Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis des BFG vom 14.06.2019, RV/4100572/2015

Großes Pendlerpauschale - Zumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel

Rechtssätze

Stammrechtssätze

RV/4100572/2015-RS1 Permalink
Die Berechnung der Wegzeiten hat einzig und alleine an Hand objektiver Verhältnisse zu erfolgen; persönliche Umstände (hier: Kinder in die Schule bringen) haben dabei außer Betracht zu bleiben.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin XY in der Beschwerdesache A, über die Beschwerde vom 26.03.2014 gegen den Bescheid der belangten Behörde B vom 27.03.2014, betreffend Einkommensteuer 2013 (Arbeitnehmerveranlagung) zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (in der Folge kurz: Bf.) reichte am 26.03.2014 ihre Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2013 elektronisch bei der belangten Behörde ein und wurde antragsgemäß veranlagt. Der Einkommensteuerbescheid 2013, datierend mit 27.03.2014, führte zu einer Gutschrift in Höhe von € 446,00.

Mit via FinanzOnline übermitteltem Schreiben vom 26.03.2014 begehrte die Bf. zusätzlich das große Pendlerpauschale für den Zeitraum 11.04.-25.10.2013 und brachte dazu im Wesentlichen vor, dass ihr aufgrund der Arbeitszeiten die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels für die Entfernung von 6 km nicht möglich sei. Die belangte Behörde wertete dieses Schreiben als Beschwerde und wies diese mit Beschwerdevorentscheidung vom 23.06.2014 mit der Begründung ab, dass die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gegeben sei.

Mit dem gegen diese Entscheidung am 30.06.2014 eingebrachten Antrag, begehrte die Bf. die Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und führte darin ergänzend aus, dass sie 2 Kinder habe, die sie vor der Arbeit zur Schule bringen müsse; ihr seien auch keine Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln bekannt; schließlich müsse sie die Kinder selber fahren.

Im Vorlagebericht der belangten Behörde vom 13.07.2015 wird unter Hinweis auf bestehende, zumutbare Verkehrsverbindungen die Abweisung der Beschwerde beantragt. In einem legte die belangte Behörde das, das Pendlerpauschale und den Pendlereuro ab 01.01.2014 betreffende, von der Bf. ausgefüllte Formular L34 EDV, sowie eine Arbeitszeitbestätigung der C vom 13.05.2014 bzw. 24.06.2015 vor.

II. Sachverhalt

Die in D wohnhafte Bf. war im Streitjahr 2013 in der Zeit vom 11.04.-25.10.2013 nichtselbständig als Arbeiterin bei der E vollzeitbeschäftigt.

Ihre Arbeitszeiten variierten - je nach Gästeanzahl bzw. an An- und Abreisetagen - beginnend zwischen ca. 7:00 bis 9:30 Uhr und endend am Nachmittag. 

Die Entfernung zwischen dem Wohnort und der Arbeitsstätte der Bf. beträgt ca. 5,5 km. Für die Zurücklegung ihres Arbeitsweges standen ihr ua folgende öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung und ergeben sich aus deren Benützung im Jahr 2013 folgende Wegzeiten:

A) Wohnung-Arbeitsstätte:

Von AnachB (Bushaltestelle), 300m: Fußweg 4 Minuten

Bus BnachC: Abfahrt: 06:31 Ankunft: 06.36, Fahrtdauer: 5 Minuten

Bus CnachD: Abfahrt: 06:42 Ankunft: 06:45, Fahrtdauer: 3 Minuten

vonDnachE: 170 m: Fußweg 2 Minuten

Gesamtzeit: 20 Minuten

 

B) Arbeitsstätte-Wohnung:

Variante 1: Von AnachB 170 m: Fußweg 2 Minuten

Bus BnachC Abfahrt: 14:23 Ankunft: 14:28, Fahrtdauer: 5 Minuten

Bus CnachD: Abfahrt: 15:13 Ankunft: 15:18, Fahrtdauer: 5 Minuten

Von DnachE: 300m: Fußweg 4 Minuten

Gesamtzeit: 61 Minuten

 

Variante 2: Von AnachB: 170 m: Fußweg 2 Minuten

Bus BnachC Abfahrt: 17:08 Ankunft: 17:13, Fahrtdauer: 5 Minuten

Bus CnachD: Abfahrt: 18:13 Ankunft: 18:18, Fahrtdauer: 5 Minuten

Von DnachE: 300m: Fußweg 4 Minuten

Gesamtzeit: 76 Minuten

III. Beweiswürdigung

Der vorstehende Sachverhalt ergibt sich einerseits aus dem Verfahrensakt, insbesondere der Bestätigung des Dienstgebers der Beschwerdeführerin vom 13.05.2014/24.06.2015 und andererseits aus den Fahrplänen des auf der Strecke zwischen der Wohnung der Bf. und deren Arbeitsplatz verkehrenden öffentlichen Verkehrsmitteln (ÖBB-Postbus GmbH), sowie den vom erkennenden Gericht durchgeführten Distanzabfragen auf "google-maps".

Den von der belangten Behörde offenbar herangezogenen Fahrplanauskünften der Österreichischen Bundesbahnen konnte hingegen nicht gefolgt werden, zumal diese als Abfahrts- bzw. Ankunftsort das F beinhalten, folglich eine Örtlichkeit die ca. 5,7 km von der Arbeitsstätte der Bf. entfernt liegt. Sowohl aus der übermittelten Zeitbestätigung der C vom 13.05.2014/24.06.2015, der Homepage dieses Betriebes als auch der vom Gericht durchgeführten Adressabfrage in "google-maps", ergibt sich, dass sich die Arbeitsstätte der Bf. an der im Sachverhalt festgestellten Adresse befand.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Eingangs ist festzuhalten, dass die belangte Behörde zu Recht das Schreiben vom 26.03.2014 als Beschwerde für den erst am nächsten Tag erlassenen, nunmehr angefochtenen Bescheid qualifiziert hat; dies resultiert aus dem klaren Wortlaut des § 260 Abs. 2 BAO, wonach eine Beschwerde nicht deshalb als unzulässig zurückzuweisen ist, weil sie vor Beginn der Beschwerdefrist eingebracht wurde.

Zwischen den Parteien ist einzig strittig, ob die Versagung des sog. "großen Pendlerpauschales" durch die belangte Behörde rechtens war.

Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Nach Z 6 dieser Gesetzesstelle zählen Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den Werbungskosten. Für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt jedoch, dass diese grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag gemäß § 33 Abs. 5 Z 1 EStG 1988 abgegolten sind. Ist jedoch dem Arbeitnehmer die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Entfernung nicht zumutbar, werden die im Gesetz angeführten Pauschalbeträge berücksichtigt (§ 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG 1988).

Intention des Gesetzgebers des EStG 1988 war es, durch Neuregelung der Absetzbarkeit von Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte den bis dahin steuerlich begünstigten, aus umweltpolitischer Sicht aber unerwünschten Individualverkehr einzudämmen und die Bevölkerung zum Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen. Nur wenn die Benützung eines Massenbeförderungsmittels nicht möglich oder nicht zumutbar ist, können im Wege der Pauschalbeträge Kosten des Individualverkehrs geltend gemacht werden (VwGH 25.04.2014, 2012/15/0149; 16.07.1996, 96/14/0002, 0003). Vor diesem Hintergrund wurde § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 geschaffen und ist diese Bestimmung daher so zu verstehen und auszulegen.

Der Begriff der "Unzumutbarkeit" im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist im Gesetz nicht definiert. Eine solche ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn Massenbeförderungsmittel für Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte entweder gar nicht oder nicht zu den erforderlichen Zeiten zur Verfügung stehen (so etwa auch VwGH 28.10.2008, 2006/15/0319). Hinsichtlich des unbestimmten Gesetztesbegriffes der "Unzumutbarkeit" ist den Gesetzesmaterialien zu § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 Folgendes zu entnehmen (621 BlgNR XVII. GP, 75): "Unzumutbar sind im Vergleich zu einem Kfz jedenfalls mehr als dreimal so lange Fahrzeiten (unter Einschluss von Wartezeiten während der Fahrt bzw. bis zum Arbeitsbeginn) mit den Massenbeförderungsmitteln als mit dem eigenen Kfz; im Nahbereich von 25 km ist die Benützung des Massenbeförderungsmittels entsprechend den Erfahrungswerten über die durchschnittliche Fahrdauer aber auch dann zumutbar, wenn die Gesamtfahrzeit für die einfache Fahrtstrecke nicht mehr als 90 Minuten beträgt. Kann auf mehr als der halben Strecke ein Massenbeförderungsmittel benützt werden, dann ist die für die Zumutbarkeit maßgebliche Fahrtdauer aus der Gesamtfahrzeit (Kfz und Massenbeförderungsmittel) zu errechnen."

Unzumutbar sind auch nach der Judikatur im Vergleich zu einem Kfz jedenfalls mehr als dreimal so lange Fahrzeiten (unter Einschluss von Wartezeiten während der Fahrt bzw. bis zum Arbeitsbeginn) mit den Massenbeförderungsmitteln als mit dem eigenen Kfz. Im Nahbereich von 25 km ist nach den Gesetzesmaterialien aber insofern eine abweichende Betrachtung geboten, als die Benützung des Massenbeförderungsmittels generell zumutbar ist, wenn die Gesamtfahrzeit für die einfache Fahrtstrecke nicht mehr als 90 Minuten beträgt (so auch VwGH 24.9.2008, 2006/15/0001; VwGH 28.10.2008, 2006/15/0319; VwGH 4.2.2009, 2007/15/0053; VwGH 25.4.2014, 2012/15/0149).

Die ausdrückliche Nennung einer Zumutbarkeitsgrenze von 90 Minuten für den Nahbereich von 25 Kilometern dient der Vermeidung einer nicht gewollten, unsachlichen Bevorzugung von Entfernungen bis 25 Kilometern. Dies macht der Verweis auf die Erfahrungswerte über die durchschnittliche Fahrdauer deutlich. Ohne diese Klarstellung würde etwa bereits eine Fahrzeit von 35 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Vergleich zu einer Pkw-Fahrt von 10 Minuten einen Anspruch auf das "große Pendlerpauschale" vermitteln. Dass damit der Nahbereich in unsachlicher Weise bevorzugt wäre, liegt auf der Hand. Mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Maßgeblichkeit der allgemein geltenden Zumutbarkeitsobergrenze von 90 Minuten auch im Nahbereich von 25 Kilometern wurde dieses Ergebnis vermieden (UFS 23.12.2008, RV/0031-G/08; BFG 01.02.2017, RV/5101036/2014).

Im Falle der Zumutbarkeit der Benützung von Massenbeförderungsmitteln umfasst die Wegzeit die Zeit vom Verlassen der Wohnung bis zum Arbeitsbeginn oder vom Verlassen der Arbeitsstätte bis zur Ankunft in der Wohnung, also Gehzeit oder Anfahrtszeit zur Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels, Fahrzeit mit dem öffentlichen Verkehrsmittel, Wartezeiten usw.. Stehen verschiedene öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung, ist bei Ermittlung der Wegzeit immer von der Benützung des schnellsten öffentlichen Verkehrsmittels (zB Schnellzug statt Regionalzug, Eilzug statt Autobus), bei einer Kombination zwischen Massenbeförderungs- und Individualverkehrsmittel von einer optimalen Kombination auszugehen (VwGH 28.10.2008, 2006/15/0319).

Wendet man nun all diese gesetzlichen und judikativen Prämissen auf den gegenständlichen Fall an, so zeigt sich, dass die belangte Behörde das sog. "große Pendlerpauschale" zu Recht nicht zuerkannt hat: Aus den vom BFG im Sachverhalt dargestellten Fahrplänen, der ÖBB-Postbus GmbH für den strittigen Zeitraum zeigt sich klar, dass der Bf. sowohl zu Arbeitsbeginn als auch Arbeitsende öffentliche Verkehrsmittel, in Kombination mit Fußwegen zur Verfügung standen, die es ihr innerhalb von weniger als 90 Minuten ermöglichten, die Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - die weniger als 25 km beträgt - zurückzulegen.

Zwar schenkt das Bundesfinanzgericht den Ausführungen der Bf. durchaus Glauben, dass sie ihre 2 Kinder vor der Arbeit zur Schule fahren muss, dies vermag aber an der Rechtsfolge nichts zu ändern: Wie eingangs dargelegt, wollte der Gesetzgeber den Individualverkehr durch das Pendlerpauschale eingedämmt wissen; eine Bevorzugung von berufstätigen Eltern lässt sowohl der Gesetztestext selbst als auch die Materialien nicht erkennen und wäre wohl auch verfassungsrechtlich bedenklich, führte dies ja gleichzeitig zu einer Schlechterstellung kinderloser Arbeitnehmer/Innen bzw. solcher, deren Kinder möglicherweise nicht mehr auf Fahrtendienste der Eltern angewiesen sind. Schließlich hat die Berechnung der Wegzeiten einzig und alleine an Hand objektiver Verhältnisse zu erfolgen; persönliche Umstände haben dabei außer Betracht zu bleiben.

Damit sind jedoch insgesamt die Bedingungen nicht gegeben, die für die Zuerkennung des "großen Pendlerpauschales" erforderlich sind. Der Beschwerde kommt sohin keine Berechtigung zu.

 

V. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Keiner dieser Tatbestände ist gegenständlich erfüllt: Das Erkenntnis beruht hinsichtlich der zu entscheidenden Rechtsfrage, wann die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist auf einer gesicherten Rechtsprechung des VwGH.

 

 

Klagenfurt am Wörthersee, am 14. Juni 2019