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Rechtssätze
Stammrechtssätze
Zusatzinformationen
- betroffene Normen:
- Schlagworte:
- Einvernahme, Übersetzer, Beförderungsmittel, normaler Wohnsitz
Entscheidungstext
Der Unabhängige
Finanzsenat hat über die Beschwerde des Bf., vertreten durch Mag. Dr.
Géza Simonfay, Rechtsanwalt, 1070 Wien, Neustiftgasse 3/6, vom
21. August 2003 gegen die Berufungsvorentscheidung des Hauptzollamtes Wien
vom 28. Juli 2003, Zl. 100/40797/2003, betreffend Eingangsabgaben
entschieden:
Der Beschwerde
wird Folge gegeben.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom 10. April 2003, Zl.
100/90.523/2003-Str.I/Ref.1, setzte das Hauptzollamt Wien gegenüber Herrn
Bf. , (Bf.) für den PKW Opel Astra, Fahrgestell-Nr. W., die Zollschuld in
der Höhe von € 2.912,00 (€ 910,00 an Zoll und €
2.002,00 an Einfuhrumsatzsteuer) fest. Die Zollschuld für das genannte
Fahrzeug sei im Juli 2002 gemäß Artikel 203 Abs. 1 und Abs. 3 erster
Anstrich Zollkodex (ZK), iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG durch Entziehen aus der
zollamtlichen Überwachung entstanden. Zusätzlich schrieb das
Hauptzollamt Wien mit dem erwähnten Bescheid dem Bf. im Grund des §
108 Abs. 1 ZollR-DG eine Abgabenerhöhung in der Höhe von
€ 116,77 zur Entrichtung vor.
Gegen diesen Sammelbescheid erhob der Bf. mit der Eingabe
vom 24. April 2003 (irrtümlich datiert mit 24. Mai 2003), ergänzt mit
dem Schreiben vom 30. April 2003 den Rechtsbehelf der Berufung.
Diese Berufung wies das Hauptzollamt Wien mit Bescheid vom
28.Juli 2003, Zl. 100/40797/2003, als unbegründet ab.
Gegen diese Berufungsvorentscheidung richtet sich die
vorliegende form- und fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 21. August
2003.
Über
die Beschwerde wurde erwogen:
Die vorübergehende Verwendung mit vollständiger
Befreiung von den Einfuhrabgaben wird gemäß Artikel 558 Abs. 1
ZK-DVO u.a. für im Straßen-, Schienen- oder Luftverkehr und in der
See- und Binnenschifffahrt eingesetzte Beförderungsmittel bewilligt,
die
a) außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft auf den
Namen einer außerhalb dieses Gebiets ansässigen Person amtlich
zugelassen sind; in Ermangelung einer amtlichen Zulassung gilt diese
Voraussetzung als erfüllt, wenn die betreffenden Fahrzeuge einer
außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft ansässigen Person
gehören;
b) unbeschadet der Artikel 559, 560 und 561 von einer
außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft ansässigen Person
verwendet werden.
Dem vorliegenden Abgabenverfahren liegt folgender
Sachverhalt zu Grunde:
Der Bf. war in erster Ehe mit Frau A. verheiratet. Diese
Ehe wurde 1990 geschieden. Seit 1997 ist er mit K. verheiratet. Sowohl der Bf.
als auch die beiden genannten Frauen stammen ursprünglich aus
Ungarn.
Am 27. März 2003 unterzogen Organe der
Zollwachabteilung Wien/MÜG den Bf. als Lenker des
verfahrensgegenständlichen Pkws einer Zollkontrolle. Aus der
Sachverhaltsdarstellung in der im Rahmen dieser Amtshandlung mit dem Bf.
aufgenommenen Tatbeschreibung geht u.a. hervor, dass dieser zusammen mit seiner
Gattin seit 1998 in Österreich im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Das
verfahrensgegenständliche in Ungarn zugelassene Fahrzeug habe der Bf.
erstmals im Juli 2002 von Ungarn nach Österreich gebracht.
Die Abgabenvorschreibung stützt sich
ausschließlich auf die Angaben in dieser Tatbeschreibung, deren
Richtigkeit vom Bf. entschieden in Abrede gestellt wird. Es ist daher zu
prüfen, ob diese Niederschrift für sich alleine geeignet ist, ein
zollschuldbegründendes Handeln des Bf. unter Beweis zu
stellen:
In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf
hinzuweisen, dass der Bf. (wie unten noch näher auszuführen sein wird)
offensichtlich über sehr schlechte Deutschkenntnisse verfügt und die
erwähnte erste Einvernahme ohne Beiziehung eines Dolmetschers stattgefunden
hat. Weiters fällt auf, dass der Umstand, dass das Ehepaar damals neben der
Wohnung in Wien auch über ein Eigenheim in Ungarn verfügte, mit keinem
Wort Eingang in die Sachverhaltsdarstellungen gefunden hat. Schließlich
fehlen auch konkrete Angaben darüber, wer bei der angeblich ersten Einreise
im Juli 2002 als Verwender (Verfahrensinhaber) aufgetreten sein soll bzw. wer
das Fahrzeug damals gelenkt haben könnte.
Der Bf. hat unmittelbar nach Erhalt des o.a.
erstinstanzlichen Bescheides darauf hingewiesen, dass er nicht gut Deutsch
spreche und um eine nochmalige Einvernahme mit Dolmetscher ersucht. Diesem
Begehren ist das Hauptzollamt Wien weder gefolgt noch ist es darauf in der
Begründung der oben erwähnten Berufungsvorentscheidung eingegangen. Im
Zuge der ergänzenden Einvernahme des Bf. durch den Unabhängigen
Finanzsenat am 10. August 2005 kam hervor, dass eine gezielte Befragung in
deutscher Sprache nicht möglich war und die Vernehmung daher nur unter
Beiziehung eines Übersetzers durchgeführt werden konnte.
Auch die geschiedene Ehegattin des Bf., die übrigens
- obwohl sie in Österreich wohnt - ebenfalls kaum der deutschen
Sprache mächtig ist, bestätigte anlässlich ihrer
zeugenschaftlichen Einvernahme am 8. September 2005, dass ihr Exmann nur sehr
schlecht Deutsch spricht.
Der Unabhängige Finanzsenat hält es für
ausgeschlossen, dass das einschreitende Zollorgan den Bf. anlässlich der
erwähnten Einvernahme nicht genau nach einem allfälligen im Drittland
gelegenen Wohnsitz gefragt hat, zumal der Klärung der Wohnsitzfrage
entscheidungsmaßgebliche Bedeutung bei der Beurteilung der
Zulässigkeit des Verfahrens der vorübergehenden Verwendung zukommt.
Dass der Bf. damals über einen Wohnsitz im Drittland verfügt hat,
hält der Unabhängige Finanzsenat als erwiesen (siehe unten). Die
Tatsache, dass dieser in Ungarn gelegenen Wohnsitz des Bf. trotz der
erwähnten abgabenrechtlichen Relevanz mit keinem Wort in der Niederschrift
erwähnt wurde, ist daher als weiteres Indiz dafür zu werten, dass der
Bf. mangels ausreichender Sprachkenntnisse nicht in der Lage war, die an ihn
gerichteten Fragen genau zu verstehen bzw. diese vollständig und den
tatsächlichen Verhältnissen entsprechend zu beantworten.
Alleine aus diesem Grund kann der Inhalt der Niederschrift
nicht als ausschließliche Grundlage für die abgabenrechtliche
Würdigung herangezogen werden.
Der Bf. bringt in der Beschwerde vor, dass seine Gattin in
Ungarn ansässig sei, wo sie von ihren Kindern, besonders nach einem
Herzinfarkt, regelmäßig gepflegt werde. Auch er befinde sich mehr als
die Hälfte des Jahres mit seiner Gattin in Ungarn. Die beiden befänden
sich zwar fallweise auch gemeinsam in Österreich, der Lebensmittelpunkt sei
jedoch eindeutig in Ungarn gelegen, wo seine Gattin ihren gewöhnlichen
Aufenthalt, ihre medizinische Versorgung und ihre Familie habe.
Im Rahmen der Einvernahme vor dem Unabhängigen
Finanzsenat ergänzte der Bf., dass es sich bei dem erwähnten Wohnsitz
in Ungarn um ein Eigenheim in H. handle, welches ausschließlich von ihm
und seiner Gattin bewohnt werde. Dass dieser Wohnsitz tatsächlich besteht,
erachtet der Unabhängige Finanzsenat angesichts der entsprechenden Angaben
der geschiedenen Gattin des Bf. als gesichert. Die Existenz dieses Wohnsitzes
ist auch insofern erwiesen, als das verfahrensgegenständliche Fahrzeug auf
den Namen der nunmehrigen Gattin des Bf. auf eben diese Adresse zugelassen
ist.
Im Gegensatz zum Hauptzollamt Wien, das bei der
abgabenrechtlichen Würdigung auf Grund der zumindest unvollständigen
Feststellungen in der erwähnten Niederschrift von nur einem Wohnsitz
ausgehen musste, erachtet es der Unabhängige Finanzsenat als erwiesen, dass
der Bf. damals über zwei Wohnsitze verfügte, wobei einer in
Österreich und ein weiterer in Ungarn (und somit aus damaliger Sicht, wie
in Artikel 558 Absatz 1 Buchstabe a ZK-DVO gefordert, außerhalb des
Zollgebiets der Gemeinschaft) gelegen war. Es erhebt sich nun die Frage, welcher
dieser beiden Wohnsitze als normaler Wohnsitz anzusehen ist.
Gemäß
§ 4 Abs. 1 Ziffer 8 ZollR-DG bedeutet
im Zollrecht "normaler Wohnsitz" oder "gewöhnlicher Wohnsitz" jenen
Wohnsitz einer natürlichen Person, an dem diese wegen persönlicher und
beruflicher Bindungen oder - im Falle einer Person ohne berufliche
Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen
zwischen der Person und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, das
heißt während mindesten 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt. Jedoch gilt
als gewöhnlicher Wohnsitz einer Person, deren berufliche Bindungen an einem
anderen Ort als dem ihrer persönlichen Bindungen liegen und die daher
veranlasst ist, sich abwechselnd an verschiedenen Orten innerhalb und
außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft aufzuhalten, der Ort ihrer
persönlichen Bindungen, sofern sie regelmäßig dorthin
zurückkehrt. Die letztere Voraussetzung entfällt, wenn sich die Person
im Zollgebiet der Gemeinschaft zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter
Dauer aufhält. Der Universitäts- und Schulbesuch hat keine Verlegung
des gewöhnlichen Wohnsitzes zur Folge.
Sowohl der Bf. als auch seine Gattin befanden sich zu dem
vom Hauptzollamt Wien als Zollschuldentstehungszeitpunkt erachteten Zeitraum
(Juli 2002) in Ruhestand. Das Kriterium der beruflichen Bindungen spielt daher
bei der Frage nach dem normalen Wohnsitz des Bf. zu diesem Zeitpunkt keine
Rolle. Für die Beurteilung der Wohnsitzfrage sind somit die
persönlichen Bindungen maßgebend, die enge Beziehungen zwischen dem
Bf. und jenem Wohnsitz erkennen lassen, an dem er überwiegend wohnhaft war.
Nach den Angaben des Bf. sind sowohl seine Gattin als auch
er selbst überwiegend in Ungarn wohnhaft. Im Jänner 2002 erlitt die
Gattin des Bf. einen Herzinfarkt und wurde in der Folge von ihren Kindern in
Ungarn betreut. Angesichts dieser Umstände ist es durchaus
glaubwürdig, dass sich auch der Bf. bei seiner Gattin in Ungarn aufgehalten
hat, wo sich deren medizinische Versorgung und deren Familie befunden
haben.
Den diesbezüglichen Aussagen des Bf. ist insofern eine
hohe Glaubwürdigkeit zuzumessen, als sie von seiner Exgattin im
Wesentlichen bestätigt werden, welche (auszugsweise) lauten: "... meiner
Meinung nach hält er sich überwiegend in Ungarn auf, wo er ein eigenes
Haus besitzt ...". Im Hinblick auf die Tatsache, dass sich das ehemalige Ehepaar
nach der Scheidung jahrelang in Rechtsstreit befunden und jeden Kontakt
zueinander abgebrochen hat, ist auch nicht anzunehmen, dass es sich bei diesen
Angaben der Exgattin um Gefälligkeitsaussagen handeln
könnte.
Der im Schreiben des Zollamtes Wien vom 29. September 2005
geäußerten Ansicht, wonach trotz der Ergebnisse der Einvernahmen vom
10. August 2005 und vom 8. September 2005 weiterhin davon auszugehen sei, dass
der normale Wohnsitz des Bf. damals in Österreich gelegen sei, vermag sich
der UFS nicht anzuschließen, zumal sich das Zollamt dabei wiederum
ausschließlich auf die Angaben in der o.a. ersten Einvernahme beruft,
welche angesichts der oben dargelegten Gründen als alleinige Grundlage
für eine abgabenrechtliche Würdigung ungeeignet sind.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich das damals
einschreitende Zollorgan laut eigenen Angaben nicht mehr an Einzelheiten der
Amtshandlung vom 27. März 2003 erinnern kann und daher auch nicht in der
Lage ist, über Details betreffend die vorgebrachten Sprachschwierigkeiten
und über das in Ungarn gelegene Eigenheim des Bf. Auskünfte zu
erteilen.
Angesichts der im Vergleich zu Österreich
günstigen Lebenshaltungskosten in Ungarn, der dort bestehenden
medizinischen Versorgung seiner Gattin und nicht zuletzt auch des vor Ort
vorhandenen Freundeskreises mit Menschen gleicher Muttersprache erachtet es der
Unabhängige Finanzsenat als mit den Erfahrungen des täglichen Lebens
durchaus in Einklang stehend, dass ein Pensionistenehepaar, welches über
zwei Wohnsitze verfügt, eher die Vorzüge der Benützung eines
Eigenheims in Anspruch nimmt, als überwiegend in einer kleinen
Großstadtwohnung zu leben.
In Anbetracht dieser Umstände kommt der
Unabhängige Finanzsenat zum Schluss, dass sich der normale Wohnsitz des Bf.
spätestens ab Jänner 2002 (das ist jener Zeitpunkt, zu dem er in
Pension ging und seine Frau einer erhöhten medizinischen Betreuung in
Ungarn bedurfte) in Ungarn (und somit aus damaliger Sicht im Drittland) befunden
hat. Er erfüllte daher damals alle in Artikel 558 Abs. 1 Buchstaben a
und b ZK-DVO normierten Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Verfahrens
der vorübergehenden Verwendung mit vollständiger Befreiung von den
Einfuhrabgaben für im Straßenverkehr eingesetzte
Beförderungsmittel.
Alleine diese für das Schicksal der vorliegenden
Entscheidung wesentliche Feststellung führt dazu, dass der Beschwerde
stattzugeben ist, zumal damit der dem vorliegenden Abgabenverfahren
inhärenten Annahme der Boden entzogen wird, wonach der Bf. im Juli 2002
seinen normalen Wohnsitz im Zollgebiet der Gemeinschaft gehabt habe und somit
nicht zur Inanspruchnahme des Verfahrens der vorübergehenden Verwendung
berechtigt gewesen sei. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Festsetzung einer Zollschuld liegen daher im Anlassfall nicht vor.
Das Eingehen auf die weiteren Beschwerdepunkte
erübrigt sich daher ebenso wie die Klärung der Frage, ob bei dem von
der Abgabenbehörde erster Instanz angenommenen Sachverhalt die Zollschuld
nach Artikel 203 oder nach Artikel 202 ZK (siehe VwGH vom 11. November 2004, Zl.
2004/16/01110) entsteht.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Wien, am 27.
Oktober 2005