

Rechtssätze
Stammrechtssatz
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache X-GmbH, Adr,
vertreten durch Steuerberater , über die Beschwerde vom 27.05.2016 gegen den gemäß
§ 200 Abs. 2 BAO endgültigen Bescheid der belangten Behörde Finanzamt für Gebühren,
Verkehrsteuern und Glücksspiel vom 27.04.2016,
ErfNr, betreffend Gesellschaftsteuer zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Dem Finanzamt wurde der notarielle Einbringungsvertrag vom 9.7.2015 - abgeschlossen zwischen Herrn A, Frau B, Frau C und der X-GmbH - über die "Einbringung von Gesellschaftsanteilen an der Y-GmbH in die X-GmbH" samt Abgabenerklärung angezeigt. Darin wurde ua. zusammengefaßt Folgendes festgehalten und vereinbart:
A, B und C sind jeweils Gesellschafter der im Firmenbuch eingetragenen Kapitalgesellschaften
Y-GmbH (Stammkapital € 70.000) und der X-GmbH (Stammkapital € 35.000). A und B bringen
jeweils ihren gesamten Geschäftsanteil (Stammeinlage je € 33.250) und C bringt einen
Teil ihres Geschäftsanteiles (iHv € 3.430 von der Stammeinlage gesamt € 3.500) an
der Y-GmbH als Sacheinlage in die X-GmbH ein; dies rückwirkend zum Stichtag 31.12.2014.
Das eingebrachte Vermögen besitzt einen positiven Verkehrswert. Aufgrund des Abtretungsvertrages
und des Einbringungsvertrages vom 28.11.2014 - womit die X-KG (kurz: KG) Geschäftsanteile
an der Y-GmbH an die drei genannten Gesellschafter/Einbringenden abgetreten hatte,
das Stammkapital der Y-GmbH erhöht und als Gegenleistung der Betrieb der KG zum 30.4.2014
in diese eingebracht wurde sowie die gewährten neuen Anteile verhältniswahrend auf
die drei Gesellschafter aufgeteilt wurden (= sogen. "Anteilsdurchschleusung") – waren
die Einbringenden bereits mit Wirkung zum 28.11.2014 Gesellschafter der Y-GmbH und
war ihnen das eingebrachte Vermögen bereits am Einbringungsstichtag 31.12.2014 zuzurechnen.
ISd § 12 Abs. 2 Z 3 UmgrStG hat die X-GmbH durch die Übernahme der genannten Anteile
die Stimmrechtsmehrheit (zusammen 99,9 % des Nennkapitals) an der Y-GmbH erlangt.
Die Einbringung der Geschäftsanteile erfolgt ausschließlich gegen Gewährung neuer
Anteile an der übernehmenden GmbH aus der Erhöhung deren Stammkapitals um € 1.000
(auf nunmehr € 36.000), welche die drei Einbringenden und Gesellschafter der X-GmbH
je anteilig erhalten.
Laut Vertrag werden für den Einbringungsvorgang die Abgabenbegünstigungen und –befreiungen
des Umgründungssteuergesetzes, insbes. nach § 22 Abs. 4 UmgrStG, in Anspruch genommen.
Alle aus dem Vertrag entstehenden Kosten und Abgaben trägt die X-GmbH (= Beschwerdeführerin,
Bf).
Im Schreiben des vertragserrichtenden Notars vom 22.10.2015 wurde ua. für den Fall, dass nach Ansicht des Finanzamtes eine Befreiung von der Gesellschaftsteuer nicht vorliege, eine Bewertung der eingebrachten Gesellschaftsanteile vorgelegt. Verwiesen wurde auf den beigebrachten "Aktenvermerk betreffend die Inanspruchnahme der Befreiungen im Sinne des § 22 Abs. 4 UmgrStG" vom 19.8.2015, wonach die sogen. Kapitalansammlungsrichtlinie (RL 2008/7 EG des Rates vom 12.2.2008) den Mitgliedstaaten bei einem Anteilstausch die Vorschreibung einer Gesellschaftsteuer untersage. Da die in § 22 Abs. 4 UmgrStG enthaltene zweijährige Behaltefrist der RL widerspreche, liege eine mangelhafte Umsetzung in nationales Recht vor, die Umsetzungfrist sei abgelaufen. Nachdem die betr. Bestimmung auch hinreichend bestimmt sei und den Einzelnen begünstige, sei die RL unmittelbar anwendbar und genieße Vorrang vor nationalem Recht. Gegenständliche Einbringung sei daher von der Gesellschaftsteuer befreit.
In der Folge wurde bei der Bf eine Betriebsprüfung zu "Kapitalverkehrsteuern 2015" durchgeführt. Unter Tz. 6 des Schlussberichtes vom 22.4.2016, AB1, wurden auszugsweise folgende Prüfungsfeststellungen getroffen:
"Die Familie ABC wollte auf Grund wirtschaftlicher Überlegungen einen Anteil an der
Fa. Z-GmbH erwerben.
In einem ersten Schritt wurde deshalb von der Fa. X-KG am 28.4.2014 die Fa. Y-GmbH
gegründet. In weiterer Folge trat lt. Vertrag vom 28.11.2014 die Fa. X-KG diese Anteile
an A und B (je 16.625 €) und C (1.750 €) (Gesellschafter der X-KG) ab. Gleichzeitig
erfolgte eine Erhöhung des Stammkapitals um 35.000 € (zugelassen zur Übernahme der
neuen Stammeinlage war die Fa. X-KG) auf 70.000 €. Als Gegenleistung für die Übernahme
von 17.500 € Stamkapital brachte sie ihren Betrieb des … gemäß Art. III UmgrStG ein.
Hinsichtlich des restlichen Stammkapitals in Höhe von 17.500 € erfolgte eine Bareinzahlung.
Diese neuen Anteile wurden an die Gesellschafter der KG anteilsmäßig durchgeschleust,
sodass nunmehr A und B mit je 33.250 € Stammeinlage und C mit 3.500 € Stammeinlage
Gesellschafter der Fa. Y-GmbH sind. Laut Abtretungsvertrag vom 9.7.2015 wurden von
A und B je 33.250 € und von C 3.430 € in die X-GmbH abgetreten.
Lt. § 22 Abs. 4 UmgrStG sind Einbringungen von der Gesellschaftsteuer befreit, wenn
das einzubringende Vermögen sich länger als zwei Jahre im Eigentum des Einbringenden
befindet.
Die Einbringung der Anteile (69.930) der Y-GmbH durch A, B u. C in die X-GmbH ist
gesellschaftsteuerpflichtig, da die Zweijahresfrist nicht gegeben ist.
Ermittlung des gemeinen Wertes der Y-GmbH zum 9.7.2015
Für die Ermittlung des gemeinen Wertes nach dem Wiener Verfahren wurde in Absprache
mit dem Steuerberater folgende Vorgangsweise gewählt …".
Im Anschluss wurde laut beigeschlossenen Berechnungsblättern sowie ausführlicher Darstellung und Begründung vom Prüfer der gemeine Wert pro Anteil mit € 46,49 bzw. der Wert aller eingebrachten Anteile mit gesamt € 3,251.045,70 ermittelt.
Das Finanzamt hat daraufhin der Bf mit Bescheid vom 27.4.2016, StrNr, ausgehend von diesem "Wert der Leistung" gem. § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Z 2 bis 4 KVG die 1%ige Gesellschaftsteuer im Betrag von € 32.510,46 gem. § 200 Abs. 2 BAO endgültig vorgeschrieben (bisherige Vorschreibung € 10). Begründend wurde auf das Ergebnis der Außenprüfung bzw. die Begründung und Berechnung im dortigen Prüfbericht verwiesen.
In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde wird wiederum eingewendet, hinsichtlich der Einbringung (99,9 % der Anteile an der Y-GmbH zum 31.12.2014 gem. Art. III UmgrStG) sei die Befreiung von der Gesellschaftsteuer gem. § 22 Abs. 4 UmgrStG iVm der Richtlinie 2008/7 des Rates der Europäischen Union (Kapitalansammlungs-RL) geltend gemacht worden. Die RL verpflichte die Mitgliedstaaten eine Befreiung für bestimmte Anteilstauschvorgänge vorzusehen. Gegenständlicher Vorgang (Tausch von Kapitalanteilen) falle unter Artikel 4 der RL betr. Umstrukturierungen und gelte somit nicht als Kapitalzuführung. Die Anwendung der in § 22 Abs. 4 UmgrStG enthaltenen zweijährigen Behaltefrist widerspreche der RL. Da die Frist zur Umsetzung der RL bereits abgelaufen und die RL-Bestimmung hinreichend genau bestimmt sei, sei die RL somit unmittelbar anwendbar und genieße Vorrang vor nationalem Recht. Daraus folge, dass die Einbringung von den Kapitalverkehrsteuern befreit sei und nicht der Gesellschaftsteuer unterliege.
Die abweisende Beschwerdevorentscheidung wurde ua. nach nochmaliger ausführlicher
Darstellung des Sachverhaltes, dh. der vereinbarten Abtretungs- und Einbringungsvorgänge,
sowie der bezughabenden Bestimmung nach § 22 Abs. 4 UmgrStG dahin begründet, dass
die Kapitalansammlungs-RL die spezielle Anforderung im UmgrStG, nämlich die zweijährige
Behaltefrist, nicht kenne. Die Umsetzung des Art. 4 Abs. 1 lit b iVm Art. 5 Abs. 1
lit e der RL sei somit in Österreich mangelhaft. Richtlinien seien, im Gegensatz zu
Unionsrecht, zwar nicht unmittelbar anwendbar, die Mitgliedstaaten seien jedoch verpflichtet,
die RL in nationales Recht umzusetzen. Die fraglichen RL-Bestimmungen hätten bis 1.1.2009
umgesetzt werden sollen. Fehle es an der Umsetzung bzw. sei diese – wie hier – mangelhaft,
werde eine richtlinienkonforme Interpretation ausscheiden.
Mangels Umsetzung würden daher die Bestimmungen des Umgründungssteuergesetzes gelten.
Bei Einbringungen sei deshalb die zweijährige Frist nach § 22 Abs. 4 UmgrStG zu beachten,
aus welchem Grund die Beschwerde abzuweisen sei.
Im Vorlageantrag vom 6.7.2016 wurde zunächst das Beschwerdevorbringen wiederholt und
ergänzend vorgebracht:
Da die Kapitalansammlungs-RL die Anforderung einer zweijährigen Behaltefrist nicht
kenne, sei eine richtlinienkonforme Interpretation der nationalen Bestimmung (§ 22
Abs. 4 UmgrStG) schwer möglich und komme eine unmittelbare Anwendung der RL in Betracht.
Die diesbezüglichen Voraussetzungen – nicht fristgerechte oder mangelhafte Umsetzung
der RL, hinreichend genaue Bestimmung, Bestimmung begünstigt den Einzelnen gegenüber
dem Staat – seien hier erfüllt, sodass die RL vorrangig anzuwenden und der Beschwerde
stattzugeben sei.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
1.) Gesetzliche Bestimmungen:
A) nationales Recht:
Der Gesellschaftsteuer unterliegen nach § 2 Kapitalverkehrsteuergesetz vom 16. Oktober 1934 (KVG), DRGBl 1, S 1058 idgF., nach
Z 1. der Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft
durch den ersten Erwerber;
Z 2. Leistungen, die von Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft
aufgrund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt
werden (Beispiele: weitere Einzahlungen, Nachschüsse). …;
Z 3. freiwillige Leistungen eines Gesellschafters an eine inländische Kapitalgesellschaft,
wenn das Entgelt in der Gewährung erhöhter Gesellschaftsrechte besteht …;
Z 4. folgende freiwillige Leistungen eines Gesellschafters an eine inländische
Kapitalgesellschaft, wenn die Leistung geeignet ist, den Wert der
Gesellschaftsrechte zu erhöhen:
a) Zuschüsse
b) Verzicht auf Forderungen, …
Nach § 6 Abs. 1 Z 3 KVG sind von der Besteuerung ausgenommen:
der Erwerb von Gesellschaftsrechten oder deren Erhöhung, wenn und soweit auf die Kapitalgesellschaft
als Gegenleistung das gesamte Vermögen, ein Betrieb oder Teilbetrieb einer anderen
Kapitalgesellschaft übertragen wird.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 KVG ist beim Erwerb von Gesellschaftsrechten (§ 2 Z 1) die Steuer vom Wert der Gegenleistung
bzw. – ohne Gegenleistung – vom Wert der Gesellschaftsrechte zu berechnen.
Gem. § 7 Abs. 1 Z 2 KVG ist die Steuer bei Leistungen nach § 2 Z 2 bis 4 vom Wert der Leistung zu berechnen.
Die Steuer beträgt gem. § 8 KVG 1 % der Bemessungsgrundlage.
Nach § 22 Abs. 4 Umgründungssteuergesetz (UmgrStG), BGBl 1991/699 idgF., sind Einbringungen nach § 12 und dafür gewährte Gegenleistungen nach § 19 von den Kapitalverkehrsteuern und von den Gebühren nach § 33 TP 21 Gebührengesetz 1957 befreit, wenn das zu übertragende Vermögen am Tag des Abschlusses des Einbringungsvertrages länger als zwei Jahre als Vermögen des Einbringenden besteht.
B) Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (sogen. Kapitalansammlungsrichtlinie, im Folgenden kurz: Kapitalansammlungs-RL oder RL):
Nach dem der RL vorangestellten Erwägungsteil ist die Gesellschaftsteuer eine indirekte
Steuer, die den freien Kapitalverkehr behindert. Aufgrund der ungünstigen wirtschaftlichen
Auswirkungen sollen die diesbezüglichen Regelungen im Binnenmarkt harmonisiert werden;
die Abschaffung der Gesellschaftsteuer erscheine als beste Lösung.
Abweichend davon dürfen EU-Länder, welche die Gesellschaftsteuer bereits am 1. Januar
2006 erhoben haben, diese weiterhin, allerdings mit dem einheitlichen maximalen Satz
von 1 % und ausschließlich auf Kapitalzuführungen, erheben.
Gegenstand der RL sind nach Artikel I ua. Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften
und Umstrukturierungen von Kapitalgesellschaften.
In der RL wird erläutert, was unter Kapitalzuführungen zu verstehen ist (einschließlich
der Gründung einer Kapitalgesellschaft oder die Umwandlung einer Gesellschaft in eine
Kapitalgesellschaft oder Erhöhungen des Kapitals durch Einlagen oder durch die Umwandlung
von Gewinnen, Rücklagen oder Rückstellungen …) sowie unter Umstrukturierungen, zB Zusammenschlüsse durch Übertragung von Anteilen oder den Austausch von Anteilen.
Dazu ist in Artikel 4 der RL bestimmt:
" Umstrukturierungen
(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten die folgenden Umstrukturierungen nicht als Kapitalzuführungen:
a) Einbringung des gesamten Gesellschaftsvermögens einer oder mehrerer Kapitalgesellschaften oder eines oder mehrerer ihrer Teilbetriebe in eine oder mehrere Kapitalgesellschaften ….
b)
Erwerb von Anteilen, die eine Mehrheit der Stimmrechte einer anderen Kapitalgesellschaft
ausmachen, durch eine Kapitalgesellschaft, die gegründet wird oder bereits besteht,
sofern für die erworbenen Anteile zumindest teilweise das Kapital der übernehmenden Gesellschaft
repräsentierende Wertpapiere gewährt werden.
Wird die Mehrheit der Stimmrechte infolge mehrerer Vorgänge erreicht, so gelten nur
der Vorgang, durch den die Mehrheit der Stimmrechte erreicht wurde, und die darauf
folgenden Vorgänge als Umstrukturierungen."
Zufolge Artikel 5 Abs. 1 der RL haben die Mitgliedstaaten keine indirekten Steuern zu erheben ua. auf:
lit. a) Kapitalzuführungen und unter lit. e) auf die Umstrukturierungen gemäß Artikel
4.
Nach den Schlussbestimmungen der RL, Artikel 15, haben die Mitgliedstaaten die Artikel
3, 4, 5, 7, 8, 12, 13 und 14 bis zum 31. Dezember 2008 in innerstaatliches Recht umzusetzen, wobei in Abs. 13 des Erwägungsteiles noch festgehalten
wird:
"Diese Richtlinie sollte unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in Bezug
auf die Fristen zur Umsetzung der in Anhang II Teil B aufgeführten Richtlinien in
einzelstaatliches Recht und zu ihrer Anwendung gelten."
2.) Sachverhalt:
Im Gegenstandsfall ist an Sachverhalt davon auszugehen, dass die KapGes X-GmbH (Bf) im Zuge der vereinbarten Einbringung nach Artikel III UmgrStG auf den Stichtag 31.12.2014 durch Übernahme der Geschäftsanteile der drei Gesellschafter der KapGes Y-GmbH insgesamt die Stimmrechtsmehrheit, nämlich zusammen 99,9 % des Nennkapitals, an der Y-GmbH erlangt hat. Die Einbringung dieser Geschäftsanteile erfolgte gegen Gewährung neuer Anteile an der übernehmenden GmbH (Bf) aus der Erhöhung deren Stammkapitals um € 1.000. Von beiden Verfahrensparteien unbestritten liegt damit ein sogen. "Anteilstausch" vor.
Weiters steht unstrittig fest, dass die eingebrachten Anteile bzw. das eingebrachte Vermögen den Einbringenden als Gesellschaftern der Y-GmbH zufolge des vorangehenden Abtretungs- und Einbringungsvertrages mit Wirkung zum 28.11.2014 zuzurechnen war und gegenständlicher Einbringungsvertrag am 9.7.2015 abgeschlossen wurde, sohin das eingebrachte/zu übertragende Vermögen am Tag des Abschlusses des Einbringungsvertrages nicht länger als zwei Jahre als Vermögen der Einbringenden bestanden hatte.
3.) Rechtliche Würdigung:
Durch vorbezeichneten Sachverhalt, nämlich den Austausch von Kapitalanteilen, wurde
unstrittig der Tatbestand einer Umstrukturierung in Form eines "Anteilstausches" iSd
Artikel 4 Abs. 1 lit b der RL verwirklicht, da die Bf als übernehmende Kapitalgesellschaft
mit dem Anteilserwerb auch die Stimmrechtsmehrheit an der einbringenden GmbH erworben
und im Gegenzug "zumindest teilweise" Anteile aus einer bei ihr stattfindenden Kapitalerhöhung
gewährt hat.
Zugleich ist davon auszugehen, dass die nach innerstaatlichem Recht in § 22 Abs. 4
UmgrStG normierte zusätzliche Voraussetzung für die Befreiung von den Kapitalverkehrsteuern
(der Gesellschaftsteuer) in Zusammenhalt mit einer Einbringung, nämlich die zweijährige Behaltefrist hinsichtlich des Vermögens des Einbringenden, hier definitiv nicht erfüllt wurde.
In Streit gezogen ist somit allein die Frage, ob deshalb, weil – wie eingewendet – die EU-Richtlinie nicht fristgerecht vollständig und damit mangelhaft in Österreich umgesetzt worden sei, auf vorliegenden Sachverhalt die RL-Bestimmungen dennoch unmittelbar anwendbar sind und ihnen Vorrang vor nationalem Recht zukommt.
A) Nationale Rechtslage:
Der Vorgang des Anteilstausches mit dem Hauptanwendungsfall der Einbringung von Kapitalanteilen
iSd Artikel III UmgrStG ist grundsätzlich nach dem KVG steuerpflichtig.
Wenn im Rahmen des Anteilstausches zB als Gegenleistung neue Anteile an den Einbringenden
ausgegeben werden, wird der Tatbestand des Ersterwerbs von Gesellschaftsrechten nach
§ 2 Z 1 KVG erfüllt.
Für diesen gesellschaftsteuerbaren Vorgang sind sowohl in § 6 Abs. 1 Z 3 KVG als auch in § 22 Abs. 4 UmgrStG Befreiungen vorgesehen. Diese Bestimmungen bestehen nebeneinander und sind voneinander unabhängig anwendbar, wobei deren Anwendbarkeit an verschiedene Voraussetzungen knüpft. Die Feststellung einer Vorrangigkeit aufgrund des "lex-specialis"-Prinzips ist nicht notwendig, da die jeweils günstigere Regelung Anwendung findet (siehe Thunshirn/Himmelsberger/Hohenecker, KVG, Rz 578 zu § 6).
Eine Übertragung einer Beteiligung ist allerdings nach § 6 Abs. 1 Z 3 KVG nur dann
befreit, wenn es sich bei dieser Beteiligung um das gesamte Vermögen der übertragenden Kapitalgesellschaft handelt. Darüber hinaus ist die Anwendbarkeit
dieser Befreiung auf Fälle begrenzt, in denen keine baren Zuzahlungen von mehr als
10 % des Nennwerts der Gesellschaftsrechte von der übernehmenden Gesellschaft geleistet
werden. Da aufgrund dieser kumulativen Voraussetzungen der betr. Anwendungsbereich sehr
eng ist, kann § 6 Abs. 1 Z 3 KVG allein keine unionsrechtskonforme Umsetzung der Anforderungen
des
Art. 4 Abs. 1 lit b Kapitalansammlungs-RL bewirken.
Es bleibt daher zu prüfen, ob für Fälle der Einbringung iSd Art III UmgrStG die Regelung des § 22 Abs. 4 UmgrStG eine Befreiung des Anteilstausches von der Gesellschaftsteuer gewährleisten kann, die den Anforderungen der RL gerecht wird:
Sind zwar die allgemeinen Anwendungsvoraussetzungen des Art III UmgrStG erfüllt, kann
die Anwendbarkeit der Befreiungsbestimmung nach § 22 Abs. 4 UmgrStG aber an der dort
normierten speziellen Anforderung scheitern, dass nämlich das übertragene Vermögen am Tag des Abschlusses des Einbringungsvertrages
länger als zwei Jahre als Vermögen des Einbringenden bestanden haben muss. Diese Mindestbestandsdauer
ist ein offenkundiger Umsetzungsfehler des österreichischen Gesetzgebers, da die Kapitalansammlungs-RL eine derartige Anforderung
nicht kennt (vgl. Thunshirn/Himmelsberger/Hohenecker, aaO, Rz 615 zu § 6).
Diese Zweijahresfrist ist selbst unter Beachtung etwaiger Ziele der Missbrauchsvermeidung,
wozu den Mitgliedstaaten zum Zwecke der Vermeidung von Steuerumgehungen die Normierung
von bestimmten Fristen an sich zugestanden wird, als überschießend und damit als nicht unionsrechtskonform zu erachten (vgl. EuGH 7.6.2007, C-178/05).
Eine derartige, den Anwendungsbereich der Befreiung einengende Bedingung ist der Bestimmung
des Art. 4 Abs. 1 lit b der Kapitalansammlungs-RL fremd.
B) Unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinienbestimmung ?
Die Umsetzung des Art. 4 Abs. 1 lit b iVm Art. 5 Abs. 1 lit e der Kapitalansammlungs-RL in Österreich ist somit mangelhaft (vgl. Knörzer/Althuber, GesSt, 2. Aufl., Rz 89 zu § 6).
Nach herrschender Auffassung und ständiger EuGH-Rechtsprechung ist Unionsrecht grundsätzlich unmittelbar anwendbar und genießt Vorrang vor nationalem Recht (ua. Laudacher in UFS-journal 2010, 168 ff.).
Richtlinien, wie auch die Kapitalansammlungs-RL, sind zwar grundsätzlich von dieser unmittelbaren Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten (MS) ausgenommen. Die MS sind jedoch nach Art. 288 AEUV verpflichtet, Richtlinien in nationales Recht umzusetzen. Sie sind dabei in der Wahl der Form und der Mittel frei, es muss jedoch das Erreichen des Ziels der RL und ihre praktische Wirksamkeit ermöglicht werden.
Wurde daher eine RL von einem Mitgliedstaat nicht oder nur mangelhaft umgesetzt, kann
sich ein Steuerpflichtiger dennoch unmittelbar auf die Bestimmungen der RL berufen,
wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Ein MS, der Umsetzungsbestimmungen zu einer RL nicht fristgemäß erlassen hat, kann
nämlich den Steuerpflichtigen nicht zu seinen Gunsten entgegenhalten, dass er die aus der
RL erwachsenen Verpflichtungen nicht erfüllt hat.
Ein Anwendungsvorrang ist von allen nationalen Gerichten und Verwaltungsbehörden wahrzunehmen.
Es ist vorrangig vor der unmittelbaren Anwendung der RL zwar die Möglichkeit einer
richtlinienkonformen Interpretation des nationalen Rechts zu prüfen. Fehlt es jedoch
an einer nationalen Umsetzungsbestimmung zur RL oder ist eine solche wie im gegenständlichen
Fall mangelhaft, so wird eine richtlinienkonforme Interpretation in der Regel ausscheiden (siehe Laudacher, UFS-journal 2010, 168).
Besonders eine Beschränkung wie in § 22 Abs. 4 UmgrStG in Form der Zweijahresbestandsfrist
ist einer richtlinienkonformen Interpretation nicht zugänglich.
Für die unmittelbare Anwendbarkeit einer RL-Bestimmung bedarf es nach der EuGH-RSpr
(zB EuGH 19.1.1982, Rs 8/81, Becker, Rn 25) folgender vier Voraussetzungen:
Die Umsetzung in nationales Recht ist mangelhaft;
die Umsetzungsfrist ist bereits abgelaufen;
die fragliche Bestimmung ist hinreichend genau bestimmt;
die fragliche Bestimmung begünstigt den Einzelnen gegenüber dem Staat.
Die ersten beiden Voraussetzungen – mangelhafte Umsetzung und nicht fristgerechte
Umsetzung bis 1.1.2009 – sind, wie oben dargelegt, hier jedenfalls erfüllt.
Ebenso ist die Voraussetzung der Begünstigung des Steuerpflichtigen zu Lasten des
Staates gegeben, da nach Art. 4 Abs. 1 lit b iVm Art. 5 Abs. 1 lit e Kapitalansammlungs-RL
auf den Umstrukturierungsvorgang des Anteilstausches keine Gesellschaftsteuer, dies
zugunsten des Steuerpflichtigen, erhoben werden darf.
Für die Voraussetzung der "hinreichenden Bestimmtheit" der RL-Bestimmung muss diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sein. Sie ist "unbedingt", wenn sie "eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf". Die Bestimmung gilt als "hinreichend genau", wenn sie "in eindeutigen Worten eine Verpflichtung festlegt."
Die fraglichen RL-Bestimmungen nach Art. 4 Abs. 1 lit b sowie nach Art. 5 Abs. 1 lit
e Kapitalansammlungs-RL legen eindeutig und ohne weitere Bedingungen die Verpflichtung
fest, dass ein Anteilstausch, der den Kriterien des Art. 4 Abs. 1 lit b entspricht,
keiner Gesellschaftsteuer unterworfen werden darf.
Die Formulierung der "zumindest teilweise in Form von Anteilen zu erfolgenden Gegenleistung"
genügt insofern der hinreichenden Bestimmtheit und steht damit ebensowenig der unmittelbaren
Anwendung der RL entgegen, als der EuGH einen großzügigen Maßstab zur Beurteilung
des Kriteriums der "inhaltlichen Bestimmtheit" anwendet (vgl. Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht, 4. Aufl., 70;
siehe zu vor: Blum/Spies in GES 2012, S. 456 ff. mit einer Vielzahl an weiteren Judikatur- und Literaturverweisen).
4.) Ergebnis:
Da aufgrund der mangelhaften Umsetzung der betr. RL-Bestimmungen in nationales Recht eine richtlinienkonforme Interpretation nicht in Betracht kommt, gelten in der Folge – entgegen dem Dafürhalten des Finanzamtes – NICHT zwangsläufig die (innerstaatlichen) Bestimmungen des UmgrStG unter Beachtung der zweijährigen Behaltefrist gem. § 22 Abs. 4 UmgrStG. Dem Steuerpflichtigen kann keinesfalls entgegengehalten werden, dass die aus der RL erwachsene Umsetzungsverpflichtung nicht – etwa nicht fristgerecht oder bloß mangelhaft - erfüllt wurde.
Vielmehr ist der Anwendungsvorrang der RL-Bestimmungen nach Art. 4 Abs. 1 lit b iVm Art. 5 Abs. 1 lit e der Kapitalansammlungs-RL deshalb gegeben, weil – wie oben aufgezeigt – sämtliche diesbezüglich geforderten vier Voraussetzungen erfüllt sind.
Aus diesem Grund ist die Kapitalansammlungs-RL unmittelbar anzuwenden und auf gegenständlichen Umstrukturierungsvorgang des Anteilstausches keine Gesellschaftsteuer zu erheben.
Der Beschwerde war daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Zur Frage der erforderlichen Voraussetzungen für die unmittelbare Anwendung einer EU-Richtlinie infolge mangelhafter und nicht fristgerechter Umsetzung durch einen Mitgliedstaat liegt obbezeichnete EuGH-Judikatur samt einer Vielzahl von bezughabendem Schrifttum vor, sodass eine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" nicht zu lösen war. Eine Revision ist daher nicht zulässig.
Innsbruck, am 18. Juli 2017
Zusatzinformationen
in Findok veröffentlicht am: | 08.08.2017 |
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Systemdaten: | Findok-Nr: 115554.1 aufgenommen am: 08.08.2017 14:12:59 zuletzt geändert am: 03.05.2018 Dokument-ID: 2b1649e6-30cb-427c-bf04-7bf75af44c73 Segment-ID: 72fc2732-cafd-4a71-a5f5-40dca7e7feb8 |
