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Document 62008CJ0430

Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 14. Januar 2010.
Terex Equipment Ltd (C-430/08), FG Wilson (Engineering) Ltd und Caterpillar EPG Ltd (C-431/08) gegen The Commissioners for Her Majesty's Revenue & Customs.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Value Added Tax and Duties Tribunal, Edinburgh und Value Added Tax and Duties Tribunal, Northern Ireland - Vereinigtes Königreich.
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften - Art. 78 und 203 - Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 - Art. 865 - Aktiver Veredelungsverkehr - Falscher Zollverfahrenscode - Entstehung einer Zollschuld - Überprüfung der Zollanmeldung.
Verbundene Rechtssachen C-430/08 und C-431/08.

European Court Reports 2010 I-00321

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:15

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In den verbundenen Rechtssachen C‑430/08 und C‑431/08

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom VAT and Duties Tribunal, Edinburgh (Vereinigtes Königreich), und vom VAT and Duties Tribunal, Northern Ireland (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidungen vom 23. September 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2008, in den Verfahren

Terex Equipment Ltd (C‑430/08),

FG Wilson (Engineering) Ltd (C‑431/08),

Caterpillar EPG Ltd (C‑431/08)

gegen

Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer sowie der Richter E. Juhász, G. Arestis, J. Malenovský und T. von Danwitz (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Terex Equipment Ltd, vertreten durch J. White, Barrister,

– der FG Wilson (Engineering) Ltd und der Caterpillar EPG Ltd, vertreten durch G. Salmond, Solicitor, und R. Cordara, QC,

– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte im Beistand von S. Moore, Barrister,

– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch L. Bouyon und R. Lyal als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 78, 203, 204 und 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) sowie des Art. 865 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 (ABl. L 212, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung).

2. Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, in denen sich die Terex Equipment Ltd (im Folgenden: Terex) sowie die FG Wilson (Engineering) Ltd (im Folgenden: Wilson) und die Caterpillar EPG Ltd (im Folgenden: Caterpillar) auf der einen Seite und die Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs auf der anderen Seite gegenüberstehen und in denen es um die Folgen der Angabe eines falschen, die Ausfuhr von Gemeinschaftswaren bezeichnenden Zollverfahrenscodes in den Wiederausfuhranmeldungen für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren geht, die dem Verfahren der aktiven Veredelung unterlagen.

Rechtlicher Rahmen

3. In Art. 4 Nrn. 7, 8 und 13 des Zollkodex heißt es:

„Im Sinne dieses Zollkodex ist oder sind

7. Gemeinschaftswaren:

– …

– aus nicht zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehörenden Ländern oder Gebieten eingeführte Waren, die in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind;

– …

8. Nichtgemeinschaftswaren: andere als die unter Nummer 7 genannten Waren.

Unbeschadet der Artikel 163 und 164 verlieren Gemeinschaftswaren ihren zollrechtlichen Status mit dem tatsächlichen Verbringen aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft;

13. zollamtliche Überwachung: allgemeine Maßnahmen der Zollbehörden, um die Einhaltung des Zollrechts und gegebenenfalls der sonstigen für Waren unter zollamtlicher Überwachung geltenden Vorschriften zu gewährleisten.“

4. Art. 37 des Zollkodex lautet:

„(1) Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, unterliegen vom Zeitpunkt des Verbringens an der zollamtlichen Überwachung. Sie können nach dem geltenden Recht zollamtlich geprüft werden.

(2) Sie bleiben so lange unter zollamtlicher Überwachung, wie es für die Ermittlung ihres zollrechtlichen Status erforderlich ist, und, im Fall von Nichtgemeinschaftswaren unbeschadet des Artikels 82 Absatz 1, bis sie ihren zollrechtlichen Status wechseln, in eine Freizone oder ein Freilager verbracht, wiederausgeführt oder nach Artikel 182 vernichtet oder zerstört werden.“

5. Art. 59 Abs. 2 des Zollkodex bestimmt:

„Gemeinschaftswaren, die zur Ausfuhr, zur passiven Veredelung, zum Versandverfahren oder zum Zolllagerverfahren angemeldet worden sind, stehen vom Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung an unter zollamtlicher Überwachung, bis sie aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht oder vernichtet oder zerstört werden oder bis die Zollanmeldung für ungültig erklärt wird.“

6. In Art. 78 des Zollkodex heißt es:

„(1) Die Zollbehörden können nach der Überlassung der Waren von Amts wegen oder auf Antrag des Anmelders eine Überprüfung der Anmeldung vornehmen.

(2) Die Zollbehörden können nach der Überlassung der Waren die Geschäftsunterlagen und anderes Material, das im Zusammenhang mit den betreffenden Einfuhr- oder Ausfuhrgeschäften sowie mit späteren Geschäften mit diesen Waren steht, prüfen, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Anmeldung zu überzeugen. …

(3) Ergibt die nachträgliche Prüfung der Anmeldung, dass bei der Anwendung der Vorschriften über das betreffende Zollverfahren von unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen ausgegangen worden ist, so treffen die Zollbehörden unter Beachtung der gegebenenfalls erlassenen Vorschriften die erforderlichen Maßnahmen, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regeln.“

7. Art. 79 Abs. 1 des Zollkodex sieht vor, dass „[eine Nichtgemeinschaftsware] [d]urch die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr den zollrechtlichen Status einer Gemeinschaftsware [erhält]“.

8. Art. 161 Abs. 5 des Zollkodex bestimmt:

„Die Ausfuhranmeldung ist bei der Zollstelle abzugeben, die für den Ort zuständig ist, an dem der Ausführer ansässig ist oder die Waren zur Ausfuhr verpackt oder verladen werden. Ausnahmeregelungen werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt.“

9. In Art. 182 Abs. 3 des Zollkodex heißt es:

„… Werden Waren, die bei ihrem Verbleib im Zollgebiet der Gemeinschaft in ein Zollverfahren mit wirtschaftlicher Bedeutung übergeführt worden waren, zur Wiederausfuhr bestimmt, so ist eine Zollanmeldung im Sinne der Artikel 59 bis 78 abzugeben. In diesem Fall gilt Artikel 161 Absätze 4 und 5.

…“

10. Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex lautet:

„Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

– wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.“

11. Art. 204 des Zollkodex bestimmt:

„(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den in Artikel 203 genannten Fällen

a) eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, oder

es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.

(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Pflicht, deren Nichterfüllung die Zollschuld entstehen lässt, nicht mehr erfüllt wird, oder dem Zeitpunkt, in dem die Ware in das betreffende Zollverfahren übergeführt worden ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine der Voraussetzungen für die Überführung dieser Ware in das Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht wirklich erfüllt war.

…“

12. In Art. 236 des Zollkodex heißt es:

„(1) …

Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erlassen, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Eine Erstattung oder ein Erlass wird nicht gewährt, wenn die Zahlung oder buchmäßige Erfassung eines gesetzlich nicht geschuldeten Betrags auf ein betrügerisches Vorgehen des Beteiligten zurückzuführen ist.

(2) Die Erstattung oder der Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erfolgt auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Diese Frist wird verlängert, wenn der Beteiligte nachweist, dass er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt gehindert war, den Antrag fristgerecht zu stellen.

Die Zollbehörden nehmen die Erstattung oder den Erlass von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.“

13. Art. 865 der Durchführungsverordnung lautet:

„Die Zollanmeldung einer Ware oder jede andere Handlung mit den gleichen Rechtswirkungen sowie die Vorlage eines Dokuments zur Bescheinigung durch die zuständigen Behörden stellen ein Entziehen der Ware aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne des Artikels 203 Absatz 1 des Zollkodex dar, wenn dieses Vorgehen zur Folge hat, dass der Ware fälschlicherweise der zollrechtliche Status einer Gemeinschaftsware zuerkannt wird.

Im Falle von Luftverkehrsgesellschaften jedoch, die zur Inanspruchnahme eines vereinfachten Versandverfahrens mit elektronischem Warenmanifest berechtigt sind, gilt die Ware nicht als der zollamtlichen Überwachung entzogen, sofern sie vor Feststellung einer Unregelmäßigkeit durch die Zollbehörden auf Betreiben des Beteiligten oder in seinem Namen zollrechtlich ihrem Nichtgemeinschaftsstatus entsprechend behandelt wird und sofern das Verhalten des Beteiligten keine betrügerische Absicht erkennen lässt.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C‑430/08

14. Terex ist ein Unternehmen, das Erdbewegungsmaschinen herstellt. Es führt verschiedene Teile ein, die in diese Maschinen eingebaut werden. Auf die eingeführten Teile werden im Rahmen des in den Art. 114 bis 129 des Zollkodex definierten aktiven Veredelungsverkehrs keine Zölle erhoben. Die Maschinen werden an in und außerhalb der Gemeinschaft ansässige Käufer veräußert.

15. Werden diese Waren unter Einhaltung der an das Verfahren der aktiven Veredelung geknüpften Bedingungen wiederausgeführt, fallen keine Zölle an.

16. In den Monaten Januar 2000 bis Juli 2002 trugen Zollspediteure, die für Terex oder für Käufer handelten, in den Ausfuhranmeldungen den Zollverfahrenscode 10 00 ein, der die Ausfuhr von Gemeinschaftswaren bezeichnet, statt des Codes 31 51, der für die Wiederausfuhr von Waren gilt, die einem Nichterhebungsverfahren unterliegen.

17. Die Zollbehörden waren daher der Ansicht, diese Wiederausfuhranmeldungen unter einem falschen Code hätten zur Folge gehabt, dass den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren fälschlicherweise der zollrechtliche Status von Gemeinschaftswaren zuerkannt worden sei, was nach Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex und Art. 865 der Durchführungsverordnung zu einer Zollschuld führe. Jedenfalls sei nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex eine Zollschuld entstanden, da es keine Vorabmitteilung der Wiederausfuhr der Maschinen gegeben habe, die im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs vorgeschrieben sei.

18. Terex beantragte eine nachträgliche Prüfung ihrer Ausfuhranmeldungen nach Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex, um den Fall zu regeln. Die Zollbehörden lehnten eine Änderung dieser Anmeldungen mit der Begründung ab, dass der Antrag von Terex auf einen Wechsel des anwendbaren Zollverfahrens gerichtet sei und dass der Fall nicht geregelt werden könne, da es unmöglich sei, rückwirkend eine Vorabmitteilung der Wiederausfuhr der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren vorzulegen.

19. Terex beantragte ferner den Erlass der Zollschuld gemäß Art. 239 des Zollkodex. Die Zollbehörden wiesen diesen Antrag mit der Begründung zurück, Terex habe eine „offensichtliche Fahrlässigkeit“ an den Tag gelegt, die eine Anwendung dieser Bestimmung ausschließe.

20. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, Art. 203 des Zollkodex könne im Ausgangsverfahren keine Zollschuld entstehen lassen. Die von Terex ausgeführten Waren hätten nicht allein deshalb den Status von Gemeinschaftswaren im Sinne des Art. 4 Abs. 7 des Zollkodex erlangt, weil in den Ausfuhranmeldungen ein falscher Zollverfahrenscode, nämlich der Code 10 00, angegeben worden sei. Dagegen könne Art. 204 des Zollkodex im Ausgangsverfahren eine Zollschuld entstehen lassen, und diese entfalle weder durch die Anwendung des Art. 859 der Durchführungsverordnung, noch sei sie verjährt. Zur Anwendung des Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex auf das Ausgangsverfahren meint das vorlegende Gericht, diese Bestimmung ermögliche es ungeachtet der Tatsache, dass Art. 182 Abs. 3 des Zollkodex eine Vorabmitteilung der Wiederausfuhr der Waren verlange, den Fall zu regeln.

21. Schließlich könne Terex keine offensichtliche Fahrlässigkeit im Sinne des Art. 239 des Zollkodex vorgeworfen werden. Das Verhalten der Zollbehörden habe im betreffenden Zeitraum zur Verwendung eines falschen Zollverfahrenscodes beigetragen.

22. Unter diesen Umständen hat das VAT and Duties Tr ibunal, Edinburgh, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Erlaubt der Zollkodex, insbesondere Art. 78 Abs. 3, eine nachträgliche Prüfung der Anmeldung, um den Zollverfahrenscode zu korrigieren, und sind die Zollbehörden des Vereinigten Königreichs gegebenenfalls verpflichtet, die Anmeldung zu ändern und den Fall zu regeln?

2. Sind im vorliegenden Fall unter den in den Nrn. 3 bis 21 der Vorlageentscheidung zusammengefassten Umständen die Waren im Sinne von Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex der zollamtlichen Überwachung entzogen worden, weil Art. 865 der Durchführungsverordnung eingreift?

3. Falls dies zu bejahen ist, ist damit eine Zollschuld nach Art. 203 des Zollkodex entstanden?

4. Selbst wenn keine Zollschuld nach Art. 203 des Zollkodex entstanden sein sollte, ist eine Zollschuld nach Art. 204 entstanden unter Berücksichtigung

a) der Feststellungen zur „offensichtlichen Fahrlässigkeit“ in den Nrn. 34 bis 43 der Vorlageentscheidung und

b) der Frage, ob die Zollbehörden des Vereinigten Königreichs gegen Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex verstoßen haben, weil sie die nach Art. 204 entstandene Zollschuld nicht innerhalb der vorgesehenen Frist mitgeteilt haben?

5. Unter der Voraussetzung, dass

a) keine Regelung nach Art. 78 des Zollkodex möglich ist,

b) eine Zollschuld entstanden ist und

c) ein besonderer Fall im Sinne von Art. 899 der Durchführungsverordnung vorliegt:

Durfte das vorlegende Gericht angesichts der in der Vorlageentscheidung dargestellten Umstände und der nachstehenden Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, dass keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorlag, so dass die Zollschuld gemäß Art. 239 des Zollkodex erlassen werden sollte?

Rechtssache C‑431/08

23. Wilson und Caterpillar stellen Generatoren her. Sie führen Bauteile ein, die, ebenso wie andere, aus der Gemeinschaft stammende Teile, in diese Generatoren eingebaut werden. Auf die eingeführten Teile werden im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs keine Zölle erhoben. Die Generatoren werden im Wesentlichen an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Käufer veräußert.

24. In den Monaten Oktober 2002 bis Februar 2005 verwendeten die Zollspediteure, die für Wilson und für Caterpillar oder für Käufer handelten, in den Ausfuhranmeldungen für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren den Zollverfahrenscode 10 00, der für die Ausfuhr von Gemeinschaftswaren gilt, statt des Codes 31 51, der die Wiederausfuhr von Waren bezeichnet, die einem Nichterhebungsverfahren unterliegen.

25. Am 21. Februar 2005 teilten Wilson und Caterpillar den Zollbehörden des Vereinigten Königreichs mit, dass sie einen falschen Zollverfahrenscode verwendet hatten, woraufhin die Zollbehörden Nacherhebungsbescheide erließen.

26. Wie im Fall von Terex waren die Zollbehörden der Ansicht, dass die Verwendung eines falschen Codes zu der Verpflichtung führe, Zölle auf die Waren zu entrichten, die dem Nichterhebungsverfahren unterlägen, dass der Fall nicht nach Art. 78 des Zollkodex geregelt werden könne und dass auch kein Grund vorliege, die Zölle gemäß Art. 239 des Zollkodex zu erlassen.

27. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die Waren, um die es im Ausgangsverfahren gehe, jederzeit „Nichtgemeinschaftswaren“ im Sinne von Art. 4 Nr. 8 des Zollkodex gewesen seien und dass die Angabe eines falschen Zollverfahrenscodes sie nicht dem Ausfuhrverfahren habe unterstellen können, das ausschließlich Gemeinschaftswaren vorbehalten sei. Die Verwendung eines falschen Zollverfahrenscodes allein könne den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren daher nicht den Status von Gemeinschaftswaren zuerkennen, wie es Art. 865 der Durchführungsverordnung voraussetze.

28. Die fraglichen Waren verblieben unter zollamtlicher Überwachung im Sinne des Art. 4 Nr. 13 des Zollkodex, selbst wenn die Verwendung eines falschen Zollverfahrenscodes das Überwachungsverfahren der Zollbehörden möglicherweise beeinträchtigt habe. Die von den Zollbehörden vertretene Auslegung verleihe Art. 203 des Zollkodex und Art. 865 der Durchführungsverordnung den Charakter einer Sanktion für die Verwendung eines falschen Codes, was den Absichten des Gemeinschaftsgesetzgebers zuwiderlaufe.

29. Hinsichtlich der Anwendung des Art. 78 des Zollkodex ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass der Fall gemäß Abs. 3 dieser Vorschrift geregelt werden könne.

30. Schließlich gelangt es nach Prüfung der Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu der Schlussfolgerung, dass Wilson und Caterpillar keine „offensichtliche Fahrlässigkeit“ im Sinne des Art. 239 des Zollkodex vorgeworfen werden könne. Hierzu stützt es sich u. a. auf die Komplexität der geltenden Regelungen und darauf, dass die Zollbehörden des Vereinigten Königreichs ihrer Verpflichtung, die Wirtschaftsbeteiligten über die Konsequenzen der Verwendung eines falschen Zollverfahrenscodes zu belehren, nicht nachgekommen seien.

31. Unter diesen Umständen hat das VAT and Duties Tribunal, Northern Ireland, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind im vorliegenden Fall unter den in der Vorlageentscheidung zusammengefassten Umständen die Waren im Sinne von Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex der zollamtlichen Überwachung entzogen worden, weil Art. 865 der Durchführungsverordnung eingreift?

2. Falls dies zu bejahen ist, ist damit eine Zollschuld nach Art. 203 des Zollkodex entstanden?

3. Falls die Fragen 1 und 2 zu bejahen sind, erlaubt dann der Zollkodex, insbesondere Art. 78 Abs. 3, eine nachträgliche Prüfung der Anmeldung, um den Zollverfahrenscode zu korrigieren, und sind die Zollbehörden des Vereinigten Königreichs gegebenenfalls verpflichtet, die Anmeldung zu ändern und den Fall zu regeln?

4. Wenn keine Regelung nach Art. 78 des Zollkodex möglich ist, eine Zollschuld nach Art. 203 entstanden ist und unbestritten ein besonderer Fall im Sinne von Art. 899 der Durchführungsverordnung vorliegt, durfte dann das vorlegende Gericht angesichts der in der Vorlageentscheidung ausgeführten Umstände und Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, dass keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorlag, so dass die Zollschuld gemäß Art. 239 des Zollkodex erlassen und der Erhebungsbescheid für die zollrechtlichen Abgaben aufgehoben werden sollte? Dürfen die zuständigen Behörden bei der Prüfung, ob eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Wirtschaftsbeteiligten vorliegt, insbesondere die Tatsache berücksichtigen, dass die Verletzung der der Steuerbehörde obliegenden eigenen Sorgfalts- und Verwaltungspflicht zu den Fehlern beigetragen hat, aufgrund deren die Zollschuld entstanden ist?

32. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. November 2008 sind die Rechtssachen C‑430/08 und C‑431/08 zum gemeinsamen schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden.

Zu den Vorlagefragen

Zur zweiten und zur dritten Frage in der Rechtssache C‑430/08 sowie zur ersten und zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑431/08

33. Mit diesen Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, ob die Verwendung des die Ausfuhr von Gemeinschaftswaren bezeichnenden Zollverfahrenscodes 10 00 in den Ausfuhranmeldungen statt des Codes 31 51, der für die Wiederausfuhr von Waren gilt, die dem Verfahren der aktiven Veredelung unterliegen, als Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung anzusehen ist und nach Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex eine Zollschuld entstehen lässt.

34. Gemäß Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

35. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Begriff der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung so zu verstehen, dass er jede Handlung oder Unterlassung umfasst, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der nach den gemeinschaftlichen Zollvorschriften vorgesehenen Prüfungen gehindert wird (Urteile vom 1. Februar 2001, D. Wandel, C‑66/99, Slg. 2001, I‑873, Randnr. 47, vom 11. Juli 2002, Liberexim, C‑371/99, Slg. 2002, I‑6227, Randnr. 55, vom 12. Februar 2004, Hamann International, C‑337/01, Slg. 2004, I‑1791, Randnr. 31, und vom 29. April 2004, British American Tobacco, C‑222/01, Slg. 2004, I‑4683, Randnr. 47).

36. Da die Gemeinschaftsregelung diesen Begriff nicht definiert, enthält Art. 865 der Durchführungsverordnung Beispiele für Sachverhalte, die eine Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne von Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex darstellen (vgl. Urteil D. Wandel, Randnr. 46).

37. Nach Art. 865 Abs. 1 der Durchführungsverordnung ist die Zollanmeldung einer Ware oder jede andere Handlung mit den gleichen Rechtswirkungen als Entziehen der Ware aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne des Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex anzusehen, wenn dieses Vorgehen zur Folge hat, dass der betreffenden Ware fälschlicherweise der zollrechtliche Status einer Gemeinschaftsware zuerkannt wird.

38. Hierzu vertreten die vorlegenden Gerichte, Terex sowie Wilson und Caterpillar die Ansicht, dass die Angabe des die Ausfuhr von Gemeinschaftswaren bezeichnenden Zollverfahrenscodes 10 00 statt des Codes 31 51, der für die Wiederausfuhr von Waren gelte, die dem Verfahren der aktiven Veredelung unterlägen, den zollrechtlichen Status der betreffenden Waren nicht verändert habe, so dass diese stets als Nichtgemeinschaftswaren anzusehen gewesen seien. Sie seien nämlich nicht in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden, wodurch sie nach Art. 79 des Zollkodex den Status von Gemeinschaftswaren erhalten hätten. Für die Anwendung des Art. 865 der Durchführungsverordnung genüge es jedoch nicht, dass die Angabe des Zollverfahrenscodes 10 00 lediglich den falschen Eindruck erweckt habe, es handele sich um Gemeinschaftswaren.

39. Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden.

40. Denn Art. 865 der Durchführungsverordnung betrifft den Fall, dass Anmeldungen Waren den Status von Gemeinschaftswaren verleihen, der ihnen nicht zusteht, so dass Nichtgemeinschaftswaren der zollamtlichen Überwachung entgehen, der sie nach dem Zollkodex, insbesondere nach dessen Art. 37, unterliegen.

41. In dieser Hinsicht ist auf die Besonderheiten des Verfahrens der aktiven Veredelung und die Rolle, die insbesondere die Angabe des richtigen Zollverfahrenscodes in diesem Zusammenhang spielt, hinzuweisen, um zu beurteilen, ob die Angabe eines Codes, der die Ausfuhr von Gemeinschaftswaren bezeichnet, die Kontrollmöglichkeiten der Zollbehörden beeinträchtigt oder nicht.

42. Zunächst ist, wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt hat, anzumerken, dass das Verfahren der aktiven Veredelung, das zur Nichterhebung von Zöllen führt, eine Ausnahmemaßnahme ist, die den Ablauf bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten vereinfachen soll. Da dieses Verfahren erkennbare Risiken für die ordnungsgemäße Anwendung der zollrechtlichen Regelung und die Erhebung der Zölle enthält, müssen diejenigen, denen dieses Verfahren zugutekommt, die Verpflichtungen, die sich aus ihm ergeben, genau einhalten. Ebenso sind die Folgen, die eine Nichteinhaltung ihrer Verpflichtungen für sie hat, strikt auszulegen.

43. Die Verpflichtung aus Art. 182 Abs. 3 des Zollkodex, eine Zollanmeldung abzugeben, in der der richtige Zollverfahrenscode angegeben ist, aus dem hervorgeht, dass es sich um die Wiederausfuhr einer Ware handelt, die dem Verfahren der aktiven Veredelung unterstellt wurde, ist von besonderer Bedeutung für die zollamtliche Überwachung im Rahmen dieses Zollverfahrens.

44. Die Angabe des Zollverfahrenscodes, der die Wiederausfuhr von Waren bezeichnet, die dem Verfahren der aktiven Veredelung unterliegen, dient dem Zweck, eine effektive Überwachung durch die Zollbehörden sicherzustellen und es diesen zu ermöglichen, den Status der betreffenden Waren allein auf der Grundlage der Zollanmeldung zu erkennen, ohne weitere Überprüfungen oder Feststelllungen vornehmen zu müssen. Dies ist umso wichtiger, als die Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt werden, gemäß Art. 37 Abs. 2 des Zollkodex nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie wiederausgeführt werden, unter zollamtlicher Überwachung verbleiben.

45. Somit soll die Angabe des Zollverfahrenscodes, der die Wiederausfuhr von Waren bezeichnet, die dem Verfahren der aktiven Veredelung unterliegen, den Zollbehörden erlauben, im letzten Augenblick zu beschließen, eine zollamtliche Prüfung nach Art. 37 Abs. 1 des Zollkodex durchzuführen, d. h. zu überprüfen, ob die wiederausgeführten Waren tatsächlich den Waren entsprechen, die dem Verfahren der aktiven Veredelung unterstellt wurden.

46. Folglich hat die Angabe des Zollverfahrenscodes 10 00 in den Ausfuhranmeldungen, um die es in den Ausgangsverfahren geht, den betreffenden Waren fälschlicherweise den Status von Gemeinschaftswaren zuerkannt und damit unmittelbar die Möglichkeit der Zollbehörden beeinträchtigt, Prüfungen gemäß Art. 37 Abs. 1 des Zollkodex vorzunehmen.

47. Unter diesen Umständen ist die Verwendung des die Ausfuhr von Gemeinschaftswaren bezeichnenden Zollverfahrenscodes 10 00 statt des Codes 31 51, der für die Ausfuhr von Waren gilt, die dem Verfahren der aktiven Veredelung unterliegen, in den Ausfuhranmeldungen als „Entziehung“ dieser Waren aus der zollamtlichen Überwachung anzusehen (vgl. entsprechend Urteil British American Tobacco, Randnr. 53).

48. Was im Übrigen den Umstand angeht, dass während des betreffenden Zeitraums möglicherweise keine zollamtlichen Überprüfungen durchgeführt wurden, kann dies keinen Gesichtspunkt darstellen, der die Anwendung des Begriffs „Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung“ ausschließt. Nach der Rechtsprechung reicht es für ein „Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung“ nämlich aus, wenn die Ware etwaigen zollamtlichen Überprüfungen objektiv entzogen wurde, unabhängig davon, ob diese von der zuständigen Behörde tatsächlich vorgenommen worden wären (vgl. Urteil British American Tobacco, Randnr. 55).

49. Schließlich kann der These nicht zugestimmt werden, eine solche Auslegung des Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex verleihe diesem zu Unrecht den Charakter einer unverhältnismäßigen Sanktion.

50. Zum einen müssen nämlich, wie in Randnr. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt, diejenigen, denen das Verfahren der aktiven Veredelung zugutekommt, die Verpflichtungen, die sich aus diesem Verfahren ergeben, genau einhalten. Zum anderen könnten die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren, da sie als Gemeinschaftswaren ausgeführt wurden, möglicherweise als Rückwaren im Sinne des Art. 185 des Zollkodex wieder in die Gemeinschaft eingeführt werden, ohne dass Einfuhrabgaben anfielen.

51. Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑430/08 sowie auf die erste und die zweite Frage in der Rechtssache C‑431/08 zu antworten, dass die Angabe des die Ausfuhr von Gemeinschaftswaren bezeichnenden Zollverfahrenscodes 10 00 statt des Codes 31 51, der für Waren gilt, auf die im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs keine Zölle erhoben werden, in den Ausfuhranmeldungen, um die es in den Ausgangsverfahren geht, gemäß Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex und Art. 865 Abs. 1 der Durchführungsverordnung eine Zollschuld entstehen lässt.

52. Angesichts dieser Antwort ist die vierte Frage in der Rechtssache C‑430/08 nicht zu beantworten.

Zur ersten Frage in der Rechtssache C‑430/08 und zur dritten Frage in der Rechtssache C‑431/08

53. Mit diesen Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, ob Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex eine nachträgliche Prüfung der Ausfuhranmeldungen erlaubt, um das angegebene Zollverfahren zu korrigieren, und ob die Zollbehörden diese Anmeldungen gegebenenfalls ändern und die Fälle regularisieren müssen.

54. Die vorlegenden Gerichte haben hierzu ausgeführt, dass die Zollbehörden die Anwendung des Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex mit der Begründung abgelehnt hätten, dass es in den Ausgangsverfahren nicht um eine Korrektur der Ausfuhranmeldungen gehe, sondern um den Wechsel des Zollverfahrens und dass die Fälle nicht regularisiert werden könnten, da die nach Art. 182 Abs. 3 des Zollkodex vorgeschriebene Vorabmitteilung nicht vorliege.

55. Zunächst ist festzustellen, dass das „betreffende Zollverfahren“ im Sinne des Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex, wie von den vorlegenden Gerichten sowie Wilson und Caterpillar geltend gemacht, das Verfahren der aktiven Veredelung war, das die Klägerinnen der Ausgangsverfahren aufgrund der irrtümlichen Verwendung des Zollverfahrenscodes 10 00 angewandt haben.

56. Auch die These, Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex könne dem Fehlen der nach Art. 182 Abs. 3 des Zollkodex vorgeschriebenen Vorabmitteilung nicht abhelfen, ist zu verwerfen. Denn eine derartige Auslegung liefe der Logik dieser Vorschrift zuwider, die darin besteht, das Zollverfahren auf die tatsächliche Situation abzustimmen. Daher unterscheidet Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex nicht zwischen Irrtümern oder Unterlassungen, die einer Berichtigung zugänglich wären, und solchen, die es nicht wären. Die Wendung „unrichtige oder unvollständige Grundlagen“ ist so zu verstehen, dass sie sich sowohl auf tatsächliche Irrtümer oder Unterlassungen als auch auf Irrtümer bei der Auslegung des anwendbaren Rechts bezieht (Urteil vom 20. Oktober 2005, Overland Footwear, C‑468/03, Slg. 2005, I‑8937, Randnr. 63).

57. Daher gehören die Fälle der Ausgangsverfahren, anders als von den Zollbehörden und der Regierung des Vereinigten Königreichs in ihren Erklärungen vertreten, in den Anwendungsbereich des Art. 78 des Zollkodex und können grundsätzlich nach dieser Bestimmung geregelt werden.

58. Nach Art. 78 Abs. 1 des Zollkodex „können“ die Zollbehörden von Amts wegen oder auf Antrag des Anmelders eine Überprüfung der Anmeldung vornehmen, d. h. diese erneut prüfen. Beantragt de r Anmelder eine Überprüfung, so ist sein Antrag von den Zollbehörden zumindest hinsichtlich der Frage zu prüfen, ob diese Überprüfung vorzunehmen ist oder nicht (Urteil Overland Footwear, Randnrn. 45 und 46). Nach Art. 78 Abs. 1 des Zollkodex liegt die vom Anmelder beantragte Überprüfung sowohl hinsichtlich der Frage, ob sie überhaupt vorgenommen werden soll, als auch hinsichtlich ihres Ergebnisses im Ermessen der Zollbehörden (vgl. Urteil Overland Footwear, Randnr. 66).

59. Bei dieser ersten Prüfung haben die Zollbehörden insbesondere die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, die in der zu überprüfenden Anmeldung und dem Überprüfungsantrag enthaltenen Angaben nachzuprüfen (Urteil Overland Footwear, Randnr. 47).

60. Erweist sich eine Überprüfung als grundsätzlich möglich, haben die Zollbehörden am Ende ihrer Prüfung – unter Vorbehalt des Rechtswegs – entweder den Antrag des Anmelders durch mit Gründen zu versehende Entscheidung abzulehnen oder die beantragte Überprüfung vorzunehmen (vgl. Urteil Overland Footwear, Randnr. 50).

61. In letzterem Fall nehmen sie eine erneute Prüfung der Anmeldung vor und prüfen dabei die Richtigkeit der Angaben des Anmelders anhand der mitgeteilten Umstände (Urteil Overland Footwear, Randnr. 51).

62. Stellt sich bei der Überprüfung heraus, dass bei der Anwendung der Vorschriften über das betreffende Zollverfahren von unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen ausgegangen worden ist und die Ziele des Verfahrens der aktiven Veredelung nicht gefährdet worden sind, insbesondere soweit die Waren, die diesem Zollverfahren unterliegen, tatsächlich wiederausgeführt wurden, so haben die Zollbehörden nach Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regeln (vgl. in diesem Sinne Urteil Overland Footwear, Randnr. 52).

63. Zeigt sich, dass die Einfuhrabgaben zum Zeitpunkt ihrer buchmäßigen Erfassung letztlich nicht gesetzlich geschuldet waren, so kann die zur Regelung des Falles erforderliche Maßnahme nur im Erlass dieser Abgaben bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Overland Footwear, Randnr. 53).

64. Dieser Erlass ist gegebenenfalls nach Art. 236 des Zollkodex vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt sind, d. h. insbesondere, wenn kein betrügerisches Vorgehen des Anmelders vorliegt und die für die Einreichung des Erlassantrags vorgesehene Frist, die grundsätzlich drei Jahre beträgt, eingehalten worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Overland Footwear, Randnr. 54).

65. Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑430/08 und auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑431/08 zu antworten, dass Art. 78 des Zollkodex es erlaubt, die Ausfuhranmeldung für Waren nachträglich zu prüfen, um den Zollverfahrenscode zu korrigieren, den der Anmelder für diese Waren angegeben hat, und dass die Zollbehörden zum einen prüfen müssen, ob die Bestimmungen über das betreffende Zollverfahren auf unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen angewandt wurden und die Ziele des Verfahrens der aktiven Veredelung nicht gefährdet wurden, insbesondere soweit die Waren, die diesem Zollverfahren unterliegen, tatsächlich wiederausgeführt wurden, und zum anderen gegebenenfalls die Maßnahmen treffen müssen, die erforderlich sind, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regeln.

66. Angesichts der Antworten auf diese Fragen sind die fünfte Frage in der Rechtssache C‑430/08 und die vierte Frage in der Rechtssache C‑431/08 nicht zu beantworten.

Kosten

67. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Angabe des die Ausfuhr von Gemeinschaftswaren bezeichnenden Zollverfahrenscodes 10 00 statt des Codes 31 51, der für Waren gilt, auf die im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs keine Zölle erhoben werden, in den Ausfuhranmeldungen, um die es in den Ausgangsverfahren geht, lässt gemäß Art. 203 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften und Art. 865 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1677/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 geänderten Fassung eine Zollschuld entstehen.

2. Art. 78 der Verordnung Nr. 2913/92 erlaubt es, die Ausfuhranmeldung für Waren nachträglich zu prüfen, um den Zollverfahrenscode zu korrigieren, den der Anmelder für diese Waren angegeben hat, und die Zollbehörden müssen zum einen prüfen, ob die Bestimmungen über das betreffende Zollverfahren auf unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen angewandt wurden und die Ziele des Verfahrens der aktiven Veredelung nicht gefährdet wurden, insbesondere soweit die Waren, die diesem Zollverfahren unterliegen, tatsächlich wiederausgeführt wurden, und zum anderen gegebenenfalls die Maßnahmen treffen, die erforderlich sind, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regeln.

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