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Document 62012CJ0271
Judgment of the Court (Second Chamber) of 8 May 2013. # Petroma Transports SA and Others v Belgian State. # Reference for a preliminary ruling: Cour d'appel de Mons - Belgium. # Taxation - Value added tax - Sixth Directive 77/388/EEC - Right to deduct input tax - Obligations of the taxable person - Possession of improper or inaccurate invoices - Omission of mandatory particulars - Refusal of the right to deduct - Evidence subsequent to the occurrence of the transactions invoiced - Correcting invoices - Right to refund of VAT - Principle of neutrality. # Case C-271/12.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 8. Mai 2013.
Petroma Transports SA und andere gegen Belgischer Staat.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Mons - Belgien.
Steuerrecht - Mehrwertsteuer - Sechste Richtlinie 77/388/EWG - Recht auf Vorsteuerabzug - Verpflichtungen des Steuerpflichtigen - Besitz von nicht ordnungsgemäßen oder ungenauen Rechnungen - Weglassen verpflichtender Angaben - Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug - Spätere Beweise des tatsächlichen Bestehens der berechneten Umsätze - Berichtigte Rechnungen - Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer - Grundsatz der Neutralität.
Rechtssache C-271/12.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 8. Mai 2013.
Petroma Transports SA und andere gegen Belgischer Staat.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Mons - Belgien.
Steuerrecht - Mehrwertsteuer - Sechste Richtlinie 77/388/EWG - Recht auf Vorsteuerabzug - Verpflichtungen des Steuerpflichtigen - Besitz von nicht ordnungsgemäßen oder ungenauen Rechnungen - Weglassen verpflichtender Angaben - Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug - Spätere Beweise des tatsächlichen Bestehens der berechneten Umsätze - Berichtigte Rechnungen - Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer - Grundsatz der Neutralität.
Rechtssache C-271/12.
Court reports – general
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:297
*A9* Cour d'appel de Mons, 6e chambre civile, arrêt du 25/05/2012 (2010/RG/397 ; 2011/RG/633 ; 2011/RG/636)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
8. Mai 2013 ( *1 )
„Steuerrecht — Mehrwertsteuer — Sechste Richtlinie 77/388/EWG — Recht auf Vorsteuerabzug — Verpflichtungen des Steuerpflichtigen — Besitz von nicht ordnungsgemäßen oder ungenauen Rechnungen — Weglassen verpflichtender Angaben — Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug — Spätere Beweise des tatsächlichen Bestehens der berechneten Umsätze — Berichtigte Rechnungen — Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer — Grundsatz der Neutralität“
In der Rechtssache C-271/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d’appel de Mons (Belgien) mit Entscheidung vom 25. Mai 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juni 2012, in dem Verfahren
Petroma Transports SA,
Martens Énergie SA,
Martens Immo SA,
Martens SA,
Fabian Martens,
Geoffroy Martens,
Thibault Martens
gegen
État belge
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis (Berichterstatter), J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und J. L. da Cruz Vilaça,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
— |
von Petroma Transports SA, Martens Énergie SA, Martens Immo SA, Martens SA sowie von F. Martens, G. Martens und T. Martens, vertreten durch O. Van Ermengem, avocat, |
— |
der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte, |
— |
der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und C. Soulay als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 94/5/EG des Rates vom 14. Februar 1994 (ABl. L 60, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie) sowie des Grundsatzes der Neutralität. |
2 |
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Petroma Transports SA, Martens Énergie SA, Martens Immo SA, Martens SA und F. Martens, G. Martens und T. Martens, die zusammen die Martens-Gruppe bilden, einerseits und dem Belgischen Staat andererseits über dessen Weigerung, ihnen das Recht auf Vorsteuerabzug für innerhalb der Martens-Gruppe erbrachte Dienstleistungen zu gewähren. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 |
Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“. |
4 |
Der in Abschnitt VII („Steuertatbestand und Steueranspruch“) der Richtlinie enthaltene Art. 10 sieht vor: „(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als
(2) Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird. … …“ |
5 |
Art. 17 („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“) der Sechsten Richtlinie bestimmt: „(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. (2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
…“ |
6 |
Art. 18 der Sechsten Richtlinie, der die Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug betrifft, sieht vor: „(1) Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige
… (2) Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Erklärungszeitraum schuldet, den Betrag der Steuer absetzt, für die das Abzugsrecht entstanden ist, und wird nach Absatz 1 während des gleichen Zeitraums ausgeübt. … (3) Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen und Einzelheiten fest, nach denen einem Steuerpflichtigen gestattet werden kann, einen Abzug vorzunehmen, den er nach den Absätzen 1 und 2 nicht vorgenommen hat. …“ |
7 |
In Art. 21 Nr. 1 Buchst. a und c der Sechsten Richtlinie heißt es: „Die Mehrwertsteuer schuldet 1. im inneren Anwendungsbereich
…
|
8 |
Art. 22 der Sechsten Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28h sieht vor: „Pflichten im inneren Anwendungsbereich
…
…
(8) Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen. …“ |
Belgisches Recht
9 |
Art. 3 § 1 Ziff. 1 des Königlichen Erlasses Nr. 3 vom 10. Dezember 1969 über Vorsteuerabzüge für die Anwendung der Mehrwertsteuer (Moniteur belge vom 12. Dezember 1969) sieht vor: „§ 1 Steuerpflichtige müssen für die Ausübung ihres Rechts auf Vorsteuerabzug:
|
10 |
Gemäß Art. 5 § 1 Ziff. 6 des Königlichen Erlasses Nr. 1 enthält die Rechnung „die Angaben, die notwendig sind, um den Umsatz und den Satz der geschuldeten Steuer zu bestimmen, insbesondere gebräuchliche Bezeichnung der gelieferten Güter und der erbrachten Dienstleistungen, Menge und Gegenstand der Dienstleistungen“. |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11 |
F. Martens, G. Martens und T. Martens sind die Rechtsnachfolger von J.-P. Martens, der unter der Firma „Margaz“ ein Einzelunternehmen betrieb. Aus diesem Unternehmen entwickelte sich die Martens-Gruppe, deren Gesellschaften verschiedene Tätigkeiten ausübten wie z. B. den Kauf, Verkauf und Transport von Erdölprodukten sowie die Erbringung von Bauleistungen. Petroma Transports SA war die Hauptgesellschaft der Martens-Gruppe, was den Personalbestand anbelangt, und erbrachte mehrere Dienstleistungen an die anderen Gesellschaften dieser Gruppe. Es wurden Verträge geschlossen, um den Einsatz dieses Personals im Rahmen der Dienstleistungen innerhalb der Gruppe zu regeln. Diese Verträge sahen eine Vergütung dieser Dienstleistungen auf der Grundlage der vom Personal geleisteten Arbeitsstunden vor. |
12 |
Bei den ab dem Jahr 1997 durchgeführten Kontrollen stellte die belgische Steuerverwaltung sowohl in Bezug auf die direkten Steuern als auch auf die Mehrwertsteuer die Rechnungen innerhalb der Gruppe und die sich daraus ergebenden Abzüge ab dem Steuerjahr 1994 hauptsächlich mit der Begründung in Frage, dass die Rechnungen unvollständig seien und dass nicht festgestellt werden könne, dass sie tatsächlichen Leistungen entsprächen. Die meisten dieser Rechnungen wiesen einen Gesamtbetrag aus ohne Angabe des Preises je Einheit und der Anzahl der vom Personal der diese Dienstleistungen erbringenden Gesellschaften geleisteten Arbeitsstunden, was jede Kontrolle der genauen Erhebung der Steuer durch die Steuerverwaltung verhinderte. |
13 |
Diese wies daher die von den Dienstleistungsempfängern durchgeführten Abzüge u. a. wegen Verstößen gegen Art. 5 § 1 Ziff. 6 des Königlichen Erlasses Nr. 1 und Art. 3 § 1 Ziff. 1 des Königlichen Erlasses Nr. 3 vom 10. Dezember 1969 über Vorsteuerabzüge für die Anwendung der Mehrwertsteuer zurück. |
14 |
Im Anschluss daran wurden von diesen Unternehmen zusätzliche Informationen vorgelegt, die jedoch von der Steuerverwaltung nicht als ausreichende Grundlage für den Abzug der verschiedenen Mehrwertsteuerbeträge angesehen wurden. Die Verwaltung war nämlich der Auffassung, dass es sich entweder um privatschriftliche Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen gehandelt habe, die verspätet nach Durchführung der Steuerprüfungen und nach der Mitteilung der Berichtigungen, die diese Verwaltung vorzunehmen beabsichtigt habe, vorgelegt worden seien und die demnach kein sicheres Datum gehabt hätten und Dritten nicht hätten entgegengehalten werden können, oder um Rechnungen, die nach ihrer Ausstellung im Stadium des Verwaltungsverfahrens handschriftlich durch Angaben zur Anzahl der vom Personal geleisteten Arbeitsstunden, zum Stundensatz und zur Art der erbrachten Dienstleistungen vervollständigt worden seien und daher keine Beweiskraft gehabt hätten. |
15 |
Am 2. Februar 2005 erließ das Tribunal de première instance de Mons mehrere Urteile. Zwar gab es für bestimmte Rechnungen dem Steuerpflichtigen recht, es bestätigte jedoch die Versagung des Mehrwertsteuerabzugs gegenüber den Dienstleistungsempfängern. |
16 |
Infolge neuer Anträge, die die Rückerstattung der von den Dienstleistungserbringern gezahlten Steuern zum Gegenstand hatten, beschloss das Gericht, das mündliche Verfahren wiederzueröffnen. Mit Urteil vom 23. Februar 2010 entschied das Tribunal de première instance de Mons in den verbundenen Rechtssachen und wies die Klagen auf Rückerstattung als unbegründet ab. Diese Dienstleistungserbringer legten daher gegen dieses Urteil Berufung ein. |
17 |
Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel de Mons beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
|
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
18 |
Es ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht nicht die Bestimmungen des Unionsrechts angibt, deren Auslegung es begehrt. |
19 |
Dennoch geht aus dem Vorlagebeschluss und aus dem Zusammenhang, in den sich das Ausgangsverfahren einfügt, hervor, dass die Vorlagefragen die Auslegung der Bestimmungen der Sechsten Richtlinie sowie des Grundsatzes der Steuerneutralität betreffen. |
20 |
Da aus diesem Beschluss auch hervorgeht, dass die ersten streitigen Rechnungen mit dem 31. März 1994 datiert sind, sind die fraglichen Bestimmungen in ihrer zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Fassung auszulegen. |
Zur ersten Frage
21 |
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach das Recht auf Mehrwertsteuerabzug steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern verweigert werden kann, die unvollständige Rechnungen besitzen, wenn diese anschließend durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze vervollständigt werden. |
22 |
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist, das grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann und das für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, Bonik, C-285/11, Randnrn. 25 und 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
23 |
Durch diese Abzugsregelung soll der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet auf diese Weise die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. Urteile vom 29. April 2004, Faxworld, C-137/02, Slg. 2004, I-5547, Randnr. 37, und vom 22. Dezember 2010, Dankowski, C-438/09, Slg. 2010, I-14009, Randnr. 24). |
24 |
Aus Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie geht somit hervor, dass jeder Steuerpflichtige das Recht hat, die Beträge abzuziehen, die ihm für die ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen als Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt worden sind, soweit diese Gegenstände oder Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2009, PARAT Automotive Cabrio, C-74/08, Slg. 2009, I-3459, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
25 |
Hinsichtlich der Modalitäten der Ausübung des Abzugsrechts sieht Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie vor, dass der Steuerpflichtige eine nach Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen muss. |
26 |
Nach dem Wortlaut von Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie muss die Rechnung getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen. Abs. 3 Buchst. c dieses Artikels ermächtigt die Mitgliedstaaten, die Kriterien festzulegen, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann. Außerdem können die Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 8 weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden. |
27 |
Was die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug betrifft, folgt daraus, dass die Sechste Richtlinie sich darauf beschränkt, eine Rechnung zu fordern, die bestimmte Angaben enthält, und dass die Mitgliedstaaten befugt sind, zusätzliche Angaben zu verlangen, um die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung zu sichern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1988, Jeunehomme und EGI, 123/87 und 330/87, Slg. 1988, 4517, Randnr. 16). |
28 |
Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug darf jedoch nur insoweit davon abhängig gemacht werden, dass die Rechnung über die in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie geforderten Angaben hinaus noch weitere Angaben enthält, als dies erforderlich ist, um die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung zu sichern. Außerdem dürfen solche Angaben nicht durch ihre Zahl oder ihre technische Kompliziertheit die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteil Jeunehomme und EGI, Randnr. 17). |
29 |
In Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung ist festzustellen, dass der belgische Staat von der in Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, da gemäß Art. 5 § 1 Ziff. 6 des Königlichen Erlasses Nr. 1 die Rechnung die Angaben enthalten muss, die notwendig sind, um den Umsatz und den Satz der geschuldeten Steuer, insbesondere gebräuchliche Bezeichnung der gelieferten Güter und der erbrachten Dienstleistungen, Menge und Gegenstand der Dienstleistungen zu bestimmen. |
30 |
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, ob die von dieser Regelung verlangten zusätzlichen Angaben mit den in Randnr. 28 des vorliegenden Urteils genannten Erfordernissen in Einklang stehen. |
31 |
Außerdem hat der Gerichtshof zwar in Randnr. 41 des Urteils vom 15. Juli 2010, Pannon Gép Centrum (C-368/09, Slg. 2010, I-7467), entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht nach eigenem Gutdünken von der Erfüllung von Voraussetzungen betreffend den Inhalt der Rechnungen abhängig machen dürfen, die in der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) nicht ausdrücklich vorgesehen sind, doch ist festzustellen, dass nach den Bestimmungen im Ausgangsverfahren, die damals in Kraft waren, die Mitgliedstaaten die Kriterien festlegen durften, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann. |
32 |
Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug den steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern mit der Begründung verweigert wurde, dass die fraglichen Rechnungen nicht ausreichend präzise und vollständig gewesen seien. Insbesondere stellt das vorlegende Gericht fest, dass die meisten dieser Rechnungen nicht den Preis je Einheit und die Anzahl der vom Personal der Dienstleistungsunternehmen erbrachten Arbeitsstunden angegeben hätten, was jede Kontrolle der genauen Erhebung der Steuer durch die Finanzverwaltung verhindert habe. |
33 |
Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen geltend, dass das Fehlen bestimmter, von der nationalen Regelung verlangter Angaben auf den Rechnungen nicht geeignet sei, das Recht auf Vorsteuerabzug in Frage zu stellen, wenn das tatsächliche Vorliegen, die Natur und der Umfang der Umsätze später der Steuerverwaltung dargelegt worden seien. |
34 |
In der Tat verbietet das gemeinsame Mehrwertsteuersystem nicht, fehlerhafte Rechnungen zu berichtigen. Wenn alle für das Recht auf Vorsteuerabzug notwendigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, kann ihm dieses Recht daher grundsätzlich nicht mit der Begründung abgesprochen werden, dass die ursprüngliche Rechnung einen Fehler enthielt (vgl. in diesem Sinne Urteil Pannon Gép Centrum, Randnrn. 43 bis 45). |
35 |
Allerdings ist in Bezug auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens festzustellen, dass die notwendigen Informationen, mit denen die Rechnungen vervollständigt und in Ordnung gebracht werden sollten, vorgelegt wurden, nachdem die Steuerverwaltung ihre ablehnende Entscheidung über den Vorsteuerabzug erlassen hatte, so dass vor Erlass dieser Entscheidung die dieser Verwaltung zugeleiteten Rechnungen noch nicht berichtigt worden waren, damit diese die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sowie ihre Kontrolle sicherstellen konnte. |
36 |
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern verweigert werden kann, die unvollständige Rechnungen besitzen, auch wenn diese durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze nach Erlass einer solchen ablehnenden Entscheidung vervollständigt werden. |
Zur zweiten Frage
37 |
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz der Steuerneutralität dahin auszulegen ist, dass er die Steuerverwaltung daran hindert, die Erstattung der von einem Dienstleistungserbringer entrichteten Mehrwertsteuer zu verweigern, obwohl die Ausübung des Rechts auf Abzug der Vorsteuer, mit der diese Dienstleistungen belastet worden waren, den Empfängern dieser Dienstleistungen wegen der Unregelmäßigkeiten verweigert wurde, die in den von diesem Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen festgestellt wurden. |
38 |
Es stellt sich also die Frage, ob zur Sicherstellung des Grundsatzes der Steuerneutralität der Mehrwertsteueranspruch gegenüber dem Dienstleistungserbringer von der tatsächlichen Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den Dienstleistungsempfänger abhängig gemacht werden kann. |
39 |
Nach Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der Mehrwertsteuer, wenn sie von einem Steuerpflichtigen als solchen im Inland gegen Entgelt ausgeführt werden. Aus Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie geht hervor, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird. |
40 |
Nach ständiger Rechtsprechung wird die Mehrwertsteuer auf jede Dienstleistung und jede Lieferung von Gegenständen erhoben, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt ausführt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Oktober 2009, SKF, C-29/08, Slg. 2009, I-10413, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
41 |
Daher ist festzustellen, dass, wie der belgische Staat und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht ausführen, aus diesen Vorschriften der Sechsten Richtlinie hervorgeht, dass das gemeinsame Mehrwertsteuersystem den Mehrwertsteueranspruch gegenüber dem steuerpflichtigen Dienstleister nicht von der tatsächlichen Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den steuerpflichtigen Dienstleistungsempfänger abhängig macht. |
42 |
Aus Randnr. 13 des vorliegenden Urteils geht hervor, dass die Ausübung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, mit der die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen belastet wurden, das die Dienstleistungsempfänger normalerweise hätten in Anspruch nehmen können, ihnen wegen des Fehlens bestimmter verpflichtender Angaben auf den vom Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen verweigert wurde. |
43 |
Da im Ausgangsverfahren das tatsächliche Vorliegen der der Mehrwertsteuer unterliegenden Dienstleistungen bestätigt wurde, war die auf diese Umsätze entfallende Mehrwertsteuer fällig und wurde zu Recht an die Steuerverwaltung entrichtet. In diesem Zusammenhang kann der Grundsatz der Steuerneutralität nicht herangezogen werden, um die Erstattung einer Mehrwertsteuer in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren zu rechtfertigen. Jede andere Auslegung wäre geeignet, Situationen zu begünstigen, die die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer verhindern können, was nach Art. 22 der Sechsten Richtlinie gerade vermieden werden soll. |
44 |
Demnach ist auf die zweite Frage zu antworten, dass der Grundsatz der Steuerneutralität einer Steuerverwaltung nicht verwehrt, die Erstattung der von einem Dienstleistungserbringer entrichteten Mehrwertsteuer zu verweigern, obwohl den Empfängern dieser Dienstleistungen die Ausübung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, mit der diese Dienstleistungen belastet worden waren, wegen Unregelmäßigkeiten verweigert wurde, die in den von diesem Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen festgestellt wurden. |
Kosten
45 |
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.