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Document 62011CJ0291

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 12. Juli 2012.
Staatssecretaris van Financiën gegen TNT Freight Management (Amsterdam) BV.
Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden.
Gemeinsamer Zolltarif – Kombinierte Nomenklatur – Tarifpositionen 3002 und 3502 – Blutalbumin, zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet – Verarbeitung des Erzeugnisses.
Rechtssache C-291/11.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2012:459

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

12. Juli 2012 ( *1 )

„Gemeinsamer Zolltarif — Kombinierte Nomenklatur — Tarifpositionen 3002 und 3502 — Blutalbumin, zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet — Verarbeitung des Erzeugnisses“

In der Rechtssache C-291/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 13. Mai 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juni 2011, in dem Verfahren

Staatssecretaris van Financiën

gegen

TNT Freight Management (Amsterdam) BV

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász, G. Arestis (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und B. Koopman als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und L. Bouyon als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur, die in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11. September 2003 (ABl. L 281, S. 1) geänderten Fassung enthalten ist (im Folgenden: KN), insbesondere der Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der KN sowie der Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 35 der KN.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Staatssecretaris van Financiën (Finanzstaatssekretär) und der TNT Freight Management (Amsterdam) BV (im Folgenden: TNT) über die Entrichtung von Zöllen, die von TNT für die Einfuhr von Blutalbumin gefordert werden.

Rechtlicher Rahmen

Das Harmonisierte System

3

Das am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossene Internationale Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) und das dazugehörige Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 (im Folgenden: HS-Übereinkommen) wurden durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 über den Abschluss des Internationalen Übereinkommens über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren sowie des dazugehörigen Änderungsprotokolls (ABl. L 198, S. 1) genehmigt.

4

Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a des HS-Übereinkommens verpflichtet sich jede Vertragspartei, ihre Zolltarifnomenklatur und ihre Statistiknomenklaturen mit dem HS in Übereinstimmung zu bringen, alle Positionen und Unterpositionen des HS sowie die dazugehörigen Codenummern zu verwenden, ohne etwas hinzuzufügen oder zu ändern, und die Nummernfolge des HS einzuhalten. Nach dieser Bestimmung verpflichten sich die Vertragsparteien außerdem, die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung des HS sowie alle Anmerkungen zu den Abschnitten, Kapiteln und Unterpositionen des HS anzuwenden und die Tragweite der Abschnitte, Kapitel, Positionen oder Unterpositionen des HS nicht zu verändern.

5

Nach Art. 6 Abs. 1 des HS-Übereinkommens wird ein als „Ausschuss für das Harmonisierte System“ bezeichneter Ausschuss, der aus Vertretern aller Vertragsparteien zusammengesetzt ist, innerhalb des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens eingerichtet. Seine Aufgabe besteht u. a. darin, Änderungen des Übereinkommens vorzuschlagen und Erläuterungen, Einreihungsavise und sonstige Stellungnahmen zur Auslegung des HS auszuarbeiten.

6

Nach der Erläuterung des HS zur Position 3002 fällt unter diese Position Blutalbumin (z. B. menschliches Albumin, das durch Fraktionierung von Plasma aus dem menschlichen Vollblut gewonnen wird), zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet, während Blutalbumin, nicht zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet, in die Position 3502 eingereiht wird.

7

In der Erläuterung des HS zur Position 3502 heißt es unter Nr. 1, dass die zu dieser Position gehörenden Albumine tierische oder pflanzliche Eiweiße sind, die u. a. bei der Zubereitung von Klebstoffen, Lebensmitteln oder pharmazeutischen Erzeugnissen verwendet werden. Außerdem geht aus dieser Anmerkung hervor, dass Blutalbumin, zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet, von der Position 3502 ausgenommen ist.

Die Kombinierte Nomenklatur

8

Die durch die Verordnung Nr. 2658/87 geschaffene KN übernimmt die aus sechs Ziffern bestehenden Positionen und Unterpositionen des HS; lediglich die siebte und die achte Ziffer stellen ihr eigene Untergliederungen dar.

9

Für die Regelung des Ausgangsrechtsstreits kommen die Fassungen der KN zur Anwendung, die sich aus der Verordnung (EG) Nr. 2031/2001 der Kommission vom 6. August 2001 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 (ABl. L 279, S. 1), der Verordnung (EG) Nr. 1832/2002 der Kommission vom 1. August 2002 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung Nr. 2658/87 (ABl. L 290, S. 1) und der Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 ergeben. Was die vorliegende Rechtssache betrifft, so sind die relevanten Bestimmungen dieser drei Fassungen identisch.

10

Um so weit wie möglich eine einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs sicherzustellen, hat die Weltzollorganisation in das HS eine Reihe von zwingenden einführenden Vorschriften eingefügt, die auf Unionsebene in den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN übernommen wurden. Letztere befinden sich in Teil I Titel I Buchst. A der KN und bestimmen Folgendes:

„Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

1.

Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

6.

Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und – sinngemäß – die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften. Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.“

11

Teil II der KN enthält das Kapitel 30 („Pharmazeutische Erzeugnisse“), das die Position 3002 mit folgendem Wortlaut umfasst:

„3002

Menschliches Blut, tierisches Blut, zu therapeutischen, prophylaktischen oder diagnostischen Zwecken zubereitet; Antisera und andere Blutfraktionen sowie modifizierte immunologische Erzeugnisse, auch in einem biotechnologischen Verfahren hergestellt; Vaccine, Toxine, Kulturen von Mikroorganismen (ausgenommen Hefen) und ähnliche Erzeugnisse:

3002 10

‐ Antisera und andere Blutfraktionen sowie modifizierte immunologische Erzeugnisse, auch in einem biotechnologischen Verfahren hergestellt:

3002 10 10

‐ ‐ Antisera

 

‐ ‐ andere:

3002 10 91

‐ ‐ ‐ Hämoglobin, Blutglobuline und Serumglobuline

 

‐ ‐ ‐ andere:

3002 10 95

‐ ‐ ‐ ‐ menschlichen Ursprungs

3002 10 99

‐ ‐ ‐ ‐ andere

3002 20 00

‐ Vaccine für die Humanmedizin

3002 30 00

‐ Vaccine für die Veterinärmedizin

3002 90

‐ andere:

3002 90 10

‐ ‐ Menschliches Blut

3002 90 30

‐ ‐ Tierisches Blut, zu therapeutischen, prophylaktischen oder diagnostischen Zwecken zubereitet …“

12

Aus Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der KN geht hervor, dass dieses Kapitel nicht „Blutalbumin, nicht zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet (Position 3502)“ umfasst.

13

Position 3502 des Kapitels 35 („Eiweißstoffe; modifizierte Stärke; Klebstoffe; Enzyme“) der KN lautet folgendermaßen:

„3502

Albumine (einschließlich Konzentrate aus zwei oder mehr Molkenproteinen, die mehr als 80 GHT Molkenproteine, bezogen auf die Trockenmasse, enthalten), Albuminate und andere Albuminderivate:

 

‐ Eieralbumin:

 

3502 20

‐ Molkenproteine (Laktalalbumin), einschließlich Konzentrate aus zwei oder mehr Molkenproteinen:

 

3502 90

‐ andere:

 

‐ ‐ Albumine, ausgenommen Eieralbumin und Molkenproteine (Lactalbumin):

3502 90 20

‐ ‐ ‐ ungenießbar oder ungenießbar gemacht

3502 90 70

‐ ‐ ‐ andere

 

…“

14

Unter anderem geht aus Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 35 der KN hervor, dass zu diesem Kapitel „Bestandteile (Fraktionen) des Blutes (ausgenommen nicht zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitetes Blutalbumin), Arzneiwaren und andere Erzeugnisse des Kapitels 30“ nicht gehören.

15

Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a zweiter Gedankenstrich und Art. 10 der Verordnung Nr. 2658/87 erlässt die Europäische Kommission nach Prüfung durch den Unterausschuss für die zolltarifliche und die statistische Nomenklatur des Zollkodexausschusses die Erläuterungen zur KN. Diese Erläuterungen enthalten folgende Angaben:

„3002 10 95 andere

und

3002 10 99 Hierher gehören insbesondere die ‚normalen‘ Sera, das Plasma, das Fibrinogen, das Fibrin sowie, sofern es zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet ist, Blutalbumin (z. B. menschliches Albumin, gewonnen als Fraktion des menschlichen Blutplasmas).

Hierher gehört demnach nicht [Anmerkung 1 Buchst. g zum vorliegenden Kapitel] Blutalbumin, nicht zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet (Position 3502).“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

16

In den Jahren 2002, 2003 und 2004 meldete TNT mehrere Male als „Bovuminar Cohn Fraction V ph. 7.0“ bezeichnete Waren zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Es handelte sich um Blutalbumin aus Rinderblut, das im Wege der Behandlung von Blutplasma durch Zusatz von Ethanol und Salzen und Anpassung des Säuregrads gewonnen wurde (im Folgenden: fragliches Erzeugnis). Nach Angaben des vorlegenden Gerichts eignet sich dieses Erzeugnis nicht für den menschlichen oder tierischen Verzehr. Es wird als „Nährboden“ für Zellen verwendet und ist eine von 14 Komponenten bei der Herstellung bestimmter spezifischer Proteine, die auch als „Antikörper“ bezeichnet und zur Behandlung bestimmter Krankheiten und Leiden verwendet werden. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts hat dieses Erzeugnis überdies einen Marktpreis von etwa 600 USD je Kilogramm, während Blutalbumin, das in der Nahrungsmittelindustrie verwendet wird, etwa 6 USD je Kilogramm kostet.

17

In den Einfuhrerklärungen hatte TNT für das fragliche Erzeugnis die Unterposition 3002 10 10 der KN gewählt, was eine von den Zöllen befreite Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr zur Folge hatte.

18

Auf eine am 19. Dezember 2004 abgegebene Einfuhrerklärung hin wurde eine Probe des Erzeugnisses untersucht. Aus dem Untersuchungsbericht geht hervor, dass diese Probe aus Blutalbumin in Form eines beigefarbenen Pulvers mit Schuppen bestand und dass es keine Anhaltspunkte dafür gab, dass das Erzeugnis zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet worden war. Dem Bericht zufolge stand auf dem an diesem Erzeugnis angebrachten Etikett, dass es nur für Forschungszwecke und zur Weiterverarbeitung verwendet werden kann und nicht für den menschlichen oder tierischen Verzehr bestimmt ist. Aufgrund dieser Untersuchung wurde das fragliche Erzeugnis in die Tarifunterposition 3502 90 70 der KN eingereiht und TNT aufgefordert, die entsprechenden Zölle gemäß dem Zollbescheid vom 25. Juli 2005 zu entrichten.

19

Nach erfolglosem Einspruch gegen diese Zahlungsaufforderung erhob TNT bei der Rechtbank te Haarlem (erstinstanzliches Gericht Haarlem) Klage.

20

Das Gericht gab der Klage statt und hob die Zahlungsaufforderung auf. Die Zollverwaltung legte gegen das Urteil der Rechtbank te Haarlem Berufung vor dem Gerechtshof te Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam) ein, der das Urteil bestätigte.

21

Nach Ansicht des Gerechtshof te Amsterdam ergibt sich die Verwendung als „Nährboden“ für die Zellkultur aus der Natur des fraglichen Erzeugnisses und eine andere Verwendung, selbst wenn sie möglich wäre, könnte sich, jedenfalls ihrer Art und Größenordnung nach, nicht auf die Einreihung des Erzeugnisses in die KN auswirken. Das fragliche Erzeugnis habe selbst zwar keine therapeutische oder prophylaktische Wirkung, sei aber wesentlich für die Entstehung von Antikörpern mit therapeutischer Wirkung und somit im Sinne von Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der KN zu einem therapeutischen Zweck zubereitet. Es sei daher in die Unterposition 3002 90 der KN einzureihen.

22

Gegen das Urteil des Gerechtshof te Amsterdam wurde Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden eingelegt. Nach dessen Ansicht erscheint die Rechtsprechung des Gerichtshofs in diesem Bereich widersprüchlich. Einerseits deuteten einige Urteile darauf hin, dass Erzeugnisse, die in Kapitel 30 der KN eingereiht würden, selbst Arzneieigenschaften haben müssten. Andererseits gehe aus dem Urteil vom 1. Juni 1995, Thyssen Haniel Logistic (C-459/93, Slg. 1995, I-1381), hervor, dass Erzeugnisse ohne Arzneieigenschaften, die aber aufgrund der ihnen wegen ihrer besonderen Merkmale innewohnenden Bestimmung für medizinische Zwecke verwendet werden sollten, in Kapitel 30 der KN eingereiht werden könnten.

23

Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 des HS in Verbindung mit Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 35 des HS dahin auszulegen, dass Blutalbumin, das selbst keine therapeutische oder prophylaktische Wirkung hat, aber für die Zubereitung von Erzeugnissen mit therapeutischer oder prophylaktischer Wirkung hergestellt worden, für diese Zubereitung unverzichtbar und nach seiner Beschaffenheit auf diesen Verwendungszweck beschränkt ist, im Sinne der Anmerkung zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet worden ist?

Vorbemerkungen

24

Es ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in der Vorlageentscheidung zwar auf die Tarifpositionen der KN Bezug nimmt, mit seiner Frage aber um die Auslegung einer Anmerkung zu einem Kapitel des HS ersucht.

25

Ohne dass zu der Frage Stellung genommen werden müsste, ob der Gerichtshof im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten für die Auslegung der Bestimmungen des HS zuständig ist, ist festzustellen, dass eine solche Auslegung vorliegend jedenfalls nicht erforderlich ist, da diese Bestimmungen auf Unionsebene nur nach Maßgabe der KN anwendbar sind, die auf der Grundlage des HS geschaffen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2001, Tridon, C-510/99, Slg. 2001, I-7777, Randnr. 24).

26

Daher ist davon auszugehen, dass diese Frage sich auf die Auslegung von Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der KN bezieht, die mit Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 des HS identisch ist.

Zur Vorlagefrage

27

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Blutalbumin, das selbst keine therapeutische oder prophylaktische Wirkung hat, aber für die Zubereitung von Erzeugnissen mit therapeutischer oder prophylaktischer Wirkung hergestellt worden, für diese Zubereitung unverzichtbar und nach seiner Beschaffenheit auf diesen Verwendungszweck beschränkt ist, im Sinne von Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der KN zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet worden ist und somit zu Position 3002 der KN gehört.

28

Die niederländische Regierung bringt vor, dass Blutalbumin selbst eine therapeutische oder prophylaktische Wirkung haben müsse, um in die Position 3002 eingereiht werden zu können. Diese Auslegung ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere aus den Urteilen vom 14. Dezember 1995, Colin und Dupré (C-106/94 und C-139/94, Slg. 1995, I-4759), vom 10. Dezember 1998, Glob-Sped (C-328/97, Slg. 1998, I-8357), und vom 7. März 2002, Biochem (C-259/00, Slg. 2002, I-2461).

29

Die Kommission ist hingegen der Auffassung, dass Blutalbumin, das nicht unmittelbar zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken verwendet werden könne, aber dennoch für dieselben Zwecke bestimmt sei, nachdem es einer bestimmten Zubereitung unterzogen worden sei, in die Tarifposition 3002 eingereiht werden könne, sofern nur ein einfacher Arbeitsvorgang erforderlich sei, um diesem Erzeugnis einen therapeutischen oder prophylaktischen Wert zu verleihen.

30

Nach ständiger Rechtsprechung ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. u. a. Urteile vom19. Oktober 2000, Peacock, C-339/98, Slg. 2000, I-8947, Randnr. 9, vom 16. September 2004, DFDS, C-396/02, Slg. 2004, I-8439, Randnr. 27, vom 15. September 2005, Intermodal Transports, C-495/03, Slg. 2005, I-8151, Randnr. 47, und vom 18. Juli 2007, Olicom, C-142/06, Slg. 2007, I-6675, Randnr. 16).

31

Nach den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der KN sind maßgebend für die Einreihung von Waren der Wortlaut der Positionen und Unterpositionen sowie die Anmerkungen zu Abschnitten und Kapiteln der Nomenklatur, die rechtsverbindlich sind.

32

Außerdem sind die Erläuterungen der Kommission zur KN und die Erläuterungen der Weltzollorganisation zum HS ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Ermittlung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen (Urteile vom 26. Oktober 2006, Turbon International, C-250/05, Slg. 2006, I-10531, Randnr. 16).

33

Der Verwendungszweck des Erzeugnisses kann ebenfalls ein objektives Einreihungskriterium sein, sofern er sich aus der Natur des Erzeugnisses ergibt; ob Letzteres zutrifft, muss sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses beurteilen lassen (vgl. Urteile Thyssen Haniel Logistic, Randnr. 13, vom 15. Februar 2007, RUMA, C-183/06, Slg. 2007, I-1559, Randnr. 36, und Olicom, Randnr. 18).

34

Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem fraglichen Erzeugnis um Rinderblutalbumin, das eine von 14 Komponenten bei der Herstellung bestimmter spezifischer Proteine darstellt, die auch als „Antikörper“ bezeichnet und zur Behandlung bestimmter Krankheiten und Leiden verwendet werden. Dieses Erzeugnis, das für die Herstellung dieser Antikörper unverzichtbar ist, ist nachweislich für einen therapeutischen Zweck bestimmt.

35

Es sei erwähnt, dass in der KN Blutalbumin ausdrücklich angeführt wird. So heißt es in Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der KN, dass dieses Kapitel nicht „Blutalbumin, nicht zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet (Position 3502)“ umfasst. Parallel dazu sieht Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 35 der KN vor, dass zu diesem Kapitel „Bestandteile (Fraktionen) des Blutes (ausgenommen nicht zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitetes Blutalbumin), Arzneiwaren und andere Erzeugnisse des Kapitels 30“ nicht gehören.

36

Der Wortlaut dieser Anmerkungen weist dem Verwendungszweck des Blutalbumins ausschlaggebende Bedeutung zu. Es muss „zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet“ worden sein, um in Kapitel 30, genauer in Position 3002 der KN eingereiht werden zu können.

37

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass weder die oben genannten Anmerkungen zu Kapiteln noch die Erläuterungen zu den Tarifpositionen 3002 und 3502 darauf hindeuten, dass Blutalbumin, das in Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der KN angeführt wird, eine eigene therapeutische oder prophylaktische Wirkung haben muss.

38

Die in Randnr. 28 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung betrifft zwar zu Kapitel 30 der KN gehörende Erzeugnisse, die tatsächlich heilende oder vorbeugende Eigenschaften haben, doch erlaubt dies nicht, Erzeugnisse von diesem Kapitel auszuschließen, die an sich nicht therapeutischer oder prophylaktischer Natur sind, aber zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestimmt sind, nachdem sie einer Zubereitung unterzogen wurden.

39

In Übereinstimmung mit der Kommission ist der Ausdruck „zu … zubereitet“ so zu verstehen, dass er zwei Aspekte umfasst. So kann ein Erzeugnis entweder aufgrund seiner Beschaffenheit unmittelbar zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken verwendet werden oder aber zu diesen Zwecken zubereitet werden. Folglich schließt der Umstand, dass das fragliche Erzeugnis nicht unmittelbar zu solchen Zwecken verwendet werden kann, nicht aus, dass es im Zeitpunkt der Zollabfertigung trotz allem auf der Grundlage seiner objektiven Merkmale und Eigenschaften als zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet angesehen wird.

40

Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof für die Einreihung der Erzeugnisse in Kapitel 30 der KN geprüft hat, ob diese eindeutig bestimmbare therapeutische und prophylaktische Eigenschaften aufweisen, deren Wirkung sich auf bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert, und ob sie zur Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 1997, LTM, C-201/96, Slg. 1997, I-6147, Randnrn. 37 und 45, und vom 12. März 1998, Laboratoires Sarget, C-270/96, Slg. 1998, I-1121, Randnrn. 39 und 48).

41

Aus dem Urteil Thyssen Haniel Logistic ergibt sich ebenfalls, dass ein Erzeugnis, das aufgrund seiner objektiven Merkmale und Eigenschaften naturgemäß zur medizinischen Verwendung bestimmt ist, in Kapitel 30 der KN eingereiht werden kann. In diesem Urteil ging es um ein steriles Pulver aus einem Aminosäurengemisch, das nach Beifügung von Wasser im Rahmen einer medizinischen Behandlung in Form einer Infusionslösung verabreicht wurde. Diesem Erzeugnis als solchem fehlten demnach medizinische Eigenschaften, es wurde aber dennoch aufgrund seines Verwendungszwecks in Kapitel 30 der KN eingereiht.

42

Es ist also festzuhalten, dass Blutalbumin, das keine eigene therapeutische Wirkung hat, aber bei der Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens Anwendung findet, im Sinne von Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der KN als zu therapeutischen Zwecken zubereitet anzusehen ist, sofern es eigens für diese Verwendung bestimmt ist.

43

Der Standpunkt der Kommission hingegen, wonach nur ein Erzeugnis, dem durch einen einfachen Arbeitsvorgang ein therapeutischer oder prophylaktischer Wert verliehen worden ist, in die Tarifposition 3002 eingereiht werden könne, ist abzulehnen.

44

Denn weder anhand der im Zeitpunkt des Ausgangssachverhalts geltenden KN noch der Erläuterungen zu den Positionen 3002 und 3502, noch der Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich nämlich bestimmen, was ein „einfacher Arbeitsvorgang“ ist, und festlegen, in welchem Stadium die Verarbeitung eines Erzeugnisses als wesentlich einzustufen ist.

45

Außerdem könnte durch ein Einreihungskriterium, wie es die Kommission vorschlägt, weder die Rechtssicherheit noch die leichte Nachprüfbarkeit gewährleistet werden. Würde der Gerichtshof nämlich Kriterien zur Verarbeitung eines Erzeugnisses zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken einführen und damit insbesondere einen Bereich berühren, der technologischen Entwicklungen unterliegt, könnte dies zu abweichenden Beurteilungen führen und somit die einheitliche Anwendung der KN in der Europäischen Union gefährden.

46

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen die Einreihung des fraglichen Erzeugnisses vorzunehmen und dabei zu prüfen, ob das Erzeugnis bei der Zollerklärung angesichts seiner objektiven Merkmale und Eigenschaften offensichtlich für die Zubereitung von Erzeugnissen mit therapeutischer oder prophylaktischer Wirkung bestimmt war.

47

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der KN in Verbindung mit Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 35 der KN dahin auszulegen ist, dass Blutalbumin, das selbst keine therapeutische oder prophylaktische Wirkung hat, aber für die Zubereitung von Erzeugnissen mit therapeutischer oder prophylaktischer Wirkung hergestellt worden, für diese Zubereitung unverzichtbar und nach seiner Beschaffenheit auf diesen Verwendungszweck beschränkt ist, im Sinne dieser Anmerkung zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet worden ist.

Kosten

48

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Anmerkung 1 Buchst. g zu Kapitel 30 der Kombinierten Nomenklatur, die in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11. September 2003 geänderten Fassung enthalten ist, in Verbindung mit Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 35 dieser Nomenklatur ist dahin auszulegen, dass Blutalbumin, das selbst keine therapeutische oder prophylaktische Wirkung hat, aber für die Zubereitung von Erzeugnissen mit therapeutischer oder prophylaktischer Wirkung hergestellt worden, für diese Zubereitung unverzichtbar und nach seiner Beschaffenheit auf diesen Verwendungszweck beschränkt ist, im Sinne dieser Anmerkung zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet worden ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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