EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62011CJ0392

Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 27. September 2012.
Field Fisher Waterhouse LLP gegen Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs.
Vorabentscheidungsersuchen des First-tier Tribunal (Tax Chamber).
Mehrwertsteuer – Befreiung der Vermietung von Grundstücken – Vermietung von Geschäftsräumen – Mit dieser Vermietung zusammenhängende Dienstleistungen – Einordnung des Umsatzes im Hinblick auf die Mehrwertsteuer – Umsatz, der aus einer einheitlichen Leistung oder aus mehreren selbständigen Leistungen besteht.
Rechtssache C-392/11.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2012:597

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

27. September 2012 ( *1 )

„Mehrwertsteuer — Befreiung der Vermietung von Grundstücken — Vermietung von Geschäftsräumen — Mit dieser Vermietung zusammenhängende Dienstleistungen — Einordnung des Umsatzes im Hinblick auf die Mehrwertsteuer — Umsatz, der aus einer einheitlichen Leistung oder aus mehreren selbständigen Leistungen besteht“

In der Rechtssache C-392/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 14. Juli 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Juli 2011, in dem Verfahren

Field Fisher Waterhouse LLP

gegen

Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten U. Lõhmus sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Field Fisher Waterhouse LLP, vertreten durch N. Beecham, advocate, D. Goy, QC, und M. Jones, Barrister,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch A. Robinson als Bevollmächtigten im Beistand von R. Hill, Barrister,

der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Soulay und R. Lyal als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Field Fisher Waterhouse LLP (im Folgenden: FFW) und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (im Folgenden: Commissioners) über die Erstattung der Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen, die mit von FFW gemieteten Geschäftsräumen zusammenhängen.

Rechtlicher Rahmen

3

Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.“

4

Art. 2 der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c)

Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.

5

Art. 135 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

1)

Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.

…“

6

Art. 137 der Richtlinie lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, sich bei folgenden Umsätzen für eine Besteuerung zu entscheiden:

d)

Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.

(2)   Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten für die Inanspruchnahme des Wahlrechts nach Absatz 1 fest.

Die Mitgliedstaaten können den Umfang dieses Wahlrechts einschränken.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7

FFW ist eine Kanzlei von Solicitors, die in London (Vereinigtes Königreich) Büroräume angemietet hat.

8

Der zwischen FFW und ihrem Vermieter geschlossene Mietvertrag sieht vor, dass die Räumlichkeiten gegen Entrichtung von drei Arten von Mietzahlungen vermietet werden. Diese beziehen sich erstens auf den Besitz der Geschäftsräume, zweitens auf den auf FFW entfallenden Anteil an den Versicherungskosten für das Gebäude und drittens auf die Dienstleistungen, die zu erbringen der Vermieter nach diesem Vertrag verpflichtet ist. Diese dritte Art von Mietzahlungen besteht in einem Entgelt für die Erbringung von Dienstleistungen (im Folgenden: Dienstleistungsentgelt), das u. a. die Wasserversorgung, die Heizung im gesamten Gebäude, die Reparaturen von Infrastruktur und Maschinen dieses Gebäudes (u. a. der Aufzüge), die Reinigung der Gemeinschaftsräume und die Sicherheit des Gebäudes umfasst. Der Mietvertrag sieht vor, dass der Vermieter diesen Vertrag kündigen kann, falls der Mieter diese drei Arten von Mietzahlungen nicht leistet.

9

Nach Angaben des vorlegenden Gerichts hat der Vermieter nicht das ihm zustehende Recht ausgeübt, sich für die Besteuerung der Vermietung der Gebäude im Sinne von Art. 137 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie zu entscheiden. Daher ist die Vermietung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Grundstücks von der Mehrwertsteuer befreit.

10

Die Vermieter stellten auch für die an die FFW erbrachten Dienstleistungen keine Mehrwertsteuer in Rechnung, da sie davon ausgingen, dass diese ebenfalls mehrwertsteuerbefreit seien.

11

FFW hält diese vom Vermieter erbrachten Dienstleistungen für mehrwertsteuerpflichtige Umsätze. Daher stellte sie bei den Commissioners einen Antrag auf Erstattung des Mehrwertsteuerbetrags, den sie auf diese Dienstleistungen entrichtet habe. Da dieser Antrag von den Commissioners hauptsächlich mit der Begründung zurückgewiesen wurde, dass es sich bei der Vermietung und den betreffenden Dienstleistungen ihrer Auffassung nach nur um eine einheitliche mehrwertsteuerfreie Leistung handle, erhob FFW Klage beim vorlegenden Gericht. Dort trug sie vor, dass die mit den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungsentgelten vergüteten Dienstleistungen als mehrwertsteuerpflichtige Umsätze zu behandeln seien.

12

Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Die Hauptfrage in der vorliegenden Rechtssache geht dahin, ob die von Vermietern aufgrund eines mit ihren Mietern geschlossenen Mietvertrags erbrachten Dienstleistungen (im Folgenden: Dienstleistungen) als ein Element einer einheitlichen steuerfreien Leistung der Vermietung von Grundstücken anzusehen sind, entweder weil die Dienstleistungen zusammen mit der Vermietung objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung darstellen oder weil sie eine „Nebenleistung“ zur Vermietung, die die Hauptleistung darstellt (im Folgenden: Hauptleistung), bilden. Inwieweit ist es für die Beantwortung dieser Frage und im Licht des Urteils des Gerichtshofs vom 11. Juni 2009, RLRE Tellmer Property (C-527/07, Slg. 2009, I-4983), von Bedeutung, dass die Dienstleistungen nicht nur von den Vermietern, sondern auch von Dritten erbracht werden könnten (aber tatsächlich nicht erbracht werden), obgleich nach den in Frage stehenden Mietverträgen die Mieter keine andere Wahl hatten, als die Dienstleistungen durch die Vermieter erbringen zu lassen?

2.

Ist für die Feststellung, ob eine einheitliche Leistung vorliegt, von Bedeutung, dass die Nichtzahlung des Dienstleistungsentgelts durch den Mieter den Vermieter nicht nur dazu berechtigen würde, die weitere Erbringung der Dienstleistungen einzustellen, sondern auch zur Kündigung des mit dem Mieter geschlossenen Mietvertrags?

3.

Wenn nach der Antwort auf die erste Frage die Möglichkeit, dass die Dienstleistungen an den Mieter unmittelbar durch Dritte erbracht werden, von Bedeutung ist, ist sie dann für die Feststellung, ob die Dienstleistungen eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre, darstellen oder eine Nebenleistung zur Hauptleistung bilden, nur ein mit zu berücksichtigender Faktor oder ein entscheidender Faktor? Wenn sie nur ein mit zu berücksichtigender Faktor oder gar nicht von Bedeutung ist, welche weiteren Faktoren sind dann von Bedeutung für die Feststellung, ob es sich bei den Dienstleistungen um eine Nebenleistung handelt? Inwieweit ist insbesondere von Bedeutung, ob die Dienstleistungen in den oder für die überlassenen Räumlichkeiten, die Gegenstand des Mietvertrags sind, oder in anderen Teilen des Gebäudes erbracht werden?

4.

Wenn die Möglichkeit der Erbringung der Dienstleistungen durch Dritte von Bedeutung ist, ist dann speziell von Bedeutung, ob die Dienstleistungen in rechtlicher Hinsicht durch Dritte erbracht werden könnten, auch wenn dies in der Praxis schwer zu organisieren oder die Zustimmung des Vermieters hierzu schwer zu erlangen wäre, oder ist die praktische Möglichkeit oder die Üblichkeit der Erbringung solcher Dienstleistungen von Bedeutung?

5.

Bei den verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen handelt es sich um eine Palette von Dienstleistungen, die gegen Entrichtung eines einheitlichen Dienstleistungsentgelts erbracht werden. Falls einige dieser Dienstleistungen (z. B. die Reinigung von Gemeinschaftsräumen, der Sicherheitsdienst) nicht Teil einer einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Leistung sind oder nicht als bloße Nebenleistungen zur Hauptleistung anzusehen sind, für andere dies hingegen gilt, wäre dann das Gesamtentgelt auf die einzelnen Dienstleistungen aufzuteilen, um zu ermitteln, welcher Teil des Entgelts der Umsatzsteuer unterliegt und welcher Teil nicht? Oder wäre die Palette der erbrachten Dienstleistungen als so eng miteinander verknüpft zu betrachten, dass diese „eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre“, also selbst eine einheitliche Leistung darstellen, die von der Vermietung von Grundstücken zu sondern ist?

Zu den Vorlagefragen

13

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Vermietung von Grundstücken und die Erbringung von mit dieser Vermietung zusammenhängenden Dienstleistungen als einheitliche, zur Gänze mehrwertsteuerfreie Leistung anzusehen sind oder als mehrere selbständige Leistungen, die in Bezug auf ihre Mehrwertsteuerpflichtigkeit getrennt beurteilt werden. Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, welche Bedeutung unter diesen Umständen der Tatsache beizumessen ist, dass zum einen der Mieter nach dem Mietvertrag die betreffenden Dienstleistungen vom Vermieter erbringen lassen muss, auch wenn er grundsätzlich zumindest einen Teil dieser Dienstleistungen von einem Dritten erbringen lassen könnte, und zum anderen die Nichtzahlung des Dienstleistungsentgelts durch den Mieter den Vermieter berechtigt, den Mietvertrag zu kündigen. Darüber hinaus stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, wie vorzugehen ist, falls einige dieser Leistungen wie die in der Vermietung von Grundstücken bestehende Hauptleistung von der Mehrwertsteuer befreit sind, während andere als selbständige Leistungen der Mehrwertsteuer unterliegen.

14

Zunächst ist zu beachten, dass im Hinblick auf die Mehrwertsteuer jede Leistung in der Regel als eigene und selbständige Leistung zu betrachten ist, wie sich aus Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. März 2007, Aktiebolaget NN, C-111/05, Slg. 2007, I-2697, Randnr. 22, vom 19. November 2009, Don Bosco Onroerend Goed, C-461/08, Slg. 2009, I-11079, Randnr. 35, und vom 2. Dezember 2010, Everything Everywhere, C-276/09, Slg. 2010, I-12359, Randnr. 21).

15

Wenn ein Umsatz jedoch mehrere Elemente umfasst, stellt sich die Frage, ob er als aus einer einheitlichen Leistung bestehend oder als mehrere eigene und selbständige, hinsichtlich der Mehrwertsteuer getrennt zu beurteilende Leistungen anzusehen ist. Denn aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass unter bestimmten Umständen mehrere formal unterschiedliche Einzelumsätze, die getrennt erbracht werden und damit jeder für sich zu einer Besteuerung oder Befreiung führen könnten, als einheitlicher Umsatz anzusehen sind, wenn sie nicht selbständig sind (Urteil vom 21. Februar 2008, Part Service, C-425/06, Slg. 2008, I-897, Randnr. 51).

16

Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Leistung als einheitlich anzusehen ist, wenn der Steuerpflichtige zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Oktober 2005, Levob Verzekeringen und OV Bank, C-41/04, Slg. 2005, I-9433, Randnr. 22, und Everything Everywhere, Randnrn. 24 und 25).

17

Dies ist ferner auch der Fall, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die steuerlich wie die Hauptleistung behandelt werden. Eine Leistung ist insbesondere dann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kunden keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Februar 1999, CPP, C-349/96, Slg. 1999, I-973, Randnr. 30, Part Service, Randnr. 52, sowie vom 10. März 2011, Bog u. a., C-497/09, C-499/09, C-501/09 und C-502/09, Slg. 2011, I-1457, Randnr. 54).

18

Da zum einen jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist und zum anderen ein Umsatz, der wirtschaftlich eine einheitliche Dienstleistung darstellt, im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden darf, ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob es sich bei den erbrachten Leistungen um mehrere selbständige Hauptleistungen oder um eine einheitliche Leistung handelt (vgl. in diesem Sinne Urteile CPP, Randnr. 29, Levob Verzekeringen und OV Bank, Randnr. 20, Aktiebolaget NN, Randnr. 22, Everything Everywhere, Randnrn. 21 und 22, sowie Bog u. a., Randnr. 53).

19

Es gibt jedoch für die Bestimmung des Umfangs einer Leistung aus mehrwertsteuerlicher Sicht keine Regel mit absoluter Geltung; daher sind für die Bestimmung des Umfangs einer Leistung die Gesamtumstände zu berücksichtigen (vgl. Urteil CPP, Randnr. 27).

20

Ob der Steuerpflichtige in einem konkreten Fall eine einheitliche Leistung erbringt, haben im Rahmen der mit Art. 267 AEUV errichteten Zusammenarbeit die nationalen Gerichte festzustellen, die dazu alle endgültigen Tatsachenbeurteilungen vorzunehmen haben (vgl. in diesem Sinne Urteile CPP, Randnr. 32, Part Service, Randnr. 54, Bog u. a., Randnr. 55, und Beschluss vom 19. Januar 2012, Purple Parking und Airparks Services, C-117/11, Randnr. 32). Der Gerichtshof hat jedoch diesen Gerichten alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können (Urteil Levob Verzekeringen und OV Bank, Randnr. 23).

21

Hierzu ergibt sich aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte, dass im Ausgangsverfahren nach dem zwischen dem Vermieter und dem Mieter geschlossenen Mietvertrag der Vermieter neben der Vermietung der Räumlichkeiten an den Mieter auch eine Reihe von Dienstleistungen an den Mieter erbringt. Im Gegenzug ist der Mieter verpflichtet, dem Vermieter die in diesem Vertrag aufgeschlüsselten Mietzahlungen zu leisten. Überdies ist der Vermieter bei Nichtentrichtung dieser Mietzahlungen durch den Mieter berechtigt, den Mietvertrag zu kündigen.

22

Um unter diesen Umständen annehmen zu können, dass sämtliche Leistungen, die der Vermieter an den Mieter erbringt, aus mehrwertsteuerlicher Sicht eine einheitliche Leistung bilden, ist zu prüfen, ob die erbrachten Leistungen im vorliegenden Fall eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung darstellen, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre, oder ob sie aus einer Hauptleistung bestehen, der gegenüber die anderen Leistungen akzessorischen Charakter haben.

23

Bei dieser Prüfung kann der Inhalt eines Mietvertrags für die Beurteilung der Einheitlichkeit der Leistung ein wichtiger Hinweis sein. Im Ausgangsverfahren scheint der wirtschaftliche Grund für den Abschluss dieses Vertrags nicht nur darin zu bestehen, das Recht auf Nutzung der betreffenden Räumlichkeiten zu erhalten, sondern auch darin, dass der Mieter eine Gesamtheit von Dienstleistungen erhält. So wird in dem Mietvertrag eine zwischen dem Vermieter und dem Mieter vereinbarte einheitliche Leistung bestimmt. Im Übrigen können die Vermietung von Grundstücken und die mit ihr verbundenen Dienstleistungen, wie sie in Randnr. 8 des vorliegenden Urteils genannt werden, objektiv eine solche Leistung darstellen. Die Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistungen kann nämlich für einen durchschnittlichen Mieter von Räumlichkeiten wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht als eigener Zweck angesehen werden, sondern vielmehr als Mittel, um die Hauptleistung, nämlich die Miete von Geschäftsräumen, unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.

24

Zwar fallen Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht notwendigerweise unter den Begriff der Vermietung von Grundstücken gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Mehrwertsteuerrichtlinie (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 1989, Henriksen, 173/88, Slg. 1989, 2763, Randnr. 14, und vom 4. Juni 2009, SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft, C-102/08, Slg. 2009, I-4629, Randnr. 38). Doch bedeutet dies keineswegs, dass diese Dienstleistungen, die mit der Vermietung von Grundstücken zusammenhängen und deren Erbringung im Rahmen eines Mietvertrags vorgesehen ist, nicht Nebenleistungen darstellen könnten oder untrennbar mit dieser Vermietung verbunden sein könnten.

25

Doch auch wenn unter den Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens die Aufnahme von Dienstleistungen in den betreffenden Mietvertrag für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung spricht, ist darauf hinzuweisen, dass die bloße Aufnahme einer Leistung in einen Mietvertrag für sich genommen kein entscheidender Faktor in diesem Sinne ist. Sollte daher ein Mietvertrag Dienstleistungen vorsehen, die ihrer Art nach im Verhältnis zur Hauptleistung der Vermietung von Grundstücken nicht objektiv als untrennbar mit ihr verbunden oder als akzessorisch angesehen werden könnten, sondern unabhängig von ihr wären, weil diese Leistungen nur in einem künstlichen Zusammenhang zu dieser Hauptleistung stünden, wären diese Leistungen nicht Teil einer von der Mehrwertsteuer befreiten einheitlichen Leistung der Vermietung von Grundstücken. Wie in Randnr. 23 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, hat im Ausgangsverfahren die Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistungen für den Mieter jedoch offensichtlich keinen eigenen Zweck.

26

Zur Bedeutung der Tatsache, dass grundsätzlich ein Dritter bestimmte Dienstleistungen erbringen könnte, ist darauf hinzuweisen, dass das Bestehen einer solchen Möglichkeit an sich auch nicht entscheidend ist. Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, gehört nämlich die Möglichkeit, dass Teile einer einheitlichen Leistung unter anderen Umständen getrennt erbracht werden, zum Konzept des zusammengesetzten einheitlichen Umsatzes, wie es sich aus Randnr. 15 des vorliegenden Urteils ergibt (vgl. in diesem Sinne Beschluss Purple Parking und Airparks Services, Randnr. 31).

27

Was schließlich den Fall betrifft, dass die verschiedenen Dienstleistungen gegen ein Gesamtentgelt erbracht werden, aber einige von ihnen wie die Hauptleistung von der Mehrwertsteuer befreit sind, während andere selbständige Leistungen der Mehrwertsteuer unterliegen, so sind gegebenenfalls die entsprechenden Dienstleistungsentgelte auf die verschiedenen Dienstleistungen aufzuteilen, um zu ermitteln, welcher Teil dieser Entgelte der Mehrwertsteuer zu unterwerfen und welcher von ihr befreit ist.

28

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass eine Vermietung von Grundstücken und die mit dieser Vermietung zusammenhängenden Dienstleistungen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer eine einheitliche Leistung darstellen können. Dabei ist die dem Vermieter im Mietvertrag eingeräumte Möglichkeit, diesen Vertrag zu kündigen, falls der Mieter das Dienstleistungsentgelt nicht zahlt, ein Hinweis, der für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung spricht, auch wenn es sich nicht notwendigerweise um den für die Beurteilung des Vorliegens einer solchen Leistung entscheidenden Faktor handelt. Der Umstand hingegen, dass Dienstleistungen wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, grundsätzlich von einem Dritten erbracht werden könnten, lässt nicht den Schluss zu, dass diese unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht eine einheitliche Leistung darstellen können. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu ermitteln, ob die betreffenden Umsätze im Licht der vom Gerichtshof im vorliegenden Urteil gegebenen Auslegungshinweise und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieser Rechtssache so sehr miteinander zusammenhängen, dass sie als eine einheitliche Leistung der Vermietung von Grundstücken zu betrachten sind.

Kosten

29

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass eine Vermietung von Grundstücken und die mit dieser Vermietung zusammenhängenden Dienstleistungen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer eine einheitliche Leistung darstellen können. Dabei ist die dem Vermieter im Mietvertrag eingeräumte Möglichkeit, diesen Vertrag zu kündigen, falls der Mieter das Dienstleistungsentgelt nicht zahlt, ein Hinweis, der für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung spricht, auch wenn es sich nicht notwendigerweise um den für die Beurteilung des Vorliegens einer solchen Leistung entscheidenden Faktor handelt. Der Umstand hingegen, dass Dienstleistungen wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, grundsätzlich von einem Dritten erbracht werden könnten, lässt nicht den Schluss zu, dass diese unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht eine einheitliche Leistung darstellen können. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu ermitteln, ob die betreffenden Umsätze im Licht der vom Gerichtshof im vorliegenden Urteil gegebenen Auslegungshinweise und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieser Rechtssache so sehr miteinander zusammenhängen, dass sie als eine einheitliche Leistung der Vermietung von Grundstücken zu betrachten sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

Top