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Document 62012CJ0045

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 13. Juni 2013.
Office national d’allocations familiales pour travailleurs salariés (ONAFTS) gegen Radia Hadj Ahmed.
Vorabentscheidungsersuchen der Cour du travail de Bruxelles.
Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Persönlicher Geltungsbereich – Gewährung von Familienleistungen an eine Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel in einem Mitgliedstaat – Verordnung (EG) Nr. 859/2003 – Richtlinie 2004/38/EG – Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 – Voraussetzung hinsichtlich der Dauer des Wohnsitzes.
Rechtssache C‑45/12.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:390

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

13. Juni 2013 ( *1 )

„Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen — Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 — Persönlicher Geltungsbereich — Gewährung von Familienleistungen an eine Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel in einem Mitgliedstaat — Verordnung (EG) Nr. 859/2003 — Richtlinie 2004/38/EG — Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 — Voraussetzung hinsichtlich der Dauer des Wohnsitzes“

In der Rechtssache C-45/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour du travail de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 19. Januar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Januar 2012, in dem Verfahren

Office national d’allocations familiales pour travailleurs salariés (ONAFTS)

gegen

Radia Hadj Ahmed

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Frau Hadj Ahmed, vertreten durch I. de Viron und M. Hernandez Dispaux, avocates,

der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und T. Materne als Bevollmächtigte im Beistand von J. Vanden Eynde, avocat,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Van Hoof und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 (ABl. L 392, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), von Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, und – Berichtigung – ABl. L 229, S. 35) in Verbindung mit Art. 18 AEUV sowie der Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Office national d’allocations familiales pour travailleurs salariés (ONAFTS) (Zentralanstalt für Familienbeihilfen für Arbeitnehmer) und Frau Hadj Ahmed über die Gewährung von garantierten Familienleistungen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2), aufgehoben durch die Richtlinie 2004/38, bestimmte Folgendes:

„(1)   Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:

a)

sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;

…“

4

Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68, aufgehoben durch die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141, S. 1), dessen Wortlaut in Art. 10 der letztgenannten Verordnung übernommen wurde, sah in seinem Abs. 1 Folgendes vor:

„Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.“

5

Art. 1 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:

„Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

f)

i)

‚Familienangehöriger‘: jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, … als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen oder dem Studierenden in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird. …

…“

6

Art. 2 („Persönlicher Geltungsbereich“) der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt in seinem Abs. 1:

„Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer … sowie für deren Familienangehörige …“

7

Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 859/2003 des Rates vom 14. Mai 2003 zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen (ABl. L 124, S. 1) sieht vor:

„… [D]ie Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 … [finden] auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen, sowie auf ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen Anwendung, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben und ihre Situation mit einem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist.“

8

Art. 13 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder bei Beendigung der eingetragenen Partnerschaft“) der Richtlinie 2004/38 sieht in seinem Abs. 2 vor, dass die Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder die Beendigung der eingetragenen Partnerschaft für Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, unter bestimmten Voraussetzungen nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts führt.

9

Art. 14 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“) derselben Richtlinie sieht in seinem Abs. 2 vor:

„Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach [Artikel] 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen.

…“

Belgisches Recht

10

Art. 1 der Loi du 20 juillet 1971 instituant des prestations familiales garanties (Gesetz vom 20. Juli 1971 zur Einführung garantierter Familienleistungen) (Moniteur belge vom 7. August 1971, S. 9302, und – deutsche konsolidierte Fassung – vom 19. August 2009, S. 54697) bestimmte in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung:

„… Familienleistungen [werden] unter den durch oder aufgrund des vorliegenden Gesetzes festgelegten Bedingungen zugunsten von Kindern gewährt, die ausschließlich oder hauptsächlich einer in Belgien wohnhaften natürlichen Person zu Lasten sind.

In Absatz 1 erwähnte natürliche Personen müssen mindestens während der letzten fünf Jahre vor Einreichung eines Antrags auf garantierte Familienleistungen ununterbrochen tatsächlich in Belgien gewohnt haben.

Von der Erfüllung dieser Bedingung sind befreit:

1.

Personen, auf die die Verordnung … Nr. 1408/71 … anwendbar ist,

2.

Staatenlose,

3.

Flüchtlinge im Sinne des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern [Moniteur belge vom 31. Dezember 1980, S. 14584, im Folgenden: Gesetz vom 15. Dezember 1980],

4.

Personen, die nicht in Nr. 1 erwähnt sind und die Staatsangehörige eines Staates sind, der die Europäische Sozialcharta beziehungsweise die Revidierte Europäische Sozialcharta ratifiziert hat.

Handelt es sich bei einer in Absatz 1 erwähnten natürlichen Person um einen Ausländer, muss ihr der Aufenthalt oder die Niederlassung in Belgien gemäß den Bestimmungen des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 … gestattet oder erlaubt sein …“

11

Im für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum wurde die Befreiung von der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes durch die Loi du 30 décembre 2009 portant des dispositions diverses (Gesetz vom 30. Dezember 2009 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen) (Moniteur belge vom 31. Dezember 2009, S. 82925) erweitert, indem Art. 1 Abs. 7 des Gesetzes zur Einführung garantierter Familienleistungen um eine Nr. 5 mit folgendem Wortlaut ergänzt wurde:

„Personen, die garantierte Familienleistungen zugunsten eines Kindes beantragen,

a)

das Staatsangehöriger eines Staates ist, auf den die Verordnung … Nr. 1408/71 … anwendbar ist, oder, wenn dies nicht der Fall ist, das Staatsangehöriger eines Staates ist, der die Europäische Sozialcharta beziehungsweise die (Revidierte) Europäische Sozialcharta ratifiziert hat,

b)

oder das Staatenloser oder Flüchtling im Sinne des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 … ist“.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12

Frau Hadj Ahmed, eine algerische Staatsangehörige, ist in Belgien seit dem 18. Januar 2006 im Bevölkerungsregister eingetragen und seither Inhaberin eines Aufenthaltstitels für das belgische Hoheitsgebiet. Dieser Aufenthaltstitel wurde ihr erteilt, weil sie in Belgien mit einem Lebensgefährten französischer Staatsangehörigkeit zusammengezogen war. Frau Hadj Ahmed hat mit diesem ein gemeinsames Kind, das am 18. Dezember 2003 geboren wurde und ebenfalls die französische Staatsangehörigkeit besitzt. Im Jahr 2006, nachdem sie ihren Aufenthaltstitel bekommen hatte, holte sie ihre am 28. Januar 1993 geborene Tochter, die die algerische Staatsangehörigkeit besitzt, nach Belgien.

13

Frau Hadj Ahmed, die nie Arbeitnehmerin in Belgien war, erhielt während der Zeit, in der sie mit ihrem Lebensgefährten zusammenlebte, für ihre beiden Kinder Familienleistungen zum normalen Satz auf der Grundlage der von ihrem Lebensgefährten in Belgien zurückgelegten Beschäftigungszeiten.

14

Frau Hadj Ahmed und ihr Lebensgefährte trennten sich im Juni 2007. Seit dem 15. Mai 2007 ist Frau Hadj Ahmed, die von ihrem ehemaligen Lebensgefährten keinen Unterhalt erhält, auf Sozialhilfe angewiesen.

15

Seit dem 1. Oktober 2007 erhält Frau Hadj Ahmed keine Familienbeihilfe mehr für ihre Tochter, während sie diese für ihr anderes Kind weiterhin erhält. Sie beantragte beim ONAFTS garantierte Familienleistungen für ihre Tochter ab diesem Tag. Am 7. April 2008 lehnte der ONAFTS den Antrag mit der Begründung ab, dass die Betroffene die Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes nach Art. 1 des Gesetzes zur Einführung garantierter Familienleistungen nicht erfülle.

16

Mit Klageschrift vom 3. Juli 2008 erhob Frau Hadj Ahmed beim Tribunal du travail de Bruxelles Klage gegen den ablehnenden Bescheid des ONAFTS und berief sich dabei auf die Verordnung Nr. 1408/71. Gleichzeitig kam sie einer Aufforderung des ONAFTS nach und beantragte bei den zuständigen Behörden eine Befreiung von der Voraussetzung hinsichtlich der Dauer des Wohnsitzes in Belgien. Infolge dieses Verfahrens erhielt Frau Hadj Ahmed nach Ablauf von vier Wohnsitzjahren, d. h. seit dem 18. Januar 2010, garantierte Familienleistungen für ihre Tochter. Daher werden diese Leistungen im Rahmen des Ausgangsverfahrens für den Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis zum 18. Januar 2010 beansprucht.

17

Mit Urteil vom 23. August 2010 gab das Tribunal du travail de Bruxelles der Klage von Frau Hadj Ahmed statt. Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 7. September 2004, Trojani (C-456/02, Slg. 2004, I-7573) ging es davon aus, dass die Betroffene, da sie berechtigt gewesen sei, sich als Familienangehörige eines Unionsbürgers in Belgien niederzulassen, einem Unionsbürger gleichgestellt sei und einen Anspruch darauf habe, in gleicher Weise behandelt zu werden wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats.

18

Der ONAFTS legte gegen dieses Urteil Berufung bei dem vorlegenden Gericht ein. Seiner Ansicht nach wird die Berufungsbeklagte des Ausgangsverfahrens nicht vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 erfasst. Das vorlegende Gericht hegt Zweifel, ob sich aus der Richtlinie 2004/38 herleiten lässt, dass ein Nichtunionsbürger, der mit einem Unionsbürger zusammenzieht, einem Unionsbürger gleichgestellt werden kann. Außerdem betreffe das Urteil Trojani einen Fall eines Unionsbürgers und einer Leistung der sozialen Sicherheit, also einen anderen Fall als den der Berufungsbeklagten des Ausgangsverfahrens.

19

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hat Frau Hadj Ahmed ein Interesse daran, sich auf die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 zu berufen, um zu erreichen, dass die in Art. 1 des Gesetzes zur Einführung garantierter Familienleistungen vorgesehene Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes nicht angewandt wird.

20

Unter diesen Umständen hat die Cour du travail de Bruxelles beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Fällt eine Staatsangehörige eines Drittstaats unter Umständen, unter denen dieser (hier algerischen) Staatsangehörigen weniger als fünf Jahre zuvor in einem Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Belgien) ein Aufenthaltstitel erteilt worden ist, um zu einem Bürger eines anderen Mitgliedstaats (hier einem französischen Staatsangehörigen) zu ziehen, mit dem sie weder verheiratet noch eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist und von dem sie ein Kind hat (das die französische Staatsangehörigkeit besitzt), für die Zwecke der Gewährung garantierter Familienleistungen an sie zugunsten eines weiteren Kindes, das die Staatsangehörigkeit eines Drittlands (im vorliegenden Fall die algerische) besitzt, als Familienangehörige eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71, obwohl ihre Lebensgemeinschaft mit dem Vater des Kindes, das die französische Staatsangehörigkeit besitzt, inzwischen beendet ist?

2.

Falls die erste Frage verneint wird: Fällt diese Drittstaatsangehörige oder ihr Kind, das die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzt, unter den in der ersten Frage genannten Umständen und aufgrund der Tatsache, dass zu ihrem Haushalt das Kind gehört, das die französische Staatsangehörigkeit besitzt, für die Zwecke der Gewährung garantierter Familienleistungen an das Kind, das die algerische Staatsangehörigkeit besitzt, als Familienangehörige eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71?

3.

Falls die vorstehenden Fragen verneint werden: Hat diese Drittstaatsangehörige unter den in der ersten Frage genannten Umständen aufgrund von Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit Art. 12 EG (jetzt Art. 18 AEUV) einen Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung wie Inländer, solange ihr das Aufenthaltsrecht nicht entzogen worden ist, so dass es ausgeschlossen ist, dass der belgische Staat die Gewährung garantierter Familienleistungen von einer Voraussetzung hinsichtlich der Dauer des Wohnsitzes abhängig macht, während von inländischen Empfängern die Erfüllung dieser Voraussetzung nicht verlangt wird?

4.

Falls die vorstehenden Fragen verneint werden: Kann sich diese Drittstaatsangehörige unter den in der ersten Frage genannten Umständen und als Mutter eines Unionsbürgers aufgrund von Art. 20 und Art. 21 der Charta auf den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen, so dass es ausgeschlossen ist, dass der belgische Staat die Gewährung garantierter Familienleistungen an ein anderes ihrer Kinder, das die Staatsangehörigkeit eines Drittlands besitzt, von einer Voraussetzung hinsichtlich der Dauer des Wohnsitzes abhängig macht, während diese Voraussetzung für ein Kind, das die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzt, nicht verlangt wird?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

21

Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass ihr persönlicher Geltungsbereich eine Drittstaatsangehörige (im Folgenden: Mutter) oder ihre Tochter, die ebenfalls Drittstaatsangehörige ist (im Folgenden: Tochter), erfasst, soweit sich diese in folgender Situation befinden:

Die Mutter hat vor weniger als fünf Jahren einen Aufenthaltstitel in einem Mitgliedstaat erhalten, um mit einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats zusammenzuziehen, mit dem sie weder verheiratet noch eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist und von dem sie ein Kind mit der Staatsangehörigkeit des letztgenannten Mitgliedstaats (im Folgenden: gemeinsames Kind) hat;

nur der Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats hat den Status eines Arbeitnehmers;

die Mutter und der Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats wohnen inzwischen nicht mehr zusammen und

die Tochter und das gemeinsame Kind leben im Haushalt der Mutter.

22

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Familienangehöriger“ eines Arbeitnehmers im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 in deren Art. 1 Buchst. f Ziff. i definiert ist als „jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, … als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen … in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird“.

23

Somit verweist diese Bestimmung in einem ersten Schritt ausdrücklich auf die nationalen Rechtsvorschriften und definiert als „Familienangehörigen“„jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, … als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist“ (Urteil vom 26. November 2009, Slanina, C-363/08, Slg. 2009, I-11111, Randnr. 25).

24

In einem zweiten Schritt führt Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 folgendes Korrektiv ein: „[W]ird nach diesen [nationalen] Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen … in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird“ (Urteil Slanina, Randnr. 26).

25

Wie die tschechische Regierung und die Europäische Kommission zu Recht ausführen, wäre die in Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 aufgestellte Voraussetzung demnach erfüllt, wenn unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Mutter oder die Tochter im Sinne des nationalen Gesetzes und für dessen Anwendung als „Familienangehörige“ des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats angesehen werden kann und, sofern dies nicht der Fall ist, wenn ihr „Unterhalt … überwiegend von diesem bestritten wird“ (vgl. in diesem Sinne Urteil Slanina, Randnr. 27).

26

Die dem Gerichtshof vorliegende Akte enthält zwar Hinweise darauf, dass diese Voraussetzung im Ausgangsverfahren nicht erfüllt ist, doch ist es Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.

27

Dagegen geht, worauf die belgische Regierung zu Recht hinweist, aus Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 in seiner in Randnr. 25 des vorliegenden Urteils vorgenommenen Auslegung hervor, dass der bloße Umstand, dass das gemeinsame Kind im Haushalt der Mutter lebt, als solches nicht entscheidend für die Qualifizierung der Mutter oder der Tochter als „Familienangehörige“ des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats im Sinne dieser Vorschrift ist.

28

In Bezug auf eine etwaige Anwendung der Verordnung Nr. 859/2003, auf die das vorlegende Gericht ebenfalls Bezug nimmt, ist festzustellen, dass gemäß Art. 1 dieser Verordnung der persönliche Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 auf Drittstaatsangehörige ausgedehnt wird, soweit diese ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits in den persönlichen Geltungsbereich der letztgenannten Verordnung fallen.

29

Die etwaige Nichtanwendung der Verordnung Nr. 1408/71 auf die Mutter oder die Tochter hängt indessen nicht von deren Staatsangehörigkeit ab, sondern davon, dass sie gegebenenfalls nicht als Familienangehörige des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats im Sinne von Art. 1 Buchst. f Ziff. i dieser Verordnung angesehen werden können.

30

Überdies muss nach Art. 1 der Verordnung Nr. 859/2003 ein Drittstaatsangehöriger zwei Voraussetzungen erfüllen, damit die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 auf ihn und seine Familienangehörigen anwendbar sind. Zum einen muss er einen rechtmäßigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben, und zum anderen darf er sich nicht in einer Situation befinden, die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Situation eines Drittstaatsangehörigen ausschließlich Verbindungen zu einem Drittstaat und einem einzigen Mitgliedstaat aufweist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2010, Xhymshiti, C-247/09, Slg. 2010, I-11845, Randnr. 28).

31

Zu der ersten Voraussetzung ist festzustellen, dass angesichts der in der Vorlageentscheidung enthaltenen Angaben sowohl die Mutter als auch die Tochter während des für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraums ihren rechtmäßigen Wohnsitz in Belgien hatten.

32

In Bezug auf die zweite Voraussetzung weisen die Situation der Mutter und die der Tochter, wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, ausschließlich Verbindungen zu einem Drittstaat und einem einzigen Mitgliedstaat auf, nämlich zur Demokratischen Volksrepublik Algerien und zum Königreich Belgien.

33

Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verordnung Nr. 859/2003 den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 auf Personen wie die Mutter oder die Tochter ausdehnt.

34

Folglich ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass ihr persönlicher Geltungsbereich die Mutter oder die Tochter, soweit sich diese in der oben in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils beschriebenen Situation befinden, nur dann erfasst, wenn sie im Sinne des nationalen Gesetzes und für dessen Anwendung als „Familienangehörige“ des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats angesehen werden können oder, sofern dies nicht der Fall ist, wenn ihr „Unterhalt … überwiegend von diesem bestritten wird“.

Zur dritten Frage

35

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit Art. 18 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, mit der dieser die Gewährung garantierter Familienleistungen bei einer Mutter, die sich in der in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils beschriebenen Situation befindet, von der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes abhängig macht, während er von seinen eigenen Staatsangehörigen die Erfüllung dieser Voraussetzung nicht verlangt.

36

Hierzu geht, worauf die belgische und die tschechische Regierung sowie die Kommission zu Recht hinweisen, aus dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ausdrücklich hervor, dass das Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, gemäß dieser Bestimmung und unter bestimmten Voraussetzungen nur bei Scheidung oder Aufhebung einer Ehe oder bei Beendigung einer eingetragenen Partnerschaft bestehen bleibt.

37

Wie der Wortlaut der ersten Frage bestätigt, geht aus den maßgeblichen Umständen des Ausgangsverfahrens nicht hervor, dass zwischen der Mutter und dem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats eine Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft bestanden hätte. Unter diesen Umständen kann sich die Mutter weder nach Art. 13 Abs. 2 noch nach Art. 14 der Richtlinie 2004/38 auf ein Aufenthaltsrecht berufen, wobei sich Art. 14 in seinem Abs. 2 darauf beschränkt, auf das Erfordernis hinzuweisen, dass die Betroffenen für die Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsrechts die – insbesondere in Art. 13 der Richtlinie – aufgestellten Voraussetzungen erfüllen müssen.

38

Die Berücksichtigung von Art. 18 AEUV, auf den das vorlegende Gericht in seiner dritten Frage Bezug nimmt, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.

39

Der Umstand, dass eine Person wie die Berufungsbeklagte des Ausgangsverfahrens während des für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraums im Besitz eines Aufenthaltstitels für Belgien war, hat nämlich nicht zur Folge, dass ihr gemäß Art. 18 AEUV der Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zugutekäme.

40

Zwar hat der Gerichtshof in Randnr. 46 seines Urteils Trojani entschieden, dass sich ein Unionsbürger, sobald er in einem Mitgliedstaat eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, auf Art. 18 AEUV berufen kann, um eine Sozialleistung unter denselben Voraussetzungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats zu erhalten.

41

Diese Auslegung von Art. 18 AEUV, der die Unionsbürgerschaft betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2005, Bidar, C-209/03, Slg. 2005, I-2119, Randnrn. 37 und 39), kann jedoch nicht ohne Weiteres auf eine Situation übertragen werden, in der ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedstaat eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.

42

Ferner ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Auch wenn das vorlegende Gericht seine dritte Frage der Form nach auf die Auslegung der Richtlinie 2004/38 beschränkt hat, hindert dies demnach den Gerichtshof nicht daran, dem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die diesem bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Oktober 2010, Fuß, C-243/09, Slg. 2010, I-9849, Randnrn. 39 und 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Die Kommission macht geltend, die Mutter könne sich, um dem zu entgehen, dass sie bei der Gewährung garantierter Familienleistungen der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes unterliege, auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit berufen und sich dabei auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 stützen.

44

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es die Verwirklichung der von der Verordnung Nr. 1612/68 bezweckten Freizügigkeit der Arbeitnehmer unter Wahrung der Freiheit und Menschenwürde erforderlich macht, die bestmöglichen Bedingungen für die Integration der Familie des Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen (vgl. Urteile vom 13. November 1990, di Leo, C-308/89, Slg. 1990, I-4185, Randnr. 13, und vom 17. September 2002, Baumbast und R, C-413/99, Slg. 2002, I-7091, Randnr. 50).

45

Diese Integration kann nur gelingen, wenn das Kind eines Wanderarbeitnehmers die Möglichkeit hat, im Aufnahmemitgliedstaat die Schule zu besuchen und ein Studium zu absolvieren, wie dies in Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 ausdrücklich vorgesehen ist, um seine Ausbildung erfolgreich abschließen zu können (Urteile vom 15. März 1989, Echternach und Moritz, 389/87 und 390/87, Slg. 1989, 723, Randnr. 21, sowie Baumbast und R, Randnr. 51).

46

Nach der Rechtsprechung impliziert dieses Recht auf Zugang zum Unterricht ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Kindes eines Wanderarbeitnehmers oder ehemaligen Wanderarbeitnehmers, wenn es seine Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat fortsetzen möchte, sowie ein entsprechendes Aufenthaltsrecht des Elternteils, der die elterliche Sorge für dieses Kind tatsächlich ausübt (vgl. Urteil vom 23. Februar 2010, Teixeira, C-480/08, Slg. 2010, I-1107, Randnrn. 36 und 53).

47

Nach Ansicht der Kommission können sowohl die Tochter als auch das gemeinsame Kind und folglich auch die Mutter, da sie die elterliche Sorge für diese Kinder tatsächlich ausübt, ein solches auf Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 gestütztes Aufenthaltsrecht für sich beanspruchen.

48

Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens kann dieser Auslegung jedoch in Bezug auf die Tochter nicht gefolgt werden.

49

Zum einen ist nämlich unstreitig, dass die Tochter nicht das Kind des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats ist. Im Verhältnis zu diesem ist sie also nicht das Kind eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, im Sinne von Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68.

50

Zum anderen ist zwar, wie die Kommission geltend macht, das gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1612/68 bestehende Recht des „Ehegatte[n] sowie [der] Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird“, auf Wohnungnahme bei dem Wanderarbeitnehmer dahin auszulegen, dass es sowohl den Abkömmlingen des Arbeitnehmers als auch denen seines Ehegatten zusteht (Urteil Baumbast und R, Randnr. 57).

51

Insoweit genügt jedoch der Hinweis, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Mutter nicht die Ehegattin des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats ist und war, da der Lebensgefährte im Rahmen eines bloße Zusammenlebens nicht als „Ehegatte“ im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1612/68 angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. April 1986, Reed, 59/85, Slg. 1986, 1283, Randnr. 16). Folglich kann die Tochter nicht als Kind eines Wanderarbeitnehmers oder ehemaligen Wanderarbeitnehmers angesehen werden.

52

Dagegen ist das gemeinsame Kind gemäß der dem Gerichtshof vorliegenden Akte tatsächlich das Kind eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, im Sinne von Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68. Damit jedoch der Mutter als dem Elternteil, der die elterliche Sorge für dieses Kind tatsächlich ausübt, ein auf diese Vorschrift gestütztes Aufenthaltsrecht zukommen kann, muss das gemeinsame Kind im Aufnahmemitgliedstaat in das Schulsystem eingegliedert worden sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Czop und Punakova, C-147/11 und C-148/11, Randnr. 29).

53

Dem Gerichtshof liegen zur Situation des gemeinsamen Kindes, insbesondere zu dessen Beschulung, keine hinreichenden Informationen vor, so dass in diesem Verfahrensstadium vor dem Gerichtshof eine Interpretation der Folgen, die ein auf Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 gestütztes Aufenthaltsrecht der Mutter für das Ausgangsverfahren haben könnte, rein hypothetisch wäre.

54

Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit Art. 18 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, mit der dieser die Gewährung garantierter Familienleistungen bei einer Mutter, die sich in der in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils beschriebenen Situation befindet, von der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes abhängig macht, während er von seinen eigenen Staatsangehörigen die Erfüllung dieser Voraussetzung nicht verlangt.

Zur vierten Frage

55

Angesichts der Antworten auf die vorstehenden Fragen ist die vierte Frage nicht zu beantworten.

56

Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass die in der Unionsrechtsordnung – einschließlich der Charta – garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C-617/10, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Wie aus den Antworten auf die vorstehenden Fragen hervorgeht, liegen dem Gerichtshof keine Angaben vor, aus denen geschlossen werden könnte, dass eine Situation wie die im Ausgangsverfahren fragliche tatsächlich unionsrechtlich geregelt wäre.

Kosten

58

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ihr persönlicher Geltungsbereich eine Drittstaatsangehörige oder ihre Tochter, die ebenfalls Drittstaatsangehörige ist, unter den unten beschriebenen Umständen nur dann erfasst, wenn die Drittstaatsangehörige oder ihre Tochter im Sinne des nationalen Gesetzes und für dessen Anwendung als „Familienangehörige“ des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats angesehen werden kann oder, sofern dies nicht der Fall ist, wenn ihr „Unterhalt … überwiegend von diesem bestritten wird“:

Diese Drittstaatsangehörige hat vor weniger als fünf Jahren einen Aufenthaltstitel in einem Mitgliedstaat erhalten, um mit dem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats zusammenzuziehen, mit dem sie weder verheiratet noch eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist und von dem sie ein Kind mit der Staatsangehörigkeit des letztgenannten Mitgliedstaats hat;

nur dieser Staatsangehörige des anderen Mitgliedstaats hat den Status eines Arbeitnehmers;

diese Drittstaatsangehörige und der Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats wohnen inzwischen nicht mehr zusammen und

beide Kinder leben im Haushalt ihrer Mutter.

 

2.

Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG in Verbindung mit Art. 18 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, mit der dieser die Gewährung garantierter Familienleistungen bei einer Drittstaatsangehörigen, die sich in der in Nr. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils beschriebenen Situation befindet, von der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes abhängig macht, während er von seinen eigenen Staatsangehörigen die Erfüllung dieser Voraussetzung nicht verlangt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C-45/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour du travail de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 19. Januar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Januar 2012, in dem Verfahren

Office national d’allocations familiales pour travailleurs salariés (ONAFTS)

gegen

Radia Hadj Ahmed

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von Frau Hadj Ahmed, vertreten durch I. de Viron und M. Hernandez Dispaux, avocates,

– der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und T. Materne als Bevollmächtigte im Beistand von J. Vanden Eynde, avocat,

– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Van Hoof und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 (ABl. L 392, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), von Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, und – Berichtigung – ABl. L 229, S. 35) in Verbindung mit Art. 18 AEUV sowie der Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Office national d’allocations familiales pour travailleurs salariés (ONAFTS) (Zentralanstalt für Familienbeihilfen für Arbeitnehmer) und Frau Hadj Ahmed über die Gewährung von garantierten Familienleistungen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3. Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2), aufgehoben durch die Richtlinie 2004/38, bestimmte Folgendes:

„(1) Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:

a) sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;

…“

4. Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68, aufgehoben durch die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141, S. 1), dessen Wortlaut in Art. 10 der letztgenannten Verordnung übernommen wurde, sah in seinem Abs. 1 Folgendes vor:

„Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.“

5. Art. 1 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:

„Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

f) i) ‚Familienangehöriger‘: jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, … als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen oder dem Studierenden in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird. …

…“

6. Art. 2 („Persönlicher Geltungsbereich“) der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt in seinem Abs. 1:

„Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer … sowie für deren Familienangehörige …“

7. Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 859/2003 des Rates vom 14. Mai 2003 zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen (ABl. L 124, S. 1) sieht vor:

„… [D]ie Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 … [finden] auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen, sowie auf ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen Anwendung, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben und ihre Situation mit einem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist.“

8. Art. 13 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder bei Beendigung der eingetragenen Partnerschaft“) der Richtlinie 2004/38 sieht in seinem Abs. 2 vor, dass die Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder die Beendigung der eingetragenen Partnerschaft für Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, unter bestimmten Voraussetzungen nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts führt.

9. Art. 14 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“) derselben Richtlinie sieht in seinem Abs. 2 vor:

„Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach [Artikel] 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen.

…“

Belgisches Recht

10. Art. 1 der Loi du 20 juillet 1971 instituant des prestations familiales garanties (Gesetz vom 20. Juli 1971 zur Einführung garantierter Familienleistungen) ( Moniteur belge vom 7. August 1971, S. 9302, und – deutsche konsolidierte Fassung – vom 19. August 2009, S. 54697) bestimmte in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung:

„… Familienleistungen [werden] unter den durch oder aufgrund des vorliegenden Gesetzes festgelegten Bedingungen zugunsten von Kindern gewährt, die ausschließlich oder hauptsächlich einer in Belgien wohnhaften natürlichen Person zu Lasten sind.

In Absatz 1 erwähnte natürliche Personen müssen mindestens während der letzten fünf Jahre vor Einreichung eines Antrags auf garantierte Familienleistungen ununterbrochen tatsächlich in Belgien gewohnt haben.

Von der Erfüllung dieser Bedingung sind befreit:

1. Personen, auf die die Verordnung … Nr. 1408/71 … anwendbar ist,

2. Staatenlose,

3. Flüchtlinge im Sinne des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern [ Moniteur belge vom 31. Dezember 1980, S. 14584, im Folgenden: Gesetz vom 15. Dezember 1980],

4. Personen, die nicht in Nr. 1 erwähnt sind und die Staatsangehörige eines Staates sind, der die Europäische Sozialcharta beziehungsweise die Revidierte Europäische Sozialcharta ratifiziert hat.

Handelt es sich bei einer in Absatz 1 erwähnten natürlichen Person um einen Ausländer, muss ihr der Aufenthalt oder die Niederlassung in Belgien gemäß den Bestimmungen des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 … gestattet oder erlaubt sein …“

11. Im für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum wurde die Befreiung von der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes durch die Loi du 30 décembre 2009 portant des dispositions diverses (Gesetz vom 30. Dezember 2009 zur Festlegung verschiedener Bestimmungen) ( Moniteur belge vom 31. Dezember 2009, S. 82925) erweitert, indem Art. 1 Abs. 7 des Gesetzes zur Einführung garantierter Familienleistungen um eine Nr. 5 mit folgendem Wortlaut ergänzt wurde:

„Personen, die garantierte Familienleistungen zugunsten eines Kindes beantragen,

a) das Staatsangehöriger eines Staates ist, auf den die Verordnung … Nr. 1408/71 … anwendbar ist, oder, wenn dies nicht der Fall ist, das Staatsangehöriger eines Staates ist, der die Europäische Sozialcharta beziehungsweise die (Revidierte) Europäische Sozialcharta ratifiziert hat,

b) oder das Staatenloser oder Flüchtling im Sinne des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 … ist“.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12. Frau Hadj Ahmed, eine algerische Staatsangehörige, ist in Belgien seit dem 18. Januar 2006 im Bevölkerungsregister eingetragen und seither Inhaberin eines Aufenthaltstitels für das belgische Hoheitsgebiet. Dieser Aufenthaltstitel wurde ihr erteilt, weil sie in Belgien mit einem Lebensgefährten französischer Staatsangehörigkeit zusammengezogen war. Frau Hadj Ahmed hat mit diesem ein gemeinsames Kind, das am 18. Dezember 2003 geboren wurde und ebenfalls die französische Staatsangehörigkeit besitzt. Im Jahr 2006, nachdem sie ihren Aufenthaltstitel bekommen hatte, holte sie ihre am 28. Januar 1993 geborene Tochter, die die algerische Staatsangehörigkeit besitzt, nach Belgien.

13. Frau Hadj Ahmed, die nie Arbeitnehmerin in Belgien war, erhielt während der Zeit, in der sie mit ihrem Lebensgefährten zusammenlebte, für ihre beiden Kinder Familienleistungen zum normalen Satz auf der Grundlage der von ihrem Lebensgefährten in Belgien zurückgelegten Beschäftigungszeiten.

14. Frau Hadj Ahmed und ihr Lebensgefährte trennten sich im Juni 2007. Seit dem 15. Mai 2007 ist Frau Hadj Ahmed, die von ihrem ehemaligen Lebensgefährten keinen Unterhalt erhält, auf Sozialhilfe angewiesen.

15. Seit dem 1. Oktober 2007 erhält Frau Hadj Ahmed keine Familienbeihilfe mehr für ihre Tochter, während sie diese für ihr anderes Kind weiterhin erhält. Sie beantragte beim ONAFTS garantierte Familienleistungen für ihre Tochter ab diesem Tag. Am 7. April 2008 lehnte der ONAFTS den Antrag mit der Begründung ab, dass die Betroffene die Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes nach Art. 1 des Gesetzes zur Einführung garantierter Familienleistungen nicht erfülle.

16. Mit Klageschrift vom 3. Juli 2008 erhob Frau Hadj Ahmed beim Tribunal du travail de Bruxelles Klage gegen den ablehnenden Bescheid des ONAFTS und berief sich dabei auf die Verordnung Nr. 1408/71. Gleichzeitig kam sie einer Aufforderung des ONAFTS nach und beantragte bei den zuständigen Behörden eine Befreiung von der Voraussetzung hinsichtlich der Dauer des Wohnsitzes in Belgien. Infolge dieses Verfahrens erhielt Frau Hadj Ahmed nach Ablauf von vier Wohnsitzjahren, d. h. seit dem 18. Januar 2010, garantierte Familienleistungen für ihre Tochter. Daher werden diese Leistungen im Rahmen des Ausgangsverfahrens für den Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis zum 18. Januar 2010 beansprucht.

17. Mit Urteil vom 23. August 2010 gab das Tribunal du travail de Bruxelles der Klage von Frau Hadj Ahmed statt. Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 7. September 2004, Trojani (C-456/02, Slg. 2004, I-7573) ging es davon aus, dass die Betroffene, da sie berechtigt gewesen sei, sich als Familienangehörige eines Unionsbürgers in Belgien niederzulassen, einem Unionsbürger gleichgestellt sei und einen Anspruch darauf habe, in gleicher Weise behandelt zu werden wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats.

18. Der ONAFTS legte gegen dieses Urteil Berufung bei dem vorlegenden Gericht ein. Seiner Ansicht nach wird die Berufungsbeklagte des Ausgangsverfahrens nicht vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 erfasst. Das vorlegende Gericht hegt Zweifel, ob sich aus der Richtlinie 2004/38 herleiten lässt, dass ein Nichtunionsbürger, der mit einem Unionsbürger zusammenzieht, einem Unionsbürger gleichgestellt werden kann. Außerdem betreffe das Urteil Trojani einen Fall eines Unionsbürgers und einer Leistung der sozialen Sicherheit, also einen anderen Fall als den der Berufungsbeklagten des Ausgangsverfahrens.

19. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hat Frau Hadj Ahmed ein Interesse daran, sich auf die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 zu berufen, um zu erreichen, dass die in Art. 1 des Gesetzes zur Einführung garantierter Familienleistungen vorgesehene Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes nicht angewandt wird.

20. Unter diesen Umständen hat die Cour du travail de Bruxelles beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Fällt eine Staatsangehörige eines Drittstaats unter Umständen, unter denen dieser (hier algerischen) Staatsangehörigen weniger als fünf Jahre zuvor in einem Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Belgien) ein Aufenthaltstitel erteilt worden ist, um zu einem Bürger eines anderen Mitgliedstaats (hier einem französischen Staatsangehörigen) zu ziehen, mit dem sie weder verheiratet noch eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist und von dem sie ein Kind hat (das die französische Staatsangehörigkeit besitzt), für die Zwecke der Gewährung garantierter Familienleistungen an sie zugunsten eines weiteren Kindes, das die Staatsangehörigkeit eines Drittlands (im vorliegenden Fall die algerische) besitzt, als Familienangehörige eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71, obwohl ihre Lebensgemeinschaft mit dem Vater des Kindes, das die französische Staatsangehörigkeit besitzt, inzwischen beendet ist?

2. Falls die erste Frage verneint wird: Fällt diese Drittstaatsangehörige oder ihr Kind, das die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzt, unter den in der ersten Frage genannten Umständen und aufgrund der Tatsache, dass zu ihrem Haushalt das Kind gehört, das die französische Staatsangehörigkeit besitzt, für die Zwecke der Gewährung garantierter Familienleistungen an das Kind, das die algerische Staatsangehörigkeit besitzt, als Familienangehörige eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71?

3. Falls die vorstehenden Fragen verneint werden: Hat diese Dritt staatsangehörige unter den in der ersten Frage genannten Umständen aufgrund von Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit Art. 12 EG (jetzt Art. 18 AEUV) einen Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung wie Inländer, solange ihr das Aufenthaltsrecht nicht entzogen worden ist, so dass es ausgeschlossen ist, dass der belgische Staat die Gewährung garantierter Familienleistungen von einer Voraussetzung hinsichtlich der Dauer des Wohnsitzes abhängig macht, während von inländischen Empfängern die Erfüllung dieser Voraussetzung nicht verlangt wird?

4. Falls die vorstehenden Fragen verneint werden: Kann sich diese Drittstaatsangehörige unter den in der ersten Frage genannten Umständen und als Mutter eines Unionsbürgers aufgrund von Art. 20 und Art. 21 der Charta auf den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen, so dass es ausgeschlossen ist, dass der belgische Staat die Gewährung garantierter Familienleistungen an ein anderes ihrer Kinder, das die Staatsangehörigkeit eines Drittlands besitzt, von einer Voraussetzung hinsichtlich der Dauer des Wohnsitzes abhängig macht, während diese Voraussetzung für ein Kind, das die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzt, nicht verlangt wird?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

21. Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass ihr persönlicher Geltungsbereich eine Drittstaatsangehörige (im Folgenden: Mutter) oder ihre Tochter, die ebenfalls Drittstaatsangehörige ist (im Folgenden: Tochter), erfasst, soweit sich diese in folgender Situation befinden:

– Die Mutter hat vor weniger als fünf Jahren einen Aufenthaltstitel in einem Mitgliedstaat erhalten, um mit einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats zusammenzuziehen, mit dem sie weder verheiratet noch eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist und von dem sie ein Kind mit der Staatsangehörigkeit des letztgenannten Mitgliedstaats (im Folgenden: gemeinsames Kind) hat;

– nur der Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats hat den Status eines Arbeitnehmers;

– die Mutter und der Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats wohnen inzwischen nicht mehr zusammen und

– die Tochter und das gemeinsame Kind leben im Haushalt der Mutter.

22. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Familienangehöriger“ eines Arbeitnehmers im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 in deren Art. 1 Buchst. f Ziff. i definiert ist als „jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, … als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen … in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird“.

23. Somit verweist diese Bestimmung in einem ersten Schritt ausdrücklich auf die nationalen Rechtsvorschriften und definiert als „Familienangehörigen“ „jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, … als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist“ (Urteil vom 26. November 2009, Slanina, C-363/08, Slg. 2009, I-11111, Randnr. 25).

24. In einem zweiten Schritt führt Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 folgendes Korrektiv ein: „[W]ird nach diesen [nationalen] Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen … in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird“ (Urteil Slanina, Randnr. 26).

25. Wie die tschechische Regierung und die Europäische Kommission zu Recht ausführen, wäre die in Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 aufgestellte Voraussetzung demnach erfüllt, wenn unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Mutter oder die Tochter im Sinne des nationalen Gesetzes und für dessen Anwendung als „Familienangehörige“ des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats angesehen werden kann und, sofern dies nicht der Fall ist, wenn ihr „Unterhalt … überwiegend von diesem bestritten wird“ (vgl. in diesem Sinne Urteil Slanina, Randnr. 27).

26. Die dem Gerichtshof vorliegende Akte enthält zwar Hinweise darauf, dass diese Voraussetzung im Ausgangsverfahren nicht erfüllt ist, doch ist es Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.

27. Dagegen geht, worauf die belgische Regierung zu Recht hinweist, aus Art. 1 Buchst. f Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 in seiner in Randnr. 25 des vorliegenden Urteils vorgenommenen Auslegung hervor, dass der bloße Umstand, dass das gemeinsame Kind im Haushalt der Mutter lebt, als solches nicht entscheidend für die Qualifizierung der Mutter oder der Tochter als „Familienangehörige“ des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats im Sinne dieser Vorschrift ist.

28. In Bezug auf eine etwaige Anwendung der Verordnung Nr. 859/2003, auf die das vorlegende Gericht ebenfalls Bezug nimmt, ist festzustellen, dass gemäß Art. 1 dieser Verordnung der persönliche Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 auf Drittstaatsangehörige ausgedehnt wird, soweit diese ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits in den persönlichen Geltungsbereich der letztgenannten Verordnung fallen.

29. Die etwaige Nichtanwendung der Verordnung Nr. 1408/71 auf die Mutter oder die Tochter hängt indessen nicht von deren Staatsangehörigkeit ab, sondern davon, dass sie gegebenenfalls nicht als Familienangehörige des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats im Sinne von Art. 1 Buchst. f Ziff. i dieser Verordnung angesehen werden können.

30. Überdies muss nach Art. 1 der Verordnung Nr. 859/2003 ein Drittstaatsangehöriger zwei Voraussetzungen erfüllen, damit die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 auf ihn und seine Familienangehörigen anwendbar sind. Zum einen muss er einen rechtmäßigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben, und zum anderen darf er sich nicht in einer Situation befinden, die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Situation eines Drittstaatsangehörigen ausschließlich Verbindungen zu einem Drittstaat und einem einzigen Mitgliedstaat aufweist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2010, Xhymshiti, C-247/09, Slg. 2010, I-11845, Randnr. 28).

31. Zu der ersten Voraussetzung ist festzustellen, dass angesichts der in der Vorlageentscheidung enthaltenen Angaben sowohl die Mutter als auch die Tochter während des für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraums ihren rechtmäßigen Wohnsitz in Belgien hatten.

32. In Bezug auf die zweite Voraussetzung weisen die Situation der Mutter und die der Tochter, wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, ausschließlich Verbindungen zu einem Drittstaat und einem einzigen Mitgliedstaat auf, nämlich zur Demokratischen Volksrepublik Algerien und zum Königreich Belgien.

33. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verordnung Nr. 859/2003 den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 auf Personen wie die Mutter oder die Tochter ausdehnt.

34. Folglich ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass ihr persönlicher Geltungsbereich die Mutter oder die Tochter, soweit sich diese in der oben in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils beschriebenen Situation befinden, nur dann erfasst, wenn sie im Sinne des nationalen Gesetzes und für dessen Anwendung als „Familienangehörige“ des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats angesehen werden können oder, sofern dies nicht der Fall ist, wenn ihr „Unterhalt … überwiegend von diesem bestritten wird“.

Zur dritten Frage

35. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit Art. 18 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, mit der dieser die Gewährung garantierter Familienleistungen bei einer Mutter, die sich in der in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils beschriebenen Situation befindet, von der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes abhängig macht, während er von seinen eigenen Staatsangehörigen die Erfüllung dieser Voraussetzung nicht verlangt.

36. Hierzu geht, worauf die belgische und die tschechische Regierung sowie die Kommission zu Recht hinweisen, aus dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ausdrücklich hervor, dass das Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, gemäß dieser Bestimmung und unter bestimmten Voraussetzungen nur bei Scheidung oder Aufhebung einer Ehe oder bei Beendigung einer eingetragenen Partnerschaft bestehen bleibt.

37. Wie der Wortlaut der ersten Frage bestätigt, geht aus den maßgeblichen Umständen des Ausgangsverfahrens nicht hervor, dass zwischen der Mutter und dem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats eine Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft bestanden hätte. Unter diesen Umständen kann sich die Mutter weder nach Art. 13 Abs. 2 noch nach Art. 14 der Richtlinie 2004/38 auf ein Aufenthaltsrecht berufen, wobei sich Art. 14 in seinem Abs. 2 darauf beschränkt, auf das Erfordernis hinzuweisen, dass die Betroffenen für die Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsrechts die – insbesondere in Art. 13 der Richtlinie – aufgestellten Voraussetzungen erfüllen müssen.

38. Die Berücksichtigung von Art. 18 AEUV, auf den das vorlegende Gericht in seiner dritten Frage Bezug nimmt, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.

39. Der Umstand, dass eine Person wie die Berufungsbeklagte des Ausgangsverfahrens während des für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraums im Besitz eines Aufenthaltstitels für Belgien war, hat nämlich nicht zur Folge, dass ihr gemäß Art. 18 AEUV der Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zugutekäme.

40. Zwar hat der Gerichtshof in Randnr. 46 seines Urteils Trojani entschieden, dass sich ein Unionsbürger, sobald er in einem Mitgliedstaat eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, auf Art. 18 AEUV berufen kann, um eine Sozialleistung unter denselben Voraussetzungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats zu erhalten.

41. Diese Auslegung von Art. 18 AEUV, der die Unionsbürgerschaft betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2005, Bidar, C-209/03, Slg. 2005, I-2119, Randnrn. 37 und 39), kann jedoch nicht ohne Weiteres auf eine Situation übertragen werden, in der ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedstaat eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.

42. Ferner ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Auch wenn das vorlegende Gericht seine dritte Frage der Form nach auf die Auslegung der Richtlinie 2004/38 beschränkt hat, hindert dies demnach den Gerichtshof nicht daran, dem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die diesem bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Oktober 2010, Fuß, C-243/09, Slg. 2010, I-9849, Randnrn. 39 und 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43. Die Kommission macht geltend, die Mutter könne sich, um dem zu entgehen, dass sie bei der Gewährung garantierter Familienleistungen der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes unterliege, auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit berufen und sich dabei auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 stützen.

44. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es die Verwirklichung der von der Verordnung Nr. 1612/68 bezweckten Freizügigkeit der Arbeitnehmer unter Wahrung der Freiheit und Menschenwürde erforderlich macht, die bestmöglichen Bedingungen für die Integration der Familie des Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen (vgl. Urteile vom 13. November 1990, di Leo, C-308/89, Slg. 1990, I-4185, Randnr. 13, und vom 17. September 2002, Baumbast und R, C-413/99, Slg. 2002, I-7091, Randnr. 50).

45. Diese Integration kann nur gelingen, wenn das Kind eines Wanderarbeitnehmers die Möglichkeit hat, im Aufnahmemitgliedstaat die Schule zu besuchen und ein Studium zu absolvieren, wie dies in Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 ausdrücklich vorgesehen ist, um seine Ausbildung erfolgreich abschließen zu können (Urteile vom 15. März 1989, Echternach und Moritz, 389/87 und 390/87, Slg. 1989, 723, Randnr. 21, sowie Baumbast und R, Randnr. 51).

46. Nach der Rechtsprechung impliziert dieses Recht auf Zugang zum Unterricht ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Kindes eines Wanderarbeitnehmers oder ehemaligen Wanderarbeitnehmers, wenn es seine Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat fortsetzen möchte, sowie ein entsprechendes Aufenthaltsrecht des Elternteils, der die elterliche Sorge für dieses Kind tatsächlich ausübt (vgl. Urteil vom 23. Februar 2010, Teixeira, C-480/08, Slg. 2010, I-1107, Randnrn. 36 und 53).

47. Nach Ansicht der Kommission können sowohl die Tochter als auch das gemeinsame Kind und folglich auch die Mutter, da sie die elterliche Sorge für diese Kinder tatsächlich ausübt, ein solches auf Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 gestütztes Aufenthaltsrecht für sich beanspruchen.

48. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens kann dieser Auslegung jedoch in Bezug auf die Tochter nicht gefolgt werden.

49. Zum einen ist nämlich unstreitig, dass die Tochter nicht das Kind des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats ist. Im Verhältnis zu diesem ist sie also nicht das Kind eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, im Sinne von Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68.

50. Zum anderen ist zwar, wie die Kommission geltend macht, das gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1612/68 bestehende Recht des „Ehegatte[n] sowie [der] Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird“, auf Wohnungnahme bei dem Wanderarbeitnehmer dahin auszulegen, dass es sowohl den Abkömmlingen des Arbeitnehmers als auch denen seines Ehegatten zusteht (Urteil Baumbast und R, Randnr. 57).

51. Insoweit genügt jedoch der Hinweis, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Mutter nicht die Ehegattin des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats ist und war, da der Lebensgefährte im Rahmen eines bloße Zusammenlebens nicht als „Ehegatte“ im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1612/68 angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. April 1986, Reed, 59/85, Slg. 1986, 1283, Randnr. 16). Folglich kann die Tochter nicht als Kind eines Wanderarbeitnehmers oder ehemaligen Wanderarbeitnehmers angesehen werden.

52. Dagegen ist das gemeinsame Kind gemäß der dem Gerichtshof vorliegenden Akte tatsächlich das Kind eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, im Sinne von Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68. Damit jedoch der Mutter als dem Elternteil, der die elterliche Sorge für dieses Kind tatsächlich ausübt, ein auf diese Vorschrift gestütztes Aufenthaltsrecht zukommen kann, muss das gemeinsame Kind im Aufnahmemitgliedstaat in das Schulsystem eingegliedert worden sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Czop und Punakova, C-147/11 und C-148/11, Randnr. 29).

53. Dem Gerichtshof liegen zur Situation des gemeinsamen Kindes, insbesondere zu dessen Beschulung, keine hinreichenden Informationen vor, so dass in diesem Verfahrensstadium vor dem Gerichtshof eine Interpretation der Folgen, die ein auf Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 gestütztes Aufenthaltsrecht der Mutter für das Ausgangsverfahren haben könnte, rein hypothetisch wäre.

54. Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit Art. 18 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, mit der dieser die Gewährung garantierter Familienleistungen bei einer Mutter, die sich in der in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils beschriebenen Situation befindet, von der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes abhängig macht, während er von seinen eigenen Staatsangehörigen die Erfüllung dieser Voraussetzung nicht verlangt.

Zur vierten Frage

55. Angesichts der Antworten auf die vorstehenden Fragen ist die vierte Frage nicht zu beantworten.

56. Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass die in der Unionsrechtsordnung – einschließlich der Charta – garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C-617/10, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57. Wie aus den Antworten auf die vorstehenden Fragen hervorgeht, liegen dem Gerichtshof keine Angaben vor, aus denen geschlossen werden könnte, dass eine Situation wie die im Ausgangsverfahren fragliche tatsächlich unionsrechtlich geregelt wäre.

Kosten

58. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ihr persönlicher Geltungsbereich eine Drittstaatsangehörige oder ihre Tochter, die ebenfalls Drittstaatsangehörige ist, unter den unten beschriebenen Umständen nur dann erfasst, wenn die Drittstaatsangehörige oder ihre Tochter im Sinne des nationalen Gesetzes und für dessen Anwendung als „Familienangehörige“ des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats angesehen werden kann oder, sofern dies nicht der Fall ist, wenn ihr „Unterhalt … überwiegend von diesem bestritten wird“:

– Diese Drittstaatsangehörige hat vor weniger als fünf Jahren einen Aufenthaltstitel in einem Mitgliedstaat erhalten, um mit dem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats zusammenzuziehen, mit dem sie weder verheiratet noch eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist und von dem sie ein Kind mit der Staatsangehörigkeit des letztgenannten Mitgliedstaats hat;

– nur dieser Staatsangehörige des anderen Mitgliedstaats hat den Status eines Arbeitnehmers;

– diese Drittstaatsangehörige und der Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats wohnen inzwischen nicht mehr zusammen und

– beide Kinder leben im Haushalt ihrer Mutter.

2. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG in Verbindung mit Art. 18 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, mit der dieser die Gewährung garantierter Familienleistungen bei einer Drittstaatsangehörigen, die sich in der in Nr. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils beschriebenen Situation befindet, von der Voraussetzung eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes abhängig macht, während er von seinen eigenen Staatsangehörigen die Erfüllung dieser Voraussetzung nicht verlangt.

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