution Belgium NV

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Richters C. W. A. Timmermans (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

– der Direct Parcel Distribution Belgium NV, vertreten durch K. Wille, advocaat,

– der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux als Bevollmächtigten,

– der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

– der finnischen Regierung, vertreten durch A. Guimaraes‑Purokoski als Bevollmächtigte,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Roels als Bevollmächtigten,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 217 Abs. 1 und 221 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits des Belgische Staat (Belgischer Staat) gegen die Direct Parcel Distribution Belgium NV (im Folgenden: Direct Parcel), in dem es um die Nacherhebung von Einfuhrzöllen geht.

Rechtlicher Rahmen

Zollkodex

3. Art. 217 des Zollkodex bestimmt:

„(1) Jeder einer Zollschuld entsprechende Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag – nachstehend ‚Abgabenbetrag‘ genannt – muss unmittelbar bei Vorliegen der erforderlichen Angaben von den Zollbehörden berechnet und in die Bücher oder in sonstige statt dessen verwendete Unterlagen eingetragen werden (buchmäßige Erfassung).

(2) Die Einzelheiten der buchmäßigen Erfassung der Abgabenbeträge werden von den Mitgliedstaaten geregelt. Diese Einzelheiten können unterschiedlich sein, je nachdem, ob unter Berücksichtigung der Voraussetzungen, unter denen die Zollschuld entstanden ist, die Entrichtung dieser Beträge für die Zollbehörden gesichert ist oder nicht.“

4. Art. 221 Abs. 1 und 3 des Zollkodex lautet:

„(1) Der Abgabenbetrag ist dem Zollschuldner in geeigneter Form mitzuteilen, sobald der Betrag buchmäßig erfasst worden ist.

(3) Die Mitteilung an den Zollschuldner darf nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld nicht mehr erfolgen. Konnten die Zollbehörden jedoch aufgrund einer strafbaren Handlung den gesetzlich geschuldeten Abgabenbetrag nicht genau ermitteln, so kann die Mitteilung noch nach Ablauf der genannten Dreijahresfrist erfolgen, sofern dies nach geltendem Recht vorgesehen ist.“

Regelung über die Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften

5. Art. 6 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1150/2000 des Rates vom 22. Mai 2000 zur Durchführung des Beschlusses 94/728/EG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften (ABl. L 130, S. 1) enthält insbesondere Regeln für die Verbuchung der Ansprüche aus einer Zollschuld in der Eigenmittel‑Buchführung, die unter der Voraussetzung der Feststellung dieser Ansprüche gemäß Art. 2 dieser Verordnung erfolgt.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6. Am 18. November 1999 reichte die Boeckmans België NV (im Folgenden: Boeckmans België) bei der Zoll- und Verbrauchsteuerverwaltung Antwerpen eine vorläufige Anmeldung für einen Container mit Backwaren ein, dessen Adressat Direct Parcel war.

7. Der Container wurde an Direct Parcel ausgeliefert, ohne dass die Anmeldung bei der Verwaltung erledigt war, wodurch dieser Container der Zollaufsicht entzogen wurde.

8. Mit Schreiben vom 26. Mai 2000 teilte die Verwaltung Boeckmans België mit, dass die Frist für die Erledigung bereits seit Längerem verstrichen und aus diesem Grund eine Zollschuld entstanden sei.

9. Mit Schreiben vom 3. Oktober 2000 schlug die Verwaltung Boeckmans België einen Vergleich vor, gegen den dieses Unternehmen Einspruch einlegte, der am 10. Januar 2001 zurückgewiesen wurde.

10. Boeckmans België bestritt, zur Zahlung der Zollschuld verpflichtet zu sein, und erhob am 2. Februar 2001 bei der Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen Klage gegen den Belgischen Staat. Mit Ladungsschrift vom 8. Februar 2001 erhob Boeckmans België gegen Direct Parcel Klage auf Garantie für alle Forderungen, die der Belgische Staat gegen sie erhob.

11. Der Belgische Staat erhob Widerklage auf gesamtschuldnerische Verurteilung von Direct Parcel und Boeckmans België zur Zahlung der geschuldeten Zölle.

12. Mit Urteil vom 7. April 2004 wies die Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen die Klage von Boeckmans België ab und verurteilte diese sowie Direct Parcel zur Zahlung der Zölle.

13. Mit Urteil vom 7. November 2006 hob der Hof van beroep te Antwerpen dieses Urteil auf. Er erklärte das Recht des Belgischen Staates auf Erhebung der Zollschuld mit der Begründung für erloschen, dass der Belgische Staat keinen Nachweis für eine vorhergehende buchmäßige Erfassung des Betrags dieser Abgaben gemäß Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex erbracht habe.

14. Der Belgische Staat legte daraufhin beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde gegen das Urteil des Hof van beroep te Antwerpen ein und machte zur Begründung geltend, dass die fehlende oder verspätete buchmäßige Erfassung der betreffenden Zollschuld deren Erhebung durch die Zollbehörden nicht entgegenstehe.

15. Unter diesen Umständen hat der Hof van Cassatie van België das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die buchmäßige Erfassung im Sinne von Art. 221 des Zollkodex die buchmäßige Erfassung im Sinne von Art. 217, die darin besteht, dass der Abgabenbetrag von den Zollbehörden in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eingetragen wird?

2. Falls die erste Frage bejaht wird, wie ist dann die Verpflichtung nach Art. 217 des Zollkodex, wonach der Abgabenbetrag „in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen“ eingetragen werden sein muss, zu erfüllen? Sind damit bestimmte technische oder förmliche Mindestanforderungen verbunden, oder überlässt Art. 217 den Erlass der näheren Bestimmungen für die Praxis der buchmäßigen Erfassung der Abgabenbeträge vollständig den Mitgliedstaaten, ohne damit Mindestanforderungen zu verbinden? Ist die buchmäßige Erfassung von der Aufnahme der Ansprüche in die Buchführung über die Eigenmittel im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 1150/2000 zu unterscheiden?

3. Ist Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex dahin aufzufassen, dass eine Übermittlung des Abgabenbetrags an den Zollschuldner durch die Zollbehörden in geeigneter Form nur dann als die Mitteilung des Abgabenbetrags an den Schuldner im Sinne von Art. 221 Abs. 1 betrachtet werden kann, wenn der Abgabenbetrag von den Zollbehörden vor der Mitteilung an den Zollschuldner buchmäßig erfasst worden ist? Was ist ferner unter dem Begriff „in geeigneter Form“ in Art. 221 Abs. 1 zu verstehen?

4. Falls die dritte Frage bejaht wird, kann dann eine Vermutung zugunsten des Staates bestehen, dass die buchmäßige Erfassung des Abgabenbetrags vor deren Mitteilung an den Zollschuldner erfolgt ist? Kann das nationale Gericht ferner von einer Vermutung der Richtigkeit der Erklärung der Zollbehörden ausgehen, dass der Abgabenbetrag vor seiner Mitteilung an den Zollschuldner buchmäßig erfasst worden ist, oder müssen die Behörden vor dem nationalen Gericht systematisch den schriftlichen Nachweis der buchmäßigen Erfassung des Abgabenbetrags erbringen?

5. Hat die gemäß Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex vorgeschriebene buchmäßige Erfassung des Abgabenbetrags vor dessen Mitteilung an den Zollschuldner bei Meidung der Nichtigkeit oder des Erlöschens des Rechts auf Erhebung oder Nacherhebung der Zollschuld zu erfolgen? Ist, mit anderen Worten, Art. 221 Abs. 1 so zu verstehen, dass der Abgabenbetrag, wenn er dem Zollschuldner von den Zollbehörden in geeigneter Form mitgeteilt wird, ohne dass er jedoch vor der Mitteilung durch die Zollschulden buchmäßig erfasst worden ist, nicht erhoben werden kann, so dass die Zollbehörden, um den Betrag nachträglich erheben zu können, den Abgabenbetrag erneut dem Zollschuldner in geeigneter Form zur Kenntnis bringen müssen, nachdem er buchmäßig erfasst worden ist und sofern dies innerhalb der in Art. 221 des Zollkodex festgelegten Verjährungsfrist geschehen muss?

6. Falls die fünfte Frage bejaht wird: Was ist die Folge der Entrichtung des Abgabenbetrags durch den Zollschuldner, der diesem ohne vorherige buchmäßige Erfassung mitgeteilt worden ist? Ist dies als nicht geschuldete Zahlung zu betrachten, die dieser vom Staat zurückfordern kann?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

16. Insoweit genügt der Hinweis darauf, dass der Gerichtshof diese Frage bereits im Beschluss vom 9. Juli 2008, Gerlach & Co. (C‑477/07, Randnrn. 18 und 23), bejaht hat.

17. Infolgedessen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die „buchmäßige Erfassung“ des Betrags der zu erhebenden Abgaben im Sinne dieser Bestimmung die „buchmäßige Erfassung“ dieses Betrags im Sinne von Art. 217 Abs. 1 des Zollkodex ist.

Zur zweiten Frage

18. Den zweiten Teil dieser Frage, mit dem das vorlegende Gericht den Gerichtshof danach fragt, ob die „buchmäßige Erfassung“ im Sinne von Art. 217 Abs. 1 des Zollkodex von der Aufnahme der Ansprüche in die Buchführung über die Eigenmittel im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 1150/2000 zu unterscheiden ist, hat der Gerichtshof ebenfalls bereits im Beschluss Gerlach & Co. (Randnrn. 22 und 23) beantwortet.

19. Zwar hat sich der Gerichtshof in diesem Beschluss zu Art. 6 der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1552/89 des Rates vom 29. Mai 1989 zur Durchführung des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften (ABl.  L 155, S. 1) geäußert, doch lässt sich dieses Ergebnis in vollem Umfang auf Art. 6 der Verordnung Nr. 1150/2000 übertragen, dessen Wortlaut im Wesentlichen mit demjenigen des Art. 6 der Verordnung Nr. 1552/89 identisch ist.

20. Somit ist die „buchmäßige Erfassung“ im Sinne von Art. 217 Abs. 1 des Zollkodex von der Aufnahme des Abgabenbetrags in die Eigenmittel‑Buchführung im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 1150/2000 zu unterscheiden.

21. Was den ersten Teil der Frage angeht, mit dem Auskunft darüber begehrt wird, ob Art. 217 des Zollkodex technische oder förmliche Mindestanforderungen für die buchmäßige Erfassung der Abgabenbeträge aufstellt, ist festzustellen, dass nach Art. 217 Abs. 1 Unterabs. 1 des Zollkodex die buchmäßige Erfassung darin besteht, dass der einer Zollschuld entsprechende Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgabenbetrag von den Zollbehörden in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eingetragen wird.

22. Nach Art. 217 Abs. 2 des Zollkodex ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Einzelheiten der buchmäßigen Erfassung zu regeln, die unterschiedlich sein können, je nachdem, ob unter Berücksichtigung der Voraussetzungen, unter denen die Zollschuld entstanden ist, die Entrichtung dieser Beträge für die Zollbehörden gesichert ist oder nicht.

23. Da somit Art. 217 des Zollkodex nicht die Einzelheiten der „buchmäßigen“ Erfassung im Sinne dieser Bestimmung und daher auch keine technischen oder förmlichen Mindestanforderungen vorschreibt, ist die buchmäßige Erfassung so durchzuführen, dass gesichert ist, dass die zuständigen Zollbehörden den genauen Betrag der einer Zollschuld entsprechenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eintragen, um insbesondere zu ermöglichen, dass die buchmäßige Erfassung der betreffenden Beträge gegenüber dem Schuldner mit Sicherheit festgestellt wird.

24. Im Übrigen können, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, die Mitgliedstaaten in Anbetracht des Ermessens, über das sie gemäß Art. 217 Abs. 2 des Zollkodex verfügen, vorsehen, dass die buchmäßige Erfassung des einer Zollschuld entsprechenden Abgabenbetrags erfolgt, indem dieser Betrag in das Protokoll eingetragen wird, das von den zuständigen Zollbehörden erstellt und mit dem eine Zuwiderhandlung gegen die zollrechtlichen Vorschriften festgestellt wird, wie dies für die Behörden im Sinne von Art. 267 des Allgemeinen Zoll‑ und Verbrauchsteuergesetzes, koordiniert durch Königliche Verordnung vom 18. Juli 1977 ( Belgisch Staatsblad , 21. September 1977, S. 11425), bestätigt durch das Gesetz vom 6. Juli 1978 über Zölle und Verbrauchsteuern ( Belgisch Staatsblad , 12. August 1978, S. 9013), gilt (Urteil vom 16. Juli 2009, Distillerie Smeets Hasselt u. a., C‑126/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 25).

25. Daher ist nach alledem auf die zweite Frage zu antworten, dass die „buchmäßige Erfassung“ im Sinne von Art. 217 Abs. 1 des Zollkodex von der Aufnahme der festgestellten Ansprüche in die Eigenmittel‑Buchführung im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 1150/2000 zu unterscheiden ist. Da Art. 217 des Zollkodex keine Einzelheiten der „buchmäßigen Erfassung“ im Sinne dieser Bestimmung und somit keine technischen oder förmlichen Mindestanforderungen vorschreibt, ist diese buchmäßige Erfassung so vorzunehmen, dass gesichert ist, dass die zuständigen Zollbehörden den genauen Betrag der einer Zollschuld entsprechenden Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eintragen, um insbesondere zu ermöglichen, dass die buchmäßige Erfassung der betreffenden Beträge auch gegenüber dem Zolls chuldner mit Bestimmtheit festgestellt wird.

Zur dritten Frage

26. Wie sich schon aus dem Wortlaut des Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex ergibt, muss die buchmäßige Erfassung, die nach Art. 217 Abs. 1 des Zollkodex in der Eintragung des Abgabenbetrags in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen durch die Zollbehörden besteht, notwendig der Mitteilung des Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags an den Schuldner vorausgehen (vgl. insbesondere Urteil vom 16. Juli 2009, Snauwaert u. a., C‑124/08 und C‑125/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 21).

27. Dieser chronologische Ablauf der buchmäßigen Erfassung und der Mitteilung des Abgabenbetrags, der bereits in der Überschrift des Abschnitts 1 des Kapitels 3 des Titels VII des Zollkodex, „Buchmäßige Erfassung des Zollschuldbetrags und Mitteilung an den Zollschuldner“, zum Ausdruck kommt, ist nämlich zu beachten, soll es nicht zu Ungleichbehandlungen zwischen den Zollschuldnern kommen und das harmonische Funktionieren der Zollunion nicht beeinträchtigt werden (vgl. insbesondere Urteil Snauwaert u. a., Randnr. 22).

28. Der Gerichtshof hat daraus geschlossen, dass Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die Mitteilung des Betrags der zu entrichtenden Ein- oder Ausfuhrabgaben an den Zollschuldner nur dann rechtsgültig erfolgen kann, wenn der Betrag dieser Abgaben von diesen Behörden zuvor buchmäßig erfasst worden ist (vgl. insbesondere Urteil Snauwaert u. a., Randnr. 23).

29. Wie der Gerichtshof ebenfalls entschieden hat, sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, spezifische Verfahrensregeln hinsichtlich der Form zu erlassen, in der die Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge dem Zollschuldner mitzuteilen sind, sofern auf diese Mitteilung innerstaatliche Verfahrensregeln mit allgemeiner Geltung angewandt werden können, die eine angemessene Information des Zollschuldners gewährleisten und es diesem ermöglichen, seine Rechte in voller Kenntnis der Sachlage wahrzunehmen (Urteil vom 23. Februar 2006, Molenbergnatie, C‑201/04, Slg. 2006, I‑2049, Randnr. 54).

30. Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass die Mitteilung des Betrags der zu zahlenden Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben an den Zollschuldner durch die Zollbehörden in geeigneter Form nur dann wirksam erfolgen kann, wenn der Betrag dieser Abgaben von diesen Behörden zuvor buchmäßig erfasst worden ist. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, spezifische Verfahrensregeln hinsichtlich der Form zu erlassen, in der die Beträge dieser Abgaben dem Zollschuldner mitzuteilen sind, sofern auf diese Mitteilung innerstaatliche Verfahrensregeln mit allgemeiner Geltung angewandt werden können, die eine angemessene Information des Zollschuldners gewährleisten und es diesem ermöglichen, seine Rechte in voller Kenntnis der Sachlage wahrzunehmen.

Zur vierten Frage

31. Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Gemeinschaftsrecht das nationale Gericht daran hindert, sich auf eine Vermutung im Zusammenhang mit der Erklärung der Zollbehörden zu stützen, wonach die buchmäßige Erfassung des Abgabenbetrags vor seiner Mitteilung an den Zollschuldner erfolgt ist, oder ob das Gemeinschaftsrecht verlangt, dass diese Behörden vor dem nationalen Gericht systematisch den schriftlichen Nachweis der buchmäßigen Erfassung des Abgabenbetrags erbringen.

32. In diesem Zusammenhang steht fest, dass das Gemeinschaftsrecht zu diesem die Beweislast für die „buchmäßige Erfassung“ der Zollschuld im Sinne von Art. 217 des Zollkodex betreffenden Punkt keine besondere Bestimmung enthält.

33. Fehlt es an einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung, ist es Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. insbesondere Urteile vom 7. September 2006, Laboratoires Boiron, C‑526/04, Slg. 2006, I‑7529, Randnr. 51, und vom 8. September 2009, Budějovický Budvar, C‑478/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34. Dies gilt auch für die für Klagen betreffend Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht geltenden Beweisvorschriften, insbesondere die Regeln über die Verteilung der Beweislast (vgl. insbesondere Urteil vom 24. April 2008, Arcor, C‑55/06, Slg. 2008, I‑2931, Randnr. 191).

35. Um die Einhaltung des Effektivitätsgrundsatzes sicherzustellen, muss ein nationaler Richter, wenn er feststellt, dass der Umstand, dass die Beweislast für das Unterbleiben der buchmäßigen Erfassung der Zollschuld den Zollschuldner trifft, geeignet ist, die Führung dieses Beweises praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, etwa weil er Daten betrifft, über die der Zollschuldner nicht verfügen kann, alle ihm nach dem nationalen Recht zu Gebote stehenden Verfahrensmaßnahmen ausschöpfen, darunter die Anordnung der erforderlichen Beweiserhebungen, einschließlich der Vorlage von Urkunden oder Schriftstücken durch eine Partei oder einen Dritten (vgl. entsprechend Urteil Laboratoires Boiron, Randnr. 55).

36. Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht es einem nationalen Gericht nicht verwehrt, sich auf eine Vermutung der Richtigkeit der Erklärung der Zollbehörden zu stützen, dass die „buchmäßige Erfassung“ des Betrags der Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben im Sinne von Art. 217 des Zollkodex vor der Mitteilung dieses Betrags an den Schuldner erfolgt ist, vorausgesetzt, dass der Effektivitätsgrundsatz und der Äquivalenzgrundsatz beachtet worden sind.

Zur fünften Frage

37. Zur Frage der Folgen eines Unterbleibens der buchmäßigen Erfassung der Zollschuld vor der Mitteilung von deren Betrag an den Zollschuldner hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Verstoß der Zollbehörden eines Mitgliedstaats gegen Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex zwar der Erhebung des gesetzlich geschuldeten Zollbetrags oder der Erhebung von Verzugszinsen entgegenstehen kann, dass sich ein solcher Verstoß aber nicht auf die Existenz dieser Abgaben auswirkt (vgl. insbesondere Urteil vom 20. Oktober 2005, Transport Maatschappij Traffic, C‑247/04, Slg. 2005, I‑9089, Randnr. 28).

38. Daraus ergibt sich, dass die Zollbehörden die Möglichkeit behalten, unter Beachtung der in Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex vorgesehenen Voraussetzungen eine neue Mitteilung des Betrags vorzunehmen (Beschluss Gerlach & Co., Randnr. 28).

39. Daher ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass der Mitteilung des Betrags der zu erhebenden Abgaben die buchmäßige Erfassung dieses Betrags durch die Zollbehörden des betreffenden Mitgliedstaats vorausgegangen sein muss und dass, wenn eine buchmäßige Erfassung gemäß Art. 217 Abs. 1 des Zollkodex nicht stattgefunden hat, dieser Betrag von diesen Behörden nicht erhoben werden kann, die jedoch die Möglichkeit behalten, unter Beachtung der in Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex vorgesehenen Voraussetzungen und der zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zollschuld entstanden ist, geltenden Verjährungsvorschriften eine neue Mitteilung des Betrags vorzunehmen.

Zur sechsten Frage

40. Wie der Gerichtshof entschieden hat, bleibt der Betrag der Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben im Sinne von Art. 236 Abs. 1 Unterabs. 1 des Zollkodex „gesetzlich geschuldet“, auch wenn er dem Zollschuldner nicht gemäß Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex mitgeteilt wurde (Urteil Transport Maatschappij Traffic, Randnr. 29).

41. Dies gilt auch dann, wenn der Betrag dieser Abgaben dem Zollschuldner mitgeteilt worden ist und dieser Mitteilung keine buchmäßige Erfassung dieses Betrags vorausgegangen ist.

42. In einem solchen Fall behalten, wie in Randnr. 39 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, die Zollbehörden die Möglichkeit, unter Beachtung der in Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex vorgesehenen Voraussetzungen und der zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zollschuld entstanden ist, geltenden Verjährungsvorschriften eine neue Mitteilung des Betrags vorzunehmen.

43. Ist jedoch eine solche Mitteilung nicht mehr möglich, weil die in Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex vorgesehene Frist abgelaufen ist, so ist die Schuld verjährt und damit im Sinne von Art. 233 des Zollkodex erloschen (Urteil Molenbergnatie, Randnrn. 40 und 41).

44. In einer solchen Situation muss es dem Schuldner grundsätzlich möglich sein, die auf diese Zollschuld gezahlten Beträge erstattet zu erhalten.

45. Nach gefestigter Rechtsprechung stellt nämlich der Anspruch auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Der Mitgliedstaat ist also grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobene Abgaben zu erstatten (vgl. insbesondere Urteil vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C‑524/04, Slg. 2007, I‑2107, Randnr. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46. Mangels einer Gemeinschaftsregelung über die Erstattung zu Unrecht erhobener inländischer Abgaben ist es Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. insbesondere Urteil Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 111 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47. Nach alledem ist auf die sechste Frage zu antworten, dass zwar der Betrag der Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben auch dann „gesetzlich geschuldet“ im Sinne von Art. 236 Abs. 1 Unterabs. 1 des Zollkodex bleibt, wenn er dem Zollschuldner mitgeteilt worden ist, ohne zuvor gemäß Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex buchmäßig erfasst worden zu sein, doch muss der Zollschuldner, wenn eine solche Mitteilung nicht mehr möglich ist, weil die in Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex festgelegte Frist abgelaufen ist, grundsätzlich diesen Betrag von dem Mitgliedstaat erstattet erhalten können, der ihn erhoben hat.

Kosten

48. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 221 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist dahin auszulegen, dass die „buchmäßige Erfassung“ des Betrags der zu erhebenden Abgaben im Sinne dieser Bestimmung die „buchmäßige Erfassung“ dieses Betrags im Sinne von Art. 217 Abs. 1 der Verordnung darstellt.

2. Die „buchmäßige Erfassung“ im Sinne von Art. 217 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 ist von der Aufnahme der festgestellten Ansprüche in die Eigenmittel‑Buchführung im Sinne von Art. 6 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1150/2000 des Rates vom 22. Mai 2000 zur Durchführung des Beschlusses 94/728/EG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften zu unterscheiden. Da Art. 217 der Verordnung Nr. 2913/92 keine Einzelheiten der „buchmäßigen Erfassung“ im Sinne dieser Bestimmung und somit keine technischen oder förmlichen Mindestanforderungen vorschreibt, ist diese buchmäßige Erfassung so vorzunehmen, dass gesichert ist, dass die zuständigen Zollbehörden den genauen Betrag der einer Zollschuld entsprechenden Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben in die Bücher oder in sonstige stattdessen verwendete Unterlagen eintragen, um insbesondere zu ermöglichen, dass die buchmäßige Erfassung der betreffenden Beträge auch gegenüber dem Zollschuldner mit Bestimmtheit festgestellt wird.

3. Art. 221 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 ist dahin auszulegen, dass die Mitteilung des Betrags der zu zahlenden Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben an den Zollschuldner durch die Zollbehörden in geeigneter Form nur dann wirksam erfolgen kann, wenn der Betrag dieser Abgaben von diesen Behörden zuvor buchmäßig erfasst worden ist. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, spezifische Verfahrensregeln hinsichtlich der Form zu erlassen, in der die Beträge dieser Abgaben dem Zollschuldner mitzuteilen sind, sofern auf diese Mitteilung innerstaatliche Verfahrensregeln mit allgemeiner Geltung angewandt werden können, die eine angemessene Information des Zollschuldners gewährleisten und es diesem ermöglichen, seine Rechte in voller Kenntnis der Sachlage wahrzunehmen.

4. Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es einem nationalen Gericht nicht, sich auf eine Vermutung der Richtigkeit der Erklärung der Zollbehörden zu stützen, dass die „buchmäßige Erfassung“ des Betrags der Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben im Sinne von Art. 217 der Verordnung Nr. 2913/92 vor der Mitteilung dieses Betrags an den Schuldner erfolgt ist, vorausgesetzt, dass der Effektivitätsgrundsatz und der Äquivalenzgrundsatz beachtet worden sind.

5. Art. 221 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 ist dahin auszulegen, dass der Mitteilung des Betrags der zu erhebenden Abgaben die buchmäßige Erfassung dieses Betrags durch die Zollbehörden des betreffenden Mitgliedstaats vorausgegangen sein muss und dass, wenn eine buchmäßige Erfassung gemäß Art. 217 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 nicht stattgefunden hat, dieser Betrag von diesen Behörden nicht erhoben werden kann, die jedoch die Möglichkeit behalten, unter Beachtung der in Art. 221 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92 vorgesehenen Voraussetzungen und der zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zollschuld entstanden ist, geltenden Verjährungsvorschriften eine neue Mitteilung des Betrags vorzunehmen.

6. Der Betrag der Einfuhr‑ oder Ausfuhrabgaben bleibt auch dann „gesetzlich geschuldet“ im Sinne von Art. 236 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2913/92, wenn er dem Zollschuldner mitgeteilt worden ist, ohne zuvor gemäß Art. 221 Abs. 1 dieser Verordnung buchmäßig erfasst worden zu sein, doch muss der Zollschuldner, wenn eine solche Mitteilung nicht mehr möglich ist, weil die in Art. 221 Abs. 3 dieser Verordnung festgelegte Frist abgelaufen ist, grundsätzlich diesen Betrag von dem Mitgliedstaat erstattet erhalten können, der ihn erhoben hat.

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